29. Dezember 2011

STOLZ UND VORURTEIL

Joe Wright (Großbritannien, Frankreich, 2005)
Jane Austen... praktisch seit Jahrhunderten unentschlossen im Regal mit ernsthafter Weltliteratur, aber auch romantisch-luftiger Unterhaltung; Werke die leider mittlerweile auch zu Hausfrauen-Schmökern verdammt wurden, die man säckeweise am Bahnhof und schlecht sortierten Weltbild-Buchhandlungen ergattern kann.
Seichtes Frauenzeugs denkt man. Aber den guten, alten Kostümfilm sollte man sowieso etwas anders anpacken, so sensibel und zerbrechlich ist er. Denn der Kostümfilm ist in gewisser Weise eine Sondergattung des Films. Ein wohltuendes Augenpulver, ein visuelles Fest, wenn er gut inszeniert ist, oder ein Riesenreinfall, wenn Kulisse und Kostüme doch nicht zu überzeugen wissen. Die visuelle Seite dieses "Genres" ist so allgegenwärtig und für die Beurteilung so prägend, dass die Geschichte beinahe ins Nebensächliche abrutscht.
Auch in diesem Film können sich Production- und Kostüm-Designer so richtig austoben, was sie auch tun, wenn man erstmal den Riesenaufwand der Inszenierung und Dreharbeiten bei den angefügten Specials sieht.
Helena Bonham-Carters Zeiten als britisches Kostüm-Sensibelchen sind längst vorbei. In jüngster Zeit nimmt Keira Knigthley ihren Platz ein. Joe Wright auf dem Regiestuhl übernimmt dann den Job, den sich früher Merchant&Ivory teilen mussten.
Und was kommt letztendlich heraus? Ja, der gute, alte Kostümfilm eben. In seiner vollen Pracht und idyllischer Gemütlichkeit. Nicht weniger, nicht mehr, aber grade genug.

28. Dezember 2011

DIE KREUZRITTER

Aleksander Ford (Polen, 1960)
Die Schlacht bei Tannenberg war wegen der Niederlage der deutschen Kreuzritter gegen Polen, nie so präsent in Deutschland wie in den osteuropäischen Ländern, wo sie bereits die Kindheit prägen konnte (wie z.B. meine) und in zahlreichen Zeichnungen, selbst erdachten Hörspielen und Comics thematisiert wurde.
Vermutlich wächst man im Osten viel eher mit der ideologisch-heldenhaften Darstellung dieser mittelalterlichen Begebenheit auf, zuerst durch Henryk Sienkiewiczs literarischer Vorlage und seit den frühen 60er Jahren schließlich und endgültig durch Alexander Fords epischer Verfilmung des dicken Schmökers.
Denn was aus dem historischen Kontext blieb, ist ein strickte Schwarzweiß-Malerei von geknechteten und schließlich heldenhaften Polen und auf der anderen Seite den grausamen Deutschen als blutrüstige Kreuzritter. Die Begegnung von beiden Seiten ist stets spannungsgeladen, endet in diversen persönlichen und auch zwischenmenschlichen Auseinandersetzungen und gipfelt schließlich am Ende in der berühmten Schlacht von Tannenberg, zwischen dem Deutschen Orden und Polen, an deren Seite Litauen, Weißrussland und die Tataren in den Kampf ziehen.
Trotz dieses einseitigen Cowboy-Indianer-Prinzips weiß der Film selbst nach so langer Zeit wunderbar zu unterhalten und das hat er vordergründig seiner dicken Staubschicht zu verdanken, die ihn von Jahr zu Jahr immer dicker einhüllt. Gerade einem finsteren, mittelalterlichen Thema kommt es zu Gute, wenn die Kopie des Films selbst schon dank ihrer ausgewaschenen Farben und des schlechten Sounds wie aus König Jagiełłos Zeit zu stammen scheint. So archaisch der Film also von seiner technischen Seite auch sein mag und so fragwürdig in seiner Ideologie; man kann trotzdem nur hoffen, dass der Stoff niemals neu verfilmt wird, sonst sind der Zauber und die Authentizität, die er seiner Machart zu verdanken hat, endgültig weg.

22. Dezember 2011

DER GOTT DES GEMETZELS

Roman Polanski (Frankreich, Deutschland, Polen, 2011)
Polanskis Filme hängen alle stark durchgespannt an einer massiven Kette, denn wenn auch die Geschichten, Schauplätze und Figuren variieren, neigt Polanskis bereits seit den frühen 60ern ein bestimmtes Element zu wiederholen. Gemeint ist damit seine Vorliebe, heimischen Orte, vordergründig Mietwohnungen, als körperliche aber vor allem seelische Gefängnisse für seine Figuren auszuwählen und dafür zu sorgen, dass sie aus ihrem Käfig nicht mehr so schnell herauskommen.
Ob "Ekel", "Wenn Katelbach kommt", Rosemarys Baby", "Der Mieter", "Der Tod und das Mädchen", selbst "Der Pianist"; es ist ein ständiger Kampf mit den unmittelbaren Mitmenschen, die Verteidigung des eigenen Territoriums, oder die Überwindung der Einsamkeit und Abschottung. Die Probleme (bzw. die Handlung), deren Lösungen unerreichbar erscheinen, wachsen aus den Figuren heraus und brauchen oft keine zusätzlichen Schauplätze, bzw. sehr wenig an physischem Raum um sich völlig zu entfalten.
Nun serviert uns der gebürtige Pole seine filmische Umsetzung des Theaterstücks von Yasmina Reza, um diese Thematik kammerspielartigen Beisammenseins oder des miteinander Auskommens restlos auszuschöpfen.
Bis auf den kurzen Prolog und Epilog, die der Handlung in ihrer Distanziertheit den Anstoß geben und sie zum Schluss auflösen, bleiben wir durchgehend mit den vier Figuren in der Wohnung. Wie es Polanski dabei schafft, seine Darsteller so an die einseitige Location zu nageln, dass auch der Zuschauer durchgehend gefesselt bleibt, gehört wohl zum lang erprobten und stets verlässlichen Polanski-Mysterium. Wie oft stehen die beiden Besucher wieder an der Türschwelle und somit auch an der Schwelle zum erzählerischen Umschwung und einem visuellen Bruch, doch die Geschichte wirft ständig ein Lasso nach ihnen und zieht sie wieder in die Wohnung. Das Problem (der Streit der Kinder beider Parteien, bei dem der Sohn des Gastgeber-Paares verletzt wurde), muss in den vier Wänden gelöst werden; das Wohnzimmer ist der Kampfring; ein einziges Wortgefecht ergänzt durch Kate Winslets spektakulären Kotzanfall. Die Erwachsenen sind die wahren Kinder, die sich blind im Kreise drehen.
Nach diesem Film kann man jedenfalls wieder zugeben, Polanski-Fan zu sein; Sünden wie "Oliver Twist" oder "Neun Pforten" werden hiermit (fast) wieder vergeben.

21. Dezember 2011

WHALE RIDER

Niki Caro (Neuseeland, Deutschland, 2002)
Frischer Wind aus Neuseeland. Endlich nachgeholt, eins der bekanntesten cineastischen Exportartikel der Insel.
Die kleine Paikea durchbricht bereits bei ihrer Geburt eine lange Kette der Māori-Tradition, die normalerweise von männlichen Nachkommen der Familie weitergeführt wird. Somit gilt es den konservativen und streng der Tradition verbundenen Großvater zu überzeugen, dass auch ein Mädchen/Frau diesen Weg aufrechterhalten kann. Hier kollidiert eine alte Volkssaga (die alte Generation) mit Ansichten der jungen Menschen des gegenwärtigen Neuseeland.
Der Film nähert sich in großen Schritten der neuseeländischen Māori-Traditionen, bis diese Schritte zu aufdringlichen Fußtritten werden: Der Film webt seine Form und Inhalt vollkommen um diese folkloristischen Aspekte, was schließlich schnell am sentimentalen Ethno-Kitsch angrenzt.
Gestrandete Wale etwa sind zwar ein schönes, märchenhaftes Bildmotiv, aber wie so viele Einfälle in diesem Film, entwickeln auch sie eine weinerliche Poesie nahe am Pathos. Dennoch kann sich ein solcher Film getrost zurücklehnen, denn dank seines filmisch wenig vertrauten Territoriums, bleibt es wenigstens ein ungewöhnliches Generations- und Sittendrama.

19. Dezember 2011

ICH, TOM HORN

William Wiard (USA, 1980)
Man könnte behaupten, dass die Figur des legendären Tom Horn die gesamte Coolness von McQueen zusammenfasst. Er ist der alternde Held und zunächst der geheimnisvolle Fremde, der Frauenherzen höher schlagen lässt und natürlich alle Probleme auf seine Art beseitigt. Er wird als Kopfgeldjäger von Farmern in Wyoming angeheuert, um den dortigen Viehdieben Beine zu machen, wird schließlich im perfide eingefädelten Plan des Mordes an einem Jungen beschuldigt und zum Tode verurteilt.
William Wiards (wer ist das überhaupt?) Spätwestern-Klassiker ist die letzte Verbeugung vor Steve McQueen und gleichzeitig ein dramatischer Filmabgang für den Schauspieler, wenn man sich am Ende mit der detailverliebten Hinrichtungsszene herumplagen muss, in der der Titelheld am Strick einen hundselenden Tod stirbt.
Noch im gleichen Jahr starb der Schauspieler an Krebs und war bereits während der Dreharbeiten von der Krankheit gezeichnet. Und hier als Tom Horn stirbt McQueen für uns den großen (und sinnlosen) Märtyrertod und geht für immer.
Prädikat: ein besonderer Film mit Nachgeschmack. Aber dafür kann er ja nichts.

18. Dezember 2011

A CONSTANT FORGE - Life and Art of John Cassavetes

Charles Kiselyak ( USA, 2000)Viel zu behutsam schnuppert man sich zunächst an diese 200min lange Dokumentation über einen der sperrigsten Filmemacher Amerikas heran; so ein Mammutwerk ist nicht für jeden Anlass geeignet, denkt man. Danach ärgert man sich aber, diesen Film nicht schon viel früher gesehen zu haben, der schließlich einer der größten Menschenkenner bzw. Schauspieler-Regisseure unter den amerikanischen Filmemachern porträtiert und der wieder daran zurückerinnert, wie groß und wie anders dieses Kino ist.  
Cassavetes erzählt viel selbst aus dem Off, ergänzt wird das durch Freunde, Gefährten und Kollegen, wie etwa die wunderbare Gena Rowlands, Peter Falk, Ben Gazzara, aber auch Sean Penn. Dazwischen viele Bilder von Dreharbeiten, endlose Filmzitate und geplünderte Familienfotoalben. 
Wir erfahren nichts radikal neues, aber wir bekommen es wieder bestätigt: Cassavetes war ein exzentrischer Sonderling, der den Menschen liebte und ihn auf die linke Seite stülpte, der das Planen hasste und daher stets den Weg der kontrollierten Improvisation einschlug. 
Aber was Kiselyaks Portrait vor allem hinterlässt, ist das Verlangen, Filme wie "Eine Frau unter Einfluss" oder "Opening Night" bald wieder aus der Versenkung herauszuholen. Alleine schon, um Gena Rowlands wiederzusehen, und sie erneut dafür verantwortlich zu machen, den Großteil ihrer Schauspieler-Kolleginnen völlig überrumpelt zu haben, um ganz neue Maßstäbe zu setzen. Kein 200min-Kampf, sondern eine ereignisreiche Schlacht um das Überleben eines stets gegen den Strom schwimmenden Künstlers.

29. November 2011

Eine gewisse Tendenz im polnischen Film

Kürzlich war ein Tauchgang in einen Bottich mit polnischen Filmen angesagt. Es ist immer erfreulich, mal wieder etwas aus Osteuropa zu erwischen.
Doch wie schnell die Laune wieder umschlägt, so bald man die ganzen Filme dann tatsächlich sichtet. Der gegenwärtige polnische Film ist ein stets delikates Thema: er ist zwar frei von allen Zwängen und politischer Kontrolle, nutzt das aber dermaßen aufdringlich aus, dass am Ende darin oft nur routinierte Stereotypen abgearbeitet werden. Der polnische Film weint und lamentiert, beschwert sich über das eigene Land und noch viel mehr über seine Vergangenheit und seine bedauernswerten, gebeutelten Bewohner. Dem gegenwärtigen, polnischen Film fehlt die alte Poesie, weil er die Poesie nicht mehr nötig hat. Er braucht keine Symbole, Metaphern und Genre- Fassaden wie früher, und kann deshalb nur noch seinen nackten Zorn auftischen. Was bleibt sind Geschichten, die bis auf die Knochen abgenagt sind. Gangster, Schnapsnasen, eine korrupte Gesellschaft, kriminelle Jugend, der graue Himmel überm Plattenbau und das permanente Gejammer. Polen bleibt der ewige, perspektivlose Ostblock, voller pessimistischer Exotik; ein Winkel dieser Erde, den man meiden möchte. Wie traurig ist das durch diese weitgehende Einseitigkeit und wie langweilig für die Filmgeschichte.
Das ist natürlich nicht immer so. Aber diese Tendenz dominiert dennoch die gegenwärtige polnische Filmlandschaft, vor allem wenn ich Filme wie Smarzowskis "Wesele" oder Borcuchs "Wszystko co kocham" sehe.
Bei Machulskis "Kingsajz" steckt natürlich erheblich mehr dahinter, vielleicht weil der Film 1987 in der Übergangsphase entstand. Er muss sich also noch hinter dem Deckmantel eines kindlichen Zwergen-Klamauk verstecken.
Barejas "Małżeństwo z rozsądku" ist dann wiederum ein alter Hut; strahlt noch einen sentimentalen Charme aus.
Hinzu kommt noch der kürzlich beim exground-Festival gesehene "Father, Son and the Holy Cow" von Radoslaw Wegrzyn; immerhin eine nette Komödie, die sich wenigstens mit ihrer ländlichen Poesie nach dem traditionellen, polnischen Kino zu sehnen scheint.
Am interessantesten bleibt die Dokumentation "Beats of Freedom" über die polnische Musikgeschichte, die es versteht, die vielen Musikphänomene mit dem damaligen politisch-gesellschaftlichen Geschehen zu einem filmischen Dokument zusammenzufügen, das mit seiner tragisch-komischen Authentizität fesselt. Vor allem ist das ein überzeugenderes Portrait Polens als die meisten Spielfilme des Landes, die in den letzten Jahren entstanden sind.
Es wäre natürlich viel zu einfach, diesen routinierten Pessimismus als rein polnisches Problem abzuwerten. Der italienische oder auch der deutsche Film wurden praktisch aus den Trümmern des 2. Weltkrieges neugeboren, ließen zunächst den Neorealismus und unzählige Trümmerfilme auf uns los, schafften es aber später, sich auch ganz anderen Themen zu widmen. In den USA erlebte das Kino gerade im Zeitalter des New Hollywood, wo am meisten an den Wunden des eigenen Landes gekratzt wurde, vielleicht ihre filmisch vielseitigste und kreativste Phase.
Grund zum heulen gibt es also überall. Aber kaum ein Land kann das scheinbar so konzentriert und konsequent wie Polen. Vor allem sind es Tränen, die sich vordergründig an das eigene Volk richten; Polen dreht Filme über Polen für Polen. Ein nationales Kino, das wo anders kaum verstanden werden kann.
Vielleicht erwische ich aber wirklich zu oft die falschen Filme und löffle eher mit einer Schöpfkelle in diesem polnischen Filmbottich, als dass ich wirklich darin tauche. Deswegen heißt es: unbedingt weiterschauen und hoffen, dass man neue Schätze doch noch findet. Viel zu aufregend waren Filme des jungen Wajda, Leszczynski oder Piwowski, um ein ganzes Filmland plötzlich aufzugeben.

28. November 2011

Disney Cartoons

Disney bleibt ein stets zwiespältiges Thema. Auf der einen Seite ein imperiales Monster, das mit seinem verkrümmten Realitätsblick die mediale Macht an sich reisen konnte und in der westlichen Kultur mit seinem verniedlichten Blick beinahe jedermanns Kindheit prägte (und das bereits seit den 20er Jahren!).
Auf der anderen Seite (die eigentlich keine andere ist) steckt dahinter enorm viel Arbeit von hochtalentierten Künstlern, deren Genie vermutlich in keiner Produktion dermaßen sichtbar ist, wie in den alten Disney-Cartoons aus der Zeit 20er-50er.
Diese kurzen Meisterwerke beweisen, dass ein überzeichneter Realitätsblick noch absichtlich auf die Spitze getrieben werden kann, um den Blickpunkt der Karikatur so elastisch und dehnbar wie einen Kaugummi zu formen; wie jede Figur und jeder Gegenstand, die in diesen Filmen auftauchen. Der schwarzhumorigen Darstellung gesellschaftskritischer Themen wie etwa der Parodie auf den 2. Weltkrieg und Nazideutschland, stand somit nichts mehr im Wege.
Animationstechnisch bleibt es bis heute unerreichbar und konkurrenzlos, was Genies wie Ub Iwerks bereits in den 20er Jahren auf die Beine gestellt haben. Der Vater von Oswald the Lucky Rabbit und Mickey Mouse war nicht nur ein begnadeter Animationskünstler, sondern vor allem ein technischer Erneuerer, dessen Ideen und Erfindungen die Trickfilmwelt maßgebend geprägt haben.
Mit nostalgischer Träne und großem Respekt erinnere ich also mit zwei Cartoon-Klassikern an die Pionierszeit des Trickfilms (zum Starten Bilder anklicken):


24. November 2011

DER SCHRECKEN DER MEDUSA

Jack Gold (Großbritannien, Frankreich, 1978)
Lino Ventura als französische Schnüffler in London. Er soll den nach einem Mordanschlag auf der Intensivstation liegenden Richard Burton unter die Lupe nehmen. Ventura sucht Leute aus Burtons Vergangeheit auf, wie auch dessen Psychiaterin, durch deren Erzählungen wir von den telekinesischen Fähigkeiten ihres Patienten erfahren, die ihn schon seit seiner Kindheit zu einem Sonderling machten. Scheinbar nutze Burton seine Gabe nur, um Tod und Unheil über all diejenigen zu bringen, die ihm in seinen unterschiedlichen Lebenslagen im Wege standen.
Nun im Krankenhaus scheint sein Gehirn weiterhin zu funktionieren; er ist immer noch in der Lage auf passive Weise Schicksale zu steuern und schließlich als Showdown den Einsturz der Londoner Kathedrale wähend einer gutbesuchten Festlichkeit herbeizuführen.
Eine Geschichte um die Thematik der Telekinese zu weben erscheint zuallererst recht spannend, erweist sich bei genauer Betrachtung aber als ein wahrhaftes akrobatisches Kunststück. Wenn man dokumentarische Schnippsel zu sehen bekommt (auch in diesem Film!), wo Leute per Gedankenübertragug Materie bewegen können, dann ist das recht spektakulär, doch im Spielfilm gerät es rasch in die Sackgasse mit all den albernen Stilmitteln, die einen soliden Thriller in einen naiven Psycho-Hokuspokus verwandeln. Da hilft ein Richard Burton auch nicht weiter, denn die psychologischen Spielchen beweisen um so mehr die Geschwätzigkeit dieses Schnüfflerfilms, die durch Lino Venturas Figur eines gemütlichen Kommissars, der lieber redet als aktiv handelt, dieses Bild zusätzlich abrunden. Ganz nett, aber einmal reicht.

22. November 2011

Exground Filmfest 24

11.11.11 - 20.11.11, Wiesbaden
 
Das diesjährige exground Filmfest kam wie ein zarter Lufthauch, schlich sich beinahe unbemerkt an mir vorbei, verabschiedete sich aber glücklicherweise mit einem wirklich gelungenen Abschluss (für mich leider schon am Mittwoch!). Aber alles nacheinander.
Israel war Schwerpunkt in diesem Jahr, gleichzeitig waren auch iranische Regisseure mit ihren filmischen Beiträgen eingeladen. Eine spannungsgeladene Konfrontation, die mit der "gegenwärtigen" Israel/Iran-Krise noch zusätzlich gepfeffert erschien und die Festivalorganisatoren ernsthaft ins Grübeln brachte, ob der Israel-Fokus wirklich angebracht war.
Der israelische Eröffnungsfilm "Ein Sommer in Haifa" (von Avi Nesher) war ein netter Start; nicht nur fürs Festival, sondern auch um in ein mir bisher unbekanntes Filmland hineinzuschnuppern.
Im Anschluss gab es den polnischen Beitrag "Sommer auf dem Land", das Erstlingswerk von Radoslaw Wegrzyn. Zbiginew Zamachowski erkennt in einer Kuh die Reinkarnation seiner verstorbenen Ehefrau. Solide Komödie, in der polnischen Pampa angesiedelt. Der Regisseur auch vor Ort, plauderte danach wie ein Wasserfall über sein Werk. Immer nett so was.
Am Samstag dann der Spanier "Mad Circus" (von Álex de la Iglesia), völlig falsch eingeschätzt: hatte wenig was von einer sensiblen Zirkus-Groetske, sondern ein knallharter, überstilisierter Blockbuster, gewaltgeil, laut und aufgeblasen. Vor allem anstrengend.
An dieser Stelle wäre das exground für mich in diesem Jahr abgeschlossen, käme nicht noch der mexikanische "A Stone's Throw Away" (von Sebastián Hiriart) spontan am Mittwoch hinzu. Die voreilige Fehleinschätzung eines Filmes, der penetrant seine Langsamkeit zelebriert, bewahrheitete sich jedoch nicht; am Ende war’s ein wirklich schöner Roadmovie der etwas anderen Art. Langsam und doch temporeich. Gerne wieder.
Insgesamt aber ein lahmes 2011 fürs exground, oder vielleicht wirklich eine lahme persönliche Auswahl? Erfreulicherweise machte die stets wechselnde Kino-Begleitung jeden Kinobesuch zu einem abwechslungsreichen Abend. Und das goEast-Festival kommt ja schließlich auch wieder; vielleicht weht aus dem Osten ein frischerer Wind.

12. November 2011

MY BLUEBERRY NIGHTS

Wong Kar-wai (Hongkong, China, Frankreich, 2007)
Kar-wais "My Blueberry Nights" wirkte schon vor Jahren im Kino unheimlich belanglos. Auf großer Leinwand wie eine Art Musen-Film, bei dem der Regisseur mit klopfendem Herz um seine Hauptdarstellerin herumtänzelt.
Der jetzige Eindruck fällt glücklicherweise etwas milder aus (wenn auch nicht besser); ganz im Gegenteil: man merkt, dass die Popjazz-Elfe und Tochter von Ravi Shankar schnell auf der Strecke bleibt, so bald Rachel Weisz oder später auch Natalie Portman die Bühne betreten und augenblicklich der putzigen Frau Jones die Show stehlen.
Jones spielt die junge Elizabeth, die ihre kaputte Beziehung mit diversen Kellnerin-Jobs überwinden will, dabei während der verschiedenen Stationen (New York, Memphis, etc) über verschiedene Charaktere stolpert und deren eigene Krisen miterleben muss oder einfach hineingezogen wird.
Norah Jones bleibt als Schauspielerin dem gleichen Konzept treu, dem sie sich schon als Musikerin von Anfang verschworen hat: Stets brav und völlig risikofrei, aber wenigstens solide.
Kar-wais Kino konnte sich mir bisher nie wirklich erschließen. Und hier der Blick des Asiaten, der sich erstmal in Amerika neu orientieren muss; das wirkt noch befremdlicher. Dummerweise zerlegt er auch noch seine Geschichte durch den ständigen Einsatz einer abgehackten Zeitlupen-Kamera, die der Story visuell den letzten Spannungsansatz raubt.
Dass am Ende auch noch der obligatorische Noraj Jones-Song erklingen muss, ist fast schon wieder lustig.

8. November 2011

THE FUTURE

Miranda July (USA, 2011)
Neuer Miranda July-Film kürzlich im Mainzer Palatin-Kino. Eine Beziehungskrise zweier junger Menschen in Zeiten des Internets. Ein Versuch, das Medium als Auslöser für Isolation und Entfremdung verantwortlich zu machen. YouTube und der Apple-Computer geraten ins Visier, doch egal wie kritisch der Einfluss der virtuellen Welt auch dargestellt wird: allein der Anblick des angebissenen Apfels verleitet den Zuschauer weiterhin, in diese Frucht hinein beißen zu wollen, mag sie auch sauer sein; die Anti-Werbung wirkt, es ist zu spät, Mirandas Film wird sowieso von der Realität und dieser gefühlsarmen Zukunft überrumpelt, nach der sie ihren Film benannte.
Betrachten wir also den auf uns gerichteten Zeigefinger lieber als Auslöser für die spartanische Handlung und genießen den Miranda July-Stil, den man tatsächlich als einen solchen bezeichnen kann, in seiner gekünstelt-philosophischen Kommunikation, dem Blick auf Details, dem Symbolischen und Absurden, der skurrilen Akzente, der naiven Alltagsausbruch-Thematik. Diese Nicht-Geschichte funktioniert trotzdem, wird außerdem zusammengehalten von einem ungewöhnlichen Off-Sprecher, einer Katze im Tierheim, die von dem Pärchen nach der Genesung adoptiert werden soll.
Das Mainzer Kino ist klein, gemütlich und ohne den Mief, der oftmals solche kleinen Kinos begleitet. Ebenso der Film, könnte man behaupten. Denn Julys Filme werden wohl immer der kleine Zwischenschmaus bleiben, den man auf kleinen Leinwänden im Hinterwinkel großer Kinos sehen wird. Auch wenn die vielseitige Künstlerin gerade die Cover verschiedener Style- und Kultur-Magazine schmückt: es wird vermutlich auch bei jedem weiteren ihrer Produktionen viel Wirbel um einen anregenden Film geben, aber keinen der die Filmwelt jemals revolutionieren könnte. Dafür kreist dieses Kino auch viel zu sehr um seinen eigenen Schöpfer; die junge Regisseurin und (Selbst)Darstellerin präsentiert sich in Übergröße. (sogar wortwörtlich in der XXL-Shirt-Tanzszene!) Hoffentlich führt das nicht demnächst zu einer egozentrischen Überstilisierung. Noch ist alles gut.

1. November 2011

100.000 DOLLAR IN DER SONNE

Henri Verneuil (Frankreich, 1963)
Belmondo ist Fahrer bei einer großen Spedition, macht sich eines Tages mit einem neuen Laster davon, der mit einer teuren, undefinierten Ware beladen ist. Der Firmenboss zürnt und tobt, schickt einen anderen Fahrer (Lino Ventura) hinterher um Belmondo und die gestohlene Ware einzusacken.
Danach folgt eine Verfolgungsjagd der besonderen Art; sie gestaltet sich mühselig durch die schweren Wagen und die tückische Strecke voller Staub und Sandlöcher und dem ganzen Schotter der aufgewirbelt wird. Wichtig hinzuzufügen wäre, dass Belmondo mit seiner Freundin in dem Fluchtlaster unterwegs ist, denn diese unscheinbare, weibliche Nebenfigur setzt am Ende die eigentliche Pointe (man möchte nichts verraten!) und lässt die Verfolgung der beiden männlichen Protagonisten wie eine lächerliche Sandkasten-Rauferei aussehen. Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte, oder so.
Verneuil kam mit seinem Lastwagen-Film 10 Jahre zu spät, weil Henri-Georges Clouzot bereits 1953 hochexplosives Nitroglyzerin, inkl. Yves Montand & Co. durch die Gegend fahren ließ, was damals um einiges spannender war, als das Katz- und Mausspiel von Belmondo und Ventura. Der Vergleich hinkt vielleicht, stellt sich aber dennoch. Ein interessanter Unterschied ist jedoch: bei Clouzot wird Nitroglyzerin transportiert, bei Verneuil eine unbekannte Kostbarkeit, vielleicht ebenso gefährlich; ein Paradebeispiel für einen filmischen MacGuffin. Was bleibt ist ein relativ spannende und schön fotografierte Hetzjagd, allerdings viel zu oft mit blödsinnigen Klamauk-Szenen ausgeschmückt.

27. Oktober 2011

DER WOLFSJUNGE

François Truffaut (Frankreich, 1970)
Die Neusichtung von Truffauts Verfilmung des Falls Victor von Aveyron, erwies sich als ein ziemlicher Glückfall, denn der Film weiß viel besser zu gefallen, wenn man von vorn herein auf den dokumentarischen Stil eingestellt ist. Außerdem sind die Bilder so großartig durchkomponiert und die Locations so liebevoll-zeitgemäß inszeniert, dass "Der Wolfsjunge" mit Sicherheit zu Truffauts visuell schönsten Filmen gehört.
Speziell die Anlehnung an die Fotografie französischer Vorgänger, wie etwa Robert Bresson, katapultiert den Zuschauer direkt ins 18. Jahrhundert; die Bilder bekommen diesen eigenwilligen altmodischen Ansatz.
Sonst heißt es nur noch zurücklehnen und beobachten wie Dr. Jean Itard (Truffaut in eigener Person!) sein Dschungelkind aufrecht auf die Beine stellt, ihn rasiert, anzieht, und mit einem erhobenen, pädagogischen Finger einen Menschen aus ihm macht. bzw. es versucht.
Allein durch den weitgehenden Verzicht auf ausgeprägte Frauenfiguren, und dem Fehlen des altbewährten Mann/Frau-Thema, ist es immerhin ein Truffaut-Film von hoher Risikobereitschaft, weil er einen radikalen Genrewechsel nicht scheut. Kein großer Truffaut-Film aber ein abwechslungsreicher Seitenweg.

18. Oktober 2011

DIE NIBELUNGEN

Fritz Lang (Deutschland, 1924)
Kein Wunder, dass die Weimarer Republik finanziell in den Abgrund rutschen musste, wenn zu jener Zeit Leute wie Fritz Lang solche Mammut-Projekte wie "Metropolis" oder eben auch "Die Nibelungen" aus dem Boden stampften.
Arte hatte kürzlich die von der Wiesbadener Murnau Stiftung restaurierte (und viragierte!) Fassung der Lang'schen Nibelungen-Saga ausgestrahlt; Gesamtlaufzeit beider Teile beinahe 5 Stunden; danach möchte man nur noch zum Schwert greifen und große Heldentaten vollbringen.
Man mag von dem Film halten, was man will; der Überschwang an Pathos und Heldentum ist natürlich kaum zu überbieten, doch filmtechnisch bleibt dieses riesige, tonnenschwere Monument bis heute ein beeindruckendes Werk. Die vielseitigen, optischen Eindrücke stürzen sich lawinenartig auf den Zuschauer, reizen mit ihrer naiven Nostalgie aber auch ihrer Zeitlosigkeit.
Wenn Siegfried mit dem Drachen kämpft, dann wirkt das für unsere heutigen Sehgewohnheiten eher wie eine Auseinandersetzung mit dem Krokodil aus dem Kasperle-Theater, und weshalb der aufgedrehte, stets gut gelaunte Muskel-Siegfried überhaupt den Drachen töten musste, bleibt eh ein Mysterium, wo doch das friedliche Tier für niemanden eine unmittelbare Gefahr darstellte.
Die Nazis mussten später kräftig Beifall geklatscht haben, dass ein unbekanntes, grässliches Wesen, welches automatisch zu einem potenziellen Feind erkoren wurde, von einem blonden, athletischen Kämpfer abgestochen wurde. Zu all dem machte ihn das noch (fast) unbesiegbar, nach dem er im Blut des toten Drachens eine wohltuende Dusche genommen hat. Welch blutrünstig gefärbte Symbolik!
Und in all der thematisierten, bedingungslosen Treue gegenüber dem König ist der Eid auf Hitler auch nicht weit entfernt.
Aber Schwamm drüber, der Film kann ja nichts dafür. In den (film)historischen Kontext gepackt, muss man solche Werke als museale Schätze betrachten. Eine längst fremde, alte Welt, von Toten besiedelt und von Toten gemacht, und das mit viel Phantasie und Herzblut.
Besonders bemerkenswert bleiben die einprägsamen Kostüme bzw. die Charakterisierung der Figuren. Gesichter irgendwo zwischen Wandertheater, Art Déco-Gotik und einem verstaubten Gruselmärchen. Die Bilder oben erzählen den Rest.

11. Oktober 2011

MELANCHOLIA

Lars von Trier (Dänemark, Schweden, Frankreich, Deutschland, 2011)
Wenn Lars von Trier wieder mit einem neuen Projekt antanzt, dann ist das in den meisten Fällen eine egozentrische Selbstanalyse. Er will uns keinen Gefallen tun, sondern sich selbst therapieren. Bei den jüngsten Dreharbeiten soll es ihm viel besser gegangen sein, als davor bei "Anichrist". Das glauben wir ihm aber nicht. Wenn "Antichrist" der Sturz ins dunkle Loch war, ist "Melancholia" bloß ein Versuch, dort heraus zu kriechen, nur um am Ende kläglich zu scheitern.
Was dem Film zu Gute kommt, denn Lars ist der Mann der dunklen Stunde. Es wird gemunkelt, er würde zurzeit wieder im dunklen Wald hocken und am Drehbuch fürs nächste Schauermärchen tüfteln.
Die Depression der frisch vermählten Protagonistin (Kirstin Dunst) wird im Größenwahnsinn des Films zu einem universellen Problem aufgeblasen; dem gigantischen „Planeten“ Melancholia, der unsere geliebte Erde bedroht. Lars baut unüberwindbare Hürden für seine Figuren, denn er gibt keine Antworten und löst ihre Probleme bloß mit der absoluten Endlösung: Unser Planet ist von Grund aus schlecht und der Mensch ist eh allein im Universum, laut der Protagonistin.
Direkt nach der Kollision beider Planeten kann sich der Regisseur nur noch zwischen einer weißen oder einer schwarzen Leinwand entscheiden. Der Höhepunkt ist die totale Auslöschung; weiter geht es nicht, weil die Filmtechnik in dem Sinn noch in den Kinderschuhen steckt: Der Melancholia-Planet müsste eigentlich noch aus der Leinwand rollen und die Zuschauer plattwalzen.
Was ärgert: Stilistisch lehnt sich von Trier viel zu sehr an seinen Landsmann Thomas Vinterberg und dessen "Das Fest". In beiden Filmen gibt es diese verbale Entblößung verschiedener Charaktere während eines gesellschaftlichen Beisammenseins. Die Handkamera sucht unruhig ihre Motive und treibt die Methode des dänischen Dogmafims auf die Spitze; nur selten können die Bilder in ihrer Nervosität gebändigt werden.
Ähnlich wie bei Terrence Malicks "Tree o Life" schwirrt erneut Stanley Kubrick wie ein wachender Geist über dem Projekt: Lars von Trier nutzt auch ein klassisches Leitthema (Wagners "Tristan und Isolde") als opernhafte Untermalung kosmischer Bilder.
Man kann "Melancholia" dennoch keine Abwesenheit seines Regisseurs vorwerfen. Lars ist allgegenwärtig und ein großer Wurf ist ihm jedenfalls gelungen, bei dem es so herrlich spannend bleibt, weil man nach diesem apokalyptischen Finale nicht weiß, wo der Stein als nächstes landet. Für seinen nächsten Film muss Lars von Trier die Welt ohnehin erst wieder neu erschaffen, die er hier endgültig zerstört hat. Eine gewaltige Aufgabe.

9. Oktober 2011

DAS SCHIEßEN

Monte Hellman (USA, 1966)
Völlig schleierhaft, warum dieser morsche Möchtegern-Western zu so einem Geheimtipp avancierte. Optisch wie ein altes, verwaschenes Unterhemd, das im Wind flattert und in jedem Augenblick von der Wäscheleine wegzufliegen droht, ohne dass es jemand vermissen würde.
Der junge Jack Nicholson ist dabei, ebenso Warren Oates und der eher unbekannte Will Hutchins. Zusammen mit Millie Perkins (war früher als Anne Frank in George Stevens' Film zu sehen) durchqueren sie die endlose Wüste von Utah.
Nicholson ist zuerst der rätselhafte Unbekannte, vor dem man sich hüten sollte und den man nicht so gerne als Reiter die ganze Zeit hinter sich hat.
Die monotone Location wird dem Film schnell zum Verhängnis, weil sie ein offensichtliches Signal dafür ist, dass der Kies bloß für eine Low Budget-Produktion ausgereicht hat. Ein kleinerer Geldbeutel kann natürlich dennoch eine kreative Inspirationsquelle sein, aber der finanzielle Engpass scheint hier die filmischen Möglichkeiten eingedämmt zu haben. Dem Film geht schnell die Puste aus; als hätten die vier Figuren zu viel Sonne und Wüstensand abgekriegt und wären nur noch in der Lage, kreuz und quer durch eine öde Landschaft zu reiten. Ob sich dieser Film erst bei einem Wiedersehen voll entfalten kann, bleibt eher zweifelhaft.

4. Oktober 2011

LE HAVRE

Aki Kaurismäki (Finnland, Frankreich 2011)
Der neue Kaurismäki. Eine Schuhputzergeschichte vor der düsteren Kulisse der französischen Hafenstadt Le Havre. Marcel ist der Mann mit der Schuhbürste und viel zu wenig Kunden. Ein beklemmendes Leben, mit dem er trotzdem zufrieden zu sein scheint.
Die große Wende kommt durch seine Begegnung mit dem kleinen Idrissa, der als Flüchtling aus Gabun in einem Frachter-Container am Hafen gelandet ist, obwohl sein erträumtes Ziel London war. Marcel wird somit aus dem harten Alltagstrott wachgerüttelt, weil er in dem Jungen einen Lichtblick erspäht; eine neue Lebensaufgabe erscheint am Horizont. Er möchte Idrissa helfen und nimmt ihn zunächst zu sich nach Hause, wobei er nur eine handvoll Leute in seinen Plan einweiht, um die schnüffelnde Polizei abzuschütteln.
Kaurismäki hat mit seinem jüngsten Werk mal wieder etwas wirklich Schönes auf die Beine gestellt. Er bleibt der einzige Regisseur, der diese streng konstruierte und optisch nüchterne Erzählweise mit der lakonischen Charakteristik seiner Figuren verbinden kann, ohne einem hartnäckigen Manierismus zu verfallen, sondern immer noch einen eigenwilligen Stil beibehält. Das ist dieser ungeschmückte, groteske Realismus, wie man ihn vielleicht sonst nur bei Roy Andersson findet. Im Gegenzug dazu ein reserviertes Reaktionsvermögen der Figuren, wie oft bei Alex van Warmerdam vorzufinden.
Schönes, tragisch-komisches Kino.

3. Oktober 2011

VOGELFREI

Agnès Varda (Frankreich, 1985)
Zu großer Verwunderung muss ich feststellen, dass dieser Film meine erste Begegnung mit Frau Vardas Kino ist. Was man so liest, liegen anscheinend die ganz großen Sachen schon etwas zurück, gar zur Zeit der Nouvelle Vague-Bewegung. Umso positiver fällt dann diese 80er Produktion auf und umso neugieriger macht sie mich auf weitere ihrer Filme.
Mona (eine sehr junge Sandrine Bonnaire) führt ein Vagabunden-Leben, schlendert durch ein trostlos wirkendes Südfrankreich, stielt und übernachtet in runtergekommenen Hausruinen, trifft auf Menschen, die sie noch tiefer in den Dreck zu ziehen drohen, aber auch solche, die ihr wieder auf die Beine helfen wollen. Doch Mona ist viel zu bemüht, ihre Unabhängigkeit zu bewahren und nimmt das Landstreicher-Dasein stets in Kauf. Sie bleibt ein ewiges Aschenputtel; eine Metamorphose scheint manchmal so greifbar zu sein, doch sie wendet sich im letzten Augenblick von diesem denkbaren Glück wieder ab und wählt den steinigen Weg durch Frankreichs ungemütliche Landschaften.
Wie schwierig es sein muss, eine solch kreisförmig angelegte Geschichte dennoch mitreißend zu erzählen, über eine Figur, die sich gegen ihre eigene Veränderung und Entwicklung wehrt, bis sie schließlich die Konsequenz ihrer Dickköpfigkeit zu spüren bekommt. Gerade das gelingt Agnès Varda eindrucksvoll.

30. September 2011

FLAMMENDES INFERNO

John Guillermin, Irwin Allen (USA, 1974)
Das Katastrophen-Genre ist von Anfang an dazu verdammt, alle filmischen Einzelbestandteile der Sensationsgier seiner Handlung unterzuordnen. Was einzig zählt ist die Katastrophe und ihre realistische Umsetzung, alles Restliche sind abgedroschene Plattitüden, die sich hilflos um das Drama scharen.
"Flammendes Inferno" ergeht es da nicht viel anders. Die Regisseure Guillermin und Allen stecken mehrere Bekannte Darsteller in einen frisch errichteten, kürzlich eingeweihten Wolkenkratzer, der auf Grund baulicher Sparmaßnahmen Feuer fängt und langsam wie eine gigantische Zigarette abbrennt.
Paul Newman ist der Architekt, der Superheld, der in dem zerstörten Gebäude von einem Stockwerk ins andere krabbelt; wutentbrannt weil er ständig über technische Mängel stolpert, für die er den Bauherr (William Holden) und dessen Schwiegersohn (Richard Chamberlain) verantwortlich macht. Faye Dunaway spielt die Frau des Architekten, die man natürlich als erste gerettet sehen möchte. Nicht zu vergessen Steve McQueen als Boss der Feuerwehr von San Francisco; in seinen Händen liegt das Schicksal der Eingeschlossenen.
Wer überlebt, oder wer den Flammen zum Opfer fällt, bzw. in letzter Not aus dem Fenster stürzt, kann sich jeder halbwegs vernünftige Zuschauer in kürzester Zeit ausmalen. Nicht nur der Bekanntheitsgrad der Darsteller ist dafür der beste Hinweis, sondern ebenso das altbewährte Phänomen des Sympathieträgers: der Unbekannte und der Schurke verbrennt, der Star hingegen brennt weiter am filmischen Himmel, muss also überleben. Demzufolge ist die Charakterzeichnung so durchsichtig wie eine frisch polierte Scheibe, und alle Darsteller, so gut sie auch sind, nicht mehr als ein Haufen Hampelmänner; ein Mittel zum Zweck.
Die große Katastrophe ist nicht ein brennendes Hochhaus, sondern wenn ein Genre zu ausgeprägt in Erscheinung tritt. Dann bleibt aber immer noch ein gutes Unterhaltungskino; wie in diesem Fall.

29. September 2011

MORITURI

Bernhard Wicki (USA, 1965)
Wicki scheint ein Regisseur gewesen zu sein, der jeden Cent für eine pompöse Ausstattung seiner Filme hergegeben hätte, um die nötige visuelle Attraktivität zu erreichen.
Bei "Morituri" fällt zu aller erst sein immenser Aufwand auf: Er lässt die Kamera aus weiter Entfernung wie einen Vogel hoch über den riesigen Schiffen kreisen, dann auf das Deck herab gleiten, um in der gleichen Einstellung (ohne Schnitt!) so nah an die Darsteller heranzuzoomen, dass man als Zuschauer den Leuten an Deck fast in die Nasenlöcher hineinschauen kann; man wird sofort ins Geschehen integriert.
Brando ist Sprengstoffexperte und soll, getarnt als Gestapo-Offizier, an einem deutschen Frachter Sprengladungen entschärfen. Diese befinden sich, (deutlich gekennzeichnet, aber gut versteckt), an den unterschiedlichten Orten des großen Schiffes und sollen vom deutschen Kapitän (Yul Brynner) gezündet werden, falls der Frachter dem Feind in die Hände fallen sollte.
Was sich nach einem trockenen Kriegskrimi anhört, erweist sich als ein aufregendes und spannungsvolles Drama, denn Bernhard Wicki ist nicht nur ein technisch besessener Regisseur, sondern weiß, in dieser effektvollen Kulisse interessante Charaktere unterzubringen.
Brando ist sowieso immer gut; hier muss er noch zusätzlich eine Tarnung aufrecht hallten, verläuft sich dadurch in diversen, psychologischen Sackgassen, wenn er im Gespräch mit der Besatzung oder beim Auftauchen anderer deutschen Offiziere, in deren Visier gerät.
Brynner als Kapitän wie gewohnt der disziplinierte Typ, der alles gefasst einsteckt, doch bis zum Ende hin, immer deutlicher erweicht und an Jack Londons Wolf Larsen-Figur erinnert.
Hinzu kommt noch eine Schiffsbrüchige Jüdin (Janet Margolin); äußerlich wie eine verloren gegangene Ingmar Bergman-Frau, die mit bissigem Zynismus den Stolz ihres Volkes verteidigt. Durch ihre Anwesenheit rettet sie außerdem den Film vor der stets drohenden Genre-Schublade eines harten Männerfilms. Und entgegen aller Hollywood-Klischees wird sie (die attraktive und einzige Frau an Bord) sogar am Ende kaltblütig niedergeschossen.
Der Film überrascht. Inhaltlich und formal.

22. September 2011

DER MIETER

Roman Polanski (Frankreich, 1976)
Nichts ist so schön, wie alte Schatztruhen aufzubrechen und festzustellen, dass der Inhalt immer noch nicht vom Staub bedeckt ist. Auf diese Weise wurde mit großer Freude Polanskis Topor-Verfilmung geborgen und erneut gesichtet.
Polanskis Lieblingsthema des in sich selbst eingeschlossenen Menschen, der nicht nur in seinen eigenen vier Wänden mit sich selbst zu kämpfen hat, sondern sich auch mit lästigen Mitmenschen abplagen muss. (siehe "Ekel", "Rosemarys Baby" oder auch "Wenn Katelbach kommt"). Polanski selbst in der Rolle des Mieters (deutsche Synchronstimme vom jungen Westernhagen), der eine Pariser Wohnung bezieht und sich von anderen Hausbewohnern dazu gedrängt fühlt, in die Rolle der Vormieterin zu schlüpfen, die in der gleichen Wohnung Selbstmord beging.
Selten gab es einen Filmcharakter, der durch Wahnvorstellungen eine dermaßen stürmische Metamorphose durchlebt, die zum Verlust der eigenen Identität führt: vom scheuen Angestellten Trelkovsky bis zur totalen Identifikation mit der exzentrischen Simone Choule.
Isabelle Adjani (damals wieder mal eine Neuentdeckung des Regisseurs) erscheint hier als Kumpelfrau, ein leiser Hoffnungsschimmer, der den Mieter von seinem Weg in den Abgrund weglocken könnte, doch am Ende nichts weiter ist, als ein weiteres Hindernis, welches überrollt wird, um der Katharsis des Finales doch noch näher zu kommen.
Ganz großes Kino, voller ungelöster Rätsel.

THE BEGINNERS

Mike Mills (USA, 2010)
Am Wiesbadener Caligari-Programmkino eine lange Schlange. Große Verwunderung; dabei ist der Film doch bloß so ein kleiner Happen, würde man denken. Schließlich im Kino drin, und dort einen Platz zu finden, erweist sich als eine höhere Kunst.
Bei genauerer Überlegung: es handelt sich um eine Liebesgeschichte zweier ansehnlicher Darsteller (Ewan McGregor und Mélanie Laurent) und um einen alten Familienvater (Christopher Plummer), der im Sterben liegt und plötzlich seine Homosexualität zugibt und auslebt. Es stimmt: eigentlich ein thematischer Garant für gefüllte Kinositze.
Irgendwann geht es los und der Film ist immerhin sehr sympathisch geraten. Anfangs bereiten die Parallelhandlungen, bzw. die verschiedenen Rückblenden etwas Probleme, weil sie die Geschichte holperig erscheinen lassen. Man fragt sich unweigerlich, wo eigentlich der Fokus liegt, oder liegen soll. Die Abhängigkeit der Handlungsstränge wird dann aber immer deutlicher, nicht zuletzt durch die eingeblendeten Zwischensequenzen, die den jeweiligen gesellschaftlich-historischen Kontext ihrer Zeit beleuchten: wir sehen diverse amerikanische Präsidenten, James Dean, Hitler, Moden und Trends, Ereignisse. Wir können schmunzeln, aber all das auch auf die Figuren projizieren. Das ist nett durchdacht, hält die einzelnen Szenen besser zusammen und erweckt den gesamten Film wieder zum Leben, wenn die Handlung mal wieder etwas schläfrig wird.
Dann hört der Film wieder auf und man denkt als aller erstes, wie selten in diesem Kinosaal überhaupt ein Lacher oder eine sonstige Reaktion zu vernehmen war. Vielleicht liegt aber der Reiz des Filmes in diesen subtilen Andeutungen, dass er einen Humor in sich birgt, der keiner sein will. Dass er uns das Thema der Homosexualität nie aufdrängt, auch wenn er davon erzählt. Dass er seine Liebesgeschichte friedlich vor sich hin und herschaukeln lässt und ihre Höhen und Tiefen stets im Zaum halten kann.

19. September 2011

AN EDUCATION

Lone Scherfig (Großbritannien, 2009)
Carey Mulligan spielt die 16jährige Jenny, ein Londoner Mädchen mit vorbildlichen Schulnoten und dem dazugehörigen Oxford-Traum im Kopf.
Ihr Leben gerät ins Wanken, als Peter Sarsgaard (in der Rolle des David) am Horizont erscheint. Der deutlich ältere (junge) Mann verdreht nicht nur der verträumten Göre den Kopf, sondern kann ebenso ihre Eltern um den Finger wickeln. Selbst der strenge Vater, der alle seine Erwartungen (und sein Geld) in die Bildung seiner Tochter investiert, kann Davids Charme kaum widerstehen und sieht ihn schließlich sogar als eine zukünftige, finanzielle Absicherung für seine Tochter.
Oxford wird auf einmal nicht mehr als Ziel angestrebt, doch kein Filmweg bleibt ewig rosig: David erweist sich als Hochstapler, sowohl privat als auch in seiner Art, das große Geld ranzuschaufeln. Hier platzen die Träume, Tränen fließen, und die junge Jenny muss wieder jene schulische Laufbahn betreten, deren Pfade sie zugunsten eines naiven Traumes verlassen hatte.
Gute Kritiken hin oder her; zuerst freut man sich über eine etwas alternativer gestrickte, britische (Liebes)Geschichte, die mit der Zeit aber immer durchsichtiger wird und eine hastig inszenierte Auflösung bereit hält, wie man sie im klassischen Hollywoodfilm nicht hätte oberflächlicher gestalten können. Denn es ist erschreckend wie der Film, trotz solider Darsteller, dermaßen seicht auf sein Finale zusteuert und ganz plötzlich eine 180 Grad-Kurve in seiner Aussage dreht. Auf einmal wird nicht mehr gegen das Schulsystem rebelliert, sondern in einem belehrenden Ton deutlich gemacht, wie ganz schnell die Konsequenzen spürbar werden, wenn man sich lieber der "Schule des Lebens" zuwenden möchte, statt den konventionellen Schulweg zu durchlaufen. Und was haben wir dazu gelernt, außer Risikobereitschaft zu vermeiden und Seitenpfade zu umgehen? Ärgerlicher, guter Mittelmaß.

18. September 2011

MAMMUTH

Benoît Delépine, Gustave Kervern (Frankreich, 2010)
Depardieu mit blutigen Metzgerhänden, selbst ein Fleischberg von einem Mann (deswegen Mammuth genannt), geht nach lebenslanger Schufterei schließlich in Rente, sitzt deprimiert zu Hause herum, vor ihm ein endloses Puzzlespiel, das er von Mitarbeitern zum Abschied geschenkt bekommen hat.
Das neue Leben mit dieser Riesenportion an Zeit, die man plötzlich selbst ausfüllen und bewältigen muss, ist keine Lösung auf Dauer. Seine genervte Ehefrau schickt ihn schließlich auf Reisen, damit er von ehemaligen Arbeitgebern die Rentenbelege holt, ansonsten droht eine niedrige Pension. Depardieu schnappt sich sein Mottorad und ein ungewöhnlicher Rentner-Roadmovie kann beginnen.
Der Film überrascht zunächst formal in seiner ungeschliffenen, rauen Art, mit deren Hilfe er seine Geschichte vorwärts treibt.
Manchmal fühlt man sich wie bei Aki Kaurismäki; diese lakonische Kommunikation zwischen den Figuren, ergänzt durch den fiesen Humor eines düsteren Realismus. Leider stützt sich der Film manchmal zu sehr auf diese Stilisierung und nutzt seinen poetischen Ansatz, um am Ende sanft ins Nichts hinauszulaufen. Aber gut ist der Film dennoch.
Depardieu als gutmütiger Rieseblödmann; im Ansatz sah man ihn ja in früheren Rollen schon so; "Mammuth" ist aber schließlich die deutlichste Variante einer solchen Figur. Und dann noch ein Wiedersehen mit Isabelle Adjani als verstorbene Liebe, die als Geist und Traum immer wieder auftaucht. Gruselig und unnötig aber schön.

8. September 2011

Filmmuseum Frankfurt

Kürzlich das lang ersehnte und endlich wiedereröffnete Frankfurter Filmmuseum in Augenschein genommen. Das Gebäude glänzt und stolziert mit seinen renovierten und neu ausgelegten Innenräumen, doch wirft mehr Fragen auf, anstatt zu informieren, wie man das von einem Museum eigentlich erwartet. Denn man vergleicht als aller erstes mit dem alten Gemäuer: wo ist die tolle Stummfilm-Dorfstraße, hinter deren schiefen Fassaden man sich verstecken konnte? Wo ist die Auto-Attrappe, an der man die Rückprojektion erklärt bekam? Wo ist die Kulisse des New Yorker Büros, an dessen protzigen Chef-Schreibtisch man sich setzen durfte?
Das neue Museum hebt sich dagegen durch eine streng chronologische Anordnung diverser Erfindungen ab, die den technischen Fortschritt des Filmmediums beleuchten. Kindgerecht aufbereitet, kann man alte Daumenkinos, diverse Laterna Magica und Camera Obscura bestaunen (stellenweise auch ausprobieren), kämpft sich durch diverse, prähistorische Apparate, bis man an Romy Schneiders Visconti-Kostüm angelangt und mit Gigers Alien-Monstrum, Oscars Blechtrommel und dem Darth Vader Helm belohnt wird. Zwischendurch gibt es noch die Möglichkeit, eigenhändig Bild und Ton zu schneiden, bzw. zu mixen und in einem provisorischen Studio am eigenen Gesicht verschiedene Kamera-Lichtverhältnisse zu testen.
Man möchte natürlich nicht undankbar erscheinen; das ist alles sehr aufschlussreich und mit Liebe zusammengestellt: Man blickt in eine alte Schatztruhe mit verstaubten Kuriositäten, lernt dadurch das technische Prozedere hinter diesem Medium besser kennen, doch was am Ende fehlt ist die leise Erwartung, dass diese neuen Eindrücke durch vertrautere Erfahrungen vervollständigt werden.
Doch danach kommt leider nichts mehr. Man sucht alle Ecken und Gänge ab, ob es vielleicht doch noch weiter geht, doch der Traum ist aus, vorbei und zu Ende. Da fragt man sich, wo die vielen Millionen wirklich hin geflossen sind. Vielleicht wenigstens in das neue Kino in den Museums-Katakomben, das erfreulicherweise ein wirklich spannendes Programm zu bieten hat. Der einzig wahre Lichtblick in diesem zweifelhaften Mammutprojekt.
Berlin und Düsseldorf können sich getrost zurücklehnen. Die anderen (wenigen) Filmmuseen stehen noch auf der Liste.

6. September 2011

DIE JUNGEN LÖWEN

Edward Dmytryk (USA, 1958)
Auch wenn der Film vom Kriegs- und Zeitstaub überdeckt zu sein scheint, ist er von einem starken Männer-Trio gesegnet: Hier gibt’s einen blonden (!) Marlon Brando auf der deutschen Seite, der als Soldat den Schrecken des Krieges und den Wahnsinn des Nationalsozialismus erkennt. Auf der amerikanischen Seite stehen Dean Martin als ehemaliger Broadway-Star und Montgomery Clift als New Yorker mit jüdischen Wurzeln; beide lernen sich beim Militär kennen.
Der Film pendelt ständig zwischen der deutschen Seite, in der er Brandos Kriegs-Skepsis und ein Techtelmechtel mit der Ehefrau von seinem Vorgesetzten beleuchtet, und der disziplinierten Stränge der militärischen Ausbildung von Martin und Clift. Die Kriegs-Sequenzen, in denen es um Leben und Tod geht (bzw. gehen sollte), bleiben dabei weitgehend fade und von einer erstaunlich banalen Vorschulsymbolik gebrandmarkt: Mitten im Gefecht dient eine zerbombte Hauswand als Schutz, an der aber dennoch am letzten Nagel ein Hitler-Portrait hängt.
Die wirkliche Stärke des Films bleibt dann eher die Portraitierung der drei Figuren von ihrer privaten Seite, wie der aus New York stammende Jude Ackermann, der kurz vor seiner Einberufung um die Hand eines Mädchen hält. Der strenge Vater muss natürlich einwilligen, ist aber antisemitisch eingestellt. Der junge Ehemann-Kandidat wird von Montgomery Clift gespielt, der schon immer ein bemerkenswerter Darsteller war; in seiner Zerbrechlichkeit an James Deans Spiel erinnernd, doch von seiner eigenen außergewöhnlichen Aura ergänzt.
Ich enträtsle das ganze dennoch, in dem ich auf das ungewöhnliche Ende hinweise; denn die zwei Parallel-Geschichten finden am Ende zu einander, und was nutzen all die Mühen und das Kopfzermartern von Brando, wenn er doch wie ein Hund sterben muss, weil er zufällig (und zum ersten Mal) Clift und Martin begegnet, von ihnen erschossen wird und tot in einer dreckigen Pfütze landet. So was sieht man nicht alle Tage.

5. September 2011

MIDNIGHT IN PARIS

Woody Allen (USA, 2011) 
 Erstmal aufatmen: Woodys letzter Film hat doch nichts mit seinem "Purple Rose of Cairo" zu tun. Irgendwie schien diese Fiktion/Wirklichkeit-Thematik seines alten Filmes nicht weit entfernt zu sein von der Zeitreise seiner neuen Pariser Geschichte. Es liegen aber doch Meilen dazwischen und so haben wir hier die erfrischendste Woody-Geschichte seit langem. "Midnight in Paris" gehört nicht zur Woody-Oberliga, basiert aber zumindest auf einer individuellen Grundidee, die das übliche Großstadt-Neurotiker-Motiv attraktiv ausbaut und die Bahn in eine ungewohnte Richtung lenkt.
Woody hat mal wieder einen neuen Stellvertreter für sich selbst auserwählt; diesmal Owen Wilson. Ein Grund, das schlimmste zu befürchten, doch der Hauptdarsteller, der sonst meistens für mittelmäßige Klamaukfilme bekannt ist, erweist sich als eine recht angenehme Wahl.
Woody schickt den Amerikaner nach Paris; einen verträumten Drehbuchautor mit der permanenten Sehnsucht, in einer längst vergangenen Zeit leben zu wollen. Seine Verlobte (Rachel McAdams) ist viel zu bodenständig und zu praktisch veranlagt, um diese Träume mit ihm teilen zu können. Owen Wilson kapselt sich ab, geht fremd, zuerst mit dem nächtlichen Paris dann mit einer Vielzahl an längst verstorbener Künstler und Schriftsteller, die er während der immer wieder kehrender Zeitreisen trifft, und schließlich mit einer verführerischen Marion Cotillard, auch eine Frau aus der Vergangenheit, die mit dem damaligen Künstlerkreis verkehrt und ein ähnliches Faible für die Vergangenheit hegt.
Woody eröffnet seinen Film mit einer Aneinanderreihung von Paris-Impressionen. Orte die man gesehen haben muss, irgendwo zwischen Postkartenaufnahmen und touristischen Klischees. Das ist so banal, dass es wieder schön ist. Von Anfang an weiß man: das wird ein Film eines gemütlichen, in die Jahre gekommenen Regisseurs sein. Einer, der niemandem etwas beweisen muss, dem man vieles verzeiht und der es vielleicht nie nötig hatte, ein wahres filmisches Meisterwerk anzustreben. Man sollte ihn eh besser am Gesamtwerk beurteilen. Jeder weitere Film ist ein unabwendbarer Pinselstrich.

4. September 2011

GRACE OF MY HEART

Allison Anders (USA, 1996)
Mein Interesse an Allison Anders' Filmen begann durch ihre Zusammenarbeit mit J. Mascis (Dinosaur jr) in ihrem "Gas Food Lodging", für den der Dino-Kauz den gesamten Soundtrack abgeliefert hat. In beiden Filmen hat Mascis auch einen Cameo-Auftritt; in "Grace of my Heart" sieht man ihn am Mischpult im Tonstudio sitzen, wie er ein paar Regler verschieben darf.
Arte zeigte kürzlich den Film und erinnerte mich wieder an dieses schöne Portrait über die Sonnen- und Schattenseiten der Musikindustrie der frühen und späten 60er Jahre. Als Inspiration diente hier die Lebensgeschichte von Carole King. Im Film steht die Sängerin Edna Buxton (Illeana Douglas) im Mittelpunkt. Ähnlich wie Frau King schafft sie es jedoch nicht, als Sängerin ins Rampenlicht zu treten, sondern muss ihren Traum von einer Gesangskarriere fallen lassen und als Songwriterin für andere Künstler ihre Brötchen verdienen.
Dank der kreativen Vielseitigkeit und dem stetigen modischen Wandel der 60er-Ära gelingt es Allison Anders ihre Geschichte mit farbenfrohen Figuren auszuschmücken, die die künstlerisch/musikalische Entwicklung dieses Jahrzehnts wiedergeben. Und trotz dieser historisch-nostalgischen Sympathie, die von dem Film ausgeht, bleibt es dennoch ein zeitloses Thema; musikalische Stile und die technische Seite von Studioaufnahmen haben sich seit je her weiterentwickelt, doch es bleibt für alle Ewigkeiten ein Kampf ums Überleben in einem harten Business, bei dem oft persönliche Krisen ausgefochten und menschliche Schwächen angekratzt werden.
Die frühen 60er und Flower Power kommen hier mit einem bunten Blumenstrauß, in dessen Stängeln jedoch das Ungeziefer krabbelt.

1. September 2011

IN DER GLUT DES SÜDENS

Terrence Malick (USA, 1978)
In seiner zweiten Regiearbeit wiederholt Malick in gewisser Weise sein zuvor in "Badlands" behandeltes Sujet eines Pärchen auf der Flucht vor dem Gesetz, das sich am Ende schließlich in die Wildnis zurückzieht.
In dieser hier zur Zeiten des Industrialisierung angelegten Geschichte ist es am Ende eine grandios inszenierte Hetzjagd; großartig gefilmt und geschnitten, bei der man aber schwer auf die besten Augenblicke eingehen kann, ohne das Schicksal der Figuren zu verraten.
Doch zuerst sind Bill, seine Geliebte Abby (die sich als seine Schwester tarnt) und seine kleine Schwester Linda unter den Erntehelfern in Texas gelandet. Ihr Arbeitgeber ist ein wohlhabender aber todkranke Farmer (Sam Shepard), der nicht mehr lange zu leben hat. Bill bekommt Wind davon und schmiedet einen Plan, für den er seine eigene Geliebte ausnutzen will.
Die Hauptfigur wird von Richard Gere gespielt; schon damals ein aalglatter Schönling, und als wenig passender Darsteller vielleicht der einzige wirklich wunde Punkt des Filmes. Er bleibt eben der ewige Schnösel im Anzug, der Julia Roberts unter den Rock schaut.
Das besondere an Malicks Film ist die Gabe eine Geschichte so zu erzählen, dass sie zwar allgegenwärtig ist und sich dennoch wie ein durchsichtiger Schleier dem erzählerischen Impressionismus der Bilder beugt. Draußen in den Weizenfeldern fühlt man sich wie in Bertoluccis gemäldenhaftem "1900"; die Bilder sind so lebhaft wie selten in einem Film, wenn die Kamera zur goldenen Stunde des Sonnenuntergangs in der weiten Landschaft um die Figuren kreist.
Vor Jahren bitter enttäuscht, nun eine schöne Wiederentdeckung.

30. August 2011

EIN JAHR IN DER HÖLLE

Peter Weir (USA, 1982)
Weirs Filmkönnte auch "Ein Jahr in der Liebeshölle" heißen, denn die Geschichte um den australischen Reporter (Mel Gibson), der in den 60ern zu einem Auslandseinsatz nach Indonesien kommt, entwickelt sich nach der Konfrontation mit der britischen Botschaftsangestellten (Sigourney Weaver) zu einem begierigen Liebesmelodrama. Was nicht schlimm ist, aber streckenweise stark von dem gefährlichen und spektakulären Einsatzort ablenkt.
Manchmal entgleitet einem aus dem Bewusstsein, dass da eigentlich ein Bürgerkrieg an die Tür klopft, dass Hunger und Elend auf den Straßen regiert, die Machthaber bloß persönlichen Problemen nachgehen und ausländische Journalisten überall mit einem Messerstoß in den Rücken rechnen müssen.
Aber es ist trotzdem ein guter Film, denn glücklicherweise gibt es ja noch die Figur des kleinwüchsigen Fotografen Billy (toll gespielt von Linda Hunt!); eine Art Schutzengel für Mel Gibson, der dem jungen Reporter unbeschadet alle beruflichen Türen öffnet und mit klugen Ratschlägen immer zur Seite steht. Hat bisschen was von dem Chinesen in Steinbecks "Jenseits von Eden": ein gutherziger Diener, Philosoph und Poet.
Der Film war Peter Weirs letztes Down Under-Werk, bevor ihm anschließend der ganz große Sprung aufs amerikanische Festland gelang. Schade eigentlich. Wäre schön gewesen, wenn der australische Film seinen populärsten Vorreiter länger behalten hätte.