29. April 2012

DIE BETTWURST

Rosa von Praunheim (Deutschland, 1970)
"Die Bettwurst" das ist dieser Film, bei dem der kleinbürgerliche Spießer empört wegschaltet, der keinen Zuschauer unbeschadet wieder gehen lassen will, der erst mal große Fragezeichen hinterlässt und bei dem jede Hausfrau von ihrem muffigen Sofa aufspringt. "Die Bettwurst" ist der Bürgerschreck schlecht hin, der unsere Wohnungen von abgedroschenen Statussymbolen entrümpeln will, der uns die falschen Perücken vom Kopfe zieht.
In seinem dick aufgetragenen, eigenwilligen Stil lässt er Amateure improvisieren und will uns damit bloßstellen, provozieren, verbogene Spiegel aufstellen, um alles noch mehr zu verzerren. 
Es ist die Geschichte von Luzi und Dietmar, wie sie sich in Kiel kennen- und lieben lernen, wie sich der bürgerliche Alltag heranschleicht, die Routine, das Banale, das Einfache, das materielle Glück, der Wunsch nach Halt und Geborgenheit. Der Film bleibt durchgehend in dieser eigenwilligen, skurril wirkenden Welt, doch er tut nichts anderes, als das Leben am Schopf zu packen; bloß ohne Kompromisse und schonungslos wie ein Ringkämpfer.

26. April 2012

THE WAY BACK

Peter Weir (USA, 2010)
Im sibirischen Gulag während des zweiten Weltkriegs tummeln sich ganz unterschiedliche Gestalten; lauter Verbrecher-Visagen, oder einfach nur Antikommunisten aus alle möglichen Ecken dieser Welt, die sich alle im gleiche Netz verfangen haben. Der Gulag ist aber nicht das Gefängnis, sondern die mörderischen Weiten von Sibirien, wie schon am Anfang verkündet wird, um ja nicht auf den Gedanken zu kommen, ausbrechen zu wollen.
Schon bald kristallisiert sich heraus, wer den Ausbruchsversuch doch wagt (natürlich Ed Harris und Collin Farrell mit dabei) und der Film zögert gar nicht lange herum: Die Flucht gelingt schneller als man denkt, das Lager ist Schnee von gestern und was nun plagt ist der Schnee Sibiriens. Der restliche Film ist ein Zweikampf zwischen Mensch und Natur; Berge, Wälder, Kälte, Hunger, Wüste, Hitze, Durst... Peter Weir hetzt aber seine Figuren kaum aufeinander, sondern entscheidet sich lieber für den sicheren Weg einer Kameradschaft, die selbst von der jungen Irena kaum gebremst werden kann, die von den Männern gefunden und mitaufgenommen wird. 
Es handelt sich hier um einen Peter Weir-Film; die Erwartungen sind also in so fern hoch, als dass man zumindest Unterhaltungskino auf solidem Niveau erwarten darf. Natürlich nicht mehr so anregend wie seine alten australischen Produktionen, aber dennoch sollten sie uns wenigstens einen kleinen Schlag auf den Hinterkopf versetzen, der die Gehirnzellen in Bewegung bringt, weil Peter Weir eigentlich ein Regisseur ist, der immer etwas mitteilen möchte. 
"The Way Back" gehört sicherlich zu seinen schwächeren Sachen, weil er eben nicht viel aussagt, sondern vordergründig die physische und psychische Ausdauer seiner Figuren auf die Probe stellt. Wo wir wieder beim Unterhaltungs- bzw. Sensationskino wären. Das genügt auch in dem Fall.

25. April 2012

goEast 2012

18.04.12 - 24.04.12, Wiesbaden

Und wieder war Festivalzeit in Wiesbaden, und wieder ist auch alles vorbei und Schnee von gestern. Die 5er-Karte im Geldbeutel, ein Programmheft mit lauter Fragezeichen, und erneut ging es darum, aus der Fülle 5 Perlen herauszufischen. Denn Festivals bleiben nun mal ein Lottospiel; könnte man länger und tiefer tauchen, würde man auch mehr Schätze bergen können.
Erste Wahl fiel auf alte russische Animationsfilme aus der Stummfilmzeit; alle in einem Sack gebündelt und letzte Donnerstag präsentiert. Einige darunter wurden jetzt erst nach über 70 Jahren wiederaufgeführt. Ein großes Abenteuer also, was vor allem durch den Fakt bekräftigt wurde, dass die Kopien zu schlecht waren, um die Filme in voller Länge oder ohne Unterbrechungen zu zeigen.
Die alten Russen hatten es jedenfalls sehr mit knuddeligen Tieren. Frösche, Füchse und weiß der Teufel, was da noch alles zu sehen war, aber auch einige Werke, die stilistisch einen viel individuelleren Weg einschlugen. Bloß die sogenannten "Experimentalfilme", die mit viel Pomp angekündigt wurden und das Programm abschließen sollten, waren für heute Sehgewohnheiten eine lahme Erfahrung.
Freitagabend dann „Die Überreste eines Imperiums" (von Friedrich Ermler) über einen russischen Unteroffizier, der sein Gedächtnis verloren hat und auf der Suche nach seiner Identität ist. Großes Kino, bester Film dieses Jahr, und dazu noch eine absolut neuartige Erfahrung, da der Film nur  ohne Tonspur gezeigt werden konnte; zu hören waren bloß knurrende Bäuche der Zuschauer.
Am Samstag fiel die Wahl auf "Monolog" (von Ilya Averbakh). Gekonnt erzählt und inszeniert, aber  von der Sorte Film, die an einem vorbeiziehen, ohne etwas zu hinterlassen und schnell in Vergessenheit geraten.
Mit großer Erwartung ging man schließlich in Otakar Vávras "Hexenjagd". Vávra soll den frühen Forman und Menzel geprägt haben, aber wohl hoffentlich nicht mit diesem Film, der mit der doch sonst so schwungvollen Inszenierung alter, tschechischer Filme kaum etwas gemeinsam hat. Der Film reiht verschiedene Fällte von Hexenprozessen aneinander, studiert aber seine Figuren kaum, sonder bleibt durchgehend geschwätzig, bei einem Thema, das eigentlich viel Potential hat.
Das diesjährige goEast wurde aber nicht vollkommen von einem dunklen Schatten überzogen, denn als kleinen, aber feinen Glanzmoment gab es da noch "Vier Sonnen" von Bohdan Sláma, der eigentlich schon letzte Woche als Eröffnungsfilm gezeigt wurde. Eine kluge Familientragödie, die gekonnt ihre Balance zwischen Tragik und der vielen satirisch-heiteren Einfälle halten kann.
Der Familienvater ist mit sich selbst und seiner Familie überfordert, seine Frau schläft mit dem Klassenlehrer ihres Sohnes, der wiederum wird Punk (zumindest äußerlich in seiner verunsicherten Lebensphase) und nicht zu vergessen der irre Althippie von nebenan, der sich als spirituelles Medium betrachtet, doch alle seine Mitmenschen  ins Nichts führt.
Der anfängliche Eindruck täuscht also, dass es das schwächste goEast bisher gewesen ist; immer noch eine handvoll Filme, die man irgendwann gerne wiedersehen würde.

24. April 2012

MAMMUT

Lukas Moodysson (Schweden, Dänemark, 2009)
Klingt erst mal nach einem zeitlosen Thema, mit dem der Regisseur sogar unseren gesamten Erdball ins Visier nimmt. Denn wo Menschen Geschäftsreisen in fremde Länder machen müssen und von ihrem Partner getrennt werden, oder wo Menschen aus finanziellen Gründen gezwungen sind, in einem anderen Winkel der Erde zu arbeiten, um ihre Familie in der Heimat zu ernähren, da erzählt Lukas Moodysson von einem globalen Problem, von Trennung, Entfremdung, versuchter Akklimatisierung und der Folgen von all dem. 
Gael García Bernal hat als Computerspiele-Entwickler so einen Job, für den er nach Thailand fliegen muss, um einen Vertrag zu unterschreiben, sonst aber keine weitere Aufgabe zu erfüllen hat und deswegen das Land als Ort der Entdeckung nutzt. Bloß entdeckt er nicht nur Thailand, sondern auch eine junge Prostituierte, mit der er eine kurzweilige Affäre startet. Das Drama wird noch abgerundet, weil er anfängt über einen Ausbruch aus dem bisherigen Leben nachzudenken.
Seine Frau (Michelle Williams) sitzt hingegen schlaflos in New York, wo sie ihren Mann vermisst und ihr harter Krankenhausjob zusätzlich an ihrem Nervenkostüm zerrt.
Außerdem verliert sie zunehmend das Vertrauen ihrer kleinen Tochter, die sich immer mehr zu ihrem Hausmädchen hingezogen fühlt, die wiederum ihre Söhne auf den Philippinen vermisst. 
Der Regisseur spannt also eine lange Kette um den Erdball, zeigt wie problematisch Entfernungen sein können, ist aber mit dem Erzählen so vieler Einzelschicksale etwas überfordert.  Die Zeit sitzt dem Regisseur eindeutig im Nacken und er muss auf vorhersehbare Lösungen und gängige Klischees zurückgreifen, die die Thailand-Affäre mit einem Bein in einer schmalzigen Südseeromanze stehen lassen.
Mit dem Filmende begibt er sich zudem auf äußerst brüchiges Eis, weil er das Drama um den Seitensprung in einer finalen Wiederseh-Szene des Ehepaars entzerrt: Bernals Affäre scheint nicht bedeutsamer zu sein als eine Erfahrung, die seine Liebe zu Michelle bestärkt. So was hat einen sehr herben Beigeschmack.

21. April 2012

SWIMMINGPOOL

Jacques Deray (Frankreich, 1969)
Kürzlich aufgefrischt, den alten Deray-Schinken, der im Grunde keine große Sache ist und seine Attraktivität vor allem dem Handlungsort zu verdanken hat. Heißt ein Film nämlich "Swimmingpool" und man weiß, dass Frau Schneider, Frau Birkin und Herr Delon mitspielen, dann wird das sicherlich den einen oder anderen Zuschauer an den Bildschirm locken, so wie dieser Film einst auch in den Kinos sicherlich gut besucht wurde. Reines Augenpulver ist der Film aber nicht, denn trotz seiner koketten Schlüpfrigkeit und dem Fokus auf scharfe Kurven, Muskeln und so manch einer nackten Hautpartie, hat er immerhin noch eine netten Eifersuchts-Mord vor der bildhübschen Kulisse eines abgelegenen Ferienhauses. Delon & Schneider machen in diesem Haus bei Saint-Tropez Urlaub, wo kurze Zeit später Delons alter Kumpel (Ronet) mit seiner schmissigen, 18jährigen Tochter (Birkin) dazustoßen. Und wo vier ansehnliche Charaktere aufeinandertreffen, da prickelt es nun mal, da werden alte Geschichten aufgewärmt und neue, lüsterne Blicke zugeworfen.Später drängt sich noch das Schnüffler-Film-Genre kurz auf, wenn sich die Polizei dazugesellt und sich bezüglich Delons Mordtat zu neugierig zeigt. Dabei geht es aber wenig ums Schnüffeln & Auflösen, als viel mehr darum, den Augenmerk auf die beiden Protagonisten zu lenken und zu zeigen, wie sie letztendlich zueinander stehen.
Irgendwo ist das immer noch ein ziemlich guter Film.

20. April 2012

DON CAMILLO UND PEPPONE

Julien Duvivier (Italien, 1952)
Wie herrlich ist es doch, nach so vielen Jahren wieder in Don Camillos Welt herum zu spazieren und dabei festzustellen, wie ideenreich bereits der erste Teil dieser Filmreihe ist.
Die Liebe/Hass-Beziehung zwischen Camillo (dem Kirchen-Mann) und Bürgermeister Peppone (dem überzeugten Kommunisten), die sich durch alle Teile hindurchzieht, findet man später ähnlich in Bertoluccis "1900"-Gemälde wieder, wo sich Olmo und Alfredo aus unterschiedlichen politischen und weltanschaulichen Ansichten, bis ins hohe alter in die Haare kriegen. Bertolucci trieb das bis zum Ende hin satirisch auf die Spitze, während Duviviers Camillo-Reihe durchgehend an eine Kleinbub-Rauferei erinnert.
Die Camillo-Filme, das ist als würde man ein altes Bilderbuch aufschlagen, kleine Staubwolken kommen einem entgegen und auf den vergilbten Seiten wird man mit einem märchenhaften, augenzwinkernden Blick mit zwei unterschiedliche Figuren konfrontiert, die trotz ihres ewigen Zwistes doch voneinander profitieren. Und erzählt wird tatsächlich aus der Perspektive des Allmächtigen, der in Camillos Kirche vom Kreuze auf alles herabblickt, mit dem Protagonisten plaudert oder über ihn urteilt.
Gutmütig, zahm und kindlich erscheint der Film heute; doch all diese zeitlich bedingten Ablagerungen kann Don Camillo getrost von seiner Kutte abschütteln, denn er bleibt eine zeitlose Filmfigur.

17. April 2012

DIE FRAU IN SCHWARZ

James Watkins (Großbritannien, 2012)
Die wichtigste Schlagzeile für diesen Film ist: Wir lernen wieder das Fürchten im klassischen Sinn kennen, denn die britischen Hammer-Film-Studios haben nach langer Zeit wieder ihre Tore geöffnet! Wo wir uns früher mit Christopher Lee, Peter Cushing und Vincent Price gruseln und herum plagen mussten, wurde die neue Generation durch niemand geringeren als Daniel Radcliffe (auch bekannt unter dem Namen Harry Potter) eingeleitet. Und das passt sogar; vielleicht wenn man das Privileg genießen kann, keinen einzigen Potter-Film zu kennen und Radcliffe deswegen noch mit anderen Augen betrachten kann.
Der Stoff ist klassisch Hammer-Film mit einer leichten Bram Stoker-Prise: ein junger Anwalt (Radcliffe) soll den Nachlass einer verstorbenen Frau regeln und dazu in ihr abgeschiedenes Herrenhaus reisen, welches sich verlassen auf einer Anhebung befindet, das nur bei Ebbe erreicht werden kann. Wenn die Flut kommt, ist man vom naheliegenden Dorf und der restlichen Welt völlig abgeschnitten. Im Haus spukt dazu noch der Geist einer Frau, die sich am Tod ihres Sohnes rächt, in dem sie jedes Mal ein Kind sterben lässt, sobald sie jemand erblickt.
Wir haben hier also das klassische Hounted House-Motiv, das in den letzten Jahrzehnten restlos zu vermodern schien, gepaart mit dem ebenso angestaubten Gothik-Horror-Zeitalter, das man heutzutage fast nur noch bei Tim Burton als Kaugummi-Version vorfindet und zu guter Letzt eine spannend erzählte Geschichte, die sich auf ihre tadellose Inszenierung verlassen darf. Der Film braucht keine Effekthascherei und Blutbäder, weil das Haus mit seinen dunklen Korridoren, wippenden Sesseln, knarrenden Dielen und schaurigen Puppen für genug Atmosphäre sorgt.
Worüber man sich aber wirklich am meisten freuen sollte: der erste Gehversuch des reanimierten Hammer-Films ist geglückt, bzw. deutet auf genug Potenzial auf noch bessere Produktionen. Die Einspielergebnisse sind mehr als erfreulich; das Publikum ist also da und wartet ungeduldig auf Nachschub!

16. April 2012

SYNECDOCHE, NEW YORK

Charlie Kaufman (USA, 2008)
Charlie Kaufman ist vor allem der Drehbuchautor Hollywoods, der stets auf unkonventionellen Seitenwegen entlang spaziert. Bei seiner Regiearbeit "Synecdoche, New York" wählt er schließlich den steinigsten Weg, den man sich außerdem noch mit einer Machete freikämpfen muss, nur um immer mehr in ein dicht bewachsenes Labyrinth vorzustoßen.
Philip Seymour Hoffman, Theaterdirektor, Familienvater, Hypochonder, wird von Frau und Tochter verlassen, beginnt neue Beziehungen, will ein neues Theaterstück auf die Beine stellen, das alles andere in den Schatten stellen soll. Klingt einfach und banal, doch es ist ein Kaufman-Film, alles ist viel komplizierter, Zeit und Raum werden gesprengt, die Figuren altern, werden jünger, die Geschichte scheint jeder Kontrolle zu entgleiten, verschachtelt sich, kämpft sich durch bissigen Humor, Satire, Symbole, surreale Einfälle und zum Ende hin zunehmend durch bedrückende Schwermut und endlose Tränen.
Und die Quintessenz des ganzen? Das Theaterstück ist nicht umsetzbar, weil das Leben selbst viel zu komplex ist, Grenzen zwischen Schein und Sein verwischen lässt und letztendlich nicht zu bändigen ist. Ähnlich wie der gesamte Film, übrigens. Denn Kaufman hat ein ähnliches Problem wie seine Hauptfigur: er kann seine Geschichte nicht im Zaum halten. Es ist ein Film, der sein großes Potenzial in einem Ozean an Ideen verpulvert und zum Ende hin in einem melodramatischen Strudel untergeht.

SHAME

Steve McQueen ( USA, 2011)
Zuerst hat man den Eindruck, "Shame" wurde schleunigst ins Spätprogramm der Kinos verbannt, um Jugendliche und (andere) zartbesaitete nicht zu verschrecken. Gibt schlimmeres als einen nackten Pimmel, könnte man denken; das ist eh ein altes Thema für die es scheinbar niemals eine Lösung geben wird: die Sehgewohnheiten, das Was-darf-wer-sehen.
Steve McQueen dringt natürlich in andere Sphären hinein, wo es um weit aus mehr geht, als um reinen Sex; verstörend ist sein Film mit Sicherheit. Der Regisseur hat gründlich recherchiert und ein Kapitel der menschlichen Schwächen aufgeschlagen, das bis dato selten im Film thematisiert wurde.
Brandon (Michael Fassbender) ist ein junger Mann mit gutem Job und einer Wohnung, die sich zeigen lässt. Das Materielle ist abgesichert, doch für das wahre Menschliche bleibt kein Platz mehr. Denn da gibt es seine Sexsucht, die sein Leben so tragisch gestaltet und ihn privat so verausgabt.
Der Regisseur macht das geschickt; erweckt großteils den Anschein, sein Thema wäre die Einsamkeit, denn sein Protagonist ist eine tragische Figur, die von Partnerin zu Partnerin hechelt, der lediglich seinen Trieben folgt und jedem Annäherungsversuch, der sein wahres Ich durchleuchten könnte, mit Widerstand entgegentritt oder ihn erst gar nicht zulässt. Der Besuch seiner Schwester bringt seinen Lebensrhythmus endgültig durcheinander; sie braucht selbst (seine) Hilfe und droht ihn damit zu entlarven, in sein Seelenleben vorzustoßen, ähnlich wie seine Arbeitskollegin, die ihm beim gemeinsamen Date zu viele Fragen stellt. Es folgen weitere Ängste, Selbstzweifel, Scheitern, Eifersucht, alles staut sich an, irgendwann schließlich der Besuch des miesesten Schwulenclubs in einem dreckigen New Yorker Keller.
Gründe für all das werden bloß angedeutet, aber nicht wie ein großes Tuch auf dem Tisch ausgebreitet. Das Hinterfragen überlässt uns McQueen selbst; er möchte vor allem auf eine weitere, ernsthafte Variante der menschlichen Sucht hindeuten.
Gekonnt gemachtes Kino; voller Spannung auf "Hunger" verbleibend.

14. April 2012

NOTHING PERSONAL

Urszula Antoniak (Irland, Niederlande, 2009)
Agnès Vardas "Vogelfrei" schwebt über diesem Film wie ein schützender Geist, meint man. Die Bestätigung gibt es dann tatsächlich im Interview mit Frau Antoniak, in dem die Regisseurin die Gammler-Figur aus Vardas Klassiker (damals gespielt von Sandrinne Bonnaire) erwähnt.
Die Figur der Anne in "Nothing Personal" ist ähnlich gestrickt und mit ähnlichen Charaktereigenschaften ausgestattet: sie lässt etwas hinter sich, von dem sie sich unbedingt befreien möchte, packt ihr gesamtes Leben in einen Rucksack, zieht ohne definiertes Ziel durch die karge Landschaft und begegnet den Menschen mit Vorsicht und verbitterter Distanz.
Das Ziel ist schließlich der äußerste Zipfel Irlands, wo sie bei einem Einsiedler landet, der sie nach der Regel Essen-gegen-Arbeit aufnimmt. Gedreht wurde in einem alten Fischerhaus, das früher der Oscar Wilde-Familie gehörte und sich bis heute weitgehend im Originalzustand befindet. Dieser Fakt macht die Location noch aufregender, als sie es ohnehin schon ist und das Haus wird automatisch zum dritten Protagonisten neben Anne und Martin.
Anne umschließt sich zunächst mit einen harten Panzer, lässt den Hausherrn nicht an sich heran, nimmt sein Essen mit unfreundlicher Selbstverständlichkeit entgegen, taut dann aber allmählich auf, bis sich so etwas wie eine Beziehung entwickelt.
„Nothing Personal“ ist ein kleiner Film, der auf Zehenspitzen angeschlichen kommt. Das macht ihn so besonders.

9. April 2012

SLEEPING BEAUTY

Julia Leigh (Australien, 2011)
Julia Leigh heißt die australische Regisseurin, die mit diesem soliden Erstlingswerk visuelle Eleganz mit einem dekadenten Schreckensszenario vermischt. Um so beunruhigender ist diese Geschichte um die junge Lucy (Emily Browning), wenn Form und Inhalt aufeinanderprallen und in ihrer visuellen Ausgeglichenheit doch so verstörend wirken.
Lucy verpflichtet sich zu einem ungewöhnlichen Nebenjob, bei dem sie in einem abgelegenen, eleganten Haus, eine ominöse Gesellschaft, bestehend aus älteren Gentleman, knapp bekleidet am Essenstisch bedient, aber hauptsächlich den älteren Herren im Schlafzimmer zur freien Verfügung steht.
So bald sie das abgelegene Haus betritt, verlässt der Film seine nüchterne Optik und verwandelt sich in eine anmutende Symbiose aus Kubricks „Eye Wide Shut“, Pasolinis „Salò“ und Roy Anderssons fotografisch aufgeräumter Bildmotive.
Lucy wird jedes Mal von ihrer Arbeitgeberin (einer Art Edel-Puffmutter) in einen tranceähnlichen Zustand gebracht und somit in die schlafenden Schönheit verwandelt, nach der der Film benannt ist. Nun liegt Dornröschen im Bett und muss bewusstlos die unterschiedlichen Besucher über sich ergehen lassen. Auf einen heldenhaften Prinzen wartet man jedoch vergeblich.
So herrlich der Film seine Geschichte visuell vorantreibt, mit seiner Leidenschaft zur absoluten Langsamkeit und perfekt durchkomponierter Bilder, so abrupt beendet er dieses moderne Schauermärchen, mit einem hastigen, offenen Finale, das den Zuschauer mit blinkenden Fragezeichen über dem Kopf alleine lässt.
Denn am Ende merkt man, wie sehr der Film inhaltlich in seinem eigenen Laufrad gefangen ist, bei dem der finale Ausbruch leider nur einen mäßigen Höhepunkt darstellt. Am Ende hinterlässt das eher den Eindruck eines unsicheren Studentenfilms als den einer klar konzipierten Geschichte. Ein Film, der seiner pingeligen Bildsprache zum Opfer fiel, aber nicht uninteressant bleibt.

NUMMER 17

Alfred Hitchcock (Großbritannien, 1932)
„Nummer 17“ ist Hitchcocks legendärer Desaster-Film, den man nur noch in Buchhandlungen auf Wühltischen findet (so erging es mir), den Kauf aber dennoch riskieren sollte, denn am Ende ist es schließlich Hitchcock, den man da in den Händen hält und schauen darf. Die Kopie des Filmes in der FNM-Reihe ist schon ein Abenteuer für sich; man meint, der Film würde vom bloßen Anschauen zerbröckeln, die deutschen Untertitel stolpern den Dialogen hinterher, das Bild ist sumpfig und weich wie Butter, die Handlung ohnehin mehr als wirr.
In einem verlassenen Londoner Haus treffen unterschiedliche Charaktere aufeinander: Ein verblödeter Vagabunden (die klassische Figur des weisen Irren), mehrere kriminelle Vögel, ein Detektiv, ein junges Mädchen und eine taubstumme Frau. Alle diese Figuren geraten im Zusammenhang mit einer wertvollen Halskette aufeinander, das Kammerspiel kann also beginnen, bloß betreten die Bühne gleich drei männliche Darsteller, die optisch kaum von einander zu unterscheiden sind; ein merkwürdiger Handgriff des sonst so übergenauen Regisseurs. Das sorgt für noch mehr Wirrwarr, wenn man manchmal flüchtig hinschaut.
Die visuelle Nachspeise bietet schließlich das Showdown der rasanten Verfolgungsjagd zwischen Eisenbahn und Bus. Der Film entwickelt plötzlich ein halsbrecherisches Tempo, hetzt von einer Handlung zur anderen, der hektische Schnitt schmerzt in den Augen und irgendwann nimmt man fast gar nicht mehr wahr, dass in einigen der Szenen kleine Modelleisenbahnen aushelfen mussten.
Das ist bisher wirklich der merkwürdigste Hitchcock von allen; völlig roh zubereitet und aus einem großen Bottich etwas voreilig auf den Teller serviert. Schmeckt aber immer noch.

3. April 2012

TOOTSIE

Sydney Pollack (USA, 1982)
Ich muss "Tootise" wirklich verdammt lange nicht gesehen haben, dass ich mir noch nie ernsthaft Sorgen um den Soundtrack des Filmes gemacht habe. Dave Grusin kleistert den Film dermaßen zu mit ausgelutschten 80er-Sounds, den obligatorischen Saxophon-Übergriffe und wehleidigen Großstadt-Schmalz-Balladen, die alle zusammen leider nicht untermalen sondern in ihrer Unangemessenheit nicht mehr als albern wirken, wenn ganze Erzähl-Passagen darunter leiden müssen.
Sonst kennt man ja den Film: Dustin Hoffman schlüpft in Frauenfummel, weil er als Schauspieler in Geldnot nur als Frau in einer Fernsehsoap engagiert wird. Der Film tritt damit dem eigenen Medium und letztendlich dem gesamten Showbusiness kräftig in den Hintern, denn er zeigt die Unterhaltungsindustrie als schonungslose Bestie, die nur mit Arschkriecherei bewältigt werden kann. Hoffmann muss sein bisheriges Geschlecht aufgeben, sich mit einer völlig neuen Identität abfinden und somit zur Hure der Unterhaltungsbranche werden, um an das gewünschte Ziel zu gelangen. Das ist alles tragischkomisch, nicht zuletzt durch den Fakt, dass Dorsey bzw. Dorothy seine/ihre Mitmenschen, Kollegen und Fans durchgehend an der Nase herumführen muss, was zwar den beruflichen Erfolg garantiert, aber im privaten Leben zu Missverständnissen und unerfüllten Träumen führt. Am meisten leider darunter natürlich Hoffmanns starke Zuneigung zu Jessica Lang; und dass der Zuschauer zumindest hierfür eine positive Happy-End-Lösung erwartet, liegt auf der Hand.
Hoffman und Lang in den Hauptrollen sind toll, aber noch besser ist der junge Bill Murray als Mitbewohner und Eingeweihter, der alles mit starrer Lakonie und trockenem Humor hinnimmt und damit bereits seinen schauspielerischen Stil definiert, der ihn später so erfolgreich machte.

2. April 2012

IM SCHATTEN DES ZWEIFELS

Alfred Hitchcock (USA, 1943)
Immer wenn man denkt, der dichte Hitchcock-Urwald würde sich so langsam lichten, kommen einem weitere Filme entgegen, die man noch nicht gesehen hat. Aber das ist auch gut so, denn man kann nie genug davon bekommen und sie haben schließlich stets was neues zu bieten und behalten dabei immer die unverkennbare Handschrift des Meisters.
Joseph Cotton ist hier auf der Flucht vor dem Gesetz und nistet sich bei der Familie seiner Schwester ein, wo ihm seine Nichte (gespielt von Teresa Wright) auf die Schliche kommt. Sie fühlt sich zwar einerseits stark zu ihm hingezogen, glaubt ihn aber gleichzeitig als einen gesuchten Witwenmörder zu entlarven.
Der Film steht trotz schauderhafter Grundthematik aber dennoch mit beiden Beinen auf der Sonnenseite, denn Hitchcock zeigt hier viel Humor. Er stattet manche seiner Figuren etwas komödiantisch aus, was dem Film eine liebenswürdige Note verleiht, die ein wenig an John Fords Kino erinnert, wenn der alte Western-Regisseur seine Figuren mit skurrilen Charaktereigenschaften auflockerte.
Hitchcock weiß es bestens, das Familiengeschehen, die Verhältnisse zwischen den einzelnen Figuren und ihre Individuen auf scharmante Weise zu vertiefen, weil er seine Figuren mit Macken und Kanten ausstaffiert. Der Verdächtige wird um so undurchsichtiger und diabolischer, weil er sich in diese Familien-Harmonie bestens einzubetten weiß und diese naiven, gutbürgerlichen Leute zusätzlich mit großzügigen Geschenken um den Finger wickelt.
Der Zuschauer schlummert gemütlich dahin, fühlt sich sicher und geborgen, ist aber um so überraschter wenn sich das Blatt doch noch wendet und Joseph Cotton Hörner zeigt.
Ein merkwürdiger, ungewöhnlicher Hitchcock, der in seiner Geborgenheit herangeschlichen kommt, der ohne Mordopfer auskommt und trotzdem fesselt.