29. Dezember 2010

DAS GESICHT

Ingmar Bergman (Schweden, 1958)
Mitte des 19. Jh. ist Dr. Vogler mit seiner Gauklertruppe, dem "magnetischen Heiltheater" nach Stockholm unterwegs, um dort sein sensationelles Programm vorzuführen.
Auf dem Weg werden sie jedoch angehalten und zur Polizeistation gebracht. Der Polizeichef, der Konsul und ein Wissenschaftler, so wie deren Ehefrauen bilden nun das Publikum aus Skeptikern, welches in einer Privatvorführung von den übernatürlichen Kräften des Dr. Vogler überzeugt werden will.  
Ein unausgewogener Bergman-Film, der vielleicht am besten von allen seinen Filmen eine Brücke zwischen seinem früheren Werk und dem ausgereiften Bergman schafft.
Was wie ein düsterer Gruselfilm in Hammerfilm-Manie, gepaart mit Siebente Siegel-Assoziationen anfängt, verwandelt sich zwischendurch in eine erquickend-gemütliche Komödie, um im Schlussteil die albtraumhaften Horrorvisionen aufs Äußerste herauszufahren.
Als würde Bergman in einer Kutsche mit Stoker, Poe und Meyrink durch einen nebligen Wald fahren. So ganz anders als gewohnt. Eigentlich schön, wenn manche Filme ewige Geheimtipps bleiben.

28. Dezember 2010

EXODUS

Otto Preminger (USA, 1960)
Paul Newman und Eva Marie Saint mitten im Trubel auf Zypern, kurz nach dem zweiten Weltkrieg. Er ist Jude, der sich für seine Landsleute einsetzen will, sie ist Amerikanerin, die ein jüdisches Mädchen ins Herz geschlossen hat. Beide stoßen schließlich an Bord der Exodus aufeinander; das Schiff, das jüdische Flüchtlinge aus Europa nach Palästina bringen soll. Die britische Besatzungsmacht stellt sich quer, doch das Kunststück gelingt und der Rest des Films dreht sich um die nervenaufreibende Staatsgründung Israels und den ewigen Zwietracht zwischen Juden und Arabern.
Gemessen an der wahren Begebenheit um die Strapazen der echten Exodus, erscheint Premingers Film vermutlich wie eine Kreuzfahrt mit der Aida. 1960 ist zwar noch die Zeit vom braven Old Hollywood, wo man bei solchen Themen mehr Wert auf den heroischen Überschwank legte, als auf plastisch ausgearbeitete Einzelcharaktere.
Um so mehr erfreut jemand wie David Opatoshu in der Rolle des Akiva Ben-Canaan; genauso wie Sal Mineo, den man aus "...Denn sie wissen nicht, was sie tun" kennt. Vor allem das Zusammenspiel der beiden machts: in der Szene des Verhörs des Jungen (Sal Mineo), der von seinen Auschwitz-Erfahrungen berichten soll.
 Das sind dann auch die großen Momente und nicht der harmlos inszenierte Hungerstreik der Exodus-Besatzung oder der Anschlag auf das King David Hotel in Jerusalem. 
Demzufolge ein Film der vielleicht falsche Akzente setzt, der persönliche Einzelschicksale deutlicher zeichnet , als sein eigentliches Thema. Vielleicht ist es aber der bewusst gewählte Weg, um sich an die Handlung heranzutasten, auch wenn der große Rahmen oft an plumpen Phrasen zur Toleranz hängen bleibt.
Sehenswerter, in dem Fall viel zu langer Klassiker.

21. Dezember 2010

Dust Bowl - die amerikanische Naturkatastrophe in der Kunst

Bob Dylans „Chronicles“-Autobiografie führte mich kürzlich zur Musik von Woody Guthrie. Dessen Konzeptalbum „Dust Bowl Ballads“ von 1940 brachte mich schließlich darauf, dass das Dust Bowl-Thema schon häufiger (auch im Film) von verschiedenen Künstlern verarbeitet wurde.
In den 1930er-Jahren wütete die Dust Bowl-Periode, die mehrere Staaten von Amerika (vor allem Oklahoma) mit Staubstürmen und Dürren verwüstete. Die Ernte war vernichtet, ebenso die Häuser und Farmen der dort lebenden Menschen. Die meisten Familien zogen mit ihrem Hab und Gut über die damals frisch geteerte Route 66 in den Westen, wo sie sich in Kalifornien neues Glück erhofften.
Eine Katastrophe, die die Heimat und Träume seiner Einwohner unter Staub und Sand begrub, jedoch gleichzeitig einig wichtiges künstlerisches Œuvre gebar. Eine Naturgewalt sorgte demnach auch für Wirbel in verschiedenen künstlerischen Kreisen, deswegen ist Amerikas Dust Bowl-Zeit auch hier ein nennenswertes Thema.
Wie bereits erwähnt, besang Woody Guthrie die Probleme der heimatlos gewordenen Okies in seinen "Dust Bowl Ballads".
John Steinbeck beschrieb das Schicksal der Farmerfamilie Joad in seinem Roman "Früchte des Zorns" (W. Guthrie widmete sogar der Tom Joad-Figur einen Song)
Der Roman wurde ein Jahr später von John Ford meisterhaft verfilmt.
Auch die Fotografin Dorothea Lange setzte ihre Zeichen während der Großen Depression, und der Maler Alexandre Hogue war ebenso bekannt für seine Dust Bowl-Gemälde.
Wie so oft, schreibt das Leben die besten Geschichten. Sicherlich ist die der amerikanischen Staubstürme noch viel umfangreicher und einflussreicher auf Kunst und Kultur, wenn man genauer nachforscht.

16. Dezember 2010

EMIR KUSTURICA

Längst fällig: ein paar warme Worte zu dem 1954 in Sarajewo geborenen Emir Kusturica loszulassen; dem balkanischen Wunderkind, der einem Collagekünstler gleich, seine Filme aus einer unerschöpften Ideenquelle zusammensetzt. Drehbücher sind eine Behinderung, denn neue Ideen kommen während des Drehs wie am Fließband. Für Filmproduzenten ist das zum Haareraufen, für uns Zuschauer eine rasante Unterhaltunsgarantie.
Endlose Einfälle, mosaikartig eingebettet in kleine Zwischenfälle, meistens sich nur im Hintergrund abspielend, weisen auf den Geist eines Erfinders hin, weniger auf den eines Filmemachers. Logische Abfolgerungen von kleinen gegenständlichen Zufällen, oftmals durch Menschenhand beeinflusst. Ein Ideenreichtum, dessen Grenzen mit Leichtigkeit überschritten werden und ins Surreale übergehen.Doch auch Kusturicas Kino hat seine Schattenseiten. Die offenbaren sich bei mir leider letztens immer häufiger, je mehr Filme ich von ihm sehe.
Denn mit der Zeit stellt man fest, dass Kusturicas Kino ein brodelnder Eintopf ist, der zum Überschwappen droht. Seine Geschichten, mal vulgär, mal poetisch, verlieren an Überzeugungskraft und büssen ihre Originalität und Ausdruckskraft schnell wieder ein, gerade weil der Regisseur die narrativen Grenzen dermaßen herausfordert und seine selbst erschaffene Welt, die von karikaturhaften Figuren besiedelt wird, nicht mehr zügeln kann. Mit jedem weiteren Film, den er dreht, wird der längst übersüßte Kuchen immer deftiger; die Glasurschicht immer dicker und bunter. Aber sicherlich passt diese Art zu ihm selbst. Vor allem was den oft ordinär-abgegriffenen Humor angeht. In der Doku "Super 8 Stories" sieht man schließlich Kusturica, als den grobgeschnitzten Gorilla, der sich gerne mit Bandkollegen rauft, wie ein 10jähriger Schuljunge.
Anderseits war irgendwie bisher fast alles gut oder sogar großartig (vor allem "Underground" und "Time of Gypsies") und auch seine ersten Schritte wie "Erinnerst du dich an Dolly Bell" und "Papa ist auf Dienstreise" waren schöne Filme; vielleicht war da der Kuchen noch nicht so verdorben. „Ariona Dream“ ist vermutlich eine Art Einstiegsfilm, "Schwarze Katze.." kochte schon zu sehr in seiner vollkommen überzeichneten Weise und "Versprich es mir!" war der Gipfel der Überstilisierung, da ging gar nichts mehr. Kusturicas Kino das ist, als würde man auf der Flucht vor einem wilden Bären in Begleitung einer Zigeunerkappele einen Berg hinunterlaufen und dabei ständig Gänseherden ausweichen müssen. Ein gutes Gefühl, aber manchmal möchte man auch verschnaufen.

6. Dezember 2010

SO FINSTER DIE NACHT

Tomas Alfredson (Schweden, 2008)
Ein Tomas Alfredson kommt aus dem Nichts und schmeißt uns das ungewöhnlichste Werk der letzten Zeit vor die Füße. Lässt uns nachdenken über Einsamkeit, Einzelgängertum, aber auch den Lauf einer Freundschaft, Treue, Abhängigkeit und Rachegefühle, die in uns brodeln.
Wie eine blutige Spur im verschneiten Wald, die man verfolgt. Man kennt ihren Ursprung nicht, man weiß nicht wohin sie führt. Der Mensch ist neugierig, gruselt sich gerne, auch wenn er es ungern zugibt.
Und schon sind wir gefühlsmäßig bei Alfredsons Film; der Vampir-Genre-Stempel schwebt ungewiss in der Luft, doch muss man den Film automatisch katalogisieren? Kann man es überhaupt? Vermutlich liegt der Reiz auch in diesem sinnlosen Ärger, dass er sich nicht klar einordnen lässt. 
Es ist vor allem ein erzählerisch ausgeglichener und linearer Film, doch mit verstörenden, blutigen Akzenten; Johan Söderqvists Musik verleiht dem stets eine poetische Ästhetik.
Ein Genre-Film, der keiner ist, weil er Klischees verweigert, bzw. sein eigenwilliges Genre nutzt, um Anspielungen auf lebensnahe Themen zu machen. Wunderbar.