31. Mai 2011

EIN MANN UND EINE FRAU

Claude Lelouch (Frankreich, 1966)
Lelouchs Klassiker über die Beziehung zwischen dem verwitweten Rennfahrer (Trintignant) und einem Scriptgirl (Aimée), deren Mann (ein Sensationsdarsteller) am Filmset verunglückte, und die beiden Witwer schließlich dank ihrer kleinen Kinder zueinander finden, da diese das gleiche Internat besuchen.
Lelouch lenkt dabei den Blick stark auf das Privatleben der beiden. Im dokumentarischen Stil zeigt er den Alltag des Rennfahrers; manchmal verharrt er ein bisschen zu lange bei diesem Thema, setzt beinahe eine Leidenschaft des Zuschauers für diese Sportart voraus. Anderseits ist dies der Erzählstil dieses Filmes: Lelouchs Regie basiert auf einem distanzierten Beobachten; er schleicht sich zaghaft an seine Figuren heran, wie ein vorsichtiger Wolf, der nachts ein Lagerfeuer auflauert.
Trotz gewisser filmstilistischer Längen sind aber alleine schon die Kinder-Szenen Grund genug, sich auf diesen Film einzulassen, denn als Verbindungselement sorgen die Kleinen mit ihren kindlichen Kommentaren stets für eine liebenswürdig-komische Abwechslung, die dem sorgevollen Erwachsenendasein entgegentrotzt. Und Francis Lais Titelmelodie bleibt zweifellos ein netter Gassenhauer zum mitpfeifen.
Insgesamt ein ungewöhnlicher Liebesfilm; nicht nur durch seinen Aufbau, sondern gleichermaßen durch seine verwaschenen Farboptik und das triste Regenwetter, womit er eine ungemütliche Grundstimmung hinterlässt.

30. Mai 2011

ZWEI AUF GLEICHEM WEG

Stanley Donen (USA, 1967)
Wir begleiten hier Audrey Hepburn und Albert Finney während ihrer Urlaubsfahrten entlang der französischen Mittelmeerküste; eine Strecke, die beide schon seit mehreren Jahren befahren; zuerst alleine, zwischendurch mit Bekannten und schließlich auch mit der eigenen Tochter. Der Regisseur zerschnippelt jedoch seine Story und setzt sie unchronologisch wieder zusammen, wodurch sein Film von permanenten Zeitsprüngen gezeichnet ist, so dass man verschiedene Beziehungsphasen beider Protagonisten miterleben darf.
Stanley Donens Film ist wohl der höchste Gipfel einer nicht-linearer Erzählkunst. Hier geht es nicht um die strenge Chronologie einer Geschichte, sondern um die Akzentuierung von Raum und Zeit. Es entsteht dadurch ein ganz eigener und sehr poetischer Erzählfluss und somit eine der am schönsten und ungewöhnlichsten erzählten Film-Geschichten.
Den Wandel der Figuren, ihre Tragik und Komik verdeutlicht der Film vordergründig durch seine durchgehende Vermischung von Zeit oder das Aufeinanderprallen zeitlich voneinander abgegrenzter Sequenzen, wodurch der Zuschauer die nötige, emotionale Verbindung zu den beiden Charakteren aufbauen kann.
Interessant ist, dass dieser Eingriff die Figuren vor allem in ihrer Konsequenz in Frage stellt und sie für den Zuschauer demaskiert. Denn am Ende ist es vor allem eine Geschichte über Mann und Frau, über Höhen und Tiefen, über Zu- und Abneigungen und viele Launenwechsel. Ein ständiges Hin- und her, mit einem scheinbar geschlossenen Ende, das vielleicht gar keins ist. Und vor allem ist es wahrscheinlich Audreys bester Film.

26. Mai 2011

APUS WEG INS LEBEN - APU TRILOGIE

Pather Panchali (1955), Aparajito (1956), Apur Sansar (1959)

Satyajit Ray (Indien, 1955-1959)
Wie wohltuend ist es doch, die gewohnten Pfade zu verlassen und filmisches Neuland zu betreten. Diesmal weht die erfrischende Briese aus Indien; zugegeben ein schon recht alter Wind, um so mehr war die Zeit jetzt reif, sich endlich mit dem Werk von Satyajit Ray zu befassen, von dem selbst Kurosawa meinte, wenn man Rays Kino nicht kennt, wäre das ungefähr so, als würde man die Welt ohne Sonne und Mond betrachten.
In den drei Teilen wird die Geschichte von Apu erzählt, der mit seiner Familie in einem verarmten, bengalischen Dorf aufwächst, nach dem Tod seine Tante und seiner Schwester mit den Eltern in die Stadt zieht, wo (nach dem Tod des Vaters) in ihm der Wunsch heranwächst, etwas für seine Bildung zu tun und somit die nahe gelegene Schule zu besuchen. Später bekommt er sogar ein Stipendium und geht zum Studium nach Kalkutta, ganz gegen den Willen seiner Mutter, die mittlerweile ganz alleine lebt und ihren Sohn lieber im Beruf eines Priesters sehen würde. Im dritten Teil sieht man Apu als gereiften Mann, der sein Studium abgeschlossen hat, jedoch ohne Arbeit in einer Dachterrassenwohnung in Kalkutta lebt und schließlich sogar heiratet.
Was an Rays Erzählweise beeindruckt ist wie sehr der Aspekt von Verlust im Mittelpunkt steht und sich jede Handlung um diese tragischen Eckpfeiler herum windet. Zuerst die tragische Figur der uralten Tante; ungeliebt und verstoßen, die schließlich in den Wald geht, um dort zu sterben. Genauso wie der Teil, in dem von Apus Studienzeit erzählt wird, ohne dabei seine Leistungen in den Mittelpunkt zu rücken, sondern lieber den Blick auf seine Beziehung zu der vereinsamten Mutter zu lenken.
Ein Kino mit einer Extraportion Herz, das vielleicht im dritten Teil etwas an seiner Exotik einbüsst, zugunsten der noch viel deutlich ausgeprägten europäischen Einflüsse, die ohnehin schon mit ihrem starken Bezug zum italienischen Neorealismus die gesamte Trilogie prägen.
Eine große Erzählkunst, die den Komfort ihrer langen Spielzeit nutzt, um die Schönheit der narrativen Langsamkeit zu entdecken. Hier lernt man etwas übers Geschichtenerzählen, über das Kino selbst und vor allem über das traditionelle Indien.
Oder um Kurosawa zu ergänzen: Vielleicht sieht man hier nicht Sonne und Mond zum ersten Mal, aber auf jeden Fall von einem völlig neuen, exotischen Standort und aus einer lebensnahen und unberührten Perspektive.

24. Mai 2011

EIN DRECKIGES DUTZEND

Robert Aldrich (USA, 1967)
Ein amerikanischen Offizier (Lee Marvin), soll in England während des 2. Weltkriegs ein Sonderkommando zusammenstellen, welches den Befehl hat, ein Schloss zu stürmen, in dem sich mehrere Wehrmachtsoffiziere gemütlich zurückgelehnt haben.
Marvins Haufen besteht aus grob geschnitzten, amerikanischen Angehörigen des Militärs, die wegen Verbrechen im Militärgefängnis sitzen, und zum Teil zu Tode verurteilt sind. Nun bietet sich eine Strafmilderung an.
Zum dreckigen Dutzend gehören unter anderem ein dreckiger Charles Bronson, ein verschmutzter (und sehr junger) Donald Sutherland und ein schmieriger John Cassavetes. Vor allem der letztere versucht immer wieder aus der Reihe zu tanzen, in dem er sich mehr als alle anderen gegen jede Autorität zu wehren versucht. Doch der Haufen kann toben und schmollen wie er will; am Ende wird daraus natürlich eine disziplinierte Kleinarmee geformt, die schließlich ausgebildet genug ist, um an dem von den Deutschen besetzten Schloss abgeworfen zu werden.
Spannend, unterhaltsam und doch irgendwie blöd. Die überraschten Nazis, die im Keller des Schlosses zusammengetrieben werden, posieren in den Szenen eher wie gelangweilte Museumsbesucher. Selbst Cassavetes’ Figur, die am Anfang durch ihre provokativ- aufmüpfigen Art heraus sticht, geht im Verlauf des Einsatzes völlig unter; er ist bloß ein gesichtloser Soldat wie jeder andere.
Außerdem schmückt Aldrich seinen Film mit einigen wirklich fragwürdig ausklingenden Szenen aus. (z.B. die Prostituiertenszene, die zwar nicht unbedeutsam ist, aber als solche ins nichts führt) Insgesamt mehr M.A.S.H.- Klamauk als ernsthaftes Kriegsdrama.

19. Mai 2011

DOGTOOTH

Giorgos Lanthimos (Griechenland, 2009)
Zuallererst freut man sich endlich (wieder) etwas aus Griechenland zu sehen, fragt sich aber augenblicklich, weshalb ein Land mit einer so alten und einflussreichen Kultur eine kaum nennenswerte Filmtradition vorzuweisen hat, wie so viele andere europäische Länder.
Aber zurück zum Thema. "Dogtooth" erzählt die verstörende Geschichte dreier Geschwister, die von der Außenwelt völlig abgeschottet im Haus ihrer finanziell gut positionierter Eltern aufwachsen. Wobei: Aufwachsen und Erziehung sind die falschen Begriffe; das ganze ähnelt eher einem Experiment beider psychisch kranker Elternteile, die ihren erwachsenen Kindern ein völlig verqueres Weltbild vermitteln, in dem sie die Region außerhalb des eigenen Hausgrundstück zur Gefahrzone ausrufen, die niemals betreten werden darf. Draußen lauert das Böse, es darf dort (wortwörtlich) kein Fuß auf den Boden gesetzt werden.
Die befremdlichen, pädagogischen Maßnahmen beruhen vor allem auf einer absichtlich falsch vermittelten Benennung von Alltagsobjekten: wenn eine der Schwestern beim Essenstisch nach dem Salzstreuer verlangt, fragt diese, ob sie das Telefon haben könnte, woraufhin ihr die Mutter das Salz reicht. Fragt der Sohn seine Eltern was ein Zombie ist, wird ihm erklärt, es handelt sich dabei um eine wunderschöne, gelbe Blume.
Hier geht es um falsch vermittelte Werte, die sich dank der Abschirmung von der Außenwelt ausprägen konnten. Die Eintönigkeit des Daseins führt unweigerlich zur Aggression, Selbstverstümmelung und sogar Inzest. Und die Geschwister bleiben bei allem emotional abgestumpft, reden und agieren wie trainierte Maschinen, erschrecken vor jeder Neuentdeckung innerhalb ihrer kleinen Welt, sind sich aber letztendlich dessen bewusst, dass es auch ein Leben hinter den erbauten Mauern geben muss. Ihre Neugier lässt sie von Tag zu Tag immer mehr hinter die verschlossenen Türen und Gartenhecken schielen.
Zuerst wirkte der Film auf mich recht gekünstelt, zu sehr inszeniert und zu sehr visuell durcharrangiert, doch seine befangene und erstarrte Art erweist sich schließlich als die einzige mögliche Methode, um diese tieftragische Geschichte zu erzählen.

16. Mai 2011

DAS LEBEN DES BRIAN

Terry Jones (Großbritannien, 1979)
Die Komödie ist ein äußerst verfängliches Filmgenre, denn sie stößt stets an eine unser individuellsten Charaktereigenschaften, wenn sie unseren Sinn für Humor wachrütteln soll.
Der Monty Python-Film "Das Leben des Brian" ist ein merkwürdiges Werk dieser Gattung. Gerade was seine Komik angeht, sieht man den Staub in dicken Schichten darauf liegen. So wirkte der Film auf mich schon immer, unabhängig davon, ob ich ihn vor 15 Jahren oder heute ansehe. Das ist kein Monty Python-typisches Phänomen, denn die Flying Circus-Produktionen der britischen Komikertruppe, waren (und sind) zum großen Teil auch wirklich komisch, weil sie von einem originell-absurden Humor gezeichnet sind, der den Zuschauer immer zu überraschen weiß.  
"Das Leben des Brian" ist immerhin ein kluger Film. Einer der seinen Ruhm der etwas voreiligen Beschimpfung als skandalöser und provokativer Film zu verdanken hat, dabei weiß er seinem eigentlich Vorwurf, dem eines blasphemischen Films, geschickt auszuweichen, in dem er die Jesuselemente mit Respekt behandelt, und seine satirische Intension in eine gänzlich andere Richtung lenkt.
Sein Humor hingegen: ein Mysterium, das sich mir nie richtig erschlossen hat. Denn er überrascht zu selten, ist zu kindlich-charikaturhaft in seinen großen Gesten und zu häufig auf albernen Sketchen basierend, die den Humor als solchen auffallend signalisieren, anstatt sich subtiler hinter der Geschichte zu tarnen, um den Zuschauer im richtigen (überraschenden) Augenblick anzugreifen.
Und jetzt wird es brenzlig: Denn man fragt sich automatisch, was demnach an der humoristischen Seite dieses Filmes anders sein soll, als an den restlichen Monty Python-Produktionen. Die Antwort liegt vielleicht im Format. Packt man den Monty Python-Humor in das klassische TV-Format der Flying Circus-Sketche, scheint er sich dort häuslicher zu fühlen als auf großer Leinwand, wenn er in ein mehr oder weniger konventionelles Kinoformat hineingezwängt wird.
Was den Film glücklicherweise rettet, ist seine große Popularität, die er sicherlich seinem Skandalfaktor zu verdanken hat, wodurch er stets in aller Munde bleibt und dadurch seinen Kultstatus erlangte. Die Scherze wirken fast schon wie in den Stein gehauen; man nimmt sie hin, wie sie sind und wie sie auf einen zukommen, schmunzelt über sie, stellt sie in Frage, ärgert sich, und am Ende hat man den Film aus irgendeinem Grund doch schon wieder geschaut.

5. Mai 2011

GODARD TRIFFT TRUFFAUT

Emmanuel Laurent (Frankreich, 2009)
Neulich im schön-muffigen Capitol-Kino in Mainz: Ein Date mit Godard und Truffaut. Ich erfuhr wie sie einst übereinander stolperten, wie sie ihre Kino-Besessenheit zuerst als Kritiker für das Kinomagazin "Cahiers du cinéma" zusammenknotete, wie sie mit ihren ersten Filmen ("Sie küssten und sie schlugen ihn" und "Außer Atem") große Erfolge feierten und für Aufsehen sorgten, wie sie mit dem Ausbleiben weiterer kommerzieller Erfolge zurechtkommen mussten, und wie sich schließlich die Wege trennten.
Truffauts Herz blieb weiterhin, das eines sensiblen Cinephilen, wohingegen Godard immer mehr mit seinen Filmen einen persönlichen politischen Kampf führte. Eine tiefe Kluft entstand. Von Cineasten-Brüdern zu dauerhaften Rivalen. Und dann noch Jean Pierre Léaud, als Darsteller sein leblang hin und her gerissen; ein Spielball der beiden Filmemacher.
Laurents Film ist eine wirklich gelungene Verbeugung vor der französischen Nouvelle Vague, zusammengesetzt aus bisher unveröffentlichtem Bildmaterial, zahlreicher Interview-Fetzen und zitierter Filmszenen der beiden Filmemacher. Der Film bietet zwar keine radikal neuen Infos, gibt aber einen frischen, umfangreichen und liebevollen Einblick in eine der bedeutendsten Bewegungen der Filmgeschichte, die damals von zwei der einflussreichsten Regisseuren ins Rollen gebracht wurde.