27. Januar 2014

NEBRASKA

Alexander Payne  (USA, 2013)
Alexander Payne gehört nun also auch zu jenen cineastischen Melancholikern, die auf Rückbesinnung setzen und deshalb auf Farbe verzichten. Was sich als Trend anbahnt, sticht bisher zum Glück immer noch aus der Masse. Mit dem reduzierten Filmplakat zu "Nebraska" hebt sich Paynes neustes Werk ohnehin bereits an den Kinowänden hervor.
In diesem Fall trifft die Behauptung auch voll und ganz zu, man hätte einen Darsteller aus seinem Grab herausgeholt; Bruce Dern heißt der Mann und man will es kaum glauben, wie lange das her ist, als er etwa bei Chabrol als griesgrämiger Autor in "Die verrückten Reichen" kaum eine Zeile zu Stande bekam.
Sieht man "Nebraska" blieb von ihm nichts weiter übrig als ein alter, klappriger Mann mit künstlichem Gebiss und zu langen Nasenhaaren. Oder er spielt ihn so überzeugend, eben diesen alten, klapprigen, verwirrten, vom Leben und Alkohol gezeichneten Mann, der all das bestreitet und sich eines Tages fest entschlossen auf den Weg nach Nebraska macht, um sich seine 1 Million Dollar abzuholen, die er bei einem Gewinnspiel gewonnen haben soll. Der Weg ist lang und er läuft zu Fuß. Zunächst jedenfalls, bis sich sein Sohn David (Will Forte) aus Mitleid dazugesellt und ihm im Auto zu dem Wunschort bringen will. Die Welt um den alten Woody (Bruce Dern) besteht zunächst aus zweifelnden Spöttern und schließlich aus neidischen Gierhälsen, die sich einen Teil der Summe erhoffen, nachdem sich unser Held immer häufiger während der Reise wegen seinem Gewinn verplappert.
„Nebraska“ ist vielleicht einerseits jener charmante Seniorenfilm, in die man frühere Leinwandhelden zwängt, wenn sie das Klischee des reanimierten Schauspieler-Gespenstes endlich erfühlen. Doch Bruce Dern ist mehr als der demente Greis, über dessen kauzige Tollpatschigkeit man sich lustig machen könnte. Er wurde zwar zu einem Ausgestoßenen, den man ausnutzen will, doch gleichzeitig wird er stets von seinen Nächsten aufgefangen, Menschen, die für ihn da sind, sich um ihn kümmern, in an der Hand nehmen und an das gewünschte Ziel bringen. Denn so endet auch der Film; mit einer warmherzigen Geste seines Sohnes, der seinem Vater das Gewissen schenkt, er wäre nicht alleine. Auch wenn Bruce Derns Figur keine Gefühlsregung der Dankbarkeit zu zeigen scheint, außer einem kurzen Blick und der noch kürzeren Anstrengung eines Lächelns. 
Schwarzweiß kann doch Wunder vollbringen und durch Mark Ortons Gitarrenklänge wird man in eine friedliche Ruhe eingelullt.

ONLY LOVERS LEFT ALIVE

Jim Jarmusch  (USA, 2013)
Jim Jarmusch und Vampire. Eine gewagte Genre-Erweiterung, potenzieller Reinfall, künstlerische Gratwanderung, ein Jonglieren am Abgrund, oder wie man auch sonst diese Skepsis bezeichnen mag. Es gibt so viele Namen für jene filmische Angst, die an bestimmte Erwartungen, bzw. an die Treue gegenüber einem Regisseur geknüpft ist. Man fürchtet sich so sehr von diesem Experiment, ohne überhaupt wahrzunehmen, dass man längst entspannt im Kino sitzt und sich nicht vor lauter Scham am Sitz festzukrallen braucht. Denn im Grunde ist alles ok.
Einer der beiden Hauptvampire ist hier Adam (Tom Hiddleston), der in einem Industrie-Viertel von Detroit lebt, das Haus nur nachts verlassen kann und deswegen in der gegenwärtigen Lebensphase zum Rock-Musiker wurde. Der comichafte Rocker-Vampir mit Vorbildcharakter für mürrische Indie-Kids, bleibt uns aber zum Glück verwehrt. Seine Villa ist eine Sammelstätte für jede Menge Instrumente, Schallplatten und angehäuftes Equipment. Jarmusch muss wohl selbst bei der Einrichtung aktiv mitgeholfen haben, schmückte gleich eine ganze Wand mit eigenen musikalischen und literarischen Vorbilder-Portraits. Das ist zwar schön anzusehen, aber auch ein bisschen zu viel von gut gemeinter Referenz aus persönlichen Akzenten.
Sehr weit weg von diesem Ort, im marokkanischen Tanger lebt Eve (Tilda Swinton), Adams große Liebe. Beide führen zu dem Zeitpunkt eine Fernbeziehung. Doch Vampire sind auch nicht gerne einsam, deswegen währt dieser Zustand nicht all zu lange. Sie treffen sich in Detroit wieder und Jarmusch erzählt plötzlich eine hübsche Liebesgeschichte über ein Außenseiter-Paar, das die Menschheit scheuen muss.
Bevor sich aus der erneuten Annäherung etwas wirklich Harmonisches entwickeln kann, klopft jedoch Eves Schwester Ava (Mia Wasikowska) an die Tür. Eine echte Nervensäge, die als aufgeschlossener Lolita-Vampir, trotzdem zu den Blutsaugern der alten Schule dazugehört, die sich lieber auf traditionellem Wege Nahrung beschaffen. Und so was führt natürlich zu Problemen.
Der gute, alte Vampir-Film ist ein sich aufdrängendes Genre-Kino, doch wenigstens müssen sich Jarmuschs Figuren nicht im klassischen Sinn durch die Handlung durchbeißen; dafür verweilen sie schon viel zu lange auf diesem Planeten. Sie sind längst ausgelaugt, vom jahrhundertlangen Existieren gezeichnet und haben gelernt, sich an die Umstände der verschiedenen Epochen halbwegs anzupassen, auch wenn ihnen die Einsamkeit ständig zusetzt. Jarmuschs beide Haupt-Vampire verfangen sich eben nicht mehr all zu gern mit den Zähnen in ihren Opfern. Hier wird auf das Morden, bzw. auf das Hineinbeißen in schmackhafte Kehlen, weitgehend verzichtet. Sie saugen lieber das Leben selbst aus, um das allernötigste daraus für sich selbst herausfiltern. Keiner macht sich unnötig die Hände bzw. die Zähne schmutzig; das Blut besorgt man sich lieber aus Reserven eines Krankenhauses oder lutscht an einem gefrorenen Blut-Klumpen am Stiel; das ist viel bequemer, stilvoller und für uns Zuschauer ungewöhnlicher, gar amüsanter. Was nach Stil und guten Manieren aussieht (z.B. das Schlürfen des Blutes aus edlen Weingläsern) ist aber auch Bequemlichkeit, die zur Lässigkeit dieser Figuren führt.
Jarmusch weiß, was er tut. Er verbeugt sich vor einem Genre, das schwer zu bändigen ist und kann darüber selbst auf seine lakonische Art schmunzeln, ohne die gängigen Klischees durch alberne Tricks zu belächeln. Er zeigt moderne Vampire mit iPhones, die online chatten müssen. Damit befreit er das Genre schon mal von seinem ewigen, sentimentalen Blick auf einen viktorianischen Blutsauger, der vor jeder Art von stilbrüchiger Aktualität bewahrt werden muss.
Und weil er ein geübter Filmemacher ist, legt er sich selbst Hürden, die er dann auch von eigener Hand wieder wegschafft: Die speziell angefertigte Pistolenkugel als Selbstmord-Werkzeug, mit der er zunächst seiner Handlungsarmut entgegenwirkt, verliert im Verlauf der Geschichte an Bedeutung und deutet lediglich auf den anfänglichen Gemütszustand von Adam. Jarmusch ist immer noch in der Lage, uns an der Nase herumzuführen.

DER MONDMANN

Miloš Forman  (USA, UK, Deutschland, 1999)
Miloš Forman hat sich in seiner amerikanischen Spätphase häufiger dem Biopics gewidmet, wo verschrobene Außenseiter zu seinen Helden auserkoren werden, die letztendlich an der Nichtakzeptanz der Gesellschaft scheitern. Das fängt bei "Amadeus" an und geht über "Larry Flynt" schließlich zu seinem Andy Kaufmann-Portrait "Der Mondmann". Jim Carrey war und wird auch nie mehr besser sein, weil der Komiker hier selbst eine Komikerlegende spielen darf, die zu den provokativsten ihrer Art dazugehört. Kaufmann war ein wahrer Anarchist unter den Comedians, der das gesamte Show-Business mit seinen Darbietungen dermaßen umkrempeln konnte, dass die Grenzen zwischen Show und Realität immer wieder aufs Neue verwischt wurden. Formans Film ist ein guter Beweis für diese Irreführung, die von Beleidigungen einzelner Leute aus dem Publikum, über die Einführung der Rolle des aggressiven Tony Clifton, bis hin zu makaber inszenierten Todesfällen auf der Bühne reichte und eigentlich sogar seinen eigenen, frühzeitigen Tod miteinschließt, der für viele ebenso wie eine hinterhältige Inszenierung wirkte.
Neben Danny DeVito als ehrgeiziger Manager, ist Courtney Love hier erneut in einem Forman-Film mit dabei, und auch wieder als Lebensgefährtin des exzentrischen Protagonisten.
Wie gut der Film letztendlich ist, kann man dann davon abhängig machen, ob man ihn als beinahe reines Dokument betrachtet, der seine Handlung zum Großteil aus nachgespielten Kaufmann-Shows zusammensetzt und wo für die Privatperson Andy Kaufmann nur noch wenig Zeit übrig bleibt. Aber anderseits kann man bei solchen Figuren immer noch auf das gute, alte Argument zurückgreifen, bei manchen Künstlern sei diese Grenze zwischen Leben und Kunst ohnehin nicht existent.

25. Januar 2014

DAS IRRLICHT

Louis Malle  (Frankreich, 1963)
Louis Malle eröffnet seinen Film mit einer großartig fotografierten Szene zwischen Maurice Ronet und Léna Skerla, die gemeinsam im Bett liegen. Es sind die Augenblicke nach dem Liebesakt, wenn sich das Paar in all der schwarzweißen Herrlichkeit aus wissbegierigen Nahaufnahmen und ungewöhnlichen Anschnitten aneinanderschmiegt. Der Film verzichtet auch später niemals auf die Kraft seiner Bildsprache. Es geht auf gleiche, elegante Weise weiter, wenn der Ex-Alkoholiker, Alain Leroy (Maurice Ronet) im Sanatorium eine Entziehungskur macht und die Kamera jedes angehäufte Detail in seinem Zimmer sorgfältig mustert. Mitten drin, zwischen all den Fotos und sonstigem Krimskrams hängt der große Spiegel, dessen glatte Oberfläche zum allgegenwärtigen Kalender wird, auf den Alain den 23. Juli als geplanten Selbstmord-Tag draufgekritzelt hat. Der Spiegel spiegelt nicht bloß den Protagonisten wieder, dessen Gesicht von jenem Datum verziert wird, sondern wird zur Zielscheibe und zentralem Blickfang des Filmes. Gemeinsam mit dem Helden steuern wir auf den Tag Null zu. "Morgen bringe ich mich um" sagt er irgendwann zu sich selbst; und wir können nichts tun, als seine feste Absicht in aller ihrer Konsequenz zu akzeptieren.
Alain trinkt zu Anfang zwar nicht mehr, doch kämpft mit Depressionen, denn das Leben hat für ihn gewiss nichts schönes, wie es ihm sein Arzt beibringen will. Für ihn ist es eine pessimistische Welt und ein leeres Leben ohne Ziel. Alain bleibt trotz seiner festen Absicht, seinem Leben ein Ende zu setzen, ein ewig Suchender, der schließlich nach Paris fährt, um alte Bekannte, Freunde und verpuffte Liebschaften zu treffen. Das sind alles keine Suchenden mehr, denn sie sind längst "angekommen", oft in einem geregelten, bürgerlichen Leben, was für Alain unverständlich und verlogen erscheint. Sich einer Gesellschaft unterzuordnen ist für ihn keine Option mehr, die einzige Lösung ist, seinen eigenen Weg bzw. seine eigene Suche zu verkürzen und mit dem Suizid all dem ein Ende zu setzen.
Selten war Paris so schön und gleichzeitig so düster, unnahbar, gar stumm. Selbst in einem überfüllten Café, wo Alain bloß den Beobachter spielt. Die vielen Menschen, die um ihn herumsitzen oder an ihm vorbeilaufen, während Louis Malle die Kamera neugierig mitziehen lässt. Eine Frau, die mehrmals mit Alain Blickkontakt aufnimmt, den er nicht erwidert, weil er in seinem finsteren Gemüt längst weit weit weg ist und der ihn umgebenden Gesellschaft (selbst seinen Bekannten) bloß mit Gleichgültigkeit gegenübertreten kann. Das Wiedersehen mit alten Weggefährten bestärkt ihn bloß in seiner Absicht. „Ich töte mich, weil ihr mich nicht geliebt habt“. Und die Bilder bekommen noch mehr Tiefe, weil kein anderer als Erik Satie diese post-existenzialistisches Melodrama musikalisch untermalt.

21. Januar 2014

GROßE VÖGEL, KLEINE VÖGEL

Pier Paolo Pasolini  (Italien, 1966)
"Die Zeit von Brecht und Rossellini ist zu Ende" spricht die Krähe, der Begleiter unser beiden Helden und verweist damit auf den italienischen Neorealismus als matschigen gar geschmolzenen Schnee von gestern. Gleichzeitig erinnert die Odyssee des Vaters (Totò) und seines Sohnes (Ninetto Davoli) durch die italienische Provinz, an jenes ziellose Herumirren in den kargen Nachkriegslandschaften, wie man es gerade bei Rossellini, De Sica u.a. gewohnt ist. Bloß gab es damals keinen provokativen Symbolismus, wo plötzlich ein Vogel über politische, religiöse und existenzielle Themen debattieren würde, wie eben in "Große Vögel, kleine Vögel". Hier wird die Handlung sogar durch eine allegorische Erzählung über zwei Schüler des heiligen Franziskus im tiefsten Mittelalter, ergänzt.
Ein hübscher Film, der wunderbar fotografiert ist, weil Pasolini die Monotonie der Landschaft nutzt, um seine Geschichte optisch bestmöglich aufzuräumen. Aber gleichzeitig eine sehr harte Nuss, die er uns da zuschmeißt; sicherlich leichter zu knacken, wenn man als Italiener zur damaligen Zeit lebte, bzw. aufgewachsen ist. Vermutlich ist es auch derjenige Film, in dem Pasolini den Zeitraffer als stilistisches Mittel entdeckte, weil oftmals alles im stummfilm-rasanten Tempo beschleunigt wird, was der fellinesken Überzeichnung der Figuren zusätzlichen Ausdruck verleiht. Denn trotz erneut engagierter Themen, ist kaum einer seiner Filme dermaßen verspielt gewesen; der Komödiant Totò in der Rolle des Vaters bleibt da als Einfluss nicht unbedeutend.
Und wie Pasolini das mit der dressierten Krähe so gut hinbekommen hat, die stets an der Seite der beiden Wanderer spaziert, gleicht ohnehin einem noch viel größeren Wunder, als das thematisierte Bekehren von Vögeln zur Eintracht und Liebe.

20. Januar 2014

DAS WEIßE RENTIER

Erik Blomberg  (Finnland, 1952)
Finnland, aber dieses Mal ohne Kaurismäki, weil viel viel älter. Erik Blomberg heißt der Mann auf dem Regiestuhl, der Anfang der 50er die Legende vom weißen Rentier verfilmte. Soll einer der Filme gewesen sein, der die damals kriegsmüden Finnen endlich wieder in die Kinos lockte.
In Kaurismäki-Filmen macht man sich gerne über Lappland lustig. Es ist eine öde Gegend aus schneeweißem Nichts und jeder Menge Rentiere. So sieht es auch in diesem Blomberg-Film aus. Er erzählt von der hübschen Pirita (Mirjami Kuosmanen), die mit einem Zauber einen Mann an sich binden will, jedoch verflucht wird und fortan als weißes Rentier die Gegend unsicher macht. Sie lockt leichtsinnige Jäger an, um sich dann in eine attraktive Vampirin zu verwandeln, die den Männern ihren letzten Tropfen Blut aussaugt.
Ein reißerischer Inhalt also, bei dem Märchen auf Schamanismus und einen poetischen Horror aufeinandertreffen. Wer aber glaubt, dass literweise triefendes Blut all den Schnee verfärbt, oder die Verwandlungsszenen mit aufregender Effekt-Hascherei betören würden, der wird schnell enttäuscht sein. Blomberg entdeckt viel lieber die Ruhe und die ewigen Weiten, dehnt seinen Erzählfluss proportional zu den endlosen, weißen Landschaften und legt seinen Figuren relativ wenige Worte in den Mund.
Ein schöner, atmosphärischer Film, der mit seiner allerletzten Szene vielleicht ein wenig zu brachial und vorhersehbar verfährt und alles etwas zu abrupt ausklingen lässt. Aber anderseits ist es eine Legende, bzw. ein Märchen und diese neigen von Natur aus zu überdeutlichen Schlussakkorden.

19. Januar 2014

THE BEST OFFER

Giuseppe Tornatore  (Italien, 2013)
Tornatore war am Anfang seiner Laufbahn so etwas wie der Fellini für die ganze Familie. Von diesem Image zwar längst weggekommen, bleibt er dennoch ein altmodischer Kauz, der sich am liebsten in seiner eigenen, nostalgischen Südländer-Idylle verbarrikadiert. Seine Geschichten sind bevölkert von kleinen Jungs mit großen Träumen, unerreichbaren Dorfschönheiten und fellinesken Sonderlingen. Alles dies wird von der Sonne Italiens angestrahlt und mit Ennio Morricones routinierten Klängen begleitet. Was das angeht, war sein vorheriger Film "Baarìa" fast unausstehlich, weil er da seinen südländischen Märchen-Blick stilistisch in bester Postkarten-Manie auf die Spitze trieb. Das ließ sich nicht mal bis zum Ende durchhalten.
Dieses Mal holt er sich den Australier Geoffrey Rush für die Rolle des Kunstexperten, Virgil. Ein Neurotiker, Einzelgänger, pedantischer Kenner seines Fachs und selbst großer Sammler. Irgendwann klingelt das Telefon und eine unbekannte Frau bittet Virgil, sich um den Verkauf der Kunstsammlung aus ihrem Familienbesitz zu kümmern. Zuerst desinteressiert gar genervt, weil die Frau immer wieder Ausreden hat, um ein persönliches Treffen zu vermeiden, begibt er sich schließlich doch zu der Villa, ist von der Sammlung fasziniert, lernt seine Auftraggeberin jedoch vorerst nicht persönlich kennen, bis das Geheimnis um ihre Existenz auf eine merkwürdige Weise doch noch preisgegeben wird. Die junge Frau (Sylvia Hoeks) leidet unter Agoraphobie, versteckt sich den Großteil ihres Lebens in Nebenräumen des großen Hauses und meidet jeden direkten Kontakt mit anderen Menschen.
Thematisch ein Feuerwerk, könnte man meinen, denn hier trifft ein melancholisches Märchen auf jede Menge Kunst und alten Plunder und eine scheinbar sonderbare, weibliche Hauptfigur, die sich die erste Hälfte des Filmes hinter einer Wand mit Gucklöchern verschanzt. Es gibt praktisch nur zwei Möglichkeiten: sie ist entweder grauenvoll entstellt oder eine überragende Schönheit und Tornatore entscheidet sich natürlich für die zweite Variante; so viel muss man leider ausplaudern, weil die sich bis dahin ankündigende Bilderbuch-Romanze plötzlich wirklich wahr wird. Aus dem menschenscheuen Schlossgespenst soll nach und nach eine weltgewandte, moderne Frau werden. Und sie lernt schnell; nicht nur aus ihrem eigenen Gefängnis herauszukriechen, aber natürlich auch, sich in Virgil zu vergucken. Zwei sensible Außenseiter finden zueinander, wie könnte es jemals anders enden.
Als wäre das noch nicht genug, eine Parallelhandlung gibt es auch noch: Während seiner ganzen Besuche in der Villa, sammelt der kauzige Virgil einzelne, umherliegende Teile eines uralten, mechanischen Menschen ein, die sein Freund und Tüftler, Robert (Jim Sturgess) langsam aber sicher wieder zusammenbaut. Neben bei: Jim Sturgess als attraktives Pendant zu J. Rush auszuwählen, ist eh ein sinnloses Unterfangen, wo doch der immer freundliche, junge Mann sowieso keine Bestrebungen macht, der mysteriösen Frau nachzulaufen. Genauso wenig passt er aber auch in die Rolle des bastelnden Eigenbrötlers, viel mehr ist er bloß eine Stütze für die Figur des Protagonisten, der sich bei ihm Ratschläge zum Thema Frau holen kann und ihm sein Seelenleben auf den muffigen Werkler-Arbeitstisch auskotzt.
Tornatore erzählt uns also wieder (ein) Märchen und setzt die üblichen Scheuklappen auf, um ja nichts von der Welt da draußen mitzubekommen. Und das schlimme ist: es bleibt trotzdem alles gewohnt unterhaltsam, obwohl man die ganze Zeit das Gefühl hat, er hätte selbst sein ganzes Leben lang, in einem hermetisch abgesicherten Zimmer verbracht. Sein verweichlichtes Herz und seinen archaisch-romantischen Blick behält Tornatore eben für immer.

18. Januar 2014

A SERIOUS MAN

Ethan Coen, Joel Coen  (USA, 2009)
Oder ist das der beste Coen-Film? Weil er alleine schon mit seinem allegorischen Prolog überraschen kann, wo in einem polnischen Schtetl, lange vor unserer Zeit, ein jüdisches Paar nachts von einem Gast besucht wird, über den man sich kurz zuvor gestritten hat, ob er wohl ein Dibbuk ist. Das ist allein atmosphärisch ziemlich interessant und ungewöhnlich. Draußen der Schnee im Dunkeln, die sparsam beleuchtete Behausung und der bärtige, alte Jude, der geisterhaft hereinplatzt.
Dann schwenken die Coens mehrere Jahrzehnte nach vorne und porträtieren von nun an die Leidensgeschichte des Mathematik- und Physikprofessors Larry Gopnik (Michael Stuhlbarg), auf den das Leben mit harten Schicksalsschlägen niederprasselt wie auf einen modernen Hiob. Er wird ebenso vor eine harte Prüfung gestellt: Seine Frau will sich von ihm scheiden lassen, sein Sohn kifft und hört Rockmusik, die Tochter klaut sein Geld für eine Schönheits-OP, ein südkoreanischer Student versucht ihn für eine bessere Note mit Geld zu bestechen und zu all dem gibt es noch seinen Bruder, der psychisch betrachtet auf wackeligen Beinen steht und sich öfters am illegalem Glücksspiel versucht. Larry steckt also mitten in einer zerschmetternden Lebenskrise; um endlich die nötigen Antworten auf all seine Fragen zu bekommen sucht er drei Rabbis auf.
Ein Mann sucht sich selbst, mitten in einer jüdischen Gemeinde im spießigen Kleinstadt-Amerika. Die Coens erzählen leise und bescheiden, doch dicht und ideenreich, ohne dass man am Inhalt ersticken würde. Sie stellen viele Fragen, verunsichern, überraschen, verweisen auf ihre eigenen, jüdischen Wurzeln und zeigen diese Welt in moderner Hülle, aber auch im alten Gewand. Sie lassen Damals und Heute aufeinanderprallen, wenn der ewige Rabbi hinter seinem von mystischen Gegenständen vollgestopften Schreibtisch den konfiszierten Walkman herausholt und an Larrys jungen Sohn übergibt.
Michael Stuhlbarg bleibt als gemarterter Held dieser verbitterter Welt eine Augenweide. Später wurde er in „Boardwalk Empire“ als Arnold Rothstein gemeingefährlich und blieb da als jüdische New Yorker Gangster-Legende seinen Wurzeln erneut treu.

16. Januar 2014

TATJANA

Aki Kaurismäki  (Finnland, 1994)
Genauso wie es der Automechaniker Reino (Matti Pellonpää) fertigbringt, kurz vor der Abfahrt mit seinem Freund Valto (Mato Valtonen), unnötige Autoteile herauszuschmeißen, nach dem er die Motorhaube öffnet, versteht es auch Kaurismäki, seine Handlung erneut aufs Wesentliche zu reduzieren und Überflüssiges gleich wegzulassen.
Hier ziehen zwei Finnen mit ihrem Wagen durch den Süden Finnlands, der eine trinkt Kaffee, der andere viel Alkohol, der eine schweigt, der andere redet. Der eine verschanzt sich im selbst erschaffenen Kokon, der andere bewahrt den letzten Funken Coolness im lässigen Schlaghosen-Outfit. Bloß das coole Auf-den-Boden-Spucken klappt noch nicht ganz; er besabbert sich dabei selbst.
Sie begegnen zwei Frauen, einer Russin und einer Estin (mal wieder Kati Outinen), die zum Hafen mitgenommen werden möchten. Man mag es kaum glauben, aber Kaurismäki schafft es beinahe jedes Mal, seinen Film mit einem davonfahrenden Schiff zu beenden; offensichtlich scheint Finnland ein Ort zu sein, den man schnell wieder verlassen möchte. Jedenfalls bilden die vier Reisenden eine ganz besondere Gruppe; die Frauen bemühen sich, kontaktfreudig und höflich zu sein, während die beiden Männer kaum eine der an sie gerichteten Fragen beantworten, sondern wie kleine Kinder schweigend auf den Boden starren, völlig überfordert vom anderen Geschlecht und den sprachlichen Barrieren. Reino kommentiert es schon bei der ersten Begegnung mit den Frauen: „Wer Russisch spricht, versteht sich selbst nicht.“
Kaurismäki erzählt dieses Mal in Schwarzweiß und bloß in knappen 60 Minuten Laufzeit, aber das scheint ihm völlig auszureichen, um dennoch eine voll funktionsfähige Geschichte erzählen zu können. Er schafft es vor allem nicht nur, vier Figuren beim schwerfälligen, gegenseitigen Herantasten zuzuschauen, sondern kann damit gleich die Verhältnisse dreier (Nachbar)Länder gegenüberstellen.

15. Januar 2014

LICHTER DER VORSTADT

Aki Kaurismäki  (Finnland, 2006)
Spätestens seit "Lichter der Vorstadt" wird Kaurismäki vorgeworfen, er würde sich in seinem Œuvre  bloß noch im Kreise drehen, als wäre er zusammen mit seinen Figuren zu Steinblöcken erstarrt und seine Geschichten ständig im gleichen Umfeld ansiedeln, von zu ähnlichen Problemen erzählen und jedes Thema mit gleicher, lakonischer Zurückhaltung angehen. "Lichter der Vorstadt" ist sicherlich auch nicht sein bester Film, aber der Schwachpunkt (wenn es einen gibt), liegt dann gerade in dem Versuch, den gewohnten Stil durch ein zusätzliches Element zu erweitern. Denn der Protagonist (Janne Hyytiäinen), der hier als Wachmann in einem Geschäftsviertel von Helsinki arbeitet und mit der Ödnis des Alltags, seiner trägen Existenz und den mangelnden sozialen Kontakten fertig werden muss, gerät durch einer Frau (Maria Järvenhelmi) in die Fängen einer verbrecherischen Organisation. Er ist der Mann, der Dank seines Jobs Zugang zu den umliegenden Juweliergeschäften hat. Die junge Frau ist also weniger an seiner ehrlichen Zuneigung interessiert, als viel mehr an dem dicken Schlüsselbund, der an seiner Hose baumelt.
Dieses Mal ist es nicht bloß ein Kampf um die eigene Existenz, sondern eine gefährliche Rauferei ums Überleben, weil es hier weniger um einen abstrakten Feind in Form gesellschaftlicher Ungerechtigkeit geht, sondern um die Auseinandersetzung mit einer greifbaren Gefahr, bzw. fiesen Typen mit noch fieseren Absichten. Eine klassische Gut & Böse-Geschichte also, mit einem wehrlosen, naiven Helden und einer hinterhältigen und natürlich blonden Femme Fatale.
Kaurismäki meets Film Noir, jedoch nicht in Schwarzweiß; ganz im Gegenteil: der Regisseur entdeckt hier die bunten Farben und nutzt sie als Kulisse, um seine selbsterschaffene Welt etwas heiterer zu gestalten. Dafür genügt auch schon eine zynische Blume in der Vase, die er seinen Figuren, als sich aufdrängendes Schmuckstück, vor die Nase stellt.

HAROLD UND MAUDE

Hal Ashby  (USA, 1971)
Hal Ashbys berühmtester Film. Wir erinnern uns an die Geschichte: Harold (Bud Cort) ist 19, stammt aus gutem Hause, wird von seiner Mutter verwöhnt, aber kaum geliebt oder umsorgt und entwickelt deswegen ein ausgeprägtes Interesse für den Tod. Um die Aufmerksamkeit der Mutter zu erwecken, inszeniert er makabre Selbstmord-Situationen, die wir als Zuschauer in ihrer überdramatisierten Art und der Gleichgültigkeit seiner Mutter irgendwie witzig finden sollen. Folk-Barde, Cat Stevens untermalt diese Augenblicke mit seinem berühmten Soundtrack aus hippiesken Gassenhauern, die das Leben, die Freiheit und das Individuum anpreisen.
Weil Harold oft zu Beerdigungen geht, begegnet er dort der 79-jährigen Maude (Ruth Gordon), die ebenso gerne solchen Zeremonien beiwohnt, die jedoch eine völlig entgegengesetzte Einstellung zum Leben hat. Sie ist selbst ein exzentrischer Außenseiter, der so einiges im Leben durchgemacht hat; eine vereinsamte Witwe, auf deren Arm Harold irgendwann eine KZ-Häftlings-Nummer findet. Dennoch ist sie dem Leben zugewandt, liebt alles was wächst und sich verändert, richtet also Harolds Blick auf die kleinen Dinge und zeigt ihm als erster Mensch wie man wirklich lebt.
Hal Ashbys Adaption des Colin Higgins-Schmökers und Klassikers der eingesessenen Englisch-Schullektüre, ist einer jener Filme, über deren Fehler man sich bei jedem Wiedersehen aufs Neue ärgern darf. Ashby scheint nämlich ein Regisseur gewesen zu sein, der von Szenen mit zu viel „Handlung“ und humoristischer Neigung sichtlich überfordert war. Man weiß zwar, was Ashby meint, doch die Inszenierung schwächelt dann in unausgereiften Regie-Schlampigkeiten. Oder der Film ist trotz seiner unkonventionellen Beziehungsgeschichte etwas in die Jahre gekommen. Schön bleibt er dennoch, weil Ruth Gordon dabei ist und weil der Teil Amerikas, den wir hier zu sehen bekommen, so herrlich ungemütlich ist.

14. Januar 2014

DER MANN OHNE VERGANGENHEIT

Aki Kaurismäki  (Finnland, Deutschland, Frankreich, 2002)
Weiterer Beitrag zur Helsinki-Trilogie. Dieses Mal eröffnet Kaurismäki seinen Film mit einem kräftigen Schlag auf den Hinterkopf; so radikal wurde nur selten ein Protagonist eingeleitet, dessen Vorgeschichte, Beruf und Name bereits von Anfang an vollständig ausgelöscht werden. Er wurde auf einer Parkbank sitzend überfallen und von seinen Peinigern brutal zusammengeschlagen. Doch tot ist unser namenloser Held (Markku Peltola) noch lange nicht. Er wacht im Krankenhaus aus seinem Koma auf und sorgt zunächst mit seinem mumienhaften Aussehen für reichlich altmodischen Trash-Horror-Humor, wenn er sich etwa die verbogene Nase im bandagierten Gesicht selbst zurechtbiegt.
Für Kaurismäki-Verhältnisse ist das ein groteskes und action-reiches Eröffnungsszenario, das schnell von einer Selbstfindungsgeschichte abgelöst wird. Der Namenlose leidet am kompletten Gedächtnisschwund und beginnt ein neues Leben am Rande des Existenzminimums. Er wohnt in einem rostigen Schrottcontainer nahe am Fluss und trägt Klamotten, die er von der Heilsarmee gespendet bekommt. Er lernt eine Heilsarmistin (Kati Outinen) kennen und gewöhnt sich zunehmend an das karge Umfeld und die schroffen Menschen aus der Unter-Unterschicht. Doch bevor er sich mit diesen neuen Umständen wirklich abfinden kann, holt ihn sein altes Leben doch noch wieder ein. Plötzlich hat er wieder einen Namen und eine greifbare Vergangenheit, an die er sich jedoch weiterhin nicht erinnern kann.
Kaurismäki blickt hier auf die schwächsten der Schwächen, deren Persönlichkeiten selbst immer ausgelöscht zu sein scheinen und als abgewetzte Gespenster am Rande ihrer selbst umhertaumeln. Lakonische Überlebenskunst getunkt im finnischen Neo-Realismus. Und es gibt wieder eine Menge Musik, weil sich der Mann ohne Vergangenheit in seinem neuen Dasein sogar als Bandmanager versucht.

BLANCANIEVES

Pablo Berger  (Spanien, Frankreich, 2012)
Pablo Berger muss wohl in Tränen ausgebrochen sein, als ihm Michel Hazanavicius mit "The Artist" zuvor kam; der Spanier konzipierte seinen Schneewitchen-Film zur gleichen Zeit, aber hielt den Gaul lieber noch im Stall bis das Gewitter um „The Artist“ nachließ und öffnete nun die Pforten. Heraus kam jedoch kein galoppierendes Pferd sondern ein stolzer, schwarzer Stier in eine spanische Arena hereinmarschiert. Welch eine Überraschung. Dann auch noch in Verbindung mit dem altbewährten Schneewittchen-Motiv. Was nicht passt, wird passend gemacht.
Berger erzählt zunächst von der kleinen Carmencita (Sofía Oria), Tochter eines berühmten Matadors, der bei einem Kampf vom Stier verwundet wird und von da an an den Rollstuhl gebunden ist. Ein gebrochener und verzweifelter Mann, der seine eigene Krankenschwester heiratet, von der er lediglich finanziell ausgenutzt wird. Die luxuriöse Villa, in der Beide leben, erinnert übrigens ein wenig an die archaisch-prunkvolle Behausung der Norma Desmond aus Billy Wilders "Sunset Boulverard"; immerhin auch ein Film, der vergangenen Stummfilmtagen nachweint.
Die kleine Carmencita wächst zunächst bei ihrer Großmutter auf (eine respektvolle Wiederbelebung der wunderbaren Angela Molina!) und wird nach deren Tod im Haus ihres Vaters aufgenommen, wo sie von nun an mit ihrer bösen Stiefmutter (Maribel Verdú) auskommen muss. Dieses herzlose Vamp übernimmt also die Funktion der Grimm'schen Hexe, einer selbstsüchtigen, herzlosen Diva, die nur an sich selbst interessiert ist und diese Charakterzüge in bester, überzeichneter Stummfilm-Manier zum Ausdruck bringt.
Damit das Familiendrama nicht Überhand nimmt, kommen die Zwerge dann auch noch ins Spiel, als kleine Horde, kleinwüchsiger Stierkämpfer, die mit ihrem Wagen von Ort zu Ort ziehen und denen sich die junge Frau (inzwischen von Macarena García gespielt) anschließt und als weiblicher Matador erfolgreich in die Fußstapfen ihres Vaters tritt. Hier wird der Film auch plötzlich amüsant. Bloß schade, dass die kleinen Männer (trotz der Farblosigkeit des Films) selbst ziemlich farblos bleiben; kaum einer von ihnen bleibt in nennenswerter Erinnerung.
„The Artist“ muss jedenfalls nicht ständig als Vergleich herhalten, denn während Hazanavicius' Film erzählerisch und stilistisch eine direkte Anlehnung an das Kino der 20er Jahre war, ist Bergers Werk zwar ein stummer Film, aber doch kein wirklicher „Stummfilm“ und damit auch nicht unbedingt eine direkte Hommage an die damalige Zeit. Dafür macht er sich viel zu viele Kamerafahrten und Bildmotive zu Nutze, die es in diesen längst vergangenen Tagen noch nicht wirklich gab.
Pablo Berger erzählt eine aus scheinbar unpassenden Elementen bestehende Geschichte, die dennoch zu funktionieren scheint. Entgegen des erwarteten Märchen-Klischees lässt er uns auch mit keinem sonnigen Happy End aus dem Kinosaal, sondern verharrt bei einem melancholischen Moment, denn wann hat man schon mal im Film eine Tote ihre letzte Träne weinen sehen.

13. Januar 2014

ONIBABA

Kaneto Shindō  (Japan, 1964)
Endlich wieder etwas aus Japan und sogar nicht von Kurosawa. Obwohl man den vielleicht trotzdem erwähnen könnte, weil sein „Schloss im Spinnwebwald“ mit der Erscheinung des schauderhaften Waldgeistes schon immer Lust auf japanische Gespenstergeschichten weckte. In „Onibaba“ wird der Dämon sogar zu einer personifizierten, zentralen Figur.
Japan im 14. Jahrhundert während eines Bürgerkrieges, Mitten im Nirgendwo, das heißt mitten in einer sumpfigen Schilflandschaft, wo eine junge Frau und ihre Schwiegermutter desertierten Samurais auflauern, sie töten, ihre Körper in ein dunkles Loch werfen und anschließend die gesamte Ausrüstung der ermordeten Krieger an einen Waffenhändler verkaufen.
Als schließlich ihr Nachbar Hachi aus dem Krieg zurückkehrt und die Nachricht überbringt, der Mann bzw. Sohn der beiden Frauen sei gefallen, ändern sich die Verhältnisse grundlegend und langsam aber sicher entwickelt sich eine Affäre zwischen Hachi und dem Mädchen. Um bei der eifersüchtigen Schwiegermutter keinen Verdacht zu erwecken, schleicht sich die junge Frau heimlich nachts aus der gemeinsamen Bambushütte und eilt auf leisen Sohlen zu ihrem Geliebten.
Irgendwann verläuft sich hier auch der Samurai mit der Dämonen-Maske, den die alte Frau in die todbringende Grube locken kann. Sie entwendet ihm die Maske und spukt von nun an nachts, in der Verkleidung eines Dämons, um ihre Schwiegertochter von den nächtlichen Gängen zu ihrem Geliebten abzuhalten. Die Alte ist nicht bloß eifersüchtig, sondern wird vor allem von Existenzängsten geplagt, denn sie weiß genau, dass sie alleine die Raubmorde nicht durchführen könnte. Doch ihre hinterhältige Tat wird mit einem Fluch bestraft; mehr will man auch nicht verraten, besser wenn man dieses eigenartige Märchen am eigenen Leib erleben kann.
Der gesamte Film scheint aus den sich im Wind sanft biegenden, hohen Gräsern zu bestehen. Das endlose Schilf bietet eine Kulisse der Extraklasse; es ist ein undurchschaubarer Irrgarten, eine vor sich hin wuchernde Monotonie, die lediglich vom Mensch selbst durchbrochen werden kann. Überall hinter dem Schilfdickicht kann etwas Böses lauern und wenn die Nacht einbricht, kann man nur noch hoffen, dass die grell scheinende Mondsichel einem den Weg nach Hause ausleuchtet, bevor man jemandem falschen begegnet, oder auf dem Skeletthaufen der endlos tiefen Grube aufschlägt.

DIE TEUFLISCHEN

Henri-Georges Clouzot  (Frankreich, 1955)
Der morbide Klassiker von Clouzot, bei dem uns ein Schauer über den Rücken laufen soll (was er auch tut!) und außerdem auch noch ein Film, der sich zu seiner Zeit nicht vor Hitchcocks blutigen Messersticheleien verstecken muss. Ganz im Gegenteil: der Meister des Suspence war selbst großer Fan von den "Teuflischen".
Im Mittelpunkt steht die herzkranke Christine (Véra Clouzot, Ehefrau des Regisseurs!), Lehrerin an einer französischen Privatschule für Jungen und hier Ehefrau des Schuldirektors, Michel Delasalle (Paul Meurisse), eines sadistischen Tyrannen, der seine Frau nicht gerade vorbildlich behandelt. Hinzu kommt noch die Figur der Nicole (Simone Signoret), ebenfalls Lehrerin und, nebenbei erwähnt, die Geliebte von Michel. Beide Frauen tun sich schließlich zusammen und entwickeln einen äußerst ausgetüftelten Mordplan, um den widerspenstigen Michel aus dem Weg zu räumen. Christine ist das vor Angst zitternde Häufchen Elend, während Nicole deutliche Femme Fatale-Züge trägt.
Und schon bald kommen sie schon, die Szenen, für die der Film so berühmt wurde: zwei Frauen, die einen Mann vergiften, ihn in der Badewanne ertränken, die Leiche heimlich im Auto befördern und sie schließlich im Schwimmbecken der Schule versenken. Alles scheint perfekt geplant zu sein, bis dann alles doch anders verläuft als man es sich gewünscht hätte. Der Film wird zunehmend mysteriöser und schwärzer, gar verwirrender. Clouzot weiß genau, wie man den Zuschauer auf die Folter spannt, bis die endgültige Auflösung dann doch noch mit der erhofften Krimi-Logik befriedigen kann. Da merkt man zumindest, dass der Film trotz seiner überraschenden Wendungen ungemein konsequent bleibt.
Das Ganze ist außerdem stark an Schauermärchen der Stummfilmzeit angelehnt, denn wenn Véra Clouzot mit ihrem gespenstisch bleichen Teint und den dunklen, messerscharfen Lippen durch das von finsteren Schatten regierte Haus umherschleicht, erinnern wir uns gerne an Murnau und Lang. Der Film vereint ohnehin vieles in einem: Psycho-Thriller, Horror, Dreiecks-Intrigen und so manch ein Film Noir-Element. Es ist ein düsteres Genre-Bündel und gehaltvoller als so manch ein Hitchcock.

12. Januar 2014

WOLKEN ZIEHEN VORÜBER

Aki Kaurismäki  (Finnland, Deutschland, Frankreich, 1996)
Erster Teil von Kaurismäkis Finnland-Trilogie. Im Nachhinein zufällig entdeckt, dass der Film überhaupt zu so etwas dazugehört.
Wie immer komplett ohne Ausschmückungen erzählt uns der große Finne von zwei Menschen, die plötzlich in die Arbeitslosigkeit gedrängt werden. Ilona (Kati Outinen) war Oberkellnerin in einem noblen Restaurant, ihr Mann, Lauri (Kari Väänänen) Straßenbahnfahrer. Das Restaurant macht Konkurs und der Verkehrsbetrieb muss Fahrer entlassen, weil viele Strecken nicht mehr befahren werden sollen. Kaurismäki verzichtet auf zusätzliche Handlungsstränge und inhaltliche Verzweigungen, sondern schaut geradewegs nach vorne und thematisiert beide Leidenswege, die kommenden Bewerbungsgespräche, die schimmernde Hoffnung und das Scheitern, den Kampf mit Behörden, ein bevorstehendes Existenzminimum, bis ein ehemaliger Mitarbeiter von Ilona sie auf die Idee bringt, ein eigenes Restaurant zu eröffnen.
Outinen und Väänänen meistern ihre Rollen mit Bravour; es sind mal wieder jene Kaurismäki-Gesichter, in denen sich kaum etwas regt, selbst wenn das Leben hart zuschlägt. Jede Enttäuschung oder dramatische Wende nehmen sie mit steinernen Mimik auf, so entsteht aber auch niemals Zwist zwischen dem Ehepaar; beide sind stets füreinander da und ergänzen sich, so dass eine sichtbare Resignation von einem inneren Kampfgeist überrumpelt wird.
Die Wolken ziehen irgendwann wirklich vorüber, aber diese Wiederauferstehung sei beiden nach langem Leidensweg unbedingt gegönnt. Platz für seinen lakonischen Humor findet Kaurismäki auch noch und bewegt sich mit seiner schwermütigen Geschichte so nahe am echten Leben wie man in einem Film nur sein kann.

THE BROWN BUNNY

Vincent Gallo  (USA, 2005)
Um Vincent Gallo herrscht mittlerweile ziemlich viel Stille; die Zeiten der großen Provokationen sind irgendwie vorbei. "Brown Bunny" war einer dieser Höhepunkte wegen seiner berühmt berüchtigten Fellatio-Szene mit Chloë Sevigny und den verbalen Kämpfen zwischen dem Regisseur und Filmkritikern. Viele Leute waren verstört und verließen das Kino fluchtartig. Wenn man den Film nun zum ersten Mal sieht, weiß man, dass man geradewegs auf diese Szene zusteuert, doch Gallo positioniert sie fast am Ende; sein "Höhepunkt" wird zum filmischen Höhepunkt, zum erlösenden Showdown, weil Gallo sich danach nur noch (oder endlich!) auf dem Bett krümmt und mit winselnder Stimme seine schattige Vergangenheit resümiert.
Ansonsten ist das aber kein schlechter Film, sondern vor allem eine Einsamkeitsstudie im Schneckentempo, der Gallo nicht mal mit seiner rasanten Motorrad-Testfahrt in der Wüste entgegenwirken kann. Er ist der ewig Reisende, der währen seiner Fahrt die wenigen und kurzen Frauenbekanntschaften schnell wieder hinter sich lässt und schweigend immer weiterfährt, denn sein Herz ist immer noch bei Daisy (Sevigny), deren Eltern er sogar besucht, die ihn jedoch nicht wiederzuerkennen scheinen. All diese Leere streckt Gallo zeitlich so weit auseinander, bis eine beängstigende Unruhe erzeugt wird und die oft ungewöhnlich angeschnittenen Bildmotive ergänzen den unbeugsamen Erzählfluss.
Ein sperriges, mies gelauntes Kino; mehr Seelen-Impression als Film und  natürlich lange nicht so gut wie damals „Buffalo 66“.