31. Juli 2011

BIS ZUM LETZTEN MANN

John Ford (USA, 1948)
Henry Fonda macht ne gute Figur in der Uniform eines Kavallerieoffiziers, wird jedoch zum Oberleutnant zurückgestuft und ins Fort Apache abkommandiert, was eine große Demütigung für einen Menschen darstellt, dessen Welt aus militärischen Errungenschaften und Rangordnungen zu bestehen scheint. Hier macht er sich durch seine pingelig-kleinkarierte Art und den Drang, alle Menschen in Kategorien zu stecken, wenig Freunde. Zu ärgerlich, dass zusätzlich noch seine bildhübsche Tochter (Shirley Temple) einem jungen Leutnant verfällt und die beiden den Versuch wagen, alleine in dieser gefährlichen Gegend auszureiten, obwohl die Apachen auf dem Kriegspfad sind. Da weiß man auch nicht mehr, wer eine größere Gefahr darstellt und wen man unsympathischer finden sollte: den beamtenhaften Henry Fonda oder einen ganzen Indianerstamm.
An dieser Stelle kommt es wieder zu der Ford'schen Schwarzweiß-Malerei, weil er mal wieder die Legende den Tatsachen vorzieht. Die amerikanischen Ureinwohner sind eben unzivilisierte Monster, die bei Verhandlungen auf keine Vorderrungen eingehen (Rückzug ins Reservat) und somit einen großen Kampf provozieren.
Zwar wie immer unterhaltsam aber der Film stellt sich selbst ein Bein und wird zum Opfer seiner eigenen Problematik um militärische Ränge und Formalitäten. Das ist zwar immer noch John Ford, aber schlecht durchblutet und kühl-trocken gelagert.

26. Juli 2011

TROMMELN AM MOHAWK

John Ford (USA, 1939)
Gilbert (Henry Fonda) heiratet Lana (Claudette Colbert), eine Tochter aus gutem Haus und zieht mit ihr in sein abgelegenes Blockhaus am Mohawk River. Die junge Frau muss sich hier auf vollkommen andere Lebensbedienungen einstellen, sich mit den Einheimischen der Umgebung sowie kampfwütigen Indianern herumplagen. Ihr Mann wird schließlich selbst zu den Kolonisten einberufen, muss in den Kampf gegen die Indianer ziehen, während die Frauen einsam und erwartungsvoll auf der Veranda sitzen oder aus den Fenstern nach ihren zurückkehrenden Männern spähen.
Es wäre kein John Ford Film, wenn es nicht wieder eine Figur geben würde, die die Handlung aus der Starre des Western-Genre herausholen würde. In dem Fall ist es die alte Witwe McKlennar (Edna May Oliver), auf deren Farm das junge Ehepaar lebt und arbeitet, nachdem ihr eigenes Haus niedergebrannt wurde. Eine abgehärtete Frau, die mit eisernen Faust und loser Zunge ihr Land verteidigt.
Die Optik von Farbfilmen der 30er Jahre hat oft etwas furchtbar altbackenes. Im Gegensatz zu Schwarzweiß-Filmen sind sie ziemlich fade ausgeleuchtet worunter die Fotografie und letztendlich der gesamte Film leidet, egal wie gut die Kameraführung sein mag.
Deswegen war auch bei diesem John Ford-Streifen meine erster Eindruck etwas skeptisch. Doch es ist kein alter Stingstiefel sondern wie gewohnt bei Ford ein recht modernes Erzählkino, zwar von einem großen Kind inszeniert aber seiner Zeit voraus, auch wenn mittlerweile eine sympathische Staubschicht das Ganze überdeckt.

25. Juli 2011

OLD JOY

Kelly Reichardt (USA, 2006)
Alle Oldham/Prince Billy/Palace(und wie er sonst so heißt)-Fans heulen hier jubelnd auf: Will Odlham mit Wanderrucksack im Wald. Der sperrige Singer-Songwrier-Kauz in einer filmischen Hauptrolle, wie er als Kurt mit seinem alten Freund Mark (Daniel London) ein Camping-Wochenende in der Wildnis von Oregon unternimmt, um die alte Freundschaft wieder zum Leben zu erwecken. Doch alte Bekanntschaften lassen sich oft sehr mühevoll erzwängen, was bleibt ist Anspannung, ein Aneinander-Vorbeireden und Stille.
Herausgekommen ist dabei ein kleiner Film, der in seiner minimalistischen Art nicht wirklich etwas falsch machen kann, aber deswegen auch kaum Risikobereitschaft zeigt. Er schickt zwei Typen mit Camperausrüstung in die unbekannte Wildnis, in der jedoch die einzige Gefahr durch ihre Kommunikationsarmut ausgeht. Sie kämpfen sich durch die wilden Pfade des Waldes und ihrer selbst, doch am Ende trennt sich wieder dieser mühevolle Gehweg (oder Gehversuch).
Auch wenn es in diesem faulen Film paradox wirkt: die Ruhepause gönnen wir uns mit Oldham und London an den heißen Quellen, wenn sie an der Bierflasche nippend ins dampfende Bad steigen. Schöne und entspannende Szene.

21. Juli 2011

PALERMO SHOOTING

Wim Wenders (Deutschland, Italien 2008)
Es muss so gewesen sein: zwei waschechte Düsseldorfer traffen sich zum Bierchen an der Düsseldorfer KÖ oder auf einer Parkbank direkt am Rhein, klopften sich auf die Schulter und lobten die Arbeit des anderes, versanken schließlich gemeinsam in Düsseldorfer-Erinnerungen und tauschten Heimat-Erfahrungen aus. Dann hieß es plötzlich: lass uns gemeinsam etwas machen, was unser Heimatstadt wenigstens ein kleines Denkmal setzen könnte!
Heraus kam zwar kein Denkmal (weder ein filmisches noch eins für Düsseldorf), aber dafür immerhin einer der schlechtesten Wenders-Filme.
Der andere Düsseldorfer ist die tote Hose Campino, in der Hauptrolle des renomierten Fotografen Finn, der mit dem (Erfolgs)Druck seines Jobs nicht mehr umgehen kann, von düsteren Todesvisionen geplagt wird, sich einerseits einsam fühlt und sich anderseits gerne selbst entschlüsseln würde. Es folgt der unvermeidliche Selbstfindungstrip, der ihn nach Palermo führt.
Und Campino macht das noch nicht mal so schlecht, auch wenn man sieht, dass Wenders viel Rücksicht auf die mangelnde Filmerfahrung des ewigen Möchtegern-Punks nimmt; aber er bleibt eben immer Campino. Statt sich wirklich auf die (leider dürftige) Geschichte einzulassen, beobachtet man vordergründig die Leistung des Hauptdarstellers.
Dennis Hopper spielt ironischerweise den Tod in Person (dabei ist es einer seiner letzten Leinwandauftritte) und man merkt dann auch wie klitzeklein und bedeutungslos Campino auf einmal wird. Einen Vorteil hat der Film: wenistens wird der Hosen-Frontmann noch seinen Enkeln davon erzählen können, von Dennis Hopper in den Arm genommen worden zu sein.

20. Juli 2011

DAS GEHEIMNIS DER FALSCHEN BRAUT

François Truffaut (Frankreich, 1969)
Den Film hat Truffaut eigentlich am besten selbst umschrieben: „Ich will den Hitchcock-Verächtern gegenüber gern zugeben, dass seine Filme Comic Strips ähneln, aber Comic Strips sind ideal und großartig.“
Auch wenn es sicherlich großartigere Truffaut-Filme gibt, unterhält dieser vermutlich wirklich durch seine Verbeugung vor dem Suspence-Meister und seine exotische Kulisse, nämlich die Insel Réunion (östlich von Madagaskar), auf der Belmondo als Zigarettenfabrikant, sich dank einer Zeitungsannonce (er sucht sie, bzw sie sucht ihn) die junge Deneuve herbeizaubert.
Réunion steht ja auch für „Insel der Zusammenkunft" und die gibt es dann auch in Form einer Blitzhochzeit der beiden, doch wäre das viel zu banal und nichts sagend, wenn nicht kurz danach eine ungemütliche Wahrheit ans Tageslicht kommen würde. Alles was folgt bietet eine Menge Spoiler-Gefahrt, daher schweigt man besser.
Am Ende ist das sogar nicht nur Hitchcock, sondern auch bisschen Godard wie in "Elf Uhr Nachts" und bekommt Gebrüder Grimm-Charakter: die Hitchcock'sche kühle Blonde wird zur Deneuve-Hexe. Das warme Inselklima schwappt über ins kühl-winterliche und Belmondo entdeckt sogar in einer verlassenen Waldhütte eine seltene Ausgabe von Balsacs „Das Chagrinleder“, aus der er Deneuve vorlesen möchte. Was will man mehr.

19. Juli 2011

IM ZEICHEN DES BÖSEN

Orson Welles (USA, 1958)
Orson Welles reanimierte mit diesem Werk den bereits beerdigten Film Noir, doch erschuf natürlich wie gewohnt etwas ganz eigenes, und ebenso wie gewohnt handwerklich perfektes. Welles blieb jedes Mal das Enfante Terrible des Films; ein exzentrischer, hochtalentierter Außenseiter immer auf eigenem Pfad schreitend, der bei seinen späteren Produktionen leider oft in einer (finanziellen) Sackgasse endete.
Doch hier brilliert er erstmal mit einem großartig inszenierten, erzählten und fotografierten Genrefilm. Er beherrschte sein Handwerk einfach so gut, dass man am Ende auch gar nicht mehr weiß, ob die Geschichte wirklich stimmig ist. Doch hier muss man sich nicht unbedingt näher an den Fernseher setzen, wie das bei Filmen dieser Gattung oft empfehlenswert ist; der Film ist handwerklich stark genug, um von verworrenen Handlungsverzweigungen abzulenken.
Und witzig, dass er mit Janet Leighs Charakter das vorwegnimmt, was ihr zwei Jahre später bei Hitchcock erneut passieren sollte: auch hier steigt sie in einem einsamen Motel ab, wird zwar nicht von Anthony Perkins in Frauenkleidern erstochen, aber immerhin von mexikanischen Gangstern mit Drogen voll gepumpt.
Den Hauptschurken spielt Orson Welles selbst; einen korrupten und rassistischen Polizei-Captain, der das Gesetz in einer Kleinstadt an der amerikanisch-mexikanischen Grenze vertritt und sich mit dem Rauschgiftfahnder Vargas (Charlton Heston, kaum wieder zu erkennen als eingefärbter Mexikaner) herumplagen muss, da dieser viel zu sehr in der betrügerischen Vergangenheit des Gesetzeshüters herumschnüffelt.
Und egal welche kauzigen Figuren in dieser Geschichte aus den schattigen Winkeln heraus kriechen (auch toll: Marlene Dietrich als Zigeuner-Wahrsagerin), letztendlich bleibt es ein Zweitkampf zwischen Welles und Heston. Oder ein Zweitkampf zwischen Welles und der amerikanischen Filmindustrie, da dieser wunderbare Film sein letzter sein sollte, bevor Welles Hollywood den Rücken zukehrte.

17. Juli 2011

In Tomanien spricht man Tomanisch

Chaplins größter Film „Der große Diktator“ (USA, 1940) ist eh schon todgequatscht, man kann sich nur noch wiederholen. Trotzdem ist es immer gut, die ewigen Monumente vom Grünzeug zu befreien, deswegen erinnere ich hier an einen ganz bestimmten Aspekt dieses Filmes, nämlich die tomanische Sprache; eine Art Grammelot, den Chaplin alias Anton Hynkel in diesem Film spricht. Tomanisch ist eine haarsträubende Mixtur aus Deutsch und Englisch, bei deren Verständnisversuchen man stets auf der Strecke bleibt, die jedoch hin und wieder echte deutsche Begriffe einschleust, die den Witz und die satirische Intention zusätzlich hervorheben.
Wenn der Diktator vom Podium zum Volk spricht, tauchen in dem unverständlichen Kauderwelsch Begriffe auf wie: „Wiener Schnitzel“, „Sauerkraut“, „Blitzkrieg“, „straff“, „Leberwurst“, „Stolz“, „Katzenjammer“, sowie das Kunstwort "Schtonk", das Helmut Dietl in den 90er Jahren für seinen Film als Titel verwendete.
Der Wahnsinn geht aber weiter und parodiert ebenso Namen von Orten sowie den führenden Nazi-Haufen. Schließlich ist Tomanisch die Sprache, die man in Tomanien (Anspielung auf „Germania“, sowie "Ptomain" = Leichengift) spricht. Italien heißt bei Chaplin "Bakteria", Österreich "Osterlitsch", aus Rom wurde "Aroma" und Salzburg mutierte zu "Bretzelberg". Adolf Hitler heißt "Anton Hynkel", Benito Mussolini "Benzino Napolon", Hermann Göring wurde zu "Feldmarschall Herin" und Dr. Joseph Goebbels zu "Dr. Gorbitsch" (US-engl. garbage = Müll).
Die Frage aller Fragen ist aber ob wohl Hitler über all das auch so köstlich lachen konnte; schließlich gibt es Nachweise dafür, dass er Chaplins Film zweimal für eine private Vorführung angefordert hatte. Wie viel Spielzeit er dabei durchhielt, oder ob er ihn sogar bis zum Ende gesehen hat, bleibt leider ein ewiges Geheimnis.

14. Juli 2011

HOTEL NEW HAMPSHIRE

Tony Richardson (USA, 1984)
War mein erster Irving, ich war 16 oder so. Erstaunlicherweise kreist die Gesamthandlung und viele Einzelszenen bis heute im Kopf, was eigentlich für das Buch spricht. Irgendwann erfuhr ich, dass ausgerechnet der British New Wave- Mitstreiter Tony Richardson den Schmöker verfilmt hatte. Die erste Sichtung war eine herbe Enttäuschung; vermutlich waren die Bucheindrücke noch viel zu frisch und ließen keine Fremdinterpretation dieser Geschichte zu.
Nun erneut gesehen und erneut am Kopf gekratzt. Nett anzusehen ist das ganze ja, aber am Ende ärgert man sich doch, dass die Vorlage immer noch relativ präsent geblieben ist; man vergleicht und vermisst.
Es ist die Geschichte der Familie Berry, die an verschiedenen Orten der USA (wie auch in Wien) Hotels führt, darin wohnt und sich mit den skurril-exzentrischen Eigenschaften ihrer selbst, sowie den Merkwürdigkeiten der Hotelbesucher herumplagt.
Damals war Irving noch auf der Höhe seiner Kreativität, was mit weiteren Romanen leider öfters abschlaffte. Das merkt man auch dem Film an: Als eine Art Zusammenfassung gibt er immerhin einen guten Überblick über die Gesamthandlung, schafft es aber lediglich, die Figuren und deren Probleme grob zu skizzieren; versetzt sie in die grotesken, Irving'schen Situationen, aber dann ist der Film leider auch schon wieder vorbei.
Und was bleibt? Ein Versuch in Form einer braven, abendfüllenden Unterhaltung mit überdreht altertümlichen Slapstickeinlagen. Nastassja Kinski ins Bärenkostüm zu stecken, ist wenigstens ein sehenswerter Einfall. Das Schwitzen hat sich ein wenig gelohnt. (als Zuschauer und das von Nastassja im dicken Fell).

11. Juli 2011

THE TREE OF LIFE

Terrence Malick (USA, 2011)
Zu aller erst: Der Vergleich zu Kazans "Jenseits von Eden" und Kubricks "2001", den man hin und wieder aufschnappt, hinkt noch nicht mal so sehr: immerhin heuerte Malick den gleichen Spezialeffekt-Künstler an, der bereits in den 60ern an Kubricks Weltraums-Odyssee mitgewirkt hatte. Und die Tragödie einer amerikanischen Middle Class-Familie der 50er, um einen dominanten Vater, der mit harter Stränge seine Söhne erzieht, hat sicherlich auch was von der Steinbeck-Verfilmung mit James Dean.
Was aber "Tree of Life" so rätselhaft macht ist gerade der Mix aus beidem; dieser radikale Eingriff, beides miteinander verwoben zu haben, so dass trotzdem eine narrative Gesamtheit bleibt: eine allumfassende Schöpfungsgeschichte, die irgendwo im Verlauf der Zeit so etwas banales wie eine Familientragödie hervorgebracht hat. Eine Familientragödie mit der Bedeutung eines einzelnen Sandkorns (wenn man es im Verhältnis betrachtet), die mit der Geburt und dem Aufwachsen der Söhne eine eigene Schöpfungsgeschichte in sich trägt und letztendlich einen klitzekleinen Beitrag zur Gesamtheit beiträgt; ein mikroskopisches Zahnrad an einer ewigen Uhr, das dennoch seine Bedeutsamkeit hat.
Der stets zielstrebige Familienvater wird am Ende schließlich von seiner hochrangigen Stelle als Ingenieur entlassen und versagt auch als Autoritätsperson. Ein gefallenes Vorbild lebenslänglicher Schufterei, die ins nichts führt. Die Bedeutung und Reichweite dessen aufs gesamte Universum, findet man komischerweise schon bei Woody Allens "Stadtneurotiker" wieder, wo Klein-Woody sich nicht mehr mit der Schulbildung plagen will, weil das Universum sowieso expandiert.
Stilistisch und handwerklich ist "Tree of Life" sicherlich grenzüberschreitend; Malick überwindet mit schwebender Leichtigkeit alle erzählerischen und bildästhetischen Konventionen, schafft etwas überstilisiertes, lässt Kitsch und Pathos hinter sich und kommt in einer eigenen, neuen Welt an.
Als Zuschauer muss man sich hier erstmal neu orientieren, was nicht leicht fällt, aber doch befriedigt, weil man weiß, dass man nach dem ersten Sehen noch lange nicht mit dem Film abgeschlossen hat. So vieles ist noch offen und liegt verborgen.
Zu schade, dass Malick nach jedem Film einem kreativen Dornröschenschlaf verfällt und somit ständig überholt wird, denn trotz seiner Genrevielfalt kann er leider niemals ein neuer Kubrick werden. Muss er aber nicht. Er ist ja auch Terrence Malick.

6. Juli 2011

MOSQUITO COAST

Peter Weir (USA, 1986)
Harrison Ford als verrückt-exzentrischer Erfinder/Techniker; das hat bisschen was von einer irdischen Weiterführung seiner Han Solo-Figur. Peter Weir schickt ihn hier mit Frau (Hellen Mirren) und seinen Kindern (u.a. River Phoenix) in den Dschungel von Honduras, weil Ford den amerikanischen Konsum nicht mehr ertragen kann und seine technischen Erfindungen als Hexenwerk dauernd auf Ablehnung stoßen.
Im Regenwald kauft er eine ganze "Stadt" im Gebiet, das sich Mosquitia nennt, um gleich bei der Ankunft festzustellen, dass es sich dabei lediglich um paar runtergekommene Hütten handelt. Voller Tatendrang kann er aber seine Familie und die Einheimischen dazu motivieren, aus dem verwilderten Fleckchen Erde eine behagliche, eigene Welt zu erschaffen und darüber hinaus seine Erfindung, (eine Kältemaschine, die Wärme zu Eis umwandeln kann), in kolossalen Ausmaßen zu bauen.
Diese jungfräuliche, selbst erschaffene Welt, die aus dem Nichts erbaut wurde, zieht erst mal alle begeistert in ihren Bann, doch wie jede Utopie ist sie irgendwann dem Untergang geweiht. Harrison Ford wird zum despotischen Irren, der ungeachtet auf die Bedürfnisse seiner Familie nur noch seine eigenen Ziele verfolgt und somit geradewegs auf den Abgrund zusteuert.
Das ist einerseits fesselnd, anderseits furchtbar banal. Ein moralisierender Ökofilm, mit einem besserwisserischen Protagonisten, der immer Recht hat, den man aber nie ernst nehmen kann, weil man genau weiß, dass es böse für ihn enden wird.
Schade auch, dass andere Figuren kaum nennenswerte Eigenschaften entwickeln, weil es ein ständiger Kampf von Harrison Ford gegen den Rest der Welt bleibt. Selbst jemand wie River Phoenix bleibt bloß ein hölzernes Kind, das sich zaghaft aufzulehnen schafft, aber immer in Vaters (oder H. Fords!) Schatten steht.

5. Juli 2011

NACKT

Mike Leigh (Großbritannien, 1993)
Mike Leighs "Another Year" ist ja eine Sache, aber sein "Nackt" ist ja noch ein weiterer Schritt oder sogar ein gigantischer Sprung in den Abgrund. Dieser Regisseur scheint jedenfalls jemand zu sein, der während Englands sorgenloser Tea-Time lieber am Tisch ruckelt, um den Inhalt der Tassen auf den makellos gedeckten Tisch zu verschütten.
David Thewlis lernte ich vor Jahren als Paul Verlaine in "Total Eclipse" kennen und schätzen, sah ihn anschließend in einigen mehr oder minder guten Nebenrollen und wünschte mir, ihn endlich mal wieder in einer überzeugenden Hauptrolle zu sehen. Dabei war "Nackt" immer allgegenwärtig, bloß zusammen mit Mike Leigh ein unentdecktes Territorium.
Nun habe ich hier meinen lang erhofften David Thewlis, wahrscheinlich in dem besten Film, der ihm passieren konnte. Als Johnny schlendert er durch die (meistens nächtlichen) Straßen von London, immer auf der Suche nach einer Bleibe und einem geduldigen Zuhörer. Er zankt sich mit seiner Ex-Freundin, ihren Mitbewohnerinnen und jedem, der ihm in der Stadt über den Weg läuft. Sein Sarkasmus dreht jeden Satz seines Gesprächspartners durch den Fleischwolf und belächelt dabei bereits dessen Eloquenz, bevor er schließlich auch den Inhalt seziert. Er zwängt jedem seinen ausweglosen Nihilismus und seine pessimistische Weltsicht auf, bombardiert seine erwählten Zuhörer mit finsteren Prophezeiungen oder schockierenden Fakten, die er zu jedem Lebensthema wie aus dem Hut herbeizaubert. ("Egal wo man sich in London aufhält; man ist ständig 10 Meter entfernt von einer Ratte").
Und auch wenn er am Ende die Konsequenzen seines Auftretens und seines Menschenumgangs tragen muss, ist er letztendlich das Opfer eines Mike Leigh-Films, der lauter Fragen aufwirft und seinen Film bloß mit einem schmerzenden Humpelbein ins Nichts hinauslaufen lässt; wie unseren Held Johnny. Der Weg ist noch lange nicht zu Ende und muss weiterhin bewältigt werden, aber mit einer Wunde mehr.