22. Dezember 2013

CALAMARI UNION

Aki Kaurismäki  (Finnland, 1985)
Kaurismäki im (über)ambitionierten Anfangsstadium. Es geht um 18 Männer (17 davon heißen Frank!), die beschließen, ihre Stadt hinter sich zulassen, weil sie sich eingeengt fühlen, weil ihnen die Luft zum Atmen fehlt und weil sie von den überfüllten Straßen vollkommen überfordert sind und deswegen die Küste  erreichen wollen, wo angeblich das erhoffte Paradies auf sie wartet. Ihre Wege trennen sich, nachdem sie zuerst eine U-Bahn entführen, aus der sie an der letzten Haltestelle gemeinsam aussteigen und sich von nun an auf eigene Faust durchschlagen. Anstatt sich das Leben leicht zu machen, wählen sie jedoch meisten einen indirekten Weg, bei dem ständig neue Hürden zu überwinden sind. Die Franks scheitern nach und nach bei ihrem gigantischen Vorhaben. Sie versagen, werden zusammengeschlagen, erschossen, begehen Selbstmord. Nur zwei von ihnen kommen am Ziel an, wo leider nichts so ist, wie sie es erwartet hätten.
Wenn man Godard und Fassbinder in einen Raum sperren und nach gewisser Zeit die Tür öffnen würde, wäre vielleicht so etwas dabei herausgekommen. Kaurismäkis erste Anläufe muss man deswegen nicht unbedingt gleich als eklektisch bezeichnen und doch freut man sich, dass er bei weiteren Filmen einen anderen und vor allem eigenen Weg eingeschlagen ist. Zumindest beweist diese Anlehnung an eigene Vorbilder, dass ein finnischer Film aus den 80ern problemlos wie ein französischer aus den frühen 60ern aussehen kann, und das muss man diesem Regisseur erstmal nachmachen.

INSIDE LLEWYN DAVIS

Ethan Coen, Joel Coen  (USA, 2013)
Die Coens fabrizieren ihre kleinen Geschichte mittlerweile fast im Akkord. In einer kurzen Besinnungspause fragt man sich sofort, ob es wohl wieder etwas neues gibt. Enttäuscht wird man nie; zumindest was Zuverlässigkeit der kreativen Produktivität angeht.
Jetzt legen die Brüder ein Portrait der amerikanischen Folk-Bewegung Anfang der 60er Jahre hin, kurz bevor Dylan als Galionsfigur auserwählt wurde, aber weitgehend ohne dass man sich an weiteren realen Stars jener Szene festklammern darf. Dylan taucht hier lediglich am Ende als dunkle Silhouette auf. Man hört ihn auch singen, doch die Cohens lösen das geschickt; er vertont nur die letzte Szene, er wird nur angedeutet, ohne gleich als Legende ausgeschlachtet zu werden.
Die Folk-Barden in all den Kneipen und Cafés von Greenwich Village, die als thematisches Fundament dienen, retten den Film aber nicht vor seiner Unentschlossenheit. Einerseits blickt er zweiäugig auf die damalige Musikszene, bei der die Coens nicht davor zurückschrecken, alle gespielten Songs auch wirklich in voller Länge auszuspielen. Damals war man ja noch kultiviert, hörte schweigend und konzentriert dem Künstler zu, bis zum allerletzten Akkord. Dann wiederum gibt es die Sache mit der Katze, als Bindestück und inhaltlicher Lückenfüller, damit es einen Grund gibt, wegen dem die Hauptfigur des Llewyn Davis von einem Ort zum anderen torkeln kann, weil er den verflixten Kater entweder sucht oder ihm hechelnd hinterherrennt. Die Katze wurde hinzugefügt, weil die Handlung sonst zu dünn wäre, meinen die Cohens. Was vielleicht auch stimmt. Die komödiantischen Verschnaufpausen sind damit zumindest gesetzt.
Später lässt Llewyn alles hinter sich, selbst seine mittlerweile schwangere Ex-Freundin (Carrey Mulligan), die ihm ohnehin bloß mit Zorn entgegentritt. Eine Wohnung kommt für ihn auch nicht mehr in Frage, er schläft auf einer Couch ein und wacht auf der nächsten wieder auf, bis er irgendwann plötzlich im Wagen zweier Jazzmusiker sitzt (einer von ihnen ist John Goodman... alt geworden). Es geht Richtung Chicago, bzw. Richtung Musik-Manager Bud Grossman (F. Murray Abraham... noch älter geworden). Die Fahrt dehnt sich ins Unendliche, die Sequenz ebenso und plötzlich sind wir mitten in einem Roadmovie; ein unproportionaler Genre-Wechsel, was irgendwie irritiert. Am Ende ist es dennoch ein zusammenhängender Film geworden, mit schönen Songs und netten Einfällen, aber, wie immer bei den Cohens, weit ab vom Meisterwerk.

16. Dezember 2013

DAS MÄDCHEN AUS DER STREICHHOLZFABRIK

Aki Kaurismäki  (Finnland, Schweden, 1990)
Kaurismäki beginnt seinen Film reportageartig, wenn er aus voller Nähe die polternden Maschinen und Förderbänder einer Streichholz-Fabrik einfängt. Zuerst nur Maschinen, keine Menschen, dann plötzlich schwenkt die Kamera doch nach oben und wir sehen Iris (Kati Outinen), wie sie die an ihr vorbeiziehenden, endlose Streichholzschachteln kontrolliert.
Dieser nicht endende Trott findet sich dann auch in ihrem Privatleben wieder, wenn sie nach der Arbeit nach Hause kommt, schweigend am Essenstisch mit den Eltern sitzt, sich vorm Spiegel zurecht macht und zur Tanzveranstaltung geht, wo jedes Mal ein Mann fehlt, der sie zum Tanz auffordern könnte, so dass sie wieder enttäuscht zu Hause ankommt und betrübt unter die Bettdecke kriecht, bevor der Arbeitsalltag wieder losgeht.
Einen radikalen Ausbruch aus dieser Starre wagt Iris dennoch, als sie sich von ihrem Lohn schließlich ein Kleid kauft, dieses jedoch wieder zurückgeben muss, als die empörten Eltern es mitbekommen und der Vater sogar mit Schlägen reagiert. Als ihr eines Tages doch noch ein Mann über den Weg läuft, und man beinahe schon glaubt, es käme etwas Licht in Iris' Welt, sucht er schnell wieder das Weite und lässt sie zurück; völlig verzweifelt und zudem auch noch schwanger, bis sie sogar von den Eltern verstoßen wird.
Kaurismäki stößt uns immer weiter in eine Sackgasse, es gibt kein Entkommen mehr aus diesem pessimistischen Realismus, bis er eine Vollbremsung wagt und den Film schlagartig in eine komplette Finsternis treibt. Denn dann besorgt unsere Heldin in der Apotheke ein Päckchen Rattengift und der Rachefeldzug kann beginnen; der Film schwenkt plötzlich vom Tragischen zu einer bitterbösen Schwärze.
Im Gegensatz zu den beiden anderen Proletarier-Teilen, gibt es in diesem Kaurismäki nichts zu lachen und auch wenig zu schmunzeln. Es ist eine Tragödie der Arbeiterklasse; rau und kantig, weil alle potentiellen, filmischen Verzierungen mit Hammer und Meißel abgeschlagen wurden und der Film deswegen ohne prätentiöses Gejammer und unnötiger Kunstgriffe auskommt.

15. Dezember 2013

ARIEL

Aki Kaurismäki  (Finnland, 1988)
Nächster Teil der Proletarier-Saga; mit gleicher Lakonie und bibbernder Kälte erzählt, dennoch eine eigenständige Geschichte, die mit Müllmännern nichts mehr zu tun hat.
Ein Bergwerk wird geschlossen, weswegen Taisto (Turo Pajala) seinen Job verliert. Sein Vater, der dort ebenfalls gearbeitet hat, überlässt seinem Sohn das Auto und beendet daraufhin sein Leben mit einem Pistolenschuss, den wir aus dem Nebenraum vernehmen.
Weil Taisto keine Perspektive hat, dafür aber ein schnelles Auto, könnte man nun denken, uns erwartet ein reißerischer Roadmovie, mit prächtigem, finnischen Panorama und holprigen Seitenwegen und den üblichen Pannen. Für eine kurze Zeit kann man dieser Illusion getrost treu bleiben, wenn unser Held in dem Cabrio mit offenem Verdeck durch die winterliche Landschaft flitzt. Doch schon bald kommt er in Helsinki an, findet zwar keinen Job, dafür aber die große Liebe in der alleinerziehenden Irmeli (Susanna Haavisto) und landet dummerweise wegen einer Schlägerei im Gefängnis.
Kaurismäki soll unter anderem Robert Bresson-Fan sein; das macht sich in der engen Zelle bemerkbar, wenn Taisto mit seinem Zellengenossen Mikkonen (Matti Pellonpää) einen Ausbruch durchführt, in dem alle vorhandenen, nutzbaren Gegenstände ihre Rolle spielen. Wir erinnern uns an „Ein zu Tode verurteilter ist entflohen“ des französischen Realisten und schmunzeln nicht weniger über die Schlussszene von „Ariel“, wo für unseren Helden überraschenderweise alles gut ausgeht und er mit seiner Freundin & Komplizin eine Fähre ins Unbekannte nimmt. Ähnliche Schlussbilder, wie in Godards „Außenseiterbande“, aber auch Karusimäkis „Schatten im Paradies“.
Der Film ist wieder mal trocken wie altes Brot. Es gibt hier nicht nur jede Menge Unausgesprochenes, sondern auch die wunderbare Szene des tollpatschigsten Banküberfalls in der Filmgeschichte, in der beinahe nichts passiert und deren Komik aus dem Ungezeigten heraus entsteht, weil die Kamera lieber draußen bleibt. Bei Kaurismäki darf man eben vieles selbst ergänzen.

SCHATTEN IM PARADIES

Aki Kaurismäki  (Finnland, 1986)
Die Kaurismäki-Phase sei mit dem ersten Teil der Proletarischen Trilogie eröffnet; "Schatten im Paradies" nennt sich der erste Film und packt das (finnische) Leben direkt an der Wurzel: Der Arbeitsalltag des Müllwagenfahrers Nikander (Matti Pellonpää) wird uns erstmal in der vollkommenen Monotonie (oder auch Poesie) dieser Tätigkeit nähergebracht. Man merkt schnell, dass da eine Frau fehlt, die den Schnauzbart-Träger etwas aufmuntern könnte, sofern das in einem Kaurismäki-Film überhaupt möglich ist. Und die Frau kommt auch bald als Supermarktkassiererin Ilona (Kati Outinen). Die beiden gehen miteinander aus, treffen sich immer häufiger, ziehen zusammen und verlieben sich vielleicht sogar ineinander; so genau weiß man das nicht, weil Kaurismäki seine Figuren lieber zu Eisblöcken erstarren lässt, als sie mit sichtbaren Gefühlen auszustatten.
In stilisierter Kühle und trockenem Humor erzählt uns der Finne von zwei völlig gewöhnlichen Menschen, mit völlig gewöhnlichen Jobs, die dennoch ihre eigenen Träume haben, auch wenn sie diese nicht mit vielen Worten äußern. Und "schön" wird es hier manchmal auch, wenn etwa der verdutzte Nikander eines Tages in seinem Müllwagen unter all dem Abfall eine Schallplatte finden und sie nach Hause mitnimmt. Alter Delta-Blues lässt die Wohnungswände erzittern, der ohnehin schon einen großen Teil des Film bestens kontrapunktiert.

11. Dezember 2013

DER MANN, DER VOM HIMMEL FIEL

Nicolas Roeg  (USA, Großbritannien, 1976)
Nicolas Roeg erzählte uns Mitte 70er das, was wir eh schon alle wussten: David Bowie ist ein humanoider Außerirdischer, der die Welt erobern möchte, jedoch an der Ausbeutung und Kaltblütigkeit der menschlichen Business- und Wirtschaftswelt zerbricht.
Newton bzw. Bowie ist aber erstmal in Not. Sein Planet droht vollkommen auszutrocknen und kein anderer Ort verfügt über solche Wasservorräte wie unsere geliebte Mutter Erde. Er kommt also zu uns, gründet dank seiner Hyperintelligenz ein profitables Unternehmen und erhofft sich von dem Gewinn ein Raumschiff zu bauen, das ihn auf seinen Heimatplaneten zurückbringt.
Newton landet in der allerersten Szene in einem amerikanischen See, gibt sich fortan als Engländer aus (was in Amerika vollkommen ausreicht, um als Alien betrachtet zu werden) und gewinnt rasch das Vertrauen der Erdlinge. Jedoch nicht nur was geschäftliche Dinge angeht, sondern auch in der Zuneigung der hübschen Mary-Lou (Candy Clark). Was folgt, ist eine intergalaktische Liebesbeziehung; selbst dann auch wenn die junge Frau schließlich zu sehen bekommt, was ihr Liebster in Wirklichkeit ist, doch der Reiz des Unbekannten siegt über das Entsetzen. Es bleibt Newton nichts anderes übrig, als sich anzupassen, oder aber letztendlich als Fremdling mit gesenktem Haupt unterzutauchen.
Roeg schmeißt uns einen ziemlich harten Knochen zu, das muss noch unbedingt erwähnt werden, denn was als Sci-Fi-Unterhaltung angekündigt wird - zumindest in der oft zitierten Szene vor dem Spiegel, wo die Demaskierung erfolgt - erweist sich dann doch als ein vielschichtiges, erzählerisch dicht verwobenes Geflecht aus einem nach außen hin gestülpten Seelenleben des Thomas Jerome Newton. Roegs Film kann man getrost zu den filmischen Mosaik-Impressionen dazuzählen, deren Geschichte aus ihrem sensiblen Schnitt heraus entsteht. Und hier wechseln sich nicht nur Raum und Zeit ab, sondern gleich ganze Planeten, wenn irdische Momente den verzweifelten Helden in Form von Flashbacks an seine ferne Heimat erinnern.

10. Dezember 2013

LIEBEN SIE BRAHMS?

Anatole Litvak  (USA, Frankreich, 1961)
Litvaks Film heißt im Original ein bisschen anders („Goodbye Again“), doch man muss zugeben, dass der deutsche Titel ausnahmsweise nichts falsch machen kann, wenn er auf F. Sagans Roman „Aimez-vous Brahms“ beruht. Er klammert sich schließlich so schön an eine konkrete Szene, als Anthony Perkins der neben einer mit Plakaten beklebten Litfaßsäule stehenden Ingrid Bergman, ganz spontan eben diese Frage stellt, als er dort die Ankündigung für ein Brahms Konzert liest. Die ungestüme Spontanität von Perkins' Figur wird dadurch abermals deutlich und Brahms begleitet musikalisch ohnehin den gesamten Film in den unterschiedlichsten Variationen. Es ist immer das „Poco Allegretto“, in seinem Arrangement an die entsprechende Begebenheit und Stimmung der jeweiligen Szene angepasst. Was den Film stets zusammenhält.
Ansonsten erzählt Litvak von Paula (Ingrid Bergman) und Roger (Yves Montand), die eine offene Beziehung führen und somit tun und lassen können, was sie wollen. Was natürlich verheerende Folgen hat. Roger ist Geschäftsmann und Lebemann (mit Betonung auf Lebemann!), der immer irgendwo auf Geschäftsreise ist und diverse Affären ans Land zieht, während Paula den 25-jährigen Philip (Anthony Perkins) kennenlernt, der sich sogleich an ihre Fersen heftet. Alle werden hier von ihren Gefühlen hin- und hergerissen. Roger balanciert waghalsig zwischen Paula und seinen flüchtigen Bettgeschichten und Paula selbst leidet unter dieser Untreue und ebenso unter dem großen Altersunterschied zwischen Philip und ihr. Eine Frau als Gefangene ihrer eigenen Unabhängigkeit. Und da gibt es eben noch den erwähnten Anthony Perkins, kurz nachdem er bei Hitchcock das Bates Motel führen durfte. Hier ein lebhafter, etwas impertinenter, aber ehrlicher Kerl, der sich nach der großen Liebe sehnt und dabei gegen Ingrid Bergmans knorrige Prinzipien stoßt. Die ewige Grande Dame Bergman bleibt eben selbst im romantischen Paris bis obenhin zugeknöpft und kann ihre endgültige Entscheidung bloß bereuen. Und Paris bleibt trotz tückischer Verwicklungen das romantischste Fleckchen auf diesem Planeten; dieses Mal in Schwarzweiß.

9. Dezember 2013

DIESES LAND IST MEIN LAND

Hal Ashby  (USA, 1976)
Nach dem Film weiß man vor allem eins: Man sollte schleunigst die Woody Guthrie-Autobio aufschlagen und die wird auch beizeiten nachgeholt. Bis dahin muss und kann man sich mit diesem Bio-Pic von Hal Ashby begnügen, der mittlerweile auch gerne auf Wühltischen zwischen all dem Schund und Schmutz vorzufinden ist. Nicht ganz abwegig, weil die Tonqualität auf dieser DVD ganz eindeutig von einem anderen Stern stammt.
Jedenfalls konnte Ashby tatsächlich in den 70ern eine doch recht ansehnliche Verbeugung vor dem einzig wahren König des Folk in einen 2,5-Stundenfilm verpacken, ohne dass es unbedingt langweilig wird. Woody Guthrie, der Mann mit der Gitarre und jeder Menge Zorn im Gemüt, aber stets von einer optimistischen Grundhaltung vorangetrieben. Einer, der scheinbar über jedes erdenkliche Thema dieser Welt einen Song geschrieben hat, denn von wem sonst finden man Originalaufnahmen, wo er aus aktuellem Anlass sogar Leute wie Hitler besingt.
Im Film wird Woody (David Carradine, der alle Songs selbst interpretiert!) zunächst als Familienmensch gezeigt, der in Texas lebt, als Schildermaler seine Brötchen verdient und zunehmend von der Unzufriedenheit der Bewohner infiziert wird, die über das harte Leben klagen und sich nach dem fernen Kalifornien sehnen. Denn "California is a Garden of Eden", wie er selbst später singen wird und die Dust Bowl-Periode hüllt die Gegend schließlich mit ihrer staubigen Schicht ein, dass man nur noch seine Siebensachen packen möchte, um von diesem tristen Ort zu verschwinden. Woody lässt also eines Tages alles und alle hinter sich und springt auf den obligatorischen Güterzug Richtung Kalifornien, wo er sich zu den anderen Hobos dazugesellt. Dort angekommen steht er jedoch schon  bald vor den gleichen Problemen: Arbeitslosigkeit und gebeutelte, hoffnungslose Menschen, wo man auch nur hinschaut.
Das Blatt wendet sich erst für Woody, als er bei einem Radiosender vorsingt und sogar eine eigene Show bekommt. Doch Guthrie wäre nicht Guthrie gewesen, wenn er sich plötzlich auf seinem Erfolg ausruhen würde, oder in der neuen Gegend sesshaft geworden wäre. Er verzichtet auf seinen Ruhm, in dem er sich jedem quer stellt, der ihn zu einer Marionette des Showbusiness verwandeln möchte, bis sich sogar seine Familie von ihm im Stich gelassen fühlt. Er ist eben der Mann mit einer Mission, der Typ, der sich mit seiner Gitarre zwischen die Arbeiter mischt, sie dazu animieren will, Gewerkschaften zu gründen und dabei selbst von Plantagen- und Fabrikbesitzern Schläge einstecken muss.
Ashby gelingt ein einfühlsames Portrait dieser amerikanischen Periode; eine filmische Impression aus Orten und Menschen auf ihrer Reise ins erhoffte Glück. Und Ashbys Film ist glücklicherweise selbst voller Staub und Schmutz, als hätte er sich direkt in diese Zeit mit seiner Kamera dazwischengemischt. Er muss auch seinen Schwerpunkt darauf legen, weil Woody dramaturgisch betrachtet immer noch eine zu ausgewogene Figur bleibt; ein Wanderprediger in Gestalt eines überwiegend passiven Widerständlers. Dabei hätte alleine schon seine tragische Erkrankung für eine inhaltliche Wende gesorgt. Doch der Film bleibt eine Impression des Guthrie-Mythos und entscheidet sich, offen hinauszulaufen, um seinen Protagonisten nicht als gefallenen Helden zeigen zu müssen, sondern lässt ihn lieber auf den nächsten, davonfahrenden Zug aufspringen.

5. Dezember 2013

BARABBAS

Richard Fleischer  (Italien, USA, 1962)
In der Blütezeit diverser Jesus-Filme, den Messias bloß als Nebenhandlung anzulegen, um ihn aus der Perspektive des Diebes Barabbas zu beleuchten, ist immerhin ein interessantes Wagnis. Wir erinnern uns: Barabbas, jener Raufbold, der sich vor allem dadurch einen Namen machte, weil er als Gefangener in Jerusalem von Statthalter Pontius Pilatus begnadigt wurde und an seiner Stelle Jesus zum Tode verurteilt wurde.
Barabbas (Anthony Quinn) wird jedoch als freier Mann schnell rückfällig, kann aber laut Gesetz nicht erneut zum Tode verurteilt werden und landet als Zwangsarbeiter in einer abgelegenen Silbermiene. An diesem tristen, an die Hölle selbst erinnernden Ort regiert die Dunkelheit und eine Menge Staub, der stets aufgewirbelt wird, in die Augen eindringt und die Arbeiter nach und nach erblinden lässt. Schlechte Aussichten also. Die Lage ist  hoffnungslos, die unterirdischen Gänge beklemmend und das Sonnenlicht ist bloß noch ein Phänomen aus längst vergangenen Tagen.
Doch Barabbas ist ein antiker Superheld und übersteht während des jahrelangen Aufenthalts auch diesen Ort, selbst als die gesamte Grube schließlich einstürzt und alle anderen Arbeiter unter sich begräbt.
Es folgt die Zeit seiner Ausbildung zum Gladiator, wo Jack Palance als unbezwingbarer Gladiator-Superstar den ehrfürchtigen Bestimmer markiert, doch mit ein bisschen Grips kann Barabbas sogar diesen aufgeplusterten, starken Gegner später in der Arena besiegen und sich unter Jubel der Menge die Freiheit erkämpfen. Jesus selbst, den man zwar aus dem Augenwinkel verliert, spielt weiterhin eine entscheidende Rolle, nämlich als ewig schützender Geist über dem ungläubigen Barabbas. Dieser vermag sich erst dann auf die Seite der Christen zu stellen, als Nero ganz Rom in lodernden Flammen untergehen lässt.
Das ist ein aufwändiges Kino im XXL-Format, erstaunlich opulent in seiner Inszenierung und seinen unzählbaren Komparsen, altmodisch, weitschweifig, aufgeblasen und gedehnt, aber dennoch nicht unspannend, wenn etwa Quinn und Palance ein Duell der Superlative abgeben, dass sogar die Filmmusik verstummt. Dieser heroische Unterhaltungsfaktor um einen beinahe unzerstörbaren Helden, hätte trotzdem noch ein wenig mehr Platz für Barabbas religiöse Zweifel schaffen können. Aber die Zeit war ja auch noch nicht reif für ausgiebige Charakterstudien.

4. Dezember 2013

JUNG UND SCHÖN

François Ozon  (Frankreich, 2013)
François Ozon, der sinnliche Provokateur des heutigen französischen Kinos, erzählt im neusten Streifen von Selbstfindung seiner jungen Protagonistin bzw. wie sie vom rechten Weg abrutscht als sie ihre erste, unerfüllte, sexuelle Erfahrung während eines Urlaubs machen darf. Ausgerechnet mit einem Deutschen; da werden manche hierzulande erbost auf die Leinwand luchsen, weil man in dem jungen Mann den Grund dieser heiklen Charakter-Wandlung des Mädchens erkennen könnte.
Ozon schwenkt mit der Handlung rasch nach Paris, wo Isabelle (so heißt sie) lebt und studiert. Man wird als Zuschauer in den Handlungswechsel direkt hineingeschleudert und muss sich schnell neu orientieren, weil die junge Frau sofort im aufreizenden Business-Outfit in ein chices Hotel hineinspaziert. In routinierten Vorgängen lernen wir sie als Objekt der Begierde kennen, die sich heimlich übers Handy mit älteren Männern verabredet und in komfortablen doch kargen Hotelzimmern ihre sexuellen Wünsche erfüllt. Es sind beinahe völlig stumpfe, festgefahrene Vorgänge. Ein riskantes Doppelleben aus heimlichem Klamotten-Wechsel auf schäbigen, öffentlichen Toiletten; von braver Studentin zur Edel-Nutte. Wenig Dialog zwischen Mann und Frau, nur der hemmungslose Trieb, bis man nur noch darauf wartet, wann endlich das Elternhaus dahinter kommt und die gängigen Erziehungs- und Generationskonflikte entfachen. Doch bevor wirklich so etwas wie ein konventioneller Verlauf, ja gar Langweile aufkommt und man beinahe denken könnte, Prostitution wäre kein schlechter Studenten-Job, wendet sich das Blatt auch schon: Ozon verzichtet auf einen entschleiernden Zusammenstoß von Tochter und Familie, (etwa in Form einer ausgelutschten Szene von Handys, die in falsche Hände geraten), sondern positioniert in die Handlung lieber einen dramatischen Zwischenfall mit einem der Kunden, der ernüchternd und enthüllend zugleich ist.
Es gibt natürlich bessere Ozon-Filme, weil man sich alleine schon über den nicht dargestellten Wandel der Hauptfigur ärgern könnte. Als Zuschauer entgeht einem, wie sie langsam in dieses Milieu hineinrutscht, sich daran herantastet und das nötige Selbstbewusstsein entwickelt, ähnlich wie damals bei Frau Deneuve in Buñuels "Belle de Jour", den wir aber anderseits auch nicht nochmal serviert bekommen wollen und ihn auch nicht kriegen.
"Jung und schön" als Titel trifft es wohl ins Schwarze, wenn man das auf die permanente Präsenz von Marine Vacth in diesem Film bezieht. Wieder so ein blödes Model, könnte man behaupten, aber dafür macht sie ihre Sache doch zu gut und hat schließlich einen Regisseur als Stütze, der bekannt dafür ist, alles so schön logisch, aufgeräumt und geradlinig aufzubauen, dass man völlig sicher sein kann, von ihm wohlbehütet ins Ziel getragen zu werden. Gefährlich könnte es für Frau Vacth in Zukunft dennoch werden; das Klischee des plakativ hübschen, schauspielernden Models, lässt sich unter einem falschen Regisseur nicht so leicht abschütteln.

3. Dezember 2013

ALICE LEBT HIER NICHT MEHR

Martin Scorsese  (USA, 1974)
Wie aufmunternd ist es doch, von Scorsese etwas zu sehen, was ohne sein obligatorisches Blutbad auskommt, auch wenn man ihn für seinen Blick auf das amerikanische Gangstertum am meisten schätzt, doch kurz bevor er Travis als Taxifahrer durch die nächtlichen New Yoker Straßen schickte, gelang ihm mit "Alice lebt hier nicht mehr" ein wirklich schöner Road-Movie und beeindruckendes Frauen-Portrait zugleich.
Ellen Burstyn ist hier in der Hauptrolle, durfte sich sogar selbst den Regisseur aussuchen, und später kommt noch Kris Kristofferson hinzu, mit Bart natürlich, der in diesem Film von Frauenhand sogar angefasst werden darf.
Der Film beginnt mit einem Prolog, der stilistisch wie eine Kopie und Verbeugung von Victor Flemings "Zauberer von Oz" angelegt ist, wo wir die Hauptfigur als kleines Mädchen kennenlernen, bevor der Film mit rollendem Auto und flotter Musik ins Hier und Jetzt umschlägt.
Nach dem Unfalltod ihres Ehemanns lässt Alice (Ellen Burstyn) die Vergangenheit hinter sich, verlässt ihr Haus, verkauft ihr Hab und Gut und macht sich mit ihrem Sohn Tommy (Alfred Lutter) auf den Weg in ihre Heimat in Kalifornien. Das einzige was sie kann ist Singen, so investiert sie ihr letztens Geld in die entsprechende Garderobe, um sich bei Vorstellungsgesprächen in diversen Kneipen im besseren Licht präsentieren zu können. Doch der Weg ist steinig, mal darf sie vorsingen, mal nicht, bekommt dann doch einen Job, aber leider als Kellnerin in einem stets überfüllten, hektischen Lokal, wo scheinbar alle Cowboys der Gegend für eine Mahlzeit vorbeischauen. Bevor dort der Farmer David (Kristofferson) auch endlich eine Bestellung aufgibt und sich eine prickelnde Romanze entwickeln darf, muss Alice davor noch eine katastrophale Erfahrung mit Ben (Harvey Keitel) machen, der sich als verheirateter Despot entpuppt, der gerne Schläge austeilt und das Messer zuckt. Parallel zu all dem zwischenmenschlichen Wirrwarr lernt der kleine Tommy die junge Audrey (Jodie Foster, praktisch aus dem Ei geschlüpft!) kennen, beide schlendern durch die Gegend, klauen im Laden Gitarrensaiten, oder hängen Wein trinkend auf der Couch ab; ein Mädchen mit schlechtem Einfluss.
Ein gutes Marty-Frühwerk, das von seinen amüsant-spötischen Dialoggefechten zwischen Alice und ihrem Sohn vorangetrieben wird. Denn während sich die Mutter kläglich um die Absicherung der familiären Existenz bemüht, pointiert der Sohnemann mit altklugem Zynismus jede Handlung seiner überforderten Mutter. Doch Alice kämpft unentwegt weiter, ob unter Freudestränen oder  einem verweinten Auge.

2. Dezember 2013

THE NEW WORLD

Terrence Malick  (USA, 2005)
Malicks Gesamtwerk ist bekanntlich überschaubar; als jahrzehntelanger Faulpelz unter den Regisseuren (zumindest was Quantität angeht), schraubt er die Erwartungen entsprechend hoch, aber mag man von seinem Gesamtwerk halten was man will; eine eigene Handschrift hat er während dieser ewig langen Zeit dennoch entwickeln können.
In seiner Pocahontas-Version mit Colin Farrell und Christian Bale, die im 17. Jahrhundert als britische Kolonisten Nordamerika erforschen und dabei ihre Herzen an der Prinzessin der Powhatan-Indianer verlieren, umhüllt Malick abermals alles mit seinem typischen poetischen Schleier. Es ist die über-sensible Bildsprache, der markante Schnitt, die schwebende Kamera, die Detailverliebtheit und die Überhöhung der Bilder durch weitgehenden Dialog-Verzicht zugunsten einer lyrischen Off-Stimme. Der bombastische Soundtrack von James Horner und Wagners „Rheingold“ ergänzen diesen Überschwang, bis Malick beinahe himmlische Sphären zu erreichen droht. Man kann das auch Kitsch nennen. Ethno-Kitsch passt auch, vor allem da der Regisseur hier mit den kaum zu bewältigenden Ureinwohner-Klischees zu hadern hat. Die neue Welt ist eben noch viel zu "neu", als dass man auf die Problematik des Aufeinanderprallen dieser beiden Kulturen verzichten könnte. Der Augenmerk liegt dennoch auf der Liebesgeschichte, doch Malick darf bloß andeuten und die beiden Liebenden lustig und verträumt in der Landschaft umherspazieren lassen, weil seine Hauptdarstellerin (Q’Orianka Kilcher) zu dem Zeitpunkt erst 14 Jahre alt war und jede unmittelbare Annäherung an Farrell (und später an Bale) inakzeptabel wäre.
Interessant wird der Film eigentlich erst, wenn die Indianer-Prinzessin schließlich dem alten Europa einen Besuch abstattet; eine Kultur-Kollision, die man so nicht häufig zu sehen bekommt, weil der Film-Europäer sonst eher im Dschungel umherirrt, als dass ein Ureinwohner ehrfürchtig zu der völlig fremdartig und abstrakt wirkenden Architektur europäischer Großstädte emporblicken darf.
Mit Abstand schwächster Malick-Film, obwohl ihm diesen Titel noch sein neuster „To the Wonder“ streitig machen könnte.

30. November 2013

KAP DER ANGST

Martin Scorsese  (USA, 1991)
Trivia zuerst: Ein Wiedersehen mit Scorseses größtem Blockbuster vergegenwärtigt einem, dass De Niro bereits in den 90ern zu seinem heutigen, opa-haften, schiefen Gesichtsausdruck tendierte. Das ist fast erschreckender als die Figur des Max Cady selbst. Körperlich zwar fit, doch der Weg zu alten Mann war bereits geebnet.
Nun zum Film: Max Cady wird nach 14jähriger Gefängnisstrafe entlassen und lässt sich im gleichen Städtchen nieder, in dem sein damaliger Pflichtverteidiger (Nick Nolte) mit seiner Frau (Jessica Lange) und Tochter (Juliette Lewis; die unvergessliche Verführungsszenen mit De Niro im Theater) lebt. Cady will sich an dem Mann rächen, der ihn damals  ins Zuchthaus gebracht hat, statt für seine Verteidigung zu sorgen. Doch Cadys Terror schleicht sich zuerst leise, in wohl überlegten Schritten heran; er hat im Knast das Lesen gelernt, sich mit einem Haufen juristischer Bücher befasst und weiß genau, wie er den Anwalt und seine Familie so malträtieren kann, dass ihm das Gesetz nichts anhaben wird. Er ist ein beunruhigend talentierter Autodidakt, der die Bibel studierte, gerne auch rezitiert und seinen Körper mit Auszügen schmücken ließ. Er ist ein unzerstörbares, gottähnliches Wesen mit überhöhter Vorstellung seiner Unantastbarkeit, was ihn zu einem gefährlichen Monster macht.
An J. Lee Thompsons Version aus den 60er reicht die Erinnerung nicht mehr heran, muss aber auch bald aufgefrischt werden. Ist mit Sicherheit auch nicht so reißerisch und blutdurchtränkt und auf ein bombastisches Showdown hinzielend wie bei Marty, der immerhin Robert Mitchum und Gregory Peck wiederbelebte (beide spielen die Hauptfiguren in der alten Fassung) und mit kleinen Gastauftritten besetzte.
Marty & Bob legten in den 90ern mit der Neuverfilmung von "Kap der Angst" ihren kommerziell erfolgreichsten Film hin; ein Erfolg, dem Scorsese bis heute nicht mehr erreichen konnte. Ist ja auch eine fesselnde Geschichte, mit beängstigender Zuschauernähe, denn Mist hat jeder Mal verbrochen und die Angst vor Rache flackert ebenso in jedem und wenn sie sich dann in einem ganzen Rachefeldzug äußert, wie bei Max Cady, der nach und nach eine komplette Familie zerstören will, dann sorgt so was für eine schweißtreibende Unruhe. Der amerikanische Traum vom Familienglück und gepflegten Vorgarten gerät ins Wanken. Der Mensch muss sich bewaffnen, sein Territorium verteidigen, bzw. schützende Barrikaden um sich aufbauen und ein Dasein in Angst und Schrecken fristen; scheu und voller Furcht durchs Leben schleichen.
Dick aufgetragene Film Noir-Verbeugung, die aber immer noch nachhallt, weil De Niro hier vermutlich zum letzten Mal dermaßen physisch präsent war, bevor ihn die Opa-Filme-Phase endgültig eingeholt hatte.

28. November 2013

VENUS IM PELZ

Roman Polanski  (Frankreich, 2013)
Man muss es einfach erwähnen, was die Boulevardblätter heutzutage immer wieder predigen: Polanski lebt tatsächlich immer noch und sieht gut aus für ein Alter, wo andere schon mit krummen Buckel durch die Welt schlendern, aber dass er dann doch altert merkt man leider gerade an dem was er am besten kann, bzw. konnte, denn "Venus im Pelz" ist immer noch vom gleichen Regisseur wie "Chinatown" , "Rosemary's Baby" oder "Das Messer im Wasser", um so erschreckender das jüngste Ergebnis, dessen Fragwürdigkeit sich bereits in den Trailern angekündigt hatte. Aber man schaut ja Filme wegen dem Filmemacher und nicht wegen dem Thema; zumindest versucht man diesem Prinzip treu zu bleiben; eine Treue, die einen vorerst immer wieder völlig geblendet auf den Kinositz verfrachtet.
Der neue Film ist zum Scheitern verurteilt. Das prophezeien bereits die leeren Kinositze; man bekommt das Gefühl, als wäre der Kinosaal eine Verlängerung von dem auf der Leinwand gezeigten Theaterraum, wo auch niemand sitzt, bloß zwei Leute auf der Bühne mit sich selbst beschäftigt sind; völlig ausgeschlossen von der restlichen Welt.
Theaterregisseur Thomas (Mathieu Amalric) will „Venus im Pelz“ von Leopold von Sacher-Masoch wiederbeleben und auf die Bretter dieser Welt stellen, kann aber keine passende Darstellerin finden, bis plötzlich eine sehr verspätete, sehr aufgedrehte und sehr vulgäre Emmanuelle Seigner in dem leeren Theater aufkreuzt, die zufälligerweise auch Vanda heißt, wie die Hauptfigur im Stück. Thomas würde sie am liebsten gleich wieder nach Hause schicken, die Frau drängt sich aber dermaßen auf, dass sie plötzlich kostümiert auf der Bühne steht und eine Vanda zum Besten gibt, die ihm die Sprache verschlägt. Schnell wendet sich das Blatt, die dominante Vanda-Domina übernimmt zunehmend das Ruder, während Thomas verängstigt in den Part der männlichen Figur hineinschlüpft und in seiner Unterwürfigkeit in alle Einzelbestandteile zu zerfallen droht. Später, wenn beide ihre Rollen tauschen und der Film damit endlich eine interessante Wende nimmt, erinnert der geschminkte Mathieu Amalric plötzlich sogar an Polanski selbst, als er vor Jahrzehnten in Frauenfummel in "Der Mieter" den Trelkovsky zum besten gab.
Mag man alles drehen wie man will und von allen Seiten betrachten: Es ist ein trauriger Film eines alten Mannes; ein Mikrokosmos aus persönlichen, feuchten Träumen. Man bemüht sich die ganze Zeit, Emmanuelle Seigner toll zu finden, wie schon damals in „Bitter Moon“ und „Frantic“, obwohl das vermutlich mittlerweile nur noch ihrem Regisseur und Ehemann gelingt, der seiner Frau endlich das versprochene Musen-Denkmal in den Stein hauen kann. Wir dagegen sind eher peinlich berührt, als schlüpfrig erhitzt, von all den bemühten Obszönitäten und Möchtegern-Vulgaritäten. Am Ende gewinnt die Frau und der Mann ist auf der Bühne an eine Kaktus-Attrappe gebunden; der stachelige Phallus als Marterpfahl, die nackte Venus mit Pelz bekleidet, um ihn tänzelnd. Und auf so was warten wir 90 Minuten lang; mühen uns ab und werden Zeuge dessen, wie Polanski das altbewährte, reduzierte Kammerspiel nicht mehr zu bändigen weiß wie einst so meisterhaft.

25. November 2013

exground Filmfest 26

15.11.13 – 24.11.13, Wiesbaden
Zum diesjährigen Wiesbadener Filmfest kann ich mich leider nur kurz und bündig äußern. So gut wie nichts gesehen, bzw. sehen können, weil mal wieder die spannendsten Sachen zu den unmenschlichsten Uhrzeiten liefen. Der technische Ärger bei der Vorführung von "Morning Star", der zu einer nervenaufreibenden Verzögerung und schließlich zum frühzeitigen Verlassen des Kinos führte, beeinflusste dermaßen alle weitere Festival-Entscheidungen, dass man leider dazu gezwungen wurde, alles andere, das man sich vorgenommen hatte, in diesem Jahr komplett zu streichen.
Dieses Mal gab es deswegen nur drei Filme, davon aber zwei, die sich auf jeden Fall sehen lassen können.
"Morning Star" (von Sophie Blondy) vergessen wir lieber gleich wieder, da wie erwähnt, nicht mal zur Hälfte konsumiert, was eigentlich auch kein großer cineastischer Verlust ist, da der Film selbst bis dahin ziemlich fragwürdig bis ungenießbar ausfiel.

Widmen wir uns lieber gleich den guten Filmen: Zum einen "Workers" von José Luis Valle, der in zwei Parallelhandlungen die Geschichte zweier Arbeiter erzählt. Da ist Rafael, angestellt als Putzkraft in einer Glühbirnenfabrik, der direkt vor seinem Renteneintritt steht, wegen bürokratischem Wirrwarr jedoch nicht in Rente gehen darf und als Racheakt auf unterschiedlichen Wegen die Arbeit sabotiert.
Und dann gibt es Lidia, Haushälterin bei einer knorrigen, an den Rollstuhl gefesselten Grand Dame mit viel Kohle in der Tasche und einem verwöhnten Köter, dem sie nach ihrem Tod ihr gesamtes Vermögen vermacht. Der Hund muss also von den hinterbliebenen Hausangestellten unbemerkt aus dem Weg geräumt werden; nur so kommen sie an das Erbe heran.
Einer von den Filmen, die sich die erzählerische Langsamkeit zu Nutze macht, gepaart mit einem lakonischen Humor
à la Andersson oder Kaurismäki. Böse, nahe am Leben und trocken wie altes Brot. Guter Film.

Danach kann man schon direkt zu meinem persönlichen Festivalabschluss übergehen, nämlich "Shirley - Visions of Reality" von Gustav Deutsch, der auf den Gemälden von Edward Hopper basiert. Deutsch nutzt die Bilder nicht nur als Hintergrundkulisse, sondern stellt sie in einen narrativen und gesellschaftlichen Kontext. Er erschafft eigene Geschichten, leitet sie mit historischen Radiodurchsagen ein und interpretiert und erweitert Hoppers Gemälde auf eigene Weise, um eine Geschichte zu erzählen.
Ein beinahe, rein visueller Film, denn stärker lassen sich Bilder (sowohl die filmischen als auch die gemalten) kaum in den Vordergrund stellen. Ähnliche Versuche gab es ja schon, etwa bei Kurosawa und seiner VanGogh-Episode aus "Kurosawas Träume", aber nicht so technisch raffiniert umgesetzt und so nahe am Gemalten wie bei Gustav Deutsch.
Ein unbedingt sehenswertes Zusammenspiel aus Licht und Schatten, Farben und Formen und sparsamen Bewegungen. Man könnte ihm lediglich eine schleppende, inhaltliche Entwicklung vorwerfen, bzw. einen Plot, der sich zu sehr um sich selbst dreht.

21. November 2013

DAS 1. EVANGELIUM - MATTHÄUS

Pier Paolo Pasolini  (Italien, 1964)
Pasolini hat mit seinen bis dahin produzierten Filmen genügend Angst und Schrecken in seiner Heimat verbreitet; da mussten der italienischen Bevölkerung und der Kirche obendrauf die Knie geschlottert haben, als er die Umsetzung der Passions-Geschichte in Angriff nahm. Doch wie groß muss die Verblüffung gewesen sein, dass er sich erzählerisch doch brav an das Matthäus-Evangelium anlehnte, ohne Seitenpfade zu betreten und im großen Stil zu schockieren. Von einem homosexuellen Atheisten und einem dermaßen kontroversen Regisseur hätte man eher erwartet, dass er gerade bei dieser Thematik alles in Schutt und Asche legt.
Stattdessen erzählt er uns schnörkellos die Lebens- und Leidensgeschichte des Messias und äußert sich in seiner Kompromisslosigkeit immerhin dadurch, dass er nahezu ausschließlich Laien-Darsteller anheuert und auf unnötigen Glanz, prätentiösen Pathos und vor allem auf eine überhöhte Darstellung der Jesus-Figur, zugunsten einer menschlicheren Ausführung, verzichtet. Somit bleibt es womöglich immer noch die bodenständigste und ungeschmückteste Variante, weil Pasolini letztens Endes der Mann mit dem ungeschönten, realitätsnahen Blick war, bei dem sogar die Szenen der Kindermorde von Herodes wie festgehaltene, dokumentarische Aufnahmen wirken. Filmisch betrachtet, ist man dieser Zeit kaum jemals so beängstigend nahe gewesen. Und man vergesse nicht den ungewöhnlichen Soundtrack, bei dem vielleicht der größte Anteil an Originalität liegt: Mozarts Themen paaren sich mir russischen Volksliedern, Odettas vom Blues durchtränkten Spirituals treffen auf afrikanische Kongo-Rhythmen.

20. November 2013

SCHANDE

Anna Maria Monticelli  (Australien, Südafrika, 2008)
Coetzee-Verfilmung mit John Malkovich in der Hauptrolle; so etwas muss nicht unbedingt schlecht sein. Malkovich schlüpft hier in die Figur des Professors Lurie an der Universität in Kapstadt, der eines Tages seine Studentin verführt. Die Sache gelangt an die Öffentlichkeit, Lurie verliert seinen Job, lässt sich bisheriges Leben hinter sich und reist zu seiner Tochter (Jessica Haines), die abgeschiedenen auf einer Art Farm lebt und eine Hundepension betreibt. Der erhoffte Neuanfang wird für Lurie jedoch schnell zunichte gemacht, als er mit seiner Tochter von drei Jungen Männern überfallen wird. Sie wird vergewaltigt, während er niedergeschlagen, weggesperrt, mit Brennspiritus übergossen und in Brand gesetzt wird und den Rest des Filmes die Spuren der Misshandlung mit sich tragen darf.
Malkovich ist von nun an ein zerlumptes Wrack mit Verband am Kopf und zerfetztem Gesicht. Der alte Stolz des Professors ist verschwunden und mit großer Mühe versucht er seine Tochter davon abzuhalten, auf die Farm zurückzukehren und das gleiche Leben weiterzuführen, also wäre nie etwas geschehen. Damit sich der erzählerische Kreis schließt, kommt in ihm der Gedanke einer Versöhnung mit der Familie der von ihm verführten Studentin, worauf er zu ihnen reist, um sich für seine Tat zu entschuldigen.
Kein schlechter Film, diese J.M. Coetzee-Verfilmung, sogar ein ziemlich guter, weil er sich mit leisen Landschaftsaufnahmen heranschleicht und mit noch leiserem Erzählstil brilliert. So haben die Gewaltszenen genug Freiraum, um durch kleine, verstörende Akzente im Gedächtnis zu bleiben. Denn die Kunst bleibt hier, den subjektiven Blick zu bewahren, mehr anzudeuten und ungezeigt zu lassen, um als Zuschauer stets an Malkovichs Seite zu verharren. Wenn er eingesperrt in der Toilette hockt und man bloß hört, aber nicht sieht, wie die Bande draußen die Hunde seiner Tochter erschießt, dann ergänzt man die entsprechenden Bilder bloß hilflos im Kopf. Und so ein Zuschauer-bezogener, narrativer Freiraum ist ein filmischer Segen.

19. November 2013

DER NACHTPORTIER

Liliana Cavani  (Italien, 1974)
Charlotte Rampling oben ohne und doch halb in Nazi-Uniform gekleidet, Marlene Dietrich-Lieder trällernd und dabei ein skurriles Cabaret abgebend. Das sind jene Bilder, die unsere Vorstellungen von Cavanis Film seit je her prägen und wenn man den Film dann irgendwann doch noch zum ersten Mal zu sehen bekommt, wundert man sich fast schon wieder, wie wenig das alles mit dem erwarteten Naziploitation-Genre zu tun hat, bloß weil der Film immerzu dermaßen plakativ reduziert wird. Das geht so weit, dass man sogar von ihm enttäuscht sein könnte, weil er in seinem Ganzen doch etwas anderes ist, oder einfach nur mehr zu bieten hat. Er kämpft nämlich nicht nur mit dem KZ-Trauma, sondern ist so unverschämt, gleichzeitig eine Liebesgeschichte zu erzählen. Oder die Geschichte einer Beziehung; das trifft es wohl eher. Die absonderliche, gar krankhafte Abhängigkeit zweier Menschen, als beispielhafte Opfer einer Zeit, die bei beiden unauslöschliche und somit prägende Spuren hinterlassen hat.
Er (Dirk Bogarde), ehemaliger SS-Offizier im Konzentrationslager und mittlerweile Nachtportier eines Wiener Hotels, sie (Charlotte Rampling) ehemaliger Häftling des selben KZs, die lange nach dem Krieg zufällig in dem Wiener Hotel anreist. Beide erkennen einander sofort: Alte Narben reißen wieder auf, Schreckensbilder von damals gelangen ins Bewusstsein, weisen aber auf die damalige, gegenseitige Abhängigkeit hin, die sich in sadomasochistischer Tendenz äußerte. Ein krankhaftes Verhältnis von KZ-Wächter zur Inhaftierten, und selbst jetzt verfallen die beiden wieder einander, müssen sich jedoch abschotten, um keinen Ex-Nazis in die Hände zu fallen.
Und plötzlich wirkt der Film wie eine Mann/Frau-Geschichte, ein Drama zweier Darsteller. Es nützt jedoch nichts, sich darüber aufzuregen, dass die Hintergrundkulisse (die NS bzw. KZ-Thematik) so provokativ gewählt wurde, denn so einfach ist das alles nicht, weil die Vergangenheit alles überrollt und selbst wenn sich die Zustände von damals längst geändert haben, hinterlässt diese wahnsinnige Zeit ihre drastischen Spuren. Der Mensch, für alle Zeiten gezeichnet, erholt sich nie von zugefügten Wunden, kann sich der neuen Welt bzw. den neuen Umständen nicht anpassen; eher verreckt er.
Nachdem die Kriegstrümmer beiseite gekehrt wurden, herrschte auch im italienischen Film Aufbruchstimmung. Deswegen fügt sich Cavanis Film in die darauffolgende Tradition ein, nicht mehr in zerbombten Städten herumzuhausen, sondern sich auf eine drastische Weise mit dem Faschismus bzw. Nationalsozialismus auseinanderzusetzen. Mit Visconti, Bertolucci oder Pasolini war Liliana Cavani damals in keiner schlechten Gesellschaft.

15. November 2013

WENN DIE GONDELN TRAUER TRAGEN

Nicolas Roeg  (Italien, Großbritannien, 1973)
Roeg scheint ein vielseitiger Regisseur zu sein, wenn man sieht, dass dieser schaurige Klassiker sich in der filmischen Chronologie zwischen seinem Australien-Outback-Film "Walkabout" und dem Sci-Fi-Urgestein "Der Mann, der vom Himmel fiel" drängt. Und Daphne Du Maurier scheint eine ebenso vielseitige Lieferantin für fesselnde Buchadaptionen gewesen zu sein. Wir kennen sie spätestens seit Hitchcocks "Rebecca" und "Die Vögel", und in den 70ern war sie eben dafür verantwortlich, dass man seit diesem Roeg-Film ungern einen Fuß in Venedig aufsetzte, und wenn doch, dann mit einem gewissen Unbehagen und ohne jemals die ausgetretenen Touristen-Pfade zu verlassen.
Bevor wir uns aber in den verwinkelten Ecken Venedigs restlos verirren dürfen, sorgt Roegs Film zunächst für Aufsehen durch seine endlos wirkende Liebesszene zwischen dem Protagonisten-Pärchen; Donald Sutherland (als Kirchen-Restaurator, John Baxter) und seiner Ehefrau, gespielt von Julie Christie; beide mit ähnlichen Frisuren auf dem Kopf, nebenbei bemerkt. Ein weiteres Motiv, das filmische Spuren hinterlassen hat (vor allem wer sich für Farbsymbolik interessiert), ist die kleine Tochter im roten Mantel, die beim Spielen in einem Teich ertrinkt.
Der harte Schnitt nach diesem dramatischen Zwischenfall schwenkt die Handlung direkt nach Venedig, wo Baxter eine alte Kirche restaurieren soll, während seine Frau den Tod ihrer Tochter zu überwinden versucht. Schon bald lernt sie dort zwei ältere, schottische Damen kennen; eine von ihnen blind und dennoch mit seherischen Fähigkeiten ausgestattet, so dass sie in der Lage ist, mit der verstorbenen Tochter in Kontakt zu treten. Baxter will von diesem parapsychologischen Unfug nichts wissen, hängt lieber auf den hohen Gerüsten und passt Mosaiksteinchen in die beschädigten Heiligenbilder, während sich seine Frau immer tiefer in den labyrinthischen Gassen Venedigs verliert und sich in nächtlichen Sitzungen mit den gespenstischen Damen ihrer toten Tochter zu nähern versucht.
Abermals wird Venedig in einen rätselhaften, morbiden Ort verwandelt, der noch mysteriöser und verschleierter erscheint als bei Thomas Mann bzw. Luchino Visconti und wenn die Kamera die Tauben aufscheucht und blitzartig ihren Flug mitverfolgt, wird es für einen Augenblick doch noch schön. Schauderhaft-kühl und ungemütlich beklemmend bleibt es hier dennoch; schließlich handelt der Film von entlarvenden, durchdringenden Blicken, die sich nicht von pittoresken Kulissen beirren lassen.

13. November 2013

BLUE JASMINE

Woody Allen  (USA, 2013)
Woody zögert bei seinem letzten Film nicht lange herum, schmeißt uns direkt in die Handlung hinein, nutzt dabei die Methode der ständigen Rückblenden und beleuchtet auf diese Weise die Entwicklung seiner Hauptfigur. Jasmine lernen wir in der Vergangenheit als verwöhnte, Manhattan'sche Upper-Class Lady kennen, die bloß ihrem Ehemann (Alec Baldwin) hinterherhechelt und alles blind unterschreibt, was er ihr vor die Nase hält. Parallel dazu gibt es die Szenen der Gegenwart: Eine gefallene und geschlagene Jasmine, die mittlerweile ihr gesamtes Vermögen verloren hat, als ihr Mann wegen Betrugs hinter Gittern landete.
Die mittellose Jasmine reist (immer noch First Class!) nach San Francisco, um bei ihrer Schwester Ginger (ebenso ganz großartig: Sally Hawkins) unterzukommen. Das Tennessee Williams-Motiv aus "Endstation Sehnsucht" wird aufgegriffen: Die ehemalig gut-positionierte Heldin findet bei ihrer in einfachen Verhältnissen lebenden Schwester ein Dach über dem Kopf. Damit prallt sie gegen eine Parallelwelt, versucht aber dennoch, den früheren Status nach außen hin zu wahren. Kapitalismus und Klassenunterschiede werden hier ganz groß geschrieben. Aus der Luxusvilla wird eine einfache Mietwohnung, statt Sekt-schlürfender Vorzeigefreunden, umgibt sie sich mit einer dusseligen Schwester, die als Kassiererin arbeitet. Bloß gibt es hier keinen Marlon Brando, sondern die Figur des grobgehobelten Chili, der an Gingers Rockzipfel hängt; ein völlig inakzeptabler Mitmensch für unsere Heldin.
Das wahre Leben greift nach Jasmine; Frisco als neuer Ort und der ruppige Bekanntenkreis ihrer Schwester entblößen sie bis auf Haut und Knochen. Sie erkennt sich selbst als naiven, völlig unerfahrenen Menschen, der plötzlich selbst einen völlig neuen Lebensplan aufstellen muss, um für seine Brötchen aufzukommen. Auf einmal findet sie sich zwischen Job und Studium wieder, wird aber gleichzeitig von Gingers Mitmenschen eingekreist, denen sie lediglich einen abwertenden Blick zuwerfen kann.
Woody entwirft eine Fallstudie, wo sich der Sack immer fester zuschnürt und sich seine gebeutelte Heldin langsam aber sicher dem Abgrund nähert. So sehr aber auch diese Frau gefühlsmäßig ausgewrungen wird, bis von ihr bloß noch ein vor sich hin murmelndes Häufchen Elend übrig bleibt; gelacht darf trotzdem werden bei diesem Film, sogar mehr als bei Woodys beabsichtigten Vollzeit-Komödien, weil der Humor hier keinem die Tür einrennt.
Wie bedauerlich, dass der nächste Woody Allen-Film wieder nur akzeptabel bis hundsmiserabel ausfallen wird. Die die Tendenz stimmt wirklich, wenn man sich seine Filmographie vergegenwärtigt, wo in den letzten Jahren ein ständiger Wechsel von gut-schlecht-gut-schlecht aufzufinden ist. Und gerade jetzt kollidieren mit "To Rome with Love" und "Blue Jasmine" zwei qualitativ dermaßen gegensätzliche Filme, dass einem Angst und Bange wird, wie unberechenbar und undurchschaubar das Woody-Gesamtwerk ist.
"Blue Jasmine" ist nicht nur ein guter Film; er lässt einen vor allem ernsthaft darüber grübeln, wann es bei Woody letzten Mal eine dermaßen facettenreiche Figur gab, wie die der Jasmine und wie oft oder wann überhaupt bei diesem Regisseur eine Schauspielerin so herausgefordert wurde wie Cate Blanchett, die sogar Langzeit-Musen wie Diane Keaton und Mia Farrow in Frage stellen lässt.
Momentan ist alles gut.

10. November 2013

PASOLINIS TOLLDREISTE GESCHICHTEN

Pier Paolo Pasolini  (Italien, 1972)
Pasolinis "Trilogie des Lebens", zu der auch dieser Film dazugehört, ist in seiner Gesamtheit vielleicht das prägendste oder gar das charakteristischste was den italienischen Provokateur je hervorgebracht hat. Wenn auch nicht unbedingt das Beste. Denkt man an Pasolini, erscheinen an erster Stelle blitzartig Bilder aus dieser Vielzahl an unterschiedlichen Episoden, etwa seine Vorliebe für afrikanische Wüsten-Schauplätze, die sich tummelnden Menschenmassen, die historischen, theaterhaften Kostüme und nicht zuletzt die märchenhaften, spitzbübischen Geschichten mit moralischem Ausklang. Die "tolldreisten Geschichten" als Adaption der "Canterbury Tales" von Geoffrey Chaucer versacken da jedoch ein wenig in einem Gewühl an wenig ausgereiften Stories und versumpfen in einem höchst unruhigen Erzählfluss.
Was den Film rettet sind die für Pasolini untypischen Schauplätze Südenglands. Er spielt selbst den Chauser, der mit anderen Reisenden nach Canterbury zieht. Während der Reise werden alte Geschichten ausgepackt, voller wollüstiger Verzierungen und fieser Intrigen. Was hängen bleibt ist etwa die amüsante Episode um die zwei jungen Burschen, die von einem Müller  angeheuert werden und des Nachts heimlich über seine Tochter herfallen und sich ebenso mit seiner Gemahlin im Bett vergnügen, um sich am Ende in völliger Dunkelheit auch unter des Müllers Bettdecke zu verirren, was einen allgemeinen Tummelt und Aufschrei verursacht.
Gegen Ende des Filmes gibt es dann auch noch den Riesenteufel, der aus seinem Hinterteil kleine Mönche scheißt und damit verfrachtet Pasolini sein filmisches Produkt endgültig in vulgär-alberne Sphären.

7. November 2013

MAMMA ROMA

Pier Paolo Pasolini  (Italien, 1962)
Nach Pasolinis delikatem Erstlingswerk "Accattone" war es für Italien alles andere als einfach, sich beim nächsten seiner Filme, ganz mühelos den Angstschweiß von der Stirn zu wischen. Seitens Regisseur gab es auch gar keine Absichten für Versöhnungen oder zugefügte Wunden heilen zu wollen. Das entfachte Skandalpotential sollte am Leben erhalten werden und Pasolini weiterhin als das Schreckensgespenst unter den Filmemachern in Erinnerung bleiben.
Das Prostituierten-Milieu wird auch hier erneut betreten, dieses Mal wird jedoch Franco Citti in den Hintergrund gestellt, um für Anna Magnani als allseits bekannte Prostituierte, Mamma Roma Platz zu machen. Sie möchte sich von ihrer schäbigen Vergangenheit befreien und von ihrem Gesparten ein neues, sauberes Leben in Rom in Angriff nehmen. Sie schleppt ihren 16-jährigen Sohn Ettore (Ettore Garafolo) mit; schmiedet schon selbst Pläne für seine Zukunft und überwacht ihn mit strengem Auge, um ihn von dem Gesindel auf den Straßen fernzuhalten.
Doch einmal Prostituierte heißt für immer Prostituierte: Der Zuhälter Carmine (Franco Citti) klopft eines Tages wieder an die Tür, denn alte Rechnungen stehen noch offen; Mamma Roma landet vorübergehend wieder auf dem Strich. Währenddessen streicht ihr Sohn mit neugewonnen Freunden durch die Vorstädte Roms herum; ein Bande aus üblen Halunken und Müßiggängern. Er lernt dann ein Mädchen kennen, die sich ebenfalls in der Gegend herumtreibt, doch bevor etwas ernsthaftes zwischen den beiden entflammen kann, stellt sich schon Mamma Roma zwischen die beiden Liebenden, weil sie als Mutter natürlich am besten weiß, wer für ihren Sohn die richtige Frau ist. Um ihn auf andere Gedanken zu bringen schickt sie ihn sogar zu einer befreundeten Hure.
Der Mutter/Sohn-Konflikt gerät aus den Fugen; die Mutter kann ihre Vergangenheit nicht bewältigen und der Versuch, ihren Sohn vom Übel dieser Welt fernzuhalten, bringt ihn geradewegs ins Verderben und endet mit einer Katastrophe. Der junge Ettore leidet unter dem im vorbestimmten und von ihm selbst ungewollten Lebensweg, dem erzwungenen Verzicht auf die Frau, die er wollte und unter der Herrschaft seiner Mutter und deren fragwürdigen Vergangenheit, so dass er geradewegs auf einen tiefen Abgrund zuläuft. Pasolini lässt seinen jungen Helden ziellos zwischen den tristen Plattenbauten herumtorkeln und schließlich sogar in gekreuzigter Pose einsam verrecken.
Mag sein, dass Pasolini erst später seine eigene und noch viel krassere Handschrift gefunden hat und sich bei seinen allerersten Filmen noch sehr an die Bildsprache des Neorealimso dranhängt, wenn etwa Ettore in den gedehnten Szenen wortlos zwischen dem Beton der modernen Mietwohnungen und den ewigen Steinruinen Roms umherirrt. Rein erzählerisch gesellt sich "Mamma Roma" sicherlich zu seinen besten Filmen.

30. Oktober 2013

ORLACS HÄNDE

Robert Wiene  (Österreich, 1924)
Robert Wiene hat paar Jahre zuvor seinen Dr. Caligari auf die Menschheit losgelassen und in der Filmgeschichte tiefe Spuren eingeritzt. Als Namensgeber des Wiesbadener Programmkinos „Caligari“, ist er also auch mit Raritäten wie seinem "Orlacs Hände" herzlich willkommen, der wie jeder Stummfilm in diesem Kino, von Uwe Oberg am Klavier live begleitet wird. Oberg haut nicht nur in die Tasten, sondern entlockt zusätzlich auch den Klaviersaiten äußerst beunruhigende Töne, die diesen alt-expressionistischen Alptraum noch alptraumhafter erscheinen lassen. Robert Wienes Film wird von den typischen deutschen Schatten der Weimarer Republik eingehüllt; die Stadt biegt sich in ihren Schrägen und verliert sich in lochartigen Winkeln. Zwar nicht so herrlich kulissenhaft- artifiziell wie bei "Caligari", aber ähnlich schaurig-schön.
Conrad Veidt ist eins von Christopher Lees Vorbildern, es muss also was an ihm dran sein, und um so genauer beobachtet man seine ausdrucksvolle, gar affektierte Darstellung des Paul Orlac. Er ist Konzertpianist, der bei einem Unfall beide Hände verliert und bei einer Transplantation die Hände eines hingerichteten Mörders verpflanzt bekommt. Keine optimale Lebenslage also, und seine hilflosen Versuche, sich von den schrecklichen, neuen Händen zu "lösen", treiben ihn beinahe in den Wahnsinn. Es sind Fremdkörper, von deren krimineller Vergangenheit er sich distanzieren will, zumal er sich von den verbrecherischen Fingerabdrücken nicht mehr befreien kann.
Der Regisseur treibt die Spannung bis zum Ende auf die Spitze, wo sich alles ganz nach einem klassischen Krimi-Baukasten auflöst. Das Gesetz steht dem gefassten, wahren Schurken gegenüber; es wird stumm gequatscht, Beängstigendes enthüllt und in großen Gesten lamentiert bis sich die Tafeln mit den Zwischentiteln biegen, vor lauter schriftlichem Mitteilungsbedürfnis.
Am Ende kommt eine etwas zu konstruierte Wahrheit ans Tageslicht, die diesen finsteren Film  endlich erhellt. An „Das Kabinett des Dr. Caligari“ kommt der Streifen natürlich nicht heran; das Potenzial seiner phantastisch-frankenstein'schen Thematik wird dafür zu wenig ausgeschöpft.

29. Oktober 2013

ACCATTONE - Wer nie sein Brot mit Tränen aß

Pier Paolo Pasolini  (Italien, 1961)
"Accattone" war Pasolinis Erstlingswerk, bei dem bereits ganz Italien auf die Barrikaden ging und somit der Grundstein zum Skandal-Filmemacher gelegt wurde.
Erzählt man nämlich in Italien der 60er Jahre eine Geschichte über einen Zuhälter, der auf alles und jeden spuckt, der andere Menschen zu eigenen Zwecken ausnutzt, der nicht mal davor zurückschreckt, seinen eigenen, kleinen Sohn zu bestehlen, als er ihm bei einer Umarmung das Kettchen samt Kruzifix vom Halse stibitzt, der ein Schuft durch und durch ist, vor Raufereien nicht zurückschreckt, das Vertrauen vom anderen Geschlecht ausnutzt, um naive Mädchen herauszuputzen und anschließend auf den Strich zu schicken, und der selbst vor jeder Art von Arbeit und körperlicher Anstrengung zurückschreckt und seinem aussichtslosen Leben und allen Mitmenschen bloß mit beißendem Spott entgegentritt... da muss ja ein ganzes Land in Aufruhr sein, wenn es einen solchen Film serviert bekommt.
Zuerst erweckt er den Anschein, ein weniger schädlicher Neorealismo-Film zu sein, auch wenn die Zeit für solche Nachkriegswunden in den 60ern längst vergangen war. Die Kriegstrümmer waren beseitigt und boten plötzlich den Blick auf andere, bzw. weitere Probleme. Man saß bloß herum, spielte Karten, verplemperte sinnlos die Zeit und verbrachte ganze Tage zusammen mit abgestumpften Gleichgesinnten. Das römische Zuhälter- und Dirnenmilieu wird zu all dem von Johan Sebastian Bachs "Matthäus-Passion" musikalisch verziert. Wenn Accattone (Franco Citti, damals direkt aus dem Film-Ei geschlüpft!) dann noch für all die Schandtaten mit seinem Tod büßen muss und sich einer in der Menge vor seiner Leiche bekreuzigt, ist der Skandal perfekt und der Film nicht weit davon entfernt.

28. Oktober 2013

EDIPO RE

Pier Paolo Pasolini  (Italien, 1967)
Pasolini stellt sich dem Ödipus-Thema standhaft in den Weg, beginnt von den 20er Jahren zu erzählen und verzichtet zunächst auf unnötige Worte, setzt lieber auf seine bewährte Bildsprache, was ja auch vollkommen genügt, weil Silvana Mangano wieder dabei ist. Sie muss ohnehin nichts tun; bloß mit ihrem Sohn schweigend auf der Wiese sitzen und in die Kamera schauen. Das genügt vollkommen, die Musik übernimmt den Rest.
Dann gibt es den überraschenden Schwenk, der uns mal wieder in Pasolinis Wüstenlandschaften verfrachtet, wo man gleich den Staub und Sand in den Augen zu spüren bekommt. Er erzählt hier vom alten Griechenland, wie der kleine Ödipus von seinem Vater ausgesetzt wird, weil dieser Angst vor der Prophezeiung hat, sein Sohn würde ihn töten und mit seiner Frau im Bett landen. Ödipus wächst zum Mann heran und begegnet zufällig seinem Vater samt Eskorte, irgendwo in der Einöde. Beide wissen nicht, wen sie in dem Augenblick vor sich haben, dem Sohn wird bloß befohlen, den Weg zu räumen, wodurch er sich beleidigt fühlt, zuerst die Eskorte aus vier bewaffneten Männern töten und schließlich seinen eigenen Vater ermordet, völlig unwissend, wen er da mit dem Schwert niedergemetzelt hat.
Pasolini legt ganz klar sein Augenmerk auf diese Szene, die vollkommen ausgedehnt erscheint. Franco Citti als Ödipus stürzt sich in blinder Wut nacheinander auf seine Gegner, am Ende bleiben bloß noch paar tote Körper in einer völlig kahlen Landschaft liegen, afrikanische Trommeln und eine flehende Flöte begleiten jeden Schritt.
Die legendäre Ehe mit seiner eigenen Mutter folgt im Anschluss, obwohl der Inzest Pasolini weniger zu interessieren scheint als die Thematik des blutrünstigen Vatermordes. Da sollen autobiographische Züge ins Spiel kommen; die von Hass erfüllte Beziehung des Regisseurs zu seinem Vater, die "Edipo Re" vielleicht zu seinem persönlichsten Werk macht.

24. Oktober 2013

GRAVITY

Alfonso Cuarón  (USA, 2013)
Dass mich jemals Sandra Bullock und George Clooney ins Kino locken würden; und dann auch noch ein Regisseur, bei dem man lediglich was von „Harry Potter“ und „Pan's Labyrinth“ zu lesen bekommt. Da muss es ja thematisch eine wahre Explosion sein, wenn schon kein Name von Beteiligten überzeugen kann. Verlockend ist es ja auch durch seine Andersartigkeit, wo doch das Sci-Fi-Genre meistens mit Materialschlachten und der hilflosen Suche oder der strapaziösen Auseinandersetzung mit fremdem Leben daherkommt. Da ist Cuaróns Ansatz schon ganz anders, aus den endlosen Weiten des Universums plötzlich ein Kammerspiel für zwei Darsteller zu machen und sogar weitgehend auf eine greifbare Umgebung zu verzichten, auf die man den Fuß setzen könnte. Was im Weltall ohnehin schon schwer ist. Er lässt beide lieber im Nichts schweben, in einer endlosen Schwärze.
Bullock ist Bio-Medizinerin, Clooney Astronaut. Beide auf einer gemeinsamen Weltraum-Mission, wo sie zuerst an ihrem Shuttle herumwerkeln und die gigantische Erdkugel als riesiger Beleuchtungskörper dient, von dem dieser außergewöhnliche Arbeitsplatz erstrahlt wird. Das sind auch die schönsten Momente in diesem Film, weil man mitten in eine Handlung hineingeworfen wird, die so rätselhaft ungewohnt, gar abstrakt erscheint, weil ganze Kontinente und Ozeane eine Landschaft bilden, wie man sie sonst nie zu sehen bekommt und weil die ewige Stille von leiser Country-Musik aus dem Radio durchbrochen wird.
Doch wir haben es dennoch mit Clooney und Bullock zu tun: Clooney bleibt auch im Weltraum ein zynischer Charmeur, der seiner Partnerin das Ohr blutig redet, bis beide irgendwann miteinander zu kommunizieren anfangen. Da wird der Handlungsort zu einem unüberwindbaren Gegner, weil jedes Wort und jedes besprochene Thema hier draußen so unheimlich bedeutungsschwanger werden. Es hört ja sonst keiner zu (außer uns) und alles drumherum ist bis zu einer ungewohnten Abstraktion reduziert.
Das Shuttle gerät dann schnell in eine Kette von hochdramatischen Unfällen, denen auch bereits andere Raumstationen zum Opfer fielen. Alles vom Menschen Erschaffene zerbröselt, der Kontakt zur Erde wird unterbrochen und Bullock/Clooney, als einzige Überlebenden, müssen sich in der Schwerlosigkeit schwebend und unter steigerndem Sauerstoffmangel, selbst aus der Patsche helfen.
Trotz annehmbarer Einfachheit, ein unheimlich schwer zu bewältigendes Thema, wo dem Regisseur ständig ein übergroßes Genre im Weg steht, das sich zum gesamten Weltraum ausdehnt. Denn entweder reduziert man solche Figuren zu puppenartigen Versuchskaninchen, und lässt sie hilflos und schweigend gegen das Universum ankämpfen und gelangt bei einem philosophischen Experiment an, oder man porträtiert ganz konkrete Charaktere, lässt Persönliches zu. Gefühlswelten die sich überschlagen, Vergangenes, das in dieser Abgeschiedenheit wieder an die Oberfläche kommt und verarbeitet werden will. Was ja Bullock auch ansatzweise tut, weil sie mit Verlust zu kämpfen hat. Oder man geht einen ganz drastischen Weg und erzählt eine intergalaktische Love-Story. Doch fürs Schmusen bleibt kaum Zeit und Möglichkeit, weil der Helm meistens auf dem Kopf sitzen bleiben muss.
Jeder gewählte Weg ist schwer, wenn man nicht gerade ein Kubrick'sches Genie ist. Das beweist Alfonso Cuarón ohnehin und im Finale entscheidet sich schließlich alles endgültig, vor allem die Frage, ob es überhaupt ein guter Film ist.

22. Oktober 2013

DECAMERON

Pier Paolo Pasolini  (Italien, 1970)
Boccaccio und Pasolini waren beide Provokateure ihrer Zeit, deswegen sind diese mittelalterlichen Hirngespinste wie gemacht für den italienischen Regisseur. Da man eine solche Fülle an verschiedenen, kurzen Anekdoten nur in angedeuteten Episoden bewältigen kann, ist Pasolini auch hierfür der richtige Mann, weil er die Episoden-Form ebenso meisterhaft beherrschte wie die ausgedehnte Spielfilmlänge.
Er presst hier diese schlüpfrig-skandalösen Geschichten in ein narratives Muster, welches die klaren Grenzen der Episoden sogar verwischen lässt, weil alles ineinander zu greifen scheint; es ist ein Geflecht aus längeren und kürzeren Handlungssträngen. Mal tragisch, mal komisch, mal skurril und voller Doppelbödigkeiten, Schweinekram und märchenhafter Moral. Manches endet abrupt, um doch wieder aufgegriffen zu werden, wie etwa die immer wieder fortgesetzte Geschichte über den Fresken-Maler und Giotto-Schüler (Pasolini in Person!), der so vertieft in seine Arbeit ist, dass er sogar seine gemeinsame Mahlzeit mit den Gehilfen und den Auftraggebern in voller Hast mit schnellen Happen hinunterwürgt, um sich so gleich wieder der Arbeit hinzugeben.
Man muss jetzt auch nicht auf alles im Einzelnen eingehen; man könne erwähnen, dass Pasolinis Muse Franco Citti wieder dabei ist und ebenso die wunderbare Silvana Mangano in einer kurzen Traumsequenz als heilige Madonna.
Der Film protzt vor Schwung und Inbrunst, ist voller komödiantischer Zeitraffer-Aufnahmen, zitternder Handkameras, Zitate aus der bildenden Kunst und gleicht in seiner Verspieltheit einem erzählerischen Dickicht. Er versammelt die merkwürdigsten Menschentypen, Narren und Heilige, Bettler und Könige, alle von Italiens malerischen Landschaften eingehüllt, wo das ewige Zikaden-Zirpen, die brennende Sonne des Südens untermalt, wo in uralten, abgelegenen Klostern Unmoralisches geschieht, nur um doch noch den Bogen zu den kargen Wüstenlandschaften und den für Pasolini typischen, rustikalen Städten aus Sand und Stein zu spannen.
Es ist ein kleinteiliges Mosaik und doch ein einheitlicher Film, der nicht nur bloß von längst vergangenen Tagen zu erzählt scheint, sondern in seinen unpolierten Bildern den Anschein erweckt, tatsächlich in dieser alten Zeit gedreht worden zu sein.

21. Oktober 2013

MITTERNACHT IM GARTEN VON GUT UND BÖSE

Clint Eastwood  (USA, 1997)
Clint Eastwood wedelt öfters gerne mit der Flagge seines Heimatlandes und klammert sich auch gerne an geschichtsträchtige, amerikanische Themen, man weiß ja, wie er ist. Man muss ihn irgendwie auch interessant finden und man kann kaum einen Bogen um ihn machen und weiß nicht mal wieso.
Auch hier basiert alles auf Tatsachen. Jim Williams (Kevin Spacey) ist ein neureicher Kunstsammler, aber vor allem ein homosexueller Lebemann mit großem Anwesen und ein beliebter Gastgeber turbulenter Partys. Eine bunte, egozentrische Erscheinung, die sich an vielen Fronten leicht Feinde macht und ständig in derem Visier bleibt.
Er lädt den Journalisten John Kelso (John Cusack) ein, der über seine Weihnachtsparty berichten soll, doch das Blatt wendet sich ganz schnell, als Williams bei einem Streitgespräch seinen Liebhaber (Jude Law) erschießt. Notwehr oder Mord, der Sachverhalt bleibt undurchsichtig und Kelson entscheidet sich lieber, ein Buch über den rätselhaften Fall zu schreiben. Vom Journalisten zum Schnüffler, ganz nach dem klassischen Erfolgsrezept.
Eastwood leitet seine Geschichte spannungs- und stimmungsvoll ein; wir lernen einen Haufen exzentrischer, leicht skurriler Figuren kennen, betreten zusammen mit Kelson ein völlig neues Territorium, aus arroganten Stars, falschem Glanz, protzigem Getue und rutschen dann immer weiter in die verborgenen Schattenwelten hinter der polierten Fassade, bis wir auf einmal sogar einer mitternächtlichen Voodoo-Sitzung auf dem Friedhof beiwohnen dürfen. Südstaaten-Mystik gepaart mit einer Figurenzeichnung, die man als freakiges Pendant zu Jay Gatsby oder gar Charles Foster Kane betrachten könnte.
In der ersten Stunde denkt man, das wäre vielleicht sogar einer der besten Eastwood-Filme, doch das Blatt wendet sich erneut, als Williams schließlich doch wegen der Schießerei verhaftet wird und der mühselige Prozess beginnt. Eastwood verlegt dann fast alles und alle in den Gerichtssaal, wechselt das Genre und hemmt plötzlich den Rhythmus, langweilt beinahe durch den neudefinierten Fokus. Oder John Berendts Bestseller-Vorlage, in dem die wahren Begebenheiten bereits verwurstet werden, verläuft sich in ähnlicher Weise. Das Thema überragt irgendwann seine Figuren und das ist in dem Fall irgendwie schade, wenn man schon die Drag Queen, Lady Chablis an Bord hat und die Voodoo-Priesterin, Minerva (Irma P. Hall) die Gegend unsicher macht.

20. Oktober 2013

TEOREMA – GEOMETRIE DER LIEBE

Pier Paolo Pasolini  (Italien, 1968)
Terence Stamp, der in einem Liegestuhl sitzt, der Rimbaud-Gedichte liest, der verhältnismäßig wenig tut, sondern mit bloßer Anwesenheit diese eh schon außergewöhnlichen Bilder verziert; passiv, ruhend und zurückhaltend. Hinter ihm die Luxusvilla einer großbürgerlichen, italienischen Familie, die er besucht. Keiner weiß wieso er überhaupt hier ist, er kam aus dem Nichts, war plötzlich da. Nur ein Telegramm kündigte seine Ankunft an. Der Familienvater, ein Industrieller, liest diese Nachricht, während seine Familie bei gemeinsamer Mahlzeit um ihn versammelt ist.
Stamps Figur ist ein einziges Mysterium, das für Unruhe sorgt, eine Bedrohung für die geordneten Verhältnisse, weil plötzlich alle Familienmitglieder samt der Haushälterin vollkommen in seinem Bann stehen. Eine teuflische Verführung, an der jeder zerbricht, durch die jeder eine persönliche Wandlung durchmacht. Nach der Abreise des rätselhaften Gastes offenbart sich eine schmerzende Leere. Der Unbekannte hinterlässt Chaos, Einsamkeit, Sehnsüchte, Leiden und seelische Qualen. Jede Figur kämpft ihren eigenen, persönlichen Kampf, hinterfragt plötzlich die ihr bisher zugeteilte Rolle in den gesellschaftlichen Zwängen. Statt eine reinwaschende Befreiung anzusteuern, führt die Selbstreflektion zum Wahnsinn und Hurerei (Silvana Mangano ganz großartig!), zur Flucht in eine künstlerische Selbsttherapie, zur religiös-meditativer Enthaltsamkeit und zur Distanzierung vom jeglichem Besitztum bis zur vollkommener Nacktheit.
Morricone und Mozart begleiten diese unheilanrichtenden Bilder, kontrapunktieren die Handlung oder betonen den dramaturgischen Rhythmus und heben den visuellen Erzählfluss in völlig entlegene Spähren.
Der interessanteste, ungewöhnlichste und vielleicht schönste Film der letzten Zeit, denn Pasolini erzählt wie kein anderer, in einer schwindelerregenden Filmsprache, als würde er in die Lüfte steigen, um an der Himmelspforte anzuklopfen und gleichzeitig einem die Hand auf die Schulter legen und damit eine beängstigende, unmittelbare Nähe erschaffen.

17. Oktober 2013

GARP UND WIE ER DIE WELT SAH

George Roy Hill  (USA, 1982)
Spätestens nach dem fürchterlichen "Bis ich dich finde" hat man keinen Bock mehr auf die dicken Wälzer von John Irving. Verfilmt wurden sie bereits mehrere Male, aber eigentlich nie so Irving-gerecht wie die damalige George Roy Hills Garp-Verbeugung, weswegen man den Film gerne hin und wieder herauspackt.
Der junge Robin Williams schlüpft hier in die Rolle des Garp, der - wie das bei Irving meistens so ist - ohne Vater aufwächst, dafür mit einer bemerkenswerten Mutter (Glen Close), die durch ihren Schriftsteller-Sohn dazu animiert wird, selbst zur Schreibmaschine zu greifen und mit ihrem Roman dermaßen erfolgreich wird, dass sie zu einer Gallionsfigur der amerikanischen Frauenbewegung wird. Ihr Haus wird schließlich von den kuriosesten (Frauen)Gestalten bevölkert, von Transsexuellen bis hin zu einer Gruppe, die sich als Protest gegen die Misshandlung eines berühmt gewordenen Vergewaltigungsopfers, die Zungen abgeschnitten hat.
Inmitten all dieser skurriler, tragisch-komischer Begebenheiten steht Garp, der die Welt eben mit anderen Augen sieht, der von seiner Schriftstellerei träumt, obwohl er im Schatten seiner populären Mutter steht, der Kampfringer sein möchte (Irving selbst gibts als Schiedsrichter zu sehen) und der mit seiner Jugendliebe, Helen (Mary Beth Hurt) eine Familie gründet und durch Hoch und Tief seinem Schicksal entgegensteuert.
Dem Filmemacher, der früher mit "Der Clou" und "Butch Cassidy and the Sundance Kid" für Aufsehen sorgte, gelang damit nicht bloß ein filmischer Versuch, sondern eine beachtliche Irving-Verfilmung, die zwar fest mit den Beinen im Mainstream-Kino steht, aber dennoch genug verstörende und groteske Momente beinhaltet, um sich einem breiten Publikum zu entziehen. Hill ist bis heute der einzige Filmemacher, der Irvings Opulenz aus unzähligen Nebenhandlungen und akribisch ausgearbeiteten Lebensläufen, in eine kompakte und eigenständig funktionierende Geschichte zwängen konnte.

16. Oktober 2013

DIE SCHÖNE UND DIE BESTIE

Jean Cocteau  (Frankreich, 1946)
Nachdem man aus der kürzlich gesehenen Cocteau-Doku gelernt hat, dass Jean Cocteau sein Leben in einem Opiumrausch verbracht hat, erklärt das natürlich sein Bestreben, das alte Märchenbuch wieder aufzuschlagen und so etwas wie "Die Schöne und die Bestie" filmisch zu verewigen, dann natürlich auch mit seiner großen Muse Jean Marais, gleich in einer dreifacher Rolle: als draufgängerischer Avenant, als wuschelige Bestie und schließlich als bildhübscher Prinz, nach dem der Fluch und der ganze Ärger endlich vorbei ist.
So zugestaubt archaisch wie sich hier alles anbahnt, ist es letztendlich auch, verdankt aber all seiner schmuddeligen Naivität eine unglaubliche Portion an düsterer Atmosphäre, die man bei Märchenfilmen sonst nur lange suchen kann.
Wenn nämlich der alte Kaufmann und vierfacher Familienvater sich im finsteren Wald verirrt und in dem nebligen Dickicht das von engelhaft-dämonischen Chören begleitete, verborgene Schloss findet, dessen dunkle Gänge von sich bewegenden Kandelabern beleuchtet werden, und er dann auch noch beim Entwenden der Rose schließlich der Bestie begegnet... das alles hat Cocteau in einer unheimlich dichtgesponnenen, poetischen Stimmung eingefangen, die dann auch noch fast überboten werden kann, wenn Bella (Josette Day) in Zeitlupenaufnahmen durch die Schloss-Gemächer zur Bestie eilt. Dann wird es auf einmal verdammt schön und man vergisst für einen Moment die viele hölzernen Momente, übertriebenen Verzierungen und den archaischen Märchenkitsch.
Es bleibt ja immer noch ein großer Film seines Genres, wunderbar fotografiert und von einem eigenwilligen, artifiziellen Schauspiel getragen. Bella und die Bestie scheinen in opernhafter Anmut  rhythmisch zu schweben, schwerlos und gespenstisch durch das Set zu gleiten.
Am Ende freut man sich natürlich, dass alles gut ausgeht, dass der gierige Avenant durch den Pfeil der Gerechtigkeit selbst zur Bestie wird und einen elenden Tod stirbt und dass der Fluch von der Bestie weicht und sie als Prinz mit neuem Antlitz zufälligerweise genauso aussieht wie Avenant, auf den Bella sowieso schon zuvor ein Auge geworfen hat.
Ein ganz außergewöhnlicher Musen-Film, weil Cocteau hier seinen Liebling hinter einer verfilzten, pelzigen Fratze versteckt, um ihn am Ende von all seiner Widerwärtigkeit zu befreien und ihm doch noch ein Denkmal zu setzen.

DER EISKALTE ENGEL

Jean-Pierre Melville  (Frankreich, 1967)
Melvilles Film heißt im Original "Le Samouraï", das passt zu Alain Delons Figur vielleicht auch etwas besser, man denkt dabei aber auch eher an das Kino des fernen Ostens, beim „eiskalten Engel“ hingegen mittlerweile leider an eine verblödete HighSchool- Schmarotte. Filmtitel hin oder her, jedenfalls haben wir dem großen Melville zu verdanken, Delon in einer seiner markantesten Rollen sehen zu dürfen, nämlich als keinen geringeren als den Auftragskiller, Jef Costello. Ohne Schirm, ohne Charme und ohne Melone, dafür mit Waffe, stark unterkühlter Erscheinung, Trenchcoat und Hut. Er ist ein einsamer, wortkarger Wolf mit versiffter Mietwohnung und einem Vogel im Käfig als einzigen Freund und Bedrohungs-Barometer. Costello ist der Typ, der die Drecksarbeit für andere ausführt, sich bei Bekannten Alibis verschafft, Autos knackt und schließlich für einen brenzligen Auftrag einen Nachtclub-Besitzer erschießt. Zusammen mit mehreren anderen Verdächtigten landet er auf der Polizeiwache und Melville zeigt uns hier in detailbesessener Manie eine typische Gegenüberstellung von Zeugen, die sich einbilden ein Gesicht wiederzuerkennen und mehrerer, beinahe identisch angezogener, grimmig dreinschauender, potenzieller Täter. Lauter Hüte und Trenchcoats, die öfters ausgetauscht werden; Melville inszeniert das Spektakel wie eine Film-Noir-Modenschau.
Anstatt, dass sich der Nebel endlich mal lichtet, wird es für Delon immer undurchsichtiger, weil er plötzlich zwischen zwei Fronten gerät. Wegen seinem Polizeiverhör bekommen seine Auftraggeber kalte Füße und versuchen ihn zu beseitigen, gleichzeitig wird jede seiner Bewegungen von der Polizei überwacht. Delon ist auf der Flucht durch ein finsteres, ungemütliches Paris, ohne Vertrauenspersonen, ganz alleine, überall lauert etwas oder jemand; schnell und clever muss er handeln, wenn er nicht erwischt werden will.
Die französische Hauptstadt wird zu einem Irrgarten aus finsteren Sackgassen, die U-Bahn als Beförderungsmittel und die verwinkelten U-Bahn-Unterführungen gleichen einem verworrenen Spinnennetz. Man möchte mit Delon um keinen Preis tauschen, ihm lieber bei der Flucht zuschauen und zu Hause warmen Tee trinken. Aufwärmen muss man sich ohnehin, weil Melville hier einen stimmigen Film abgeliefert hat, der deutlich unter dem Gefrierpunkt liegt.