22. Dezember 2013

CALAMARI UNION

Aki Kaurismäki  (Finnland, 1985)
Kaurismäki im (über)ambitionierten Anfangsstadium. Es geht um 18 Männer (17 davon heißen Frank!), die beschließen, ihre Stadt hinter sich zulassen, weil sie sich eingeengt fühlen, weil ihnen die Luft zum Atmen fehlt und weil sie von den überfüllten Straßen vollkommen überfordert sind und deswegen die Küste  erreichen wollen, wo angeblich das erhoffte Paradies auf sie wartet. Ihre Wege trennen sich, nachdem sie zuerst eine U-Bahn entführen, aus der sie an der letzten Haltestelle gemeinsam aussteigen und sich von nun an auf eigene Faust durchschlagen. Anstatt sich das Leben leicht zu machen, wählen sie jedoch meisten einen indirekten Weg, bei dem ständig neue Hürden zu überwinden sind. Die Franks scheitern nach und nach bei ihrem gigantischen Vorhaben. Sie versagen, werden zusammengeschlagen, erschossen, begehen Selbstmord. Nur zwei von ihnen kommen am Ziel an, wo leider nichts so ist, wie sie es erwartet hätten.
Wenn man Godard und Fassbinder in einen Raum sperren und nach gewisser Zeit die Tür öffnen würde, wäre vielleicht so etwas dabei herausgekommen. Kaurismäkis erste Anläufe muss man deswegen nicht unbedingt gleich als eklektisch bezeichnen und doch freut man sich, dass er bei weiteren Filmen einen anderen und vor allem eigenen Weg eingeschlagen ist. Zumindest beweist diese Anlehnung an eigene Vorbilder, dass ein finnischer Film aus den 80ern problemlos wie ein französischer aus den frühen 60ern aussehen kann, und das muss man diesem Regisseur erstmal nachmachen.

INSIDE LLEWYN DAVIS

Ethan Coen, Joel Coen  (USA, 2013)
Die Coens fabrizieren ihre kleinen Geschichte mittlerweile fast im Akkord. In einer kurzen Besinnungspause fragt man sich sofort, ob es wohl wieder etwas neues gibt. Enttäuscht wird man nie; zumindest was Zuverlässigkeit der kreativen Produktivität angeht.
Jetzt legen die Brüder ein Portrait der amerikanischen Folk-Bewegung Anfang der 60er Jahre hin, kurz bevor Dylan als Galionsfigur auserwählt wurde, aber weitgehend ohne dass man sich an weiteren realen Stars jener Szene festklammern darf. Dylan taucht hier lediglich am Ende als dunkle Silhouette auf. Man hört ihn auch singen, doch die Cohens lösen das geschickt; er vertont nur die letzte Szene, er wird nur angedeutet, ohne gleich als Legende ausgeschlachtet zu werden.
Die Folk-Barden in all den Kneipen und Cafés von Greenwich Village, die als thematisches Fundament dienen, retten den Film aber nicht vor seiner Unentschlossenheit. Einerseits blickt er zweiäugig auf die damalige Musikszene, bei der die Coens nicht davor zurückschrecken, alle gespielten Songs auch wirklich in voller Länge auszuspielen. Damals war man ja noch kultiviert, hörte schweigend und konzentriert dem Künstler zu, bis zum allerletzten Akkord. Dann wiederum gibt es die Sache mit der Katze, als Bindestück und inhaltlicher Lückenfüller, damit es einen Grund gibt, wegen dem die Hauptfigur des Llewyn Davis von einem Ort zum anderen torkeln kann, weil er den verflixten Kater entweder sucht oder ihm hechelnd hinterherrennt. Die Katze wurde hinzugefügt, weil die Handlung sonst zu dünn wäre, meinen die Cohens. Was vielleicht auch stimmt. Die komödiantischen Verschnaufpausen sind damit zumindest gesetzt.
Später lässt Llewyn alles hinter sich, selbst seine mittlerweile schwangere Ex-Freundin (Carrey Mulligan), die ihm ohnehin bloß mit Zorn entgegentritt. Eine Wohnung kommt für ihn auch nicht mehr in Frage, er schläft auf einer Couch ein und wacht auf der nächsten wieder auf, bis er irgendwann plötzlich im Wagen zweier Jazzmusiker sitzt (einer von ihnen ist John Goodman... alt geworden). Es geht Richtung Chicago, bzw. Richtung Musik-Manager Bud Grossman (F. Murray Abraham... noch älter geworden). Die Fahrt dehnt sich ins Unendliche, die Sequenz ebenso und plötzlich sind wir mitten in einem Roadmovie; ein unproportionaler Genre-Wechsel, was irgendwie irritiert. Am Ende ist es dennoch ein zusammenhängender Film geworden, mit schönen Songs und netten Einfällen, aber, wie immer bei den Cohens, weit ab vom Meisterwerk.

16. Dezember 2013

DAS MÄDCHEN AUS DER STREICHHOLZFABRIK

Aki Kaurismäki  (Finnland, Schweden, 1990)
Kaurismäki beginnt seinen Film reportageartig, wenn er aus voller Nähe die polternden Maschinen und Förderbänder einer Streichholz-Fabrik einfängt. Zuerst nur Maschinen, keine Menschen, dann plötzlich schwenkt die Kamera doch nach oben und wir sehen Iris (Kati Outinen), wie sie die an ihr vorbeiziehenden, endlose Streichholzschachteln kontrolliert.
Dieser nicht endende Trott findet sich dann auch in ihrem Privatleben wieder, wenn sie nach der Arbeit nach Hause kommt, schweigend am Essenstisch mit den Eltern sitzt, sich vorm Spiegel zurecht macht und zur Tanzveranstaltung geht, wo jedes Mal ein Mann fehlt, der sie zum Tanz auffordern könnte, so dass sie wieder enttäuscht zu Hause ankommt und betrübt unter die Bettdecke kriecht, bevor der Arbeitsalltag wieder losgeht.
Einen radikalen Ausbruch aus dieser Starre wagt Iris dennoch, als sie sich von ihrem Lohn schließlich ein Kleid kauft, dieses jedoch wieder zurückgeben muss, als die empörten Eltern es mitbekommen und der Vater sogar mit Schlägen reagiert. Als ihr eines Tages doch noch ein Mann über den Weg läuft, und man beinahe schon glaubt, es käme etwas Licht in Iris' Welt, sucht er schnell wieder das Weite und lässt sie zurück; völlig verzweifelt und zudem auch noch schwanger, bis sie sogar von den Eltern verstoßen wird.
Kaurismäki stößt uns immer weiter in eine Sackgasse, es gibt kein Entkommen mehr aus diesem pessimistischen Realismus, bis er eine Vollbremsung wagt und den Film schlagartig in eine komplette Finsternis treibt. Denn dann besorgt unsere Heldin in der Apotheke ein Päckchen Rattengift und der Rachefeldzug kann beginnen; der Film schwenkt plötzlich vom Tragischen zu einer bitterbösen Schwärze.
Im Gegensatz zu den beiden anderen Proletarier-Teilen, gibt es in diesem Kaurismäki nichts zu lachen und auch wenig zu schmunzeln. Es ist eine Tragödie der Arbeiterklasse; rau und kantig, weil alle potentiellen, filmischen Verzierungen mit Hammer und Meißel abgeschlagen wurden und der Film deswegen ohne prätentiöses Gejammer und unnötiger Kunstgriffe auskommt.

15. Dezember 2013

ARIEL

Aki Kaurismäki  (Finnland, 1988)
Nächster Teil der Proletarier-Saga; mit gleicher Lakonie und bibbernder Kälte erzählt, dennoch eine eigenständige Geschichte, die mit Müllmännern nichts mehr zu tun hat.
Ein Bergwerk wird geschlossen, weswegen Taisto (Turo Pajala) seinen Job verliert. Sein Vater, der dort ebenfalls gearbeitet hat, überlässt seinem Sohn das Auto und beendet daraufhin sein Leben mit einem Pistolenschuss, den wir aus dem Nebenraum vernehmen.
Weil Taisto keine Perspektive hat, dafür aber ein schnelles Auto, könnte man nun denken, uns erwartet ein reißerischer Roadmovie, mit prächtigem, finnischen Panorama und holprigen Seitenwegen und den üblichen Pannen. Für eine kurze Zeit kann man dieser Illusion getrost treu bleiben, wenn unser Held in dem Cabrio mit offenem Verdeck durch die winterliche Landschaft flitzt. Doch schon bald kommt er in Helsinki an, findet zwar keinen Job, dafür aber die große Liebe in der alleinerziehenden Irmeli (Susanna Haavisto) und landet dummerweise wegen einer Schlägerei im Gefängnis.
Kaurismäki soll unter anderem Robert Bresson-Fan sein; das macht sich in der engen Zelle bemerkbar, wenn Taisto mit seinem Zellengenossen Mikkonen (Matti Pellonpää) einen Ausbruch durchführt, in dem alle vorhandenen, nutzbaren Gegenstände ihre Rolle spielen. Wir erinnern uns an „Ein zu Tode verurteilter ist entflohen“ des französischen Realisten und schmunzeln nicht weniger über die Schlussszene von „Ariel“, wo für unseren Helden überraschenderweise alles gut ausgeht und er mit seiner Freundin & Komplizin eine Fähre ins Unbekannte nimmt. Ähnliche Schlussbilder, wie in Godards „Außenseiterbande“, aber auch Karusimäkis „Schatten im Paradies“.
Der Film ist wieder mal trocken wie altes Brot. Es gibt hier nicht nur jede Menge Unausgesprochenes, sondern auch die wunderbare Szene des tollpatschigsten Banküberfalls in der Filmgeschichte, in der beinahe nichts passiert und deren Komik aus dem Ungezeigten heraus entsteht, weil die Kamera lieber draußen bleibt. Bei Kaurismäki darf man eben vieles selbst ergänzen.

SCHATTEN IM PARADIES

Aki Kaurismäki  (Finnland, 1986)
Die Kaurismäki-Phase sei mit dem ersten Teil der Proletarischen Trilogie eröffnet; "Schatten im Paradies" nennt sich der erste Film und packt das (finnische) Leben direkt an der Wurzel: Der Arbeitsalltag des Müllwagenfahrers Nikander (Matti Pellonpää) wird uns erstmal in der vollkommenen Monotonie (oder auch Poesie) dieser Tätigkeit nähergebracht. Man merkt schnell, dass da eine Frau fehlt, die den Schnauzbart-Träger etwas aufmuntern könnte, sofern das in einem Kaurismäki-Film überhaupt möglich ist. Und die Frau kommt auch bald als Supermarktkassiererin Ilona (Kati Outinen). Die beiden gehen miteinander aus, treffen sich immer häufiger, ziehen zusammen und verlieben sich vielleicht sogar ineinander; so genau weiß man das nicht, weil Kaurismäki seine Figuren lieber zu Eisblöcken erstarren lässt, als sie mit sichtbaren Gefühlen auszustatten.
In stilisierter Kühle und trockenem Humor erzählt uns der Finne von zwei völlig gewöhnlichen Menschen, mit völlig gewöhnlichen Jobs, die dennoch ihre eigenen Träume haben, auch wenn sie diese nicht mit vielen Worten äußern. Und "schön" wird es hier manchmal auch, wenn etwa der verdutzte Nikander eines Tages in seinem Müllwagen unter all dem Abfall eine Schallplatte finden und sie nach Hause mitnimmt. Alter Delta-Blues lässt die Wohnungswände erzittern, der ohnehin schon einen großen Teil des Film bestens kontrapunktiert.

11. Dezember 2013

DER MANN, DER VOM HIMMEL FIEL

Nicolas Roeg  (USA, Großbritannien, 1976)
Nicolas Roeg erzählte uns Mitte 70er das, was wir eh schon alle wussten: David Bowie ist ein humanoider Außerirdischer, der die Welt erobern möchte, jedoch an der Ausbeutung und Kaltblütigkeit der menschlichen Business- und Wirtschaftswelt zerbricht.
Newton bzw. Bowie ist aber erstmal in Not. Sein Planet droht vollkommen auszutrocknen und kein anderer Ort verfügt über solche Wasservorräte wie unsere geliebte Mutter Erde. Er kommt also zu uns, gründet dank seiner Hyperintelligenz ein profitables Unternehmen und erhofft sich von dem Gewinn ein Raumschiff zu bauen, das ihn auf seinen Heimatplaneten zurückbringt.
Newton landet in der allerersten Szene in einem amerikanischen See, gibt sich fortan als Engländer aus (was in Amerika vollkommen ausreicht, um als Alien betrachtet zu werden) und gewinnt rasch das Vertrauen der Erdlinge. Jedoch nicht nur was geschäftliche Dinge angeht, sondern auch in der Zuneigung der hübschen Mary-Lou (Candy Clark). Was folgt, ist eine intergalaktische Liebesbeziehung; selbst dann auch wenn die junge Frau schließlich zu sehen bekommt, was ihr Liebster in Wirklichkeit ist, doch der Reiz des Unbekannten siegt über das Entsetzen. Es bleibt Newton nichts anderes übrig, als sich anzupassen, oder aber letztendlich als Fremdling mit gesenktem Haupt unterzutauchen.
Roeg schmeißt uns einen ziemlich harten Knochen zu, das muss noch unbedingt erwähnt werden, denn was als Sci-Fi-Unterhaltung angekündigt wird - zumindest in der oft zitierten Szene vor dem Spiegel, wo die Demaskierung erfolgt - erweist sich dann doch als ein vielschichtiges, erzählerisch dicht verwobenes Geflecht aus einem nach außen hin gestülpten Seelenleben des Thomas Jerome Newton. Roegs Film kann man getrost zu den filmischen Mosaik-Impressionen dazuzählen, deren Geschichte aus ihrem sensiblen Schnitt heraus entsteht. Und hier wechseln sich nicht nur Raum und Zeit ab, sondern gleich ganze Planeten, wenn irdische Momente den verzweifelten Helden in Form von Flashbacks an seine ferne Heimat erinnern.

10. Dezember 2013

LIEBEN SIE BRAHMS?

Anatole Litvak  (USA, Frankreich, 1961)
Litvaks Film heißt im Original ein bisschen anders („Goodbye Again“), doch man muss zugeben, dass der deutsche Titel ausnahmsweise nichts falsch machen kann, wenn er auf F. Sagans Roman „Aimez-vous Brahms“ beruht. Er klammert sich schließlich so schön an eine konkrete Szene, als Anthony Perkins der neben einer mit Plakaten beklebten Litfaßsäule stehenden Ingrid Bergman, ganz spontan eben diese Frage stellt, als er dort die Ankündigung für ein Brahms Konzert liest. Die ungestüme Spontanität von Perkins' Figur wird dadurch abermals deutlich und Brahms begleitet musikalisch ohnehin den gesamten Film in den unterschiedlichsten Variationen. Es ist immer das „Poco Allegretto“, in seinem Arrangement an die entsprechende Begebenheit und Stimmung der jeweiligen Szene angepasst. Was den Film stets zusammenhält.
Ansonsten erzählt Litvak von Paula (Ingrid Bergman) und Roger (Yves Montand), die eine offene Beziehung führen und somit tun und lassen können, was sie wollen. Was natürlich verheerende Folgen hat. Roger ist Geschäftsmann und Lebemann (mit Betonung auf Lebemann!), der immer irgendwo auf Geschäftsreise ist und diverse Affären ans Land zieht, während Paula den 25-jährigen Philip (Anthony Perkins) kennenlernt, der sich sogleich an ihre Fersen heftet. Alle werden hier von ihren Gefühlen hin- und hergerissen. Roger balanciert waghalsig zwischen Paula und seinen flüchtigen Bettgeschichten und Paula selbst leidet unter dieser Untreue und ebenso unter dem großen Altersunterschied zwischen Philip und ihr. Eine Frau als Gefangene ihrer eigenen Unabhängigkeit. Und da gibt es eben noch den erwähnten Anthony Perkins, kurz nachdem er bei Hitchcock das Bates Motel führen durfte. Hier ein lebhafter, etwas impertinenter, aber ehrlicher Kerl, der sich nach der großen Liebe sehnt und dabei gegen Ingrid Bergmans knorrige Prinzipien stoßt. Die ewige Grande Dame Bergman bleibt eben selbst im romantischen Paris bis obenhin zugeknöpft und kann ihre endgültige Entscheidung bloß bereuen. Und Paris bleibt trotz tückischer Verwicklungen das romantischste Fleckchen auf diesem Planeten; dieses Mal in Schwarzweiß.

9. Dezember 2013

DIESES LAND IST MEIN LAND

Hal Ashby  (USA, 1976)
Nach dem Film weiß man vor allem eins: Man sollte schleunigst die Woody Guthrie-Autobio aufschlagen und die wird auch beizeiten nachgeholt. Bis dahin muss und kann man sich mit diesem Bio-Pic von Hal Ashby begnügen, der mittlerweile auch gerne auf Wühltischen zwischen all dem Schund und Schmutz vorzufinden ist. Nicht ganz abwegig, weil die Tonqualität auf dieser DVD ganz eindeutig von einem anderen Stern stammt.
Jedenfalls konnte Ashby tatsächlich in den 70ern eine doch recht ansehnliche Verbeugung vor dem einzig wahren König des Folk in einen 2,5-Stundenfilm verpacken, ohne dass es unbedingt langweilig wird. Woody Guthrie, der Mann mit der Gitarre und jeder Menge Zorn im Gemüt, aber stets von einer optimistischen Grundhaltung vorangetrieben. Einer, der scheinbar über jedes erdenkliche Thema dieser Welt einen Song geschrieben hat, denn von wem sonst finden man Originalaufnahmen, wo er aus aktuellem Anlass sogar Leute wie Hitler besingt.
Im Film wird Woody (David Carradine, der alle Songs selbst interpretiert!) zunächst als Familienmensch gezeigt, der in Texas lebt, als Schildermaler seine Brötchen verdient und zunehmend von der Unzufriedenheit der Bewohner infiziert wird, die über das harte Leben klagen und sich nach dem fernen Kalifornien sehnen. Denn "California is a Garden of Eden", wie er selbst später singen wird und die Dust Bowl-Periode hüllt die Gegend schließlich mit ihrer staubigen Schicht ein, dass man nur noch seine Siebensachen packen möchte, um von diesem tristen Ort zu verschwinden. Woody lässt also eines Tages alles und alle hinter sich und springt auf den obligatorischen Güterzug Richtung Kalifornien, wo er sich zu den anderen Hobos dazugesellt. Dort angekommen steht er jedoch schon  bald vor den gleichen Problemen: Arbeitslosigkeit und gebeutelte, hoffnungslose Menschen, wo man auch nur hinschaut.
Das Blatt wendet sich erst für Woody, als er bei einem Radiosender vorsingt und sogar eine eigene Show bekommt. Doch Guthrie wäre nicht Guthrie gewesen, wenn er sich plötzlich auf seinem Erfolg ausruhen würde, oder in der neuen Gegend sesshaft geworden wäre. Er verzichtet auf seinen Ruhm, in dem er sich jedem quer stellt, der ihn zu einer Marionette des Showbusiness verwandeln möchte, bis sich sogar seine Familie von ihm im Stich gelassen fühlt. Er ist eben der Mann mit einer Mission, der Typ, der sich mit seiner Gitarre zwischen die Arbeiter mischt, sie dazu animieren will, Gewerkschaften zu gründen und dabei selbst von Plantagen- und Fabrikbesitzern Schläge einstecken muss.
Ashby gelingt ein einfühlsames Portrait dieser amerikanischen Periode; eine filmische Impression aus Orten und Menschen auf ihrer Reise ins erhoffte Glück. Und Ashbys Film ist glücklicherweise selbst voller Staub und Schmutz, als hätte er sich direkt in diese Zeit mit seiner Kamera dazwischengemischt. Er muss auch seinen Schwerpunkt darauf legen, weil Woody dramaturgisch betrachtet immer noch eine zu ausgewogene Figur bleibt; ein Wanderprediger in Gestalt eines überwiegend passiven Widerständlers. Dabei hätte alleine schon seine tragische Erkrankung für eine inhaltliche Wende gesorgt. Doch der Film bleibt eine Impression des Guthrie-Mythos und entscheidet sich, offen hinauszulaufen, um seinen Protagonisten nicht als gefallenen Helden zeigen zu müssen, sondern lässt ihn lieber auf den nächsten, davonfahrenden Zug aufspringen.

5. Dezember 2013

BARABBAS

Richard Fleischer  (Italien, USA, 1962)
In der Blütezeit diverser Jesus-Filme, den Messias bloß als Nebenhandlung anzulegen, um ihn aus der Perspektive des Diebes Barabbas zu beleuchten, ist immerhin ein interessantes Wagnis. Wir erinnern uns: Barabbas, jener Raufbold, der sich vor allem dadurch einen Namen machte, weil er als Gefangener in Jerusalem von Statthalter Pontius Pilatus begnadigt wurde und an seiner Stelle Jesus zum Tode verurteilt wurde.
Barabbas (Anthony Quinn) wird jedoch als freier Mann schnell rückfällig, kann aber laut Gesetz nicht erneut zum Tode verurteilt werden und landet als Zwangsarbeiter in einer abgelegenen Silbermiene. An diesem tristen, an die Hölle selbst erinnernden Ort regiert die Dunkelheit und eine Menge Staub, der stets aufgewirbelt wird, in die Augen eindringt und die Arbeiter nach und nach erblinden lässt. Schlechte Aussichten also. Die Lage ist  hoffnungslos, die unterirdischen Gänge beklemmend und das Sonnenlicht ist bloß noch ein Phänomen aus längst vergangenen Tagen.
Doch Barabbas ist ein antiker Superheld und übersteht während des jahrelangen Aufenthalts auch diesen Ort, selbst als die gesamte Grube schließlich einstürzt und alle anderen Arbeiter unter sich begräbt.
Es folgt die Zeit seiner Ausbildung zum Gladiator, wo Jack Palance als unbezwingbarer Gladiator-Superstar den ehrfürchtigen Bestimmer markiert, doch mit ein bisschen Grips kann Barabbas sogar diesen aufgeplusterten, starken Gegner später in der Arena besiegen und sich unter Jubel der Menge die Freiheit erkämpfen. Jesus selbst, den man zwar aus dem Augenwinkel verliert, spielt weiterhin eine entscheidende Rolle, nämlich als ewig schützender Geist über dem ungläubigen Barabbas. Dieser vermag sich erst dann auf die Seite der Christen zu stellen, als Nero ganz Rom in lodernden Flammen untergehen lässt.
Das ist ein aufwändiges Kino im XXL-Format, erstaunlich opulent in seiner Inszenierung und seinen unzählbaren Komparsen, altmodisch, weitschweifig, aufgeblasen und gedehnt, aber dennoch nicht unspannend, wenn etwa Quinn und Palance ein Duell der Superlative abgeben, dass sogar die Filmmusik verstummt. Dieser heroische Unterhaltungsfaktor um einen beinahe unzerstörbaren Helden, hätte trotzdem noch ein wenig mehr Platz für Barabbas religiöse Zweifel schaffen können. Aber die Zeit war ja auch noch nicht reif für ausgiebige Charakterstudien.

4. Dezember 2013

JUNG UND SCHÖN

François Ozon  (Frankreich, 2013)
François Ozon, der sinnliche Provokateur des heutigen französischen Kinos, erzählt im neusten Streifen von Selbstfindung seiner jungen Protagonistin bzw. wie sie vom rechten Weg abrutscht als sie ihre erste, unerfüllte, sexuelle Erfahrung während eines Urlaubs machen darf. Ausgerechnet mit einem Deutschen; da werden manche hierzulande erbost auf die Leinwand luchsen, weil man in dem jungen Mann den Grund dieser heiklen Charakter-Wandlung des Mädchens erkennen könnte.
Ozon schwenkt mit der Handlung rasch nach Paris, wo Isabelle (so heißt sie) lebt und studiert. Man wird als Zuschauer in den Handlungswechsel direkt hineingeschleudert und muss sich schnell neu orientieren, weil die junge Frau sofort im aufreizenden Business-Outfit in ein chices Hotel hineinspaziert. In routinierten Vorgängen lernen wir sie als Objekt der Begierde kennen, die sich heimlich übers Handy mit älteren Männern verabredet und in komfortablen doch kargen Hotelzimmern ihre sexuellen Wünsche erfüllt. Es sind beinahe völlig stumpfe, festgefahrene Vorgänge. Ein riskantes Doppelleben aus heimlichem Klamotten-Wechsel auf schäbigen, öffentlichen Toiletten; von braver Studentin zur Edel-Nutte. Wenig Dialog zwischen Mann und Frau, nur der hemmungslose Trieb, bis man nur noch darauf wartet, wann endlich das Elternhaus dahinter kommt und die gängigen Erziehungs- und Generationskonflikte entfachen. Doch bevor wirklich so etwas wie ein konventioneller Verlauf, ja gar Langweile aufkommt und man beinahe denken könnte, Prostitution wäre kein schlechter Studenten-Job, wendet sich das Blatt auch schon: Ozon verzichtet auf einen entschleiernden Zusammenstoß von Tochter und Familie, (etwa in Form einer ausgelutschten Szene von Handys, die in falsche Hände geraten), sondern positioniert in die Handlung lieber einen dramatischen Zwischenfall mit einem der Kunden, der ernüchternd und enthüllend zugleich ist.
Es gibt natürlich bessere Ozon-Filme, weil man sich alleine schon über den nicht dargestellten Wandel der Hauptfigur ärgern könnte. Als Zuschauer entgeht einem, wie sie langsam in dieses Milieu hineinrutscht, sich daran herantastet und das nötige Selbstbewusstsein entwickelt, ähnlich wie damals bei Frau Deneuve in Buñuels "Belle de Jour", den wir aber anderseits auch nicht nochmal serviert bekommen wollen und ihn auch nicht kriegen.
"Jung und schön" als Titel trifft es wohl ins Schwarze, wenn man das auf die permanente Präsenz von Marine Vacth in diesem Film bezieht. Wieder so ein blödes Model, könnte man behaupten, aber dafür macht sie ihre Sache doch zu gut und hat schließlich einen Regisseur als Stütze, der bekannt dafür ist, alles so schön logisch, aufgeräumt und geradlinig aufzubauen, dass man völlig sicher sein kann, von ihm wohlbehütet ins Ziel getragen zu werden. Gefährlich könnte es für Frau Vacth in Zukunft dennoch werden; das Klischee des plakativ hübschen, schauspielernden Models, lässt sich unter einem falschen Regisseur nicht so leicht abschütteln.

3. Dezember 2013

ALICE LEBT HIER NICHT MEHR

Martin Scorsese  (USA, 1974)
Wie aufmunternd ist es doch, von Scorsese etwas zu sehen, was ohne sein obligatorisches Blutbad auskommt, auch wenn man ihn für seinen Blick auf das amerikanische Gangstertum am meisten schätzt, doch kurz bevor er Travis als Taxifahrer durch die nächtlichen New Yoker Straßen schickte, gelang ihm mit "Alice lebt hier nicht mehr" ein wirklich schöner Road-Movie und beeindruckendes Frauen-Portrait zugleich.
Ellen Burstyn ist hier in der Hauptrolle, durfte sich sogar selbst den Regisseur aussuchen, und später kommt noch Kris Kristofferson hinzu, mit Bart natürlich, der in diesem Film von Frauenhand sogar angefasst werden darf.
Der Film beginnt mit einem Prolog, der stilistisch wie eine Kopie und Verbeugung von Victor Flemings "Zauberer von Oz" angelegt ist, wo wir die Hauptfigur als kleines Mädchen kennenlernen, bevor der Film mit rollendem Auto und flotter Musik ins Hier und Jetzt umschlägt.
Nach dem Unfalltod ihres Ehemanns lässt Alice (Ellen Burstyn) die Vergangenheit hinter sich, verlässt ihr Haus, verkauft ihr Hab und Gut und macht sich mit ihrem Sohn Tommy (Alfred Lutter) auf den Weg in ihre Heimat in Kalifornien. Das einzige was sie kann ist Singen, so investiert sie ihr letztens Geld in die entsprechende Garderobe, um sich bei Vorstellungsgesprächen in diversen Kneipen im besseren Licht präsentieren zu können. Doch der Weg ist steinig, mal darf sie vorsingen, mal nicht, bekommt dann doch einen Job, aber leider als Kellnerin in einem stets überfüllten, hektischen Lokal, wo scheinbar alle Cowboys der Gegend für eine Mahlzeit vorbeischauen. Bevor dort der Farmer David (Kristofferson) auch endlich eine Bestellung aufgibt und sich eine prickelnde Romanze entwickeln darf, muss Alice davor noch eine katastrophale Erfahrung mit Ben (Harvey Keitel) machen, der sich als verheirateter Despot entpuppt, der gerne Schläge austeilt und das Messer zuckt. Parallel zu all dem zwischenmenschlichen Wirrwarr lernt der kleine Tommy die junge Audrey (Jodie Foster, praktisch aus dem Ei geschlüpft!) kennen, beide schlendern durch die Gegend, klauen im Laden Gitarrensaiten, oder hängen Wein trinkend auf der Couch ab; ein Mädchen mit schlechtem Einfluss.
Ein gutes Marty-Frühwerk, das von seinen amüsant-spötischen Dialoggefechten zwischen Alice und ihrem Sohn vorangetrieben wird. Denn während sich die Mutter kläglich um die Absicherung der familiären Existenz bemüht, pointiert der Sohnemann mit altklugem Zynismus jede Handlung seiner überforderten Mutter. Doch Alice kämpft unentwegt weiter, ob unter Freudestränen oder  einem verweinten Auge.

2. Dezember 2013

THE NEW WORLD

Terrence Malick  (USA, 2005)
Malicks Gesamtwerk ist bekanntlich überschaubar; als jahrzehntelanger Faulpelz unter den Regisseuren (zumindest was Quantität angeht), schraubt er die Erwartungen entsprechend hoch, aber mag man von seinem Gesamtwerk halten was man will; eine eigene Handschrift hat er während dieser ewig langen Zeit dennoch entwickeln können.
In seiner Pocahontas-Version mit Colin Farrell und Christian Bale, die im 17. Jahrhundert als britische Kolonisten Nordamerika erforschen und dabei ihre Herzen an der Prinzessin der Powhatan-Indianer verlieren, umhüllt Malick abermals alles mit seinem typischen poetischen Schleier. Es ist die über-sensible Bildsprache, der markante Schnitt, die schwebende Kamera, die Detailverliebtheit und die Überhöhung der Bilder durch weitgehenden Dialog-Verzicht zugunsten einer lyrischen Off-Stimme. Der bombastische Soundtrack von James Horner und Wagners „Rheingold“ ergänzen diesen Überschwang, bis Malick beinahe himmlische Sphären zu erreichen droht. Man kann das auch Kitsch nennen. Ethno-Kitsch passt auch, vor allem da der Regisseur hier mit den kaum zu bewältigenden Ureinwohner-Klischees zu hadern hat. Die neue Welt ist eben noch viel zu "neu", als dass man auf die Problematik des Aufeinanderprallen dieser beiden Kulturen verzichten könnte. Der Augenmerk liegt dennoch auf der Liebesgeschichte, doch Malick darf bloß andeuten und die beiden Liebenden lustig und verträumt in der Landschaft umherspazieren lassen, weil seine Hauptdarstellerin (Q’Orianka Kilcher) zu dem Zeitpunkt erst 14 Jahre alt war und jede unmittelbare Annäherung an Farrell (und später an Bale) inakzeptabel wäre.
Interessant wird der Film eigentlich erst, wenn die Indianer-Prinzessin schließlich dem alten Europa einen Besuch abstattet; eine Kultur-Kollision, die man so nicht häufig zu sehen bekommt, weil der Film-Europäer sonst eher im Dschungel umherirrt, als dass ein Ureinwohner ehrfürchtig zu der völlig fremdartig und abstrakt wirkenden Architektur europäischer Großstädte emporblicken darf.
Mit Abstand schwächster Malick-Film, obwohl ihm diesen Titel noch sein neuster „To the Wonder“ streitig machen könnte.