30. Mai 2013

DAS GRÜNE ZIMMER

François Truffaut  (Frankreich, 1978)
Wäre "Das grüne Zimmer" Truffauts letzter Film gewesen, hätte er sich damit das makaberste aber auch das perfekteste Denkmal gesetzt, weil es wohl kaum jemals einem Regisseur gelungen ist, mit einer solch hartnäckigen Besessenheit das Thema "Tod" vollständig ins Rampenlicht zu rücken. Aber es ist ja auch ein Film, der vor allem das Thema der bedingungslosen Treue gegenüber einem Menschen (und einem Toten!) behandelt und sich gleichzeitig auf die Frage stürzt, ob der Lebende ein Anrecht darauf hat, den Verstorbenen jemals durch einen andern Lebenden bzw. eine neue Liebe zu ersetzen.
Truffaut ließ sich zu solch schwierig-morbiden Grübeleien von Henry James inspirieren, auch wenn der gesamte Film eher wie ein ganz persönliches Statement zum Thema Tod/Verarbeitung des Todes wirkt, was zusätzlich dadurch verstärkt wird, dass Truffaut gleich selbst die Rolle des Journalisten Davenne übernimmt, der für alle seinen Verstorbenen das "grünes Zimmer" eingerichtet hat, um sie ewig in Erinnerung zu behalten, bzw. um ihnen bestmöglich nahe zu kommen und die Grenze zwischen Leben und Tod immer deutlicher zu verwischen.
Damit das Ganze thematisch noch persönlicher und somit viel greifbarer wird, geht der Augenmerk vor allem auf seine jung verstorbene Ehefrau Julie, die wir nur von den aufgehängten Fotos und Gemälden kennen. Später wagt der Witwer sogar noch einen recht perversen Schritt und lässt anhand der Fotografie eine realitätsgetreue Puppe von seiner Frau nachbauen, um sie dann voller Ekel wieder zerstören zu lassen und verhindert damit, dass der Film versehentlich ins Horror-Genre überschwappt.
Letztendlich sollte man sich eh auf die Lebenden konzentrieren, das bekommen wir lehrreich beigebracht, weil Davenne schließlich in seiner kauzigen Zurückgezogenheit ernsthaft krank wird und sein Schicksal sonnenklar aufleuchtet: Er kann sich bald den blassen Gesichtern in der von endlosen Kerzen erhellten Kapelle anschließen.
Bleibt vielleicht der merkwürdigste Truffaut-Film von allen, weil Truffaut selbst schon in der Hauptrolle kaum ernst zu nehmen ist. Auf seine hölzern-theatralische Art versucht er sich nämlich standhaft, in seinem kindlich-naiv konstruierten Universum zu verschanzen und reagiert auf alles gereizt, gar zickig, was seine penibel aufgestellten Regeln gefährden könnte, womit er seine Figur meisterhaft selbst parodiert.

29. Mai 2013

ALL OR NOTHING

Mike Leigh (Großbritannien, 2002)
Mike Leigh gehört zu den heutigen Regisseuren, nach deren Filmen man sich erst mal literweise Schweiß von der Stirn wischen muss. Leigh als britischer König des sozialen Realismus blickt hier gleich auf mehrere Figuren. Wie in einem Ensemble-Film baut er seine Geschichte zusammen, macht die gegenseitige Abhängigkeit der Charaktere deutlich; in einem Strudel aus unglücklichen Taxifahrern, perspektivlosen Kindern, geschlagenen Alkoholikerinnen, misshandelten und verlassenen Schwangeren, sowie anderen Einsamen, Isolierten und Unglücklichen, die meistens in einer runtergekommenen Londoner Vorstadt aus Beton und grauem Himmel leben.
Sonst gab es bei Mike Leigh immer noch Gründe zum Lachen, wenigstens zum Schmunzeln, in all dieser tragisch-komischen Resignation und menschlicher Entblößung, doch "All or Nothing" ist ein Farbfilm, der nur in Grautönen gemalt zu sein scheint, wo Tunnelblicke kaum einen Lichtschein am Ende verheißen.
Selbst wenn die Figur des übergewichtigen Rory, der in einer Rauferei wegen Herzproblemen zusammenbricht und erst im Krankenhaus zur physischen und vor allem auch psychischer Besinnung kommt, weil sich die Familie sorgenvoll um ihn scharrt, ist nicht mehr als eine belehrende Konsequenz einer aus den Fugen geratenen Entwicklung.
Leigh verzichtet hier noch auf die Figur eines unfreiwilligen Propheten, wie man ihn etwa später in der Figur des Fahrlehrers aus "Happy-Go-Lucky" kennt, oder auf den Sarkasmus und Zynismus von David Thewlis Charakter aus "Naked", weswegen man jegliche poetischen Ansätze in "All or Nothing" noch ganz woanders suchen muss, falls man sie überhaupt finden möchte, oder sich stattdessen lieber in den blanken Realismus stürzt, der noch näher an ein waschechtes Dokument andockt als seine restlichen (zumindest die von mir bisher gesehenen) Filme.

SONG FOR MARION

Paul Andrew Williams  (Großbritannien, 2012)
Fast schon wieder zwei Wochen her, dieser kleine Film. Wirklich ein kleiner Film, weil er vorbeiflatterte wie ein winziges Frühlingslüftchen. So was würde man sich vielleicht auch kaum anschauen, wenn nicht zwei der britischen Filmlegenden dabeigewesen wären, die der Regisseur themengerecht wiederreanimiert hat. Da wären Terence Stamp (immer noch charmant auf die alten Tage) und die gute alte Vanessa Redgrave, bei der man sich wirklich ernsthaft fragt, ob man sie wirklich seit Jahrzehnten nicht mehr auf der Leinwand gesehen hat, oder ob eine filmische Abwesenheit doch bloß eingebildet ist und sie einfach nur gut für die Rolle der Marion hergerichtet wurde.
Stamp als Arthur ist der Prototyp des mürrischen, alten Mannes, der zunächst nur mit großer Skepsis die Leidenschaft seiner Ehefrau Marion teilen kann. Sie ist aktives Mitglied eines christlichen Chors und beitreibt das mit großem Enthusiasmus, was schließlich sogar zu ihrem Lebensantrieb wird, als sie im Verlauf der Geschichte an Krebs erkrankt.
Marion weiß, dass ihre Zeit verrinnt, findet sich aber damit ab, ganz im Gegensatz zu ihrem Mann, der sich fürsorglich um sie kümmert.
Da wird der Film auch furchtbar tragisch, wenn man den beiden in ihrer häuslichen Gemütlichkeit zusehen darf und er ihr sagt, dass er nicht möchte, dass sie geht, während die beiden auf der Couch sitzen und die Kamera langsam davonfährt und der 72jährige jeden gemeinsamen Moment mit seiner Frau hilflos an sich reißt.
Als Marion dann tatsächlich und vor allem sehr früh stirbt, hat man mit dieser plötzlichen Wende beinahe so viel zu verarbeiten wie Terence Stamp während der restlichen Spielzeit, aber dadurch verfällt der Film wenigstens nicht in zermürbende Krankheitsstudien, wie sie eigentlich nur Haneke gekonnt meistern kann, sondern schubst Marions Witwer ins Zentrum, damit er sich nicht zunehmend in die Einsamkeit zurückzieht. Er soll stattdessen lieber von der jungen Chorleiterin Elizabeth (Gemma Artenon) auf die Beine gestellt werden, in dem sie ihn selbst zum Singen überreden kann. Arthur blüht wieder neu auf, bzw. erkennt zumindest, wie er sich in der Zusammenarbeit mit dem Chor seiner verstorbenen Ehefrau nähern kann und schließlich auch das titelgebende Lied für Marion singt.
Ein kleiner Film bleibt er aber weiterhin, weil er oftmals unentschlossen und genreübergreifend zwischen Drama und klamaukigem Rentner-Humor umherpendelt und sich im finalen Höhepunkt in bester Hollywood-Manie verfängt.

23. Mai 2013

DIE FRAU NEBENAN

François Truffaut (Frankreich, 1981)
Bevor sich Truffaut ein paar Jahre später mit der filmischen Verbeugung "Auf Liebe und Tod"  von seiner Ehefrau Fanny Ardant endgültig verabschiedet hat (und von uns gleich mit!), servierte er uns davor noch diesen heimtückischen Liebesdrama-Thriller, falls man ihn überhaupt in eine solche Schublade stecken mag.
Depardieu ist auch mit von der Partie. Er durfte ja bereits zuvor in "Die letzte Metro" sein Truffaut-Debut abgeben; hier taucht er als Bernard auf, der mit Frau und Sohn in der Nähe von Grenoble lebt. Zufälligerweise zieht eines Tages das Ehepaar Philippe und Mathilde (Fanny Ardant) in das Haus gegenüber ein (oder "nebenan", um noch deutlicher auf den Titel einzugehen). Jetzt würde man denken, das klassische Starkino-Muster ist vorprogrammiert, weil Depardieu und Ardant logischerweise zueinander finden müssen, doch Truffaut hat sich in seiner Hitchcock'haften Gerissenheit etwas anderes ausgedacht: Depardieu und Ardant kennen sich nämlich schon von früher, versuchen jedoch die alte Liebesgeschichte vor ihren jetzigen Partnern zu verbergen, was natürlich nicht möglich ist, sonst hätten wir keinen Film, und es passiert, was nicht passieren darf, aber passieren soll: die alte Liebe entflammt in diskret lodernder Flamme, so dass sich die wechselhaften Gefühlsausbrüche nur so überschlagen und jedes Aufrechterhalten der bisherigen Normalität praktisch unmöglich ist.
Das ist trotzdem weder inhaltlich, noch formal sonderlich originell und deswegen auch nicht Truffauts bester Film. Aber er weiß wie immer, auf seine typische, leicht spießige Art kompakt zu erzählen und den Plot mit einem Hauch bösen Humor zu verschnörkeln. Am Ende merkt man, dass es vielleicht auch besser ist, dass Truffaut kein wirklicher 80er-Jahre-Regisseur mehr wurde, weil ihm  die Poesie und visuelle Coolness der späten 50er, 60er und auch 70er einfach besser steht, so gut seine Darsteller diesem Film auch sein mögen.

22. Mai 2013

DU SOLLST DEINE FRAU EHREN

Carl Theodor Dreyer  (Dänemark, 1925)
Wo uns Carl Theodor Dreyer sonst mit seinem "Vampyr" das Gruseln beibringen wollte, oder etwa Maria Falconetti als Jeanne d'Arc endlose Tränen weinen ließ, reduziert er das kleine und doch nicht unbedeutende Kammerspiel von „Du sollst deine Frau ehren“ auf das Interieur einer einengenden Mietwohnung und konzentriert sich auf das Zusammenleben bzw. Miteinanderauskommen der wenigen Figuren.
Da ist der despotische Viktor Frandsen, Familienoberhaupt und ein miesepetriger Choleriker, der seine Ehefrau Ida bei jeder Gelegenheit ausnutzt und demütigt. Wir wissen natürlich sofort, dass sich etwas ändern muss und Dreyer geht es auch um nichts anderes, als diesen Konflikt erfolgreich aufzulösen. Damit kann auch der Begriff Emanzipation groß geschrieben werden, so dass bereits damals sicherlich ein paar Frauenrechtlerinnen bereitwillig aufjubeln konnten. Genug Projektionsfläche für eine solche Problematik bietet die Figur der Ida ohnehin. Glücklicherweise gibt es da die alte Haushälterin Mads, die die Versklavung der jungen Frau nicht länger dulden kann und die Initiative ergreift. Während der Abwesenheit des Ehemanns schickt sie die gebeutelte Ida zu ihrer Mutter, wo sich diese erholen soll, während sie selbst den herrscherischen Viktor in die Mangel nimmt und ihn in kurzer Zeit zu einem braven Ehemann erzieht, der sich vorbildlich benimmt und um den Haushalt kümmert. Aus einer respekteinflößenden Bestie wird ein Schoßhündchen, weil Viktor seine Fehler irgendwann einsieht und ihm die Abwesenheit seiner Frau zunehmend zu schaffen macht.
Dreyer muss seine Kamera auch kaum bewegen, weil die Darsteller für genug Turbulenz innerhalb der vier Wände sorgen. Man merkt es erneut: Das Œuvre dieses Regisseurs ist nicht bloß ein alter Schinken, sondern ein prähistorischer Fleischklops, wenn man so will, aber einer der nicht fault. Oder vielleicht ist er auch eher ein guter alten Wein; seit je her wichtig für die Filmgeschichte und vor allem ist er ein Regisseur gewesen, der sich von Film zu Film immer neu erfand, weil die Themen so vielfältig waren.
„Du sollst deine Frau ehren“ ist ein guter Film, bei dessen Wiedersehen man sich noch intensiver mit den gut versteckten Symbolen auseinandersetzen darf, die dort gut verteilt auf den Tischen und Sofas herumliegen oder an den Wänden hängen, wie schon die fadenscheinige Wanduhr, mit ihrer plakativen Herzschlag-Symbolik, dessen Pendelschwingungen gerne variieren oder komplett aussetzen, je nachdem wie schief der Haussegen hängt.

17. Mai 2013

LITTLE BIG MAN

Arthur Penn  (USA, 1970)
Der große Arthur Penn begab sich hier auf Kriegspfad mit seiner amerikanischen Heimat und das ist einer der besten Gründe, sich mit diesem gigantischen Film alle paar Jahre wieder auseinanderzusetzen, weil hier die ganz harten Geschütze herausgefahren werden, um ein vielseitiges Bild der Pionierzeit zu zeigen, wo das Land im Blutbad der Indianerkriege unterging, wo der weiße Mann kaum jemals so facettenreich porträtiert wurde und damit seine Heimat widerspiegelte, wie in der von Dustin Hoffman verkörperten Figur des Jack Crabb.
Jack gerät als kleiner Junge in die Hände der Indianer und was danach passiert, wissen wir alle, aber genießen es trotzdem immer wieder gerne, wie Jack etwa zum Mann heranwächst und permanent zwischen den beiden Kulturen der Indianer und der der weißen Kolonisten hin- und hergerissen wird. Dabei durchläuft seine Figur einen mehrmaligen Wandel, von Fast-Indianer, über Milchbuben-Greenhorn, bis hin zum Revolverheld, Säufer und irgendwann erneut Indianer.
In jeder Rolle ist er der Antiheld wie man ihn aus dem Bilderbuch kennt, denn der großangelegte Superheld, wie man ihn im traditionellen Western-Genre erwartet, kommt hier kaum zur Geltung, weil Jack durchgehend von Episode zur Episode herumgeschubst wird und jeden Hauch vom glorreichen Wildwest-Ruhm und dem abenteuerlichen Ambiente der Pionierzeit entschärft, hinterfragt, demaskiert, gar satirisch belächelt.
Am Ende bleibt er derjenige, der zwischen zwei Fronten steht und auf dem beiderseits die Waffen gerichtet sind, oder wie es im Film selbst heißt: Die Weißen hassen ihn, weil er ein Indianer ist und die Indianer hassen ihn weil er ein Weißer ist.
Dieser überlange, aber nie langweilig werdende Film, scheint selbst so groß und weit wie die amerikanische Prärie zu sein und bleibt vor allem weiterhin auf eine kluge Weise witzig. Er ist New Hollywood- und Antiwestern-Klassiker, mit ungeheurem Gespür für ein ausgewogenes Verhältnis zwischen amüsanter Persiflage und blutrünstigem Drama.

16. Mai 2013

DER PLÖTZLICHE REICHTUM DER ARMEN LEUTE VON KOMBACH

Volker Schlöndorff  (Deutschland, 1971)
Der junge Schlöndorff hier auf einer Wanderung durch seine hessische Heimat. Für die auf wahren Fakten basierende Geschichte, die sich in Mittelhessen des 19. Jahrhunderts zugetragen haben soll, mussten verschiedene Orte aus dieser Umgebung als Hintergrundkulisse herhalten.
Hier also sein damaliger Beitrag zum Neuen Deutschen Film, den man aber ohne Weiteres zum Historienfilm dazuzählen kann, weil Hessen hier noch im archaischen 1822 steckengeblieben ist, wo eine handvoll verarmter Bauern und Tagelöhner mehrmals hartnäckig versuchen, eine Kutsche mit Steuergeldern zu überfallen, die jeden Monat durch die Wälder nach Gießen unterwegs ist.
Die Versuche scheitern jedoch an schlechter Organisation, an der Furcht vor zusätzlicher Eskorte, sowie auch daran, dass sich die "Räuber" beim weiteren Versuch im Nebel verlaufen und man dann kaum noch glauben kann, als der Raubüberfall eines Tages doch noch gelingt.
Dieser komödiantisch-satirische Unterton verläuft sich dann aber nicht nur im dichten Waldnebel, sondern führt geradewegs zu einer tragischen Wende, weil Schlöndorff zeigt, wie die Dorfleute mit ihrem plötzlichen Reichtum überfordert sind und der verschwenderische Lebensstil sie als Verdächtige an die Gesetzeshüter ausliefert, bis sie schließlich mit dem Halse in der Schlinge landen.
Letztendlich ist es nicht anderes als eine traurige Ballade von der Habgier des Menschen, der nicht bloß seine Grundbedürfnisse stillen will, sondern sich an seinem plötzlichen Reichtum übersättigt, weil er ihn auf kindlich-naive Weise zur persönlichen Bereicherung nutzt. Schlöndorff erzählt nüchtern, gar mit lakonischem Humor versehen, und die Fontane'schen Bilder könnten vielleicht auch jemanden wie Haneke zu seinem "weißen Band" inspiriert haben. Selbst Fassbinder ist in einem kurzen Auftritt zu sehen, wie er als gemeiner Bauer mit einer toten Ente herumwedelt. Margarethe von Trotta darf auch nicht fehlen und so ergänzt sich diese illustre Runde des Neuen Deutschen Films.

14. Mai 2013

LOLA

Jacques Demy (Frankreich, 1961)
Die Nouvelle Vague-Veteranin Agnès Varda kümmert sich seit je her um das Vermächtnis ihres verstorbenen Ehemanns und Regie-Kollegen Jacques Demy, also sorgte sie auch dafür, dass sein "Lola" wieder restauriert und auf Vordermann gebracht wurde. Was dem Film jedoch in seiner Neuvertonung schon mal mehr Schaden zufügt als wirklich hilft, weil der faule E-Gitarren-Schnüffler-Jazz nicht so recht an den eingesetzten Stellen passen will. Eine deutsche Neu-Synchro ist dann ohnehin der endgültige Gnadenschuss, da die hölzernen Stimmen tonnenschwer auf dem alten Zelluloid lasten, anstatt mit den Figuren und den Bildern zu verschmelzen.
Aber die Geschichte um Lola (Anouk Aimée), die als Kabarettsängerin/Tänzerin in Nantes arbeitet, ist dennoch so schön fotografiert und erzählt, dass sie diese technische Verunstaltung halbwegs entschädigen kann. Lola wartet nämlich seit Langem, dass ihre große Liebe Michel wieder zurückkehrt, der sie vor Jahren sitzen ließ, als sie von ihm schwanger wurde. Eines Tages stolpert sie jedoch wortwörtlich über ihren alten Jugendfreund Roland (Marc Michel), der für Lola scheinbar immer noch etwas empfindet, und da gibt es noch den amerikanischen Matrosen Frankie, mit dem sie öfters ihr Bett teilt.
Der letztere hat zwar nicht die zentrale Bedeutung für die Geschichte, führt aber dennoch zu einer der schönsten und ungewöhnlichsten Sequenzen, nämlich als er der jugendlichen Cécile (Annie Dupéroux) begegnet, während er ihr unabsichtlich in einem Zeitschriftenladen den letzten Comic vor der Nase wegkauft, ihn ihr aber bereitwillig schenkt und diese Tat zu einer kurzen Freundschaft führt, wie sie eigentlich nicht sein darf, weil der Altersunterschied viel zu groß ist und Céciles Mama deswegen zu Hause tobt. Doch der Matrose muss ohnehin wieder seinen Fuß aufs nächste Schiff Richtung Amerika setzen und jenes Gefahrpotential verpulvert in einem unschuldigen Traum. 
Was mit der kleinen Cécile passiert, ähnelt vielleicht auch Lolas flüchtigen und unerfüllten Bekanntschaften und die Kamera in Demys Film schwebt federleicht und mit großer Eleganz über diesen kleinen, unglückseligen Schicksalsschlägen.

13. Mai 2013

YOJIMBO

Akira Kurosawa (Japan, 1961)
"Yojimbo" passte gerade perfekt ins Programm, wo mir doch letztens tatsächlich Kurosawas Autobiografie in einem Antiquariat in die die Hände fiel. Ein rares Schnäppchen, über das man sich freuen darf. Über seinen Klassiker "Yojimbo" ebenfalls, wo doch das Wiesbadener KSM-DVD-Label so gnädig war, vor einiger Zeit einige Kurosawa-Filme herauszubringen, die mittlerweile auch schon wieder fast zu begehrten Raritäten zählen.
Der Film thematisiert zwei rivalisierende Banden, die ein ganzes Dorf verunsichern, so dass sich kaum noch jemand vor die Haustür wagt und der Ort langsam aber sicher an eine Geisterstadt erinnert, wo der Wind durch die schwarzweißen Bruchbuden weht und hin und wieder ein streuender Hund durchs Bild hetzt.
Glücklicherweise verläuft sich eines Tages ein Ronin (der große Toshiro Mifune) an diesen tristen Ort, beobachtet zunächst die Lage, entschließt sich zu bleiben und bietet seine Dienste als Leibwächter einer der beiden Banden an.
Mifune ist natürlich ein hinterlistiger Fuchs und wechselt fortan mehrmals das Lager, weil er die Dummheit und die Naivität der beiden Banden erkannt hat, so dass es ihm gelingt, durch geschickte Tricks, beide Seiten aufeinander aufzulehnen. Dieser kalte Krieg soll sich mit seiner Hilfe endlich zu etwas Konkretem entladen und zu einer erlösenden Säuberungsaktion führen, damit am Ende im Dorf wieder Ruhe herrscht.
Wie bereits John Sturges von Kurasawa zu seinem Remake "Die glorreichen Sieben" animiert wurde, war in diesem Fall Sergio Leone  begeistert und drehte von "Yojimbo" beeinflusst seinen "Für eine handvoll Dollar". Wenn man solche Klassiker des amerikanischen Western aufzählt, merkt man aber gleich, in welche Richtung „Yojimbo“ uns hinführt, und dass man dabei trotz gesellschaftlich-menschlicher Themen kaum einen Bogen um einen festgefahrenen Genrefilm machen kann. Kurosawas handwerkliche Präzision muss sich zuallererst gegen die säbelschwingenden Raufbolde eines aufdringlichen Samurai-Gangster-Rache-Genres behaupten. Der Film bleibt am Ende natürlich gut, aber es gibt eben Besseres von Akira.

6. Mai 2013

ZEUGIN DER ANKLAGE

Billy Wilder  (USA, 1957)

Charles  Laughton, der schleimige Fleischberg, der sich oft gerne mit erhobener Nase aufplustert wie ein stolzer Hahn, muss hier überraschenderweise den gefallenen Mann spielen, der nach einer Herzattacke erstmal wieder langsam auf die Beine kommt und sich während eines haarsträubenden Falls wieder als Strafverteidiger behaupten muss. Der ständige Konflikt mit seiner Krankenschwester, die ihn als Übermama am liebsten ans Bett fesseln will, ist ein Running-Gag, der den Ernst der restlichen Handlung entkrampft.
Bei dem verwirrenden Fall, geht es um den Handelsvertreter Vole (Tyrone Power), seine tote bzw. ermordete Witwe und schließlich auch Marlene Dietrich, die eine entscheidende Rolle spielt.
Genauer auf den Inhalt dieser Agatha Christie-Adaption einzugehen bedeutet, die Gesamtkonstruktion zu enträtseln, bis alles in sich zusammenkracht und man den Film nicht mehr zu sehen braucht. Die Lage spitzt sich aber zunehmend zu; so viel darf man offenbaren, und Billy Wilder zögert den endgültigen Überraschungseffekt bis zu allerletzten Minute restlos hinaus.
Und mag man von der Dietrich halten was man will, eine gute Darstellerin war sie dennoch und konnte mit ihrer ungeheuren Präsenz alle Mitstreiterinnen ohne Weiteres beiseitefegen.
Das Genre des Gerichtsfilms ist filmisch betrachtet vielleicht eins der „unfilmischsten“, oder eins, dass sehr leicht einer chronischen Langweile zum Opfer fallen kann, wenn es weniger gekonnt inszeniert ist. Aber Billy Wilder wäre nicht Billy Wilder gewesen, wenn er nicht gewusst hätte, wie man aus einer Location, die zu einer beständigen Geschwätzigkeit animiert (wie eben ein Gerichtsgebäude), dennoch einen unterhaltsamen Film macht. Es klappt deswegen recht gut, weil Charles Laughtons Figur des Strafverteidigers Robarts genug Spielraum bietet, um eine trockene Gerichtsverhandlung, die zwar durch Hitchcock'eske Wendungen voller krimineller Überraschungen besticht, zusätzlich durch die Eigenarten dieses Charakters (und auch der der anderen Figuren) auszuschmücken, die vielleicht manchmal auch zu deutlich mit einem Fuß im Klamauk herumtappen.

2. Mai 2013

BOARDWALK EMPIRE

Terence Winter, Martin Scorsese (USA, seit 2010)
Jeglicher Filmkonsum musste zur Zeit beiseite geräumt werden, um für Martin Scorseses und Terence Winters Hirngespinst Platz zu schaffen. Gemeint ist die amerikanische Serie "Boardwalk Empire", die während der Prohibitionszeit im Atlantic City der 20er Jahre angesiedelt ist, wo Bezirkskämmerer Nucky Thompson (ein sehr fabelhafter Steve Buscemi) mit korrupten Schmierereien die Stadt samt allen hohen Tieren um den Finger wickelt; wo viele von ihnen dann auch wegschauen, wenn die Flüsterkneipen in sämtlichen Seitengassen bis hin zu Luxusveranstaltungen vom Alkohol regelrecht überflutet werden.
Mord, Morde, noch mehr Morde, Schmuggel, Schwarzbrennerei, Erpressung, viel dickes Blut in allen Varianten, aber noch viel mehr Zwischenmenschliches, weil all die Schurken und zwiespältigen Gestalten schließlich auch entweder Familien haben, oder aber turbulente Affären und Beziehungen zu käuflichen Damen pflegen.
Die vielschichtigen Figuren häufen sich auch zunehmend an, vielleicht sogar in zu großen Mengen, weil man plötzlich vor einer langen Namensliste dasteht, die aber immerhin aus namhaften Kriminellen der damaligen Zeit zu bestehen scheint. All den finsteren Visagen in adretten Anzügen darf man bei ihren betrügerischen Machenschaften über die Schulter schauen und interessant ist dabei, beobachten zu dürfen, wie sich Übeltäter wie Al Capone oder Lucky Luciano zu Anfang noch in ihren jungfräulichen Panzerknacker-Stadium über dem Wasser halten, bevor sie zu gefürchteten Gangstern werden.
Die Flut an Gesichtern stört aber wenig, denn man kann (und will!) es ja bei Bedarf nochmal schauen und die Bilder, der Erzählfluss, sowie die visuelle Umsetzung fangen den Zuschauer ausreichend auf, um dieses kleine Universum, das vor Stilsicherheit nur so strotzt, mit Haut und Haaren verschlingen zu wollen.
Ich erspare mir jeden Versuch einer Inhaltsangabe, weil man sie mit dem bloßen Begriff der Prohibition am besten einkreisen kann. Von diesem einen Wort schlängeln sich sämtliche Handlungsstränge wie Seitenpfade in alle Himmelsrichtungen, und letztendlich geht es um den Menschen selbst, in all seinen Facetten, auf der Hintergrundkulisse des Amerika der 20er. Wer mehr wissen möchte, der kommt um diese Serie nicht herum.