29. Dezember 2010

DAS GESICHT

Ingmar Bergman (Schweden, 1958)
Mitte des 19. Jh. ist Dr. Vogler mit seiner Gauklertruppe, dem "magnetischen Heiltheater" nach Stockholm unterwegs, um dort sein sensationelles Programm vorzuführen.
Auf dem Weg werden sie jedoch angehalten und zur Polizeistation gebracht. Der Polizeichef, der Konsul und ein Wissenschaftler, so wie deren Ehefrauen bilden nun das Publikum aus Skeptikern, welches in einer Privatvorführung von den übernatürlichen Kräften des Dr. Vogler überzeugt werden will.  
Ein unausgewogener Bergman-Film, der vielleicht am besten von allen seinen Filmen eine Brücke zwischen seinem früheren Werk und dem ausgereiften Bergman schafft.
Was wie ein düsterer Gruselfilm in Hammerfilm-Manie, gepaart mit Siebente Siegel-Assoziationen anfängt, verwandelt sich zwischendurch in eine erquickend-gemütliche Komödie, um im Schlussteil die albtraumhaften Horrorvisionen aufs Äußerste herauszufahren.
Als würde Bergman in einer Kutsche mit Stoker, Poe und Meyrink durch einen nebligen Wald fahren. So ganz anders als gewohnt. Eigentlich schön, wenn manche Filme ewige Geheimtipps bleiben.

28. Dezember 2010

EXODUS

Otto Preminger (USA, 1960)
Paul Newman und Eva Marie Saint mitten im Trubel auf Zypern, kurz nach dem zweiten Weltkrieg. Er ist Jude, der sich für seine Landsleute einsetzen will, sie ist Amerikanerin, die ein jüdisches Mädchen ins Herz geschlossen hat. Beide stoßen schließlich an Bord der Exodus aufeinander; das Schiff, das jüdische Flüchtlinge aus Europa nach Palästina bringen soll. Die britische Besatzungsmacht stellt sich quer, doch das Kunststück gelingt und der Rest des Films dreht sich um die nervenaufreibende Staatsgründung Israels und den ewigen Zwietracht zwischen Juden und Arabern.
Gemessen an der wahren Begebenheit um die Strapazen der echten Exodus, erscheint Premingers Film vermutlich wie eine Kreuzfahrt mit der Aida. 1960 ist zwar noch die Zeit vom braven Old Hollywood, wo man bei solchen Themen mehr Wert auf den heroischen Überschwank legte, als auf plastisch ausgearbeitete Einzelcharaktere.
Um so mehr erfreut jemand wie David Opatoshu in der Rolle des Akiva Ben-Canaan; genauso wie Sal Mineo, den man aus "...Denn sie wissen nicht, was sie tun" kennt. Vor allem das Zusammenspiel der beiden machts: in der Szene des Verhörs des Jungen (Sal Mineo), der von seinen Auschwitz-Erfahrungen berichten soll.
 Das sind dann auch die großen Momente und nicht der harmlos inszenierte Hungerstreik der Exodus-Besatzung oder der Anschlag auf das King David Hotel in Jerusalem. 
Demzufolge ein Film der vielleicht falsche Akzente setzt, der persönliche Einzelschicksale deutlicher zeichnet , als sein eigentliches Thema. Vielleicht ist es aber der bewusst gewählte Weg, um sich an die Handlung heranzutasten, auch wenn der große Rahmen oft an plumpen Phrasen zur Toleranz hängen bleibt.
Sehenswerter, in dem Fall viel zu langer Klassiker.

21. Dezember 2010

Dust Bowl - die amerikanische Naturkatastrophe in der Kunst

Bob Dylans „Chronicles“-Autobiografie führte mich kürzlich zur Musik von Woody Guthrie. Dessen Konzeptalbum „Dust Bowl Ballads“ von 1940 brachte mich schließlich darauf, dass das Dust Bowl-Thema schon häufiger (auch im Film) von verschiedenen Künstlern verarbeitet wurde.
In den 1930er-Jahren wütete die Dust Bowl-Periode, die mehrere Staaten von Amerika (vor allem Oklahoma) mit Staubstürmen und Dürren verwüstete. Die Ernte war vernichtet, ebenso die Häuser und Farmen der dort lebenden Menschen. Die meisten Familien zogen mit ihrem Hab und Gut über die damals frisch geteerte Route 66 in den Westen, wo sie sich in Kalifornien neues Glück erhofften.
Eine Katastrophe, die die Heimat und Träume seiner Einwohner unter Staub und Sand begrub, jedoch gleichzeitig einig wichtiges künstlerisches Œuvre gebar. Eine Naturgewalt sorgte demnach auch für Wirbel in verschiedenen künstlerischen Kreisen, deswegen ist Amerikas Dust Bowl-Zeit auch hier ein nennenswertes Thema.
Wie bereits erwähnt, besang Woody Guthrie die Probleme der heimatlos gewordenen Okies in seinen "Dust Bowl Ballads".
John Steinbeck beschrieb das Schicksal der Farmerfamilie Joad in seinem Roman "Früchte des Zorns" (W. Guthrie widmete sogar der Tom Joad-Figur einen Song)
Der Roman wurde ein Jahr später von John Ford meisterhaft verfilmt.
Auch die Fotografin Dorothea Lange setzte ihre Zeichen während der Großen Depression, und der Maler Alexandre Hogue war ebenso bekannt für seine Dust Bowl-Gemälde.
Wie so oft, schreibt das Leben die besten Geschichten. Sicherlich ist die der amerikanischen Staubstürme noch viel umfangreicher und einflussreicher auf Kunst und Kultur, wenn man genauer nachforscht.

16. Dezember 2010

EMIR KUSTURICA

Längst fällig: ein paar warme Worte zu dem 1954 in Sarajewo geborenen Emir Kusturica loszulassen; dem balkanischen Wunderkind, der einem Collagekünstler gleich, seine Filme aus einer unerschöpften Ideenquelle zusammensetzt. Drehbücher sind eine Behinderung, denn neue Ideen kommen während des Drehs wie am Fließband. Für Filmproduzenten ist das zum Haareraufen, für uns Zuschauer eine rasante Unterhaltunsgarantie.
Endlose Einfälle, mosaikartig eingebettet in kleine Zwischenfälle, meistens sich nur im Hintergrund abspielend, weisen auf den Geist eines Erfinders hin, weniger auf den eines Filmemachers. Logische Abfolgerungen von kleinen gegenständlichen Zufällen, oftmals durch Menschenhand beeinflusst. Ein Ideenreichtum, dessen Grenzen mit Leichtigkeit überschritten werden und ins Surreale übergehen.Doch auch Kusturicas Kino hat seine Schattenseiten. Die offenbaren sich bei mir leider letztens immer häufiger, je mehr Filme ich von ihm sehe.
Denn mit der Zeit stellt man fest, dass Kusturicas Kino ein brodelnder Eintopf ist, der zum Überschwappen droht. Seine Geschichten, mal vulgär, mal poetisch, verlieren an Überzeugungskraft und büssen ihre Originalität und Ausdruckskraft schnell wieder ein, gerade weil der Regisseur die narrativen Grenzen dermaßen herausfordert und seine selbst erschaffene Welt, die von karikaturhaften Figuren besiedelt wird, nicht mehr zügeln kann. Mit jedem weiteren Film, den er dreht, wird der längst übersüßte Kuchen immer deftiger; die Glasurschicht immer dicker und bunter. Aber sicherlich passt diese Art zu ihm selbst. Vor allem was den oft ordinär-abgegriffenen Humor angeht. In der Doku "Super 8 Stories" sieht man schließlich Kusturica, als den grobgeschnitzten Gorilla, der sich gerne mit Bandkollegen rauft, wie ein 10jähriger Schuljunge.
Anderseits war irgendwie bisher fast alles gut oder sogar großartig (vor allem "Underground" und "Time of Gypsies") und auch seine ersten Schritte wie "Erinnerst du dich an Dolly Bell" und "Papa ist auf Dienstreise" waren schöne Filme; vielleicht war da der Kuchen noch nicht so verdorben. „Ariona Dream“ ist vermutlich eine Art Einstiegsfilm, "Schwarze Katze.." kochte schon zu sehr in seiner vollkommen überzeichneten Weise und "Versprich es mir!" war der Gipfel der Überstilisierung, da ging gar nichts mehr. Kusturicas Kino das ist, als würde man auf der Flucht vor einem wilden Bären in Begleitung einer Zigeunerkappele einen Berg hinunterlaufen und dabei ständig Gänseherden ausweichen müssen. Ein gutes Gefühl, aber manchmal möchte man auch verschnaufen.

6. Dezember 2010

SO FINSTER DIE NACHT

Tomas Alfredson (Schweden, 2008)
Ein Tomas Alfredson kommt aus dem Nichts und schmeißt uns das ungewöhnlichste Werk der letzten Zeit vor die Füße. Lässt uns nachdenken über Einsamkeit, Einzelgängertum, aber auch den Lauf einer Freundschaft, Treue, Abhängigkeit und Rachegefühle, die in uns brodeln.
Wie eine blutige Spur im verschneiten Wald, die man verfolgt. Man kennt ihren Ursprung nicht, man weiß nicht wohin sie führt. Der Mensch ist neugierig, gruselt sich gerne, auch wenn er es ungern zugibt.
Und schon sind wir gefühlsmäßig bei Alfredsons Film; der Vampir-Genre-Stempel schwebt ungewiss in der Luft, doch muss man den Film automatisch katalogisieren? Kann man es überhaupt? Vermutlich liegt der Reiz auch in diesem sinnlosen Ärger, dass er sich nicht klar einordnen lässt. 
Es ist vor allem ein erzählerisch ausgeglichener und linearer Film, doch mit verstörenden, blutigen Akzenten; Johan Söderqvists Musik verleiht dem stets eine poetische Ästhetik.
Ein Genre-Film, der keiner ist, weil er Klischees verweigert, bzw. sein eigenwilliges Genre nutzt, um Anspielungen auf lebensnahe Themen zu machen. Wunderbar.

30. November 2010

SOMEWHERE

Sofia Coppola (USA, 2010)
Der Film kommt wie er geht; unscheinbar, still und ausgeglichen, wie ein entspannender Sonntagnachmittag, aber bei grauem Himmel. Zuerst wirkt das wie ein etwas aufdringliches Stillmittel eines Studentenfilms, doch irgendwann beginnt man sich zu fragen, ob diese Sichtweise doch nicht völlig richtig ist.
Es geht um einen erfolgreichen Schauspieler mitten in seiner kreativen und vor allem menschlichen Krise. Es geht um Langweile, Abgeschiedenheit, Identitätssuche. Und schon wieder ist man als Zuschauer zwiegespalten: Sofia Coppola zieht ihre Szenen in die Länge, hält mit der Kamera auf ihren desillusionierten Darsteller, reduziert und reduziert. Und macht sie es sich damit nicht zu einfach? Denn weniger ist in dem Fall eben zu wenig. Ein solider Film, aber flüchtig wie eine kleine Brise. Fazit (und Tatsache): Papa macht die besseren Filme. Immer noch.

25. November 2010

exground Filmfest 23

12.11.10 - 21.11.10, Wiesbaden

Relativ harmlos und schnell zog das diesjährige Wiesbadener Exground an mir vorbei. Kaum Zeit, um sich wirklich darauf einzulassen. Die Entscheidung, welche Filme man überhaupt sehen soll, fällt immer schwerer. Und die Eintrittspreise steigen auch irgendwie. Zumindest kam es mir merkwürdig vor, als ich bei der Kasse in die Schale mit den Festival-Buttons greifen wollte, jedoch gleich darauf hingewiesen wurde, ich müsste 1 € für so ein Ding zahlen. (letztens beim goEast gab's die noch umsonst).

Zu den gesehenen Filmen:
"Tetro" war groß (siehe Beitrag), "Pyatnista" eher nervenaufreibend und die beiden Lommel-Filme wirklich gut. Bei seinem Adolf-Film sogar Tränen gelacht. Fassbinders "Schöpfung", Ulli Lommel kam dieses Jahr sogar höchstpersönlich aus den USA nach Wiesbaden angereist, wo seine Filme in dem etwas unbequem-abenteuerlichen Kulturpalast präsentiert wurden. Leider lief der Film ("Zärtlichkeit der Wölfe") viel zu spät, so dass ich den guten Mann lediglich bei der Einführung sehen durfte, und kurz vor Beginn des späteren Interviews leider geschwind den Raum verlassen musste. Sehr sehr schade. Am nächsten Tag bei "Adolf und Marlene" war er nämlich nicht mehr in der Stadt.

Die gesehenen Filme:

Wladimir Sajkin
PYATNITSA.12 Russland, 2009

Francis Ford Coppola
TETRO
Usa, 2009

Ulli Lommel
DIE ZÄRTLICHKEIT DER WÖLFE
Deutschland, 1973

Ulli Lommel
ADOLF UND MARLENE
Deutschland, 1976

23. November 2010

MARQUIS

Henri Xhonneux, Roland Topor (Frankreich, 1989)
Ich war wohl in der letzten Zeit mehr auf Topors Bücher ("Der Mieter", "Memoiren eines Arschlochs") und Illustrationen fixiert.
Dass aber Topor und der belgische Filmemacher Xhonneux Ende der 80er diese ungewöhnliche Hommage an Marquis De Sade auf die Beine gestellt haben, ist mir völlig entgangen.  
Schriftsteller Marquis (ein etwas lumpiger Cocker Spaniel) hockt in seiner Bastille-Zelle, draußen hängt die französische Revolution schon in der Luft. Alleine ist er aber nicht; als Gefährten und Gesprächspartner hat er seinen eigenen Penis. Ein eigenständiger, zutiefst menschlicher Filmcharakter, der philosophiert, spottet und manchmal auch zu sehr den Mund aufreißt. So was kann nur von Topor kommen.
Und vor allem der Einfall, alle Film-Figuren in Tierkostüme zu stecken, um ihre jeweilige Charakteristik hervorzuheben. Wunderbar.
Ebenso wunderbar das umfangreiche Making Of über die akribische Herstellung der Kostüme, wo man auch mal die schwitzenden Darsteller hinter den Masken sehen darf und sich noch tiefer vor ihrer Leistung verbeugt, wenn man erfährt, dass sie sich beinahe blind und taub zurechtfinden mussten.

17. November 2010

JACK ARNOLD - King of B-Movie

Damit wäre schon mal geklärt, weshalb der Kiemenmensch aus Jack Arnolds "Der Schrecken vom Amazonas" öfters wie betrunken durch die Gegend torkelt, wenn man schließlich erfährt, dass die Schauspieler, die in dem Kostüm drinsteckten, bis zu vier Minuten die Luft anhalten mussten, weil darin kein Luftvorrat eingebaut war.

Wie auch immer: hier eine plakative Verbeugung vor Jack Arnold, dem König des B-Movie, dem Meister der unbeholfenen Symbolik, die zum filmischen Trash führte. Ein Mann, der uns mit einem belehrenden, warnenden Zeigefinger vor einer möglichen radioaktiven Verseuchung und deren Folgen warnen wollte, in dem er lächerliche Plastikmonster und billige Special Effekte auf uns losließ. Der überzeugte Patriot, der die gleichen Kreaturen mit ganzen Kolonnen an Polizei und Militär bekämpfen wollte, um seine Heimat zu retten. Und schließlich der Filmemacher, der mich mit seinen kindlich-naiven Horrormärchen schon immer wunderbar unterhalten hat.



16. November 2010

TETRO

Francis Ford Coppola (USA, 2009)
Gemessen an Coppolas zwei Monstern "Der Pate" und "Apocalypse Now" ist dieser neue Film bloß eine Fingerübung des Altmeisters. Dennoch ein großer Film und vermutlich das Highlight des diesjährigen Exground-Festivals in Wiesbaden.
Eine Art Kazan'sches Familiendrama; ganz im Stil alter Hollywood-Dramen der 50
er.
Dazu noch in Schwarzweiß gedreht; bloß dass Coppola seine Geschichte in Buenos Aires angesiedelt hat; eine exotische Würze.. die Location erscheint so filmisch frisch und unve
rbraucht.  
Den Inhalt zusammenzufassen bedeutet, den Film sofort zu enträtseln, daher lieber kurz und knapp: Bennie (ein sehr toller Alden Ehrenreich, den Spielberg kurz zuvor entdeckt und weiterempfohlen haben soll) arbeitet als Kellner auf einem großen Schiff, das wegen einer Panne in Buenos Aires halt macht. Hier besucht er seinen älteren Bruder Tetro (ein noch viel tollerer Vincent Gallo), der seine Familie verstoßen und sich in der argentinischen Hauptstadt niedergelassen hat. 
Es wird gerüttelt und geschüttelt an alten Familiengeschichten und Tragödien, versteckte Kisten mit Hinweisen auf die eigene Existenz werden aufgerissen, Erinnerungen an verstorbene Mütter und despotische Väter (Klaus Maria Brandauer als großer Dirigentenstar), fellineske Theateraufführungen und schließlich Coppolas Neigung Ballet, Oper und Theater in die Geschichte zu integrieren. Aus dieser Symbiose von Darstellender Kunst und Wirklichkeit entsteht erst die eigentliche Story, oft mit einem subjektiver Blick auf Kleinigkeiten.  
Schwer zu erklären, wo genau die Kraft dieses Filmes liegt. Vielleicht sind es aber die vielen überraschenden Momente: Um auf sich aufmerksam zu machen, klopft Vincent Gallo ganz leicht mit einer Axt gegen die Scheibe, die daraufhin sofort einen Sprung bekommt. Mehr passiert nicht; das vorbestimmte Mordwerkzeug wird erst gar nicht zu einem solchen.Vermutlich liegt hier die Antwort: Coppola weiß zu überraschen. Immer noch. Da kann er sich getrost zurücklehnen und ein Coppola-Weinchen entkorken, denn man kann sich immer noch auf die alten Helden verlassen und muss sich nicht stets neue suchen.

11. November 2010

DIE WEIßE HÖLLE VON PIZ PALÜ

Arnold Fanck, G.W.Pabst (Deutschland, 1929)
Der Titel ist Programm: Das Schweizer Piz Palü ist die Kulisse. Bergsteiger Johannes Krafft unterwegs mit seiner Frau, die beim Klettern in eine Spalte stürzt. Er kann ihren Tod nicht überwinden, selbst Jahre nach dem Unfall, versucht er sich unentwegt an der Nordwand des Gebirges, um diese endlich zu bezwingen.
Ein junges Ehepaar kommt währenddessen in die gleiche Gegend, um die Berge zu erkunden. Sie (die junge Leni Riefenstahl) verfällt dem einsamen Bergsteiger Krafft, der immer noch wie benommen in dem Gebirge umherirrt. Ihr Mann wittert die männliche Konkurrenz, will sich auch als Bergsteiger beweisen. Trottelig wie er sich anstellt, muss er dann aber während einer gefährlichen Tour im kritischen Moment gerade von Krafft gerettet werden.  
Was erstmal nach einem banalen Bergfilm-Melodrama klingt, ist in Wirklichkeit auch gar nicht so weit davon entfernt. Hinzu kommt der visuelle Pathos der hügeligen Landschaft, die großen Gesten der (Stummfilm)Darsteller und die überstrapaziert langen Szenen und Einstellungen.
Doch das Duo Fanck & Pabst auf dem Regiestuhl kann trotzdem großartig unterhalten. Arnold Fanck lieferte die gewaltigen Naturaufnahmen, von G.W.Pabst kommt die narrativ-dramaturgische Seite, die den Film erst zum Film macht und ihn vor allem viel moderner erscheinen lässt, als vieles der damaligen Zeit.
Interessant auch der Fakt, dass die Nazis damals die Szenen mit dem jüdischen Schauspieler Kurt Gerron herausgeschnitten haben, obwohl Hitler durch seine persönliche Zuneigung zu Riefenstahl von dem Film sicherlich prächtig unterhalten wurde.

10. November 2010

DER MEISTER UND MARGARITA

Aleksandar Petrovic (Jugoslawien, Italien 1972)
Nachdem ich kürzlich Bulgakows Roman gelesen habe, erscheint Aleksandar Petrovics Verfilmung von 1972 wie ein schlechter Witz, obwohl ich den Film immer gerne geschaut habe.
Stimmungsvoll ist er ja, und ich hoffe, ich muss von diesem Klassiker auch niemals eine Hollywood'sche Version sehen. Man merkt dem Film trotzdem an, wie schwer er sich tut, vor allem die phantastischen Elemente umzusetzen. Man erwartet bei Bulgakow zwar keine Special Effect-Parade, aber wenn man allein aus techniscen Gründen auf den Kater Behemoth verzichten muss, bzw. dieser auf eine gewöhnliche Schmusekatze reduziert wurde (im Buch kann er reden, hat die Größe eines Menschen und geht aufrecht auf seinen Hinterbeinen), dann bleibt einem eine der tragenden Figuren dieser Geschichte verwehrt, da sie auf diese Weise bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt und verharmlost wird.
Trotzdem mag ich den Film. Er ist immerhin so etwas wie ein Versuch. Alleine Mimsy Farmer als Margarita, mit ihrer aufziehpuppen-artigen Art zu spielen, macht den Film sehenswert.
Und Morricones Glockengebimmel in den Anfangssequenzen, während des Kamerafahrt durch Moskaus schäbige Vorstadt.

9. November 2010

DER WIND IN DEN WEIDEN

Chris Taylor (Großbritannien, 1983)
Damals oft geschaut, als ich noch zu meinen Eltern hinaufschauen musste, schließlich über die folgenden Jahre vollkommen aus dem Gedächtnis entflohen, bis auf paar wenige Bilder, die hin und wieder an die Oberfläche kamen, jedoch ohne Bezug zu einem konkreten Film.
Vor allem den Vorspann hatte ich immer vor Augen, wie die tierischen Helden in den nostalgisch-ovalen Fotorahmen erscheinen. Viele Jahre später brachte mich ein Freund wieder auf die richtige Spur, als ich ihm bruchstückhaft die Bilder aus meiner Erinnerung wiedergab.
Es handelte sich um die britische Stop-Motion-Serie von Chris Taylor nach Kenneth Grahames Roman "Der Wind in den Weiden".
Im Mittelpunkt die vier Freunde Maulwurf, Wasserratte, Dachs und die Kröte, um die das Geschehen
des Waldes umherkreist. Jede der Figuren ausgestattet mit eigenen Charakterzügen, Stärken und Schwächen; ganz wie bei uns, denn nichts anderes sind diese tierischen Wesen: eine Metapher für uns selbst. 
Schon das Kinderbuch von Graham, auf dem das Ganze basiert, wurde als Satire der damaligen gesellschaftlichen Verhältnisse angesehen. Verschiedene Charaktere, aus unterschiedlichen Schichten und Gesellschaftsgruppen treffen hier aufeinander: Der Adel, der Bauer, der Gelehrte, der Gauner, ihr gemeinsames Zusammenleben, die Abhängigkeit von seinen Mitbewohnern, das Gutbürgerliche, die Sicherung seines eigenen Reviers, aber auch ein Aufruf zur Erhaltung der Umwelt, denn alles Geschichten sind schließlich im Grünen angesiedelt.  
Alles liebevoll inszeniert, jedoch mit einem düsteren Grundton versehen. Beispielweise die Gemütlichkeit und Idylle der detailverliebten Wohnungen der Figuren hat trotzdem etwas melancholisches, signalisierendes, denn der Bezug zu unserer eigenen Realität ist in den Aussagen der einzelnen Geschichten viel zu gegenwärtig.  
Eine kleine Welt für sich, umschlossen von einer totgeglaubten Filmtechnik und Ästhetik. Zum Glück pflastern Leute wie Tim Burton heutzutage mit ihren Puppenfilmen diesen selten genutzten Weg weiter.

8. November 2010

KOMM UND SIEH

Elem Klimow (Sowjetunion 1985)
Einer der besten Filme der letzten Zeit. Klimows „Abschied von Matjora“ war schon groß, aber dieser Film überschattet das meiste kürzlich Gesehene vor allem durch seine expressive Erzählweise.
Es ist die Geschichte des jungen Fljora, der 1943 sein Heimatdorf in der weißrussischen Sowjetrepublik verlässt, um sich den Partisanen anzuschließen und gegen die Besatzer zu kämpfen. Was nach großem Abenteuer klingt, entpuppt sich schnell als todbringendes Martyrium. Schon nach kurzer Zeit fallen die ersten Bomben, machen Teile des Waldes, in dem sich Fljora versteckt, dem Erdboden gleich. Der Held ist völlig paralysiert, der Zuschauer auch, denn die Explosionen erfolgen mit so einer Wucht, dass man meint, man wäre selbst in dem Wald ausgesetzt worden. Eine bedrohliche Kulisse aus Feuer, Rauch und Donnerschlägen, die den Helden in kürzester Zeit sein Gehör kostet. Ein Summen ist nur noch zu hören, sonst nichts mehr; in seinem Kopf und in unserem ebenso.
Er kehrt zurück in sein Dorf, wo zwischenzeitig ein Massaker stattgefunden hat, begibt sich sogleich auf die Flucht, nur um ausgerechnet am eigenen Leibe das Massaker von Chatyn zu erleben (und zu überleben!), bei dem die SS zwecks einer Vergeltungsaktion die Bewohner in eine Scheune treibt und diese anschließend den Feuerflammen überlässt.
Ein monströser Film, so realistisch, unbeschönigt und direkt, wie kaum ein anderer Antikriegsfilm.

7. November 2010

COCO CHANEL & IGOR STRAVINSKY

Jan Kounen (Frankreich, 2009)
Es beginnt mit Stravinkys (Mads Mikkelsen) skandalöser Balletaufführung am Théâtre des Champs-Élysées. Schon das sind filmisch ganz große Momente. Alles wirkt sehr beklemmend, finster, radikal. Die bourgeoise Menge versteht es nicht und tobt, doch Coco (auch im Publikum, gespielt von einer tollen Anna Mouglalis) lächelt auf, ist fasziniert. Daraufhin bietet die junge Modeschöpferin dem Komponisten an, mit seiner Familie auf Ihren Landsitz zu kommen, um dort zu arbeiten. Dieser nimmt die Einladung an und nistet sich mit Frau und Kindern in der Villa ein. Das vorhersehbare passiert natürlich, denn Coco ist jung, attraktiv, ein unabhängiger, moderner Typ, der es schafft, Stravinsky in kürzester Zeit in Ihren Bann zu ziehen.  
Das ganze ist vor allem sehr düster geraten. Keine Bilderbuch-Darstellung von Frau Chanels Welt (auch wenn die Entstehung des legendären No5 nacherzählt wird), sondern eine bewusste Fixierung auf die Affäre der beiden; die Annährung, die Abhängigkeit, das Drama. Zwar inhaltlich sehr ausgeschmückt, denn angeblich war da in Wirklichkeit mehr Freundschaft als körperliche Leidenschaft zwischen den beiden Künstlern, aber das stört alles nicht im geringsten, sondern bietet die Möglichkeit für eine spannungsvolle Geschichte mit zwei überzeugenden Darstellern.

3. November 2010

DIE VERACHTUNG

Jean-Luc Godard (Frankreich, Italien 1963)
Noch nie so gut gefallen, wie bei der kürzlichen Sichtung. Liegt vielleicht aber daran, dass ich mittlerweile mehrere Moravia-Romane hinter mir habe, und vielleicht ist das nicht ganz unwichtig bei der richtigen Einschätzung von Godards Film. Denn was mir so gut gefiel, waren gerade die Moravia-typischen Dialoge zwischen Mann und Frau, eingebettet in dieses Filmbranchendrama. Dieses ständige Aneinandervorbeireden, diese Gemütswechsel, Meinungsschwankungen, nicht zu Ende ausgesprochene Gedanken, alltägliche Wortfetzen, Geschlechter-Spannungen.
Michel Piccoli in seiner ersten Rolle, Fritz Lang spielt sich selbst, Jack Palance ist der Prototyp des ekligen Produzenten-Geldsacks und Brigitte Bardot ist eben Brigitte Bardot. Toller, großer Film, getragen von Georges Delerues wunderbarem „Thème de Camille“, welches die Raffinesse der Villa Malaparte untermalt, deren Dachterrasse so elegant ins blaue Meer hineinragt.
Fast eine filmische Oper… Wie gespannt ich doch jetzt auf den Roman bin.

27. Oktober 2010

DER GOLEM, WIE ER IN DIE WELT KAM

Paul Wegener (Deutschland, 1920)
Endlich: Wegeners Klassiker auf großer Leinwand und mit Live-Pianobegleitung von Uwe Oberg, der die meisten Stummfilme Wiesbadener Caligari Kino musikalisch begleitet. Die Illusion ist perfekt: jazzig-klassische Verzierrungen in den Ohren und dazu diese unheimliche Geschichte vor der gewohnten, expressionistischen Filmarchitektur der damaligen Zeit.
Die Häuser des jüdischen Ghettos neigen sich zu allen Seiten, während Rabbi Löw seine Kreatur modelliert, die die jüdische Gemeinde vor dem kommenden Unheil retten soll.
Regisseur Wegener spielt selbst den Mann aus Lehm. Wenn er nach all den Strapazen schließlich das Tor aufbricht, das Ghetto verlässt und ein kleines Mädchen in die Arme nimmt, da merkt man plötzlich wie der Film das symbolische Bild vorwegnimmt, das man aus Whales „Frankenstein“ kennt: die Konfrontation von Mensch und Kreatur, von Unschuld und Monster, dessen Seelenexistenz man hinterfrag. Der Golem, letztendlich bloß ein hilfloses Werkzeug, das sogar von einem kleinen Kind außer Betrieb gestellt werden kann. Ein aufregender Film, oft übertrieben und nicht immer logisch, ein sympathisches Opfer seiner Zeit.

3. Mai 2010

NOUVELLE VAGUE


Das französische Nachkriegskino lag im Sterben; es bot bloß noch Routine, Klischees und abgenutzte Geschichten, in denen leblose, schablonenhafte, charakterlose Charaktere agierten. Das war die Zeit für neue Filmemacher mit frischem Blick und neuer, ungewöhnlicher Ideen.
Truffaut war einer von ihnen und versetzte dem bisherigen kreativen Stillstand des Kinos den ersten wichtigen Fausthieb mit seinem 1954 veröffentlichten Text „Eine gewisse Tendenz im französischen Film“. Der Stein geriet ins Rollen; Godard, Chabrol, Malle, Resnais, Rohmer, Rivette u.a. krochen auch aus ihren Löchern, rollten mit und öffneten uns die Augen.
Eine neue filmische Stilrichtung wurde geboren, grinste und winkte im chicen Anzug und tiefschwarzer Sonnenbrille. Die Nouvelle Vague… ein arroganter, hochnäsiger, barocker Edelmann, ein selbstverliebter Dandy, eine Straßendirne und ein exzentrischer Gauner zugleich. Kühl und distanziert, frech und mit scharfen Messern lauernd. Man spürte als Zuschauer den Stoß in den Rücken und genoss ihn.
Weniger ein Spiegel der Zeit oder das Abbild der damaligen Gesellschaft, als viel mehr das Herumtrampeln auf dem Zelluloid des französischen Nachkriegskinos. Eine Kritik des eigenen künstlerischen Mediums, eine bewusste Auflehnung in radikaler Form, bedingt durch eine bis dahin ungewohnte Spontaneität und Authentizität.
Belmondo, Karina, Léaud, Seberg... die neuen Helden in kleinen Cafes, Bücher lesend, diskutierend, Pläne schmiedend, Leben, Liebe, Tod, Ideale, Waffen und oft schnelle Autos.

Die Bilder sagen den Rest:


25. April 2010

FEDERICO FELLINI - Herz des Kinos

Wenn ihm nichts mehr einfiel, lehnte er sich zurück, machte ein Nickerchen, träumte und verarbeitete anschließend den Traum in seinem Film.
Spielerisch wie ein kleines Kind modellierte er an seiner eigenen Welt, bis sie mit jedem weiteren Film immer vollkommener und individueller wurde. Es gab niemals vergleichbare Bilder in der Filmgeschichte und niemand traute sich, die fellineske Welt in eine Form hineinzupressen, um sie zu reproduzieren, ein Ebenbild zu schaffen. Zu komplex und zu detailreich müsste diese Form sein... unnachahmlich ist sie.
Fellini liebte die Menschen und ihre Geschichten, so unspektakulär sie in Wirklichkeit auch sein mochten. Gestalten in einer Welt aus Theater, Kunst, Traum und Groteske. Und es sind vor allem immer ihre Gesichter. Er zeigte ihr Individuum und ließ sie ihre eigenen Storys erzählen; Frauen und Männer von der Straße, denen wir wahrscheinlich keine Beachtung schenken würden; herausgegriffen aus der Masse. Viele von ihnen sagten nur einen Satz und wurden danach ihrem Schicksal überlassen, trotzdem gehörten sie zur Verzierung des Gesamten.In seinem Werk umarmte er seine Figuren als wären es seine eigenen Kinder und genauso verbeugt er sich vor den Orten, von denen er erzählte. Vor allem seine geliebte Stadt Rom; die schönste und ehrlichste Umarmung, die man sich vorstellen kann. Eine Collage aus alltäglichen Geschehnissen und Beobachtungen; der Kontrast zwischen dem Antiken und dem Modernen und im Mittelpunkt permanent diese wundervollen Leute; jeder ein Freund, ein Clown, ein Künstler, ein Liebender. 
Ein kleines, und doch gigantisches, surreales Universum zusammengesetzt aus nostalgischen Erinnerungen und symbolischer Poesie. Eine unglaubliche, surreale Welt mit dieser permanenten Erinnerung daran, dass jedes Gesicht interessant ist; das „Hässliche“ und das Ungewöhnliche so magisch schön, und um so mehr die Person dahinter. Sich in dieser Welt verlieren zu können, wäre schlichtweg das Größte.

Eine chronologische Erinnerung in Bildern:











24. April 2010

goEast 2010

21.04.10 - 27.04.10, Wiesbaden

Es ist (zum Glück) wieder mal so weit: zum 10. Mal das goEast-Festival in Wiesbaden.
Vom 21.04 bis zum 27.04 verlässt man die Realität, oder versucht es zumindest während der Kinoaufenthalte, und taucht ein, in diese wunderbare, oft exotisch wirkende Filmlandschaft. Filme, die man zum ersten und vielleicht auch zum letzten Mal sieht. Alle Veranstaltungen schön verteilt auf die spannendsten Orte Wiesbadens. (vor allem die Caligari-Filmbühne, das Murnau-Filmtheater, Kulturzentrum Schlachthof, bis hin zum Oma-Cafe Maldaner)
Die größte Kunst dabei ist es jedes Mal, die eigene filmische Spürnase auszufahren und aus dem verworrenen Programmurwald die richtigen Filme rauszusuchen. „Richtig“ heißt dabei: inhaltlich ansprechend, nicht zeitlich überlappend und dass man vielleicht sogar bereits den Regisseur kennt. Ein schweres Aussortierungsverfahren, aber man kann nicht alles sehen. Leider meistens nur sehr weniges.

 
Gesehen und als toll empfunden: 

Oldrich Lipský
LIMONADEN-JOE
Tschechoslowakei, 1964

Juliusz Machulski
SEX
MISSION Polen, 1984

Otar Iosseliani
EIN SOMMER AUF DEM DORF
Georgien, 1975

Otar Iosseliani
DIE GÜNSTLINGE DES MONDES
Frankreich, 1984

Otar Iosseliani
GÄRTEN IM HERBST
Frankreich, 2006

18. April 2010

VAMPYR – Der Traum des Allan Grey

Carl Theodor Dreyer (Deutschland, 1932)
Schemen- und schleierhaft wie eine piktorialistische Fotografie eines frühen Edward Weston wirkt dieser Film. Außerdem Dreyers erster Tonfilm; man merkt wie er noch von diesem neuen Medium und Gestaltungsmittel eingeschüchtert ist, weil der Einsatz von Sprache so extrem sparsam ist. Der Däne drehte in Deutsch, ließ die Darsteller daher ihre wenigen Texte phonetisch lernen.
Der Student Allan Grey macht auf seiner Durchreise einen Zwischenstopp in einem Gasthaus, wo sich herausstellt, dass eine alte Vampirin die Ortschaft terrorisiert.
Beachtenswert ist, dass es ein Vampirfilm ist, der das unmittelbare Grauen bzw. den Vampir in Person fast gar nicht darzustellen braucht und trotzdem einer der stimmungsvollsten Filme aus diesem Genre ist, den ich je gesehen habe. Wobei sicherlich auch die schlechte, abgenutzte Kopie des Films dazu beiträgt; die Audiospur ist ein tiefer Ozean an dumpfem Rauschen, die Dialoge daher tief verborgen und kaum verständlich. Das Bild, als würde man durchgehend eine Nebelmaschine darauf richten. In dem Fall bleibt zu hoffen, dass der Film niemals restauriert wird, sonst raubt man ihm einen erheblichen Teil seiner Atmosphäre.  
Ein Genrefilm, den ich schon viel früher hätte sehen sollen, denn mit Murnaus „Nosferatu“ bilde er vermutlich die beiden Eckpfeiler für alles was danach kam.

6. Februar 2010

OTHELLO

Orson Welles (USA, Italien, Frankreich, 1952)
Kein Shakespeare-Fan, doch wenn der dicke Orson (damals noch nicht ganz so dick) etwas in die Hände nimmt, wird das meiste zu Gold, oder verdient zumindest Beachtung. Und seine Othello-Verfilmung sowieso. Das besondere an Welles’ Filmen: schon nach wenigen Bildern weiß man, dass es ein Welles-Film ist, weil er seine Kamera immer da hingestellt hat, wo es sonst kein anderer Mensch tun würde; vermutlich irgendwo ganz tief auf dem Boden liegend, so dass jeder auf dem Set darüber stolperte.
Egal, deswegen sind die Bilder so groß, die Blickperspektiven dämonisch und einschüchternd. Schnitte, Bildkompositionen, Reduktion auf Silhouetten, Licht- und Schattenspiele, die Art wie Darsteller ins Bild ragen... das alles erinnert an Eisenstein. „Alexander Newski“ und das ganze historische Zeug.
Insgesamt eine schöne Adaption, und vielleicht auch etwas eigenwillig, denn die zu erwartende bühnenstück-ähnliche Ästhetik, bei der sich uns die Charaktere aufdrängen würden, tritt eher zur Seite und macht Platz für einen Film, der auf die Kraft seiner Bilder setzt, aus denen man sich das eigentliche Drama zusammensetzen darf. Shakespeares expressionistischer Tanz.

20. Januar 2010

ROCCO UND SEINE BRÜDER

Luchino Visconti (Italien, 1960)
Die vier Brüder Parondi kommen zusammen mit ihrer Mutter aus der italienischen Provinz ins pulsierende Mailand, um ihren Bruder Vincenzo zu besuchen, bzw. ein neues Leben zu beginnen, in dem sie sich erstmal an ihn klammern und um seine Unterstützung betteln.Doch mit Jobs sieht es erstmal düster aus. Die erste Beschäftigung bleibt trotzdem die malerischste: die Mutter (der zentrale Punkt der Familie, die alle zusammenhält) weckt früh morgens ihre Söhne auf, denn es schneit draußen vor dem Fenster. Schneeschaufeln ist angesagt. Die Jungs stehen auf, bekommen von Mama das Frühstück serviert, freuen sich über das Wetter und die Möglichkeit etwas zu verdienen. Das hat etwas sehr gemütliches, wenn sie in der engen Untergeschoss-Wohnung sitzen und der Schnee an den kleinen Fenstern vorbeifliegt.  
Im Verlauf der Geschichte versuchen sie sich am Boxkampf und an Frauen; bei beidem feiern sie Erfolge oder scheitern elend, jeder auf seine Art. Aufstieg und Fall, Faustschläge zwischen Brüdern, Mord aus Eifersucht.
Und Visconti rüttelt auch an der Kirche: zeigt eine Prostituierte, die beim Spaziergang auf einem Kirchengebäude über Selbstmord redet und sich am liebsten hinunterstützen würde. Großes Sozialdrama des späten Neorealismus. Pessimistisch und unverfälscht zeigt es die Schicksale eines Neuanfangs, wie eine Familie als starke Einheit zerbröckeln kann.

15. Januar 2010

JE T’AIME

Serge Gainsbourg (Frankreich 1974)
Irgendwie schön. Wenn auch etwas planlos inszeniert. Zuerst dachte ich an Antonionis Filme, denn hier wird auch nicht so viel gesprochen; die Charaktere haben erstmal mit ihrer Umgebung zu kämpfen, dann miteinander und schließlich mit sich selbst.
Die Locations drängen sich immer auf: Schrottplätze, Autoraststätte, enge Zimmer, Villen, Natur.  
Die Geschichte ist simple: zwei homosexuelle Müllwagenfahrer und auf einmal eine Frau (Jane Birkin) dazwischen. Sie fühlt sich zu einem der beiden hingezogen, es kommt zur Eifersucht und führt zum Mordversuch.
Witzig: Manchmal taucht auch noch der junge (auch homosexuelle) Depardieu auf und reitet auf einem Schimmel durch die Gegend. Einem der zwei Jungs läuft das Wasser im Mund zusammen.
Birkin diesmal ganz burschikos; auf eine andere Weise interessant als damals in „Blow Up“. Eigentlich ist es auch eine Art Musen-Film vom alten Gainsbourg; die Kamera (und somit unser Auge) immer an seiner Hauptdarstellerin klebend. Und scheinbar war er einer von den Künstlern, die gerne ihre eigene Frau anderen Partnern „ausleihen“ und dabei passioniert zuschauen. Was (und an welchen ungewöhnlichen Orten) dabei rauskommt, sehen wir hier.Sieben Jahre vor dem Film haben Gainsbourg & Birkin mit ihrem Song "Je t'aime moi non plus" einen Skandal provoziert. Vielleicht ist das hier dann in gewisser Weise der Film zu Song. Zumindest ein weiterer Skandal. Die Presse schrie auf, Truffaut und andere verteidigten den Film. Und jetzt haben wir diesen kleinen Kultfilm.

14. Januar 2010

ENGEL DER VERLORENEN

Akira Kurosawa (Japan, 1948)
Und schon wieder was gutes von Akira. Und außerdem die erste Zusammenarbeit vom Meister und seinem treusten Diener Toshiro Mifune, der hier noch seine Samurai-Rüstung zu Hause gelassen hatte, die er aber später fast nie mehr ablegte. Ich erkannte ihn nicht auf Anhieb. Gerade deswegen. Und weil er noch jung, frisch und munter aussieht.
Es geht um einen Arzt im Nachkriegsjapan, der in einer lumpigen Großstadtgegend praktiziert, und der selbst mit einem Alkoholproblem zu kämpfen hat. So versucht er den todkranken Gangster (gespielt von Mifune... vielleicht hat paar Jahre später James Dean diesen Film öfters geschaut) wieder auf die Beine zu stellen. Doch Mifune ist ein stolzer Pfau; er gibt nicht zu, dass es ihm schlecht geht.
Und vor dem Haus dieser ewig blubbernde, dreckige Stadtsumpf, der ständig in Nahaufnahmen zwischen den Sequenzen gezeigt wird. Er fault vor sich hin und stinkt, wie die Bewohner dieser trostlosen Gegend.
Es geht ums nackte Überleben. Wie immer mit viel Theater und großen Gesten. Ein schönes Frühwerk.

8. Januar 2010

DIE SCHWARZE NARZISSE

M. Powell, E. Pressburger (Großbritannien, 1947)
Relativ erwartungslos ging ich an die Sache heran und staunte schließlich mit riesengroßen Augen über die visuelle Wucht dieses Filmes. Kein verstaubter Stinkstiefel der 40er, oder ein simpler Nonnenfilm, denn hier überrumpeln einen lawinenartig die großen Bilder.
Das Kino besteht aus Bildern. Sollte es zumindest. Doch warum tut es das so selten? Diese Frage stellt man sich automatisch, wenn man Powells und Pressburgers Werk sieht. Keine Ahnung, wo die Kamera da überall stand, um diese Berglandschaften mit ihren rätselhaften Perspektiven und teuflischen Schluchten festzuhalten. Gott selbst muss das von oben gefilmt haben; lässt sich nicht anders erklären, weshalb dieser alte Film so überirdisch fotografiert ist.
Und auf die Knie falle ich noch vor Kathleen Byron als die neurotische Schwester Ruth. Einen Filmcharakter, der dermaßen dämonisch wirkt, habe ich selten gesehen. Nicht bloß dieses hypnotisierende Gesicht, das sich mit seinem Blick in den Zuschauer hineinbohrt, sondern auch später ihre raubtierhaften Bewegungen während der Verfolgung ihres Opfers (der Ordensschwester); nur eine geisterhafte Silhouette für den Bruchteil einer Sekunde, wie sie eine Treppe hinaufläuft.
Das sind ganz große Momente des Kinos; Andeutungen, Reduktion und Verzicht, gepaart mit dem Vorwissen des Zuschauers und meisterhafter Fotografie.
Ein kleiner Film von großer Optik. Ein Kameramann zum Verlieben.