30. Januar 2012

DIE MUPPETS

James Bobin (USA, 2011)
Vor ab: was würde Jim Hanson zu all dem sagen?
Zu diesem Film muss man nicht viele Worte verlieren und doch tut man es. Die Muppets als solche sind schon immer coole Typen gewesen. Die einzelnen Charaktere sind zeitlos großartig, doch warum ließ man sie äußerlich nicht mit uns zusammen altern,wo doch so viel Zeit vergangen sein soll?
Doch die Puppen selbst sind immer noch die Stärke des Films, denn inhaltlich ist James Bobins Muppets-Wiederbelebungsversuch eine mehr als fragwürdige und fast unnötige Angelegenheit. Der Plot ist völlig an den Haaren herbeigezogen; mit Vorschlaghammer sollen mehrere Zielgruppen auf einmal ins Kino angelockt werden: die alten (und gealterten!) Fans und die neuen, jungen Knirpse, die von Muppets keine Ahnung haben und wie man schon im Kino sah, viel lieber mit ihrem Spielzeug beschäftigt sind oder mit der Mama öfters gelangweilt den Saal verlassen, um lieber auf dem Klo rumzuhängen.
Kein Wunder, wenn Amy Adams und Jason Segel mal wieder die Handlung durch eine peinliche Tanz- und Gesangseinlage beleben wollen. Die beabsichtigte Musical-Nostalgie passt leider nicht zum kratz-borstigen, flegelhaften Muppet-Humor, den man meistens nur vergebens sucht, ihn sich aber stets herbeiwünscht.
Die Muppets waren früher nicht bloß Kinderkram. Nun sind sie es und James Bobin ist schuld. (wer ist das überhaupt?)

27. Januar 2012

GESPRENGTE KETTEN

John Sturges (USA, 1963)
Der Film schmückt sich mit einem völlig albernen deutschen Verleihtitel; man denkt eher an muskelbepackte Sklaven, die im dunklen Verließ hocken, oder an einen Frühphasen-Hitchcock und nicht an die filmische Interpretation des Ausbruchs aus dem Kriegsgefangenenlager der Nazis, bei dem sich mehr als 70 Alliierte durch den Tunnel in die Freiheit gruben.
Dass es sich tatsächlich um einen großen Ausbruch handelt (wie schon der Originaltitel verrät), beweist John Sturges im großen Stil und mit viel Liebe zum Detail. Für zusätzliche Attraktivität sorgt das große Staraufgebot: von MacQueen, über Bronson, Attenborough, bis hin zu Pleasence und Coburn ist fast jeder dabei, der in den 60ern als cool galt, oder mindestens einmal in einem erfolgreichen Western den Revolver ziehen durfte.
John Sturges arbeitete für die hollywood'sche Unterhaltungsindustrie, daher ist sein Film in erster Linie ein heroischer Comic, mit Alliierten als klar definierten Sympathieträgern. Superhelden, die bei ihrer Gefangenschaft mehr Humor aufweisen als die stupiden, deutschen Wachen.
Das Gefangenenlager ist wie die Kulisse einer Game-Show, die Kandidaten sind die Häftlinge, das Ziel des Spiels ist der gelungene Ausbruch aus dem frisch erbauten Lager. Eine wirkliche Lebensbedrohung existiert auch nicht; meistens wird der von Tatendrang getriebene Steve MacQueen erwischt und zur Strafe in den Bunker gesteckt, bevor er den nächsten Ausbruchsversuch startet.
Die Deutschen, die wie gehirnamputierte Riesenbabys umher laufen und denen so ziemlich alles entgeht, was in diesem Lager vor sich geht, sind lediglich die miesepetrigen Wächter, die bloß eine zeitliche Hindernis darstellen.
Die Alliierten haben sich ein gigantisches System aufgebaut nach dem sie vorgehen; der Ausbruch wird beinahe industriell und zum Großteil völlig unauffällig geplant und umgesetzt.
Der Film strotzt also an jeder Ecke vor phantastischen Übertreibungen und einer komödienhaften Leichtigkeit, schafft es aber dennoch einen völlig in seinen Bann zu ziehen, weil man schließlich das Ergebnis all dieser Mühen sehen will.
Die überraschende Wende kommt dann auch wie ein tonnenschwerer Panzer angerollt, wenn die Entflohenen nach und nach von den Deutschen wieder eingesammelt oder wie Hunde niedergeschossen werden. Jetzt vergeht allen das Lachen. Der letzte Teil des Filmes thematisiert in den individuellen Einzelschicksalen, wie kostbar und wie vergänglich Freiheit sein kann, weil die Entflohenen plötzlich nicht mehr vom Zusammenhalt der Gruppe profitieren können. Ein überzeichneter aber (bzw. deswegen) aufregender Filmgenuss.

26. Januar 2012

NACHT DER LEBENDEN TOTEN

George A. Romero (USA, 1968) 
Romeros erster Anlauf zu seiner mehrteiligen Zombie-Ballade und vermutlich auch das beste Ergebnis.
In einem abgelegenen Haus verschanzt sich ein junger Afroamerikaner (Duane Jones) mit einer völlig verstörten, jungen Frau (Judith O’Dea), deren Bruder kurz zuvor von einem Zombie niedergestreckt wurde, um sich von weiteren Zombies (eine Art Bedrohung im Schneckentempo), in Sicherheit zu bringen. Im Keller verstecken sich jedoch noch weitere Menschen. Gemeinsam versuchen alle ihr Territorium unter großer Anspannung und schwerfälliger Kommunikation zu verteidigen.
Der Film ist eine Art qualitatives Zwitter-Wesen; gleichzeitig modern in seiner subjektiven (Hand)Kameraführung und dem stark ambitionierten Versuch, die Charaktere und ihr Miteinander-Auskommen zu analysieren, gleichzeitig ist er von einer altmodischen Aura eingehüllt, die der Film vermutlich seinen geringen finanziellen Mitteln zu verdanken hat. Allein schon die Filmmusik aus dem Archiv der Capitol Records entnommen, klingt wie ein morscher Routine-Soundtrack aus älteren Hammerfilm-Produktionen. Zum Ende hin wird er jedoch individueller, gespenstischer, wie der Film selbst, der darüber hinaus auch noch in der endgültigen Schlussszene eine neue Kurve in seiner Aussage einschlägt. Da zeigt uns der Regisseur ganz unmittelbar mit eiskaltem Blick, dass es hier um mehr geht als um blase, apathische Ex-Tote, die Menschenfleisch fressen und wie benommen durch die Gegend laufen.
Romeros Zombie-Klassiker ist in erster Linie gar kein einfach gestrickter Genre-Film, wie er scheint und gar nicht so blöd wie er manchmal aussieht. Vor allem lässt er einen ziemlich grübeln, da er dem altbewährten Klischee entgegentritt, den schwarzen Mann als erstes Opfer (direkt nach dem Hund!) heraufzubeschwören. Ganz im Gegenteil: hier schlachtet der Farbige ganze Horden weißer (gar totenbleicher!) ehemaliger amerikanischer Bürger ab, und stirbt am Ende doch einen vollkommen sinnlosen Tod, irgendwo zwischen unbedachter Fehleinschätzung oder bewusstem Rassismus. Man kann es interpretieren wie man will.
Sonst kann man nicht viel meckern. Atmosphärisch dicht erzählter Gruselspaß und eine standfeste Wegpflasterung für so einiges was danach kam.

19. Januar 2012

FRAU OHNE GEWISSEN

Billy Wilder (USA, 1944)
Seit Ewigkeiten nichts mehr von Wilder geschaut. Nun doch wieder dank arte auf seinen Film Noir-Überklassiker gekommen und mehr genossen denn je. Bei einem Kriminalfilm, vor allem wenn er dann noch so kaltblütig und schonungslos mit der Moral und dem Gewissen hantiert, macht es wenig Sinn auf den Inhalt einzugehen, und herum zu spoilern; man muss es einfach gesehen haben.
Es ist jedenfalls Billy Wilders großer Beitrag zur "schwarzen Serie", zum Film Noir, der damaligen Schattenseite des amerikanischen Kinos, in der es von fiesen Typen und noch fieseren Frauenzimmern mit hinterlistigen Absichten nur so wimmelt.
Barbara Stanwyck ist hier die Femme Fatale par excellence; mit doofer Perücke und eiskaltem Blick machte sie Kinogeschichte. Zusammen mit Fred MacMurra, der hier einen Versicherungsvertreter spielt, verwickeln sie uns in einen ausgekochten Versicherungsbetrug mit Mord und Todschlag, bei dem am Ende natürlich alles anders verläuft als geplant.
Wilder setzte sich hier zusammen mit Raymond Chandler ans Drehbuch, dem Pioneer der Schnüffler-Literatur. So ist der Film auch fesselnd erzählt, ohne spürbare Ermüdungserscheinungen.
Wilder, in der Regel als Komödien-Regisseur bekannt, traut sich hier in die ganz dunklen Ecken und beweist mit einem Genre-Seitenweg nach wie vor sein großes Talent.

18. Januar 2012

DIE HANDSCHRIFT VON SARAGOSSA

Wojciech Has (Polen, 1964)
Warum dieser große Klassiker des polnischen Kinos, dem ich erst jetzt meine Aufmerksamkeit geschenkt habe, von so vielen internationalen Regie-Kollegen angehimmelt wird (Buñuel und von Trier, bis hinzu Scorsese, Coppola und Jerry Garcia, die sogar eine Restaurierung des Films finanziert haben), bleibt etwas schleierhaft. Denn trotz der dichten Inszenierung und der raffinierten, schwindelerregenden Erzählweise, die dermaßen ineinander verschachtelt ist, dass man als Zuschauer irgendwann in einem dichten Urwald zu sitzen scheint, ist der Film für sein nicht ganz so prähistorisches Entstehungsjahr mittlerweile ein recht alter Stiefel.
Streckenweise fühlt man sich wirklich ein bisschen wie im "siebenten Siegel", wenn die Figuren durch die karge Landschaft herumirren und sich mit allerlei Dämonischem herum plagen müssen. Später schwappt das ganze zu einem leichtfüßig-albernen Kostüm-Lustspiel über, bei dem eine Anekdote in die nächste übergreift. Optisch hinkt der Film jedoch seiner Entstehungszeit hinterher, weil er mit seiner Art von Kostümierung, Fotografie und Ausleuchtung genauso gut aus den frühen 50ern stammen könnte, wenn nicht sogar noch von früher.
"Saragossa" ist vor allem ein großes Star-Kino, des damaligen Polen, auch wenn manche der Darsteller, vordergründig Zbigniew Cybulski (in der Titelrolle als Offizier Alfons van Worden) in der napoleonischen Zeit etwas deplatziert und komisch wirken, wenn man sie sonst von völlig anderen Rollen kennt.
Wojciech Has' Saragossa-Verfilmung ist wie eine filigran verzierte Pralinenschachtel (in Schwarzweiß!), bei der man zwischen den edlen Verpackungsschichten stets neuen Süßkram findet und die Angst droht, sich vollkommen zu übersättigen.

17. Januar 2012

PJ20

Cameron Crowe (USA, 2011)
In Zeiten einer sich stets wandelnder Musikszene (also immer) wirken die 90er Seattle-Bands heutzutage wie prähistorische Höhlenmenschen. Vor allem in ihrer Anfangszeit, die von Ziellosigkeit, Stilunsicherheit und einem oft besorgniserregenden Musikgeschmack/Einfluss geprägt sind, wirken Bands wie Mother Love Bone, Alice in Chains, aber selbst Pearl jam in ihrer Frühphase wie alberne Clowns. Der Dresscode war oft noch an Hair-Metal-Bands angelehnt; es gehörte wohl dazu, wie der letzte Depp auszusehen, wenn man in einer Seattle-Band spielen wollte.
Von Zeitlosigkeit kann also bei "Grunge" (was auch immer das sein mochte) schwer die Rede sein.
Wenn man jedoch als Pearl Jam-Fan der ersten Stunde Cameron Crowes Film sieht, betrachtet man das alles mit einer sentimentalen Träne, weil man sich an all diese Leute, Live-Mitschnitte und Mtv-Schnippsel zurückerinnert, mit denen man damals heranwuchs.
Als 1994 Cobain die Schrottflinte abfeuerte, bedeutete das eine Kehrtwende und ein überwiegendes Ende für diese Bewegung. Viele anderen schmissen ihre Flinte lieber ins Korn und von den Vorreitern blieben Pearl Jam übrig, reiften und entwickelten sich weiter und standen irgendwann vor ihrem 20. Jubiläum, dem wir die Existenz von Cameron Crowes Film zu verdanken haben.
Crowe erzählt chronologisch alles, was die Band um Vedder & Co. prägte, zeigt aktuelle Interviews und plündert Archive mit Szenen der letzten 20 Jahre. Wir sehen ein öfter wechselndes Line-Up (das Drummer-Problem), Pearl Jams legendäres Duell mit Ticketmaster, die Kollaboration mit Onkel Neil Young, den Rückzug aus den Medien, aber vor allem 5 Typen, die gerne Musik machen.
Sie haben viel hinter sich, doch am Ende bleibt die Frage, wie lange diese Geschichte noch in Zukunft erzählt werden kann, denn altbewährtes Handwerk rotiert irgendwann nur noch risikoscheu im Kreis.

16. Januar 2012

SUPER 8

J. J. Abrams (USA, 2011)
Zunächst ist es schwer den Film als einen Abrams-Film einzuordnen, denn wo Spielberg draufsteht, da ist üblicherweise auch Spielberg drin. In diesem Fall sogar in hochkonzentrierter Dosis.
Dass Spielberg schon immer solche Filme machen wollte, die er sich selbst als Kind/Jugendlicher am liebsten ansehen würde, ist bei "Super 8" so klar wie Kloßbrühe. Und dass Abrams, von dem auch das Drehbuch stammt, ein großer Spielberg-Verehrer sein muss, liegt genauso auf der Hand, denn hier ist alles allgegenwärtig: von "E.T." (das Wesen, das nach Hause möchte) über "Unheimliche Begegnung der dritten Art" und "Krieg der Welten" (die Endzeitstimmung und der militärische Ausnahmezustand) bis hin zu "Goonies" (dessen Abenteurer-durstende, verträumte Teenager als Identifikationsfiguren, wie auch schon bei "E.T.").
Ein paar Schulfreunde sind mit Dreharbeiten für ihren Zombiefilm beschäftigt, werden dabei Zeuge eines Zugunglücks, aus dessen Innerem eine außerirdische Kreatur herauskriecht und fortan die Menschheit bedroht, obwohl sie eigentlich nur nach Hause möchte.
So banal wie es sich anhört, ist es im Grunde auch, aber da scheinen Abrams & Spielberg, die ewigen Spielkinder, praktisch selbst in die Rolle eines naiven Filmteams geschlüpft zu sein, die sich ihren Jugendwunsch erfühlen wollten. Wirklich schade, dass der Film bis zum Ende hin unentwegt eine inhaltlich-formale Leiter heraufsteigt, und dabei eine immer schwere Last zu tragen hat, die durch Pathos und logische Inkonsequenz (die Teens als ewige überlebende Sympathie-Träger) kaum zu überbieten ist. Dabei ist die erste Hälfte noch wirklich schön geworden und lässt diesen Spät-70er-Jugendfilm-Flaire spüren, den man bei früheren Spielberg-Filmen so gern mochte. Gut gemeintes Old-School-Kino mit gewissen Ambitionen, das zum Ende hin aber immer mehr an seiner überschwänglichen Opulenz erstickt.

15. Januar 2012

DIE ERSCHAFFUNG DER WELT

Eduard Hofmann (Frankreich, Tschechen 1958)
Der französische Illustrator Jean Effel gehört mit seinem Klassiker "Die Erschaffung der Welt" eigentlich in jedes Buchregal eines Kinderzimmers. Auf humorvolle Weise schildert er dort die Tage, in denen Gott das Universum, unsere geliebte Erde, samt Flora und Fauna erschaffen hatte, anschließend Adam und Ewa zum Leben erweckte und sich am siebten Tag zum Ausruhen niederlegte. Unterstützt wird er von kleinen Engel-Buben, die ihm handwerklich zur Seite stehen.
Der ganze Schaffungsprozess wird vom Teufel kritisch beäugt, der natürlich (unterstützt von kleinen Teufelchen) überall seine Finger reinstecken muss. Er ist für die dunklen Akzente dieser Welt zuständig, für die Erschaffung von Stürmen auf der See, dem Salz im Meerwasser, von Vulkanausbrüchen, gefährlichen Tierarten und widerspenstigen Insekten.
Der Zeichentrickfilm unter Regie von Eduard Hofmann ist beinahe eine Kopie von Effels Buch, und man merkt auch, dass der französischen Cartoonist bei der Produktion allgegenwärtig war; optisch ist es eine haargenaue Wiedergabe seiner Zeichnungen und Ideen.
Wunderbar, könnte man denken, würde es sich nicht um die neue, deutsche Vertonung handeln, die den Film untermalen soll. So gut der Film auch sein mag: die Musik des Films hat etwas geschafft, was nur selten ein Film fertig bringt: Die grässlichen Wohlfühl-Liedchen verstümmeln durch ihre penetrante Banalität diesen zeitlosen Klassiker und lassen einem die Haare zu Berge stehen. Es geht so weit, dass man darüber nachdenkt, ob man den Film überhaupt zu Ende schauen sollte.
Ziel also: unbedingt nach der alten DEFA-Fassung aus den 50ern suchen, oder vielleicht sogar nach der französischen, damit der Ton den Bildern ebenbürtig wird. Es kann nur besser werden.

12. Januar 2012

CHINATOWN

Roman Polanski (USA, 1974)
Polanskis "Chinatown" war mir lange Zeit recht unsympathisch, nachdem ich Syd Fields "Grundlagen zum Drehbuchschreiben" gelesen habe; angeblich die Bibel aller Drehbuch-Bücher. Ausschlaggebend dafür war aber nicht etwa Fields Kritik an dem Film, sondern ganz im Gegenteil seine aufdringliche Vergötterung von Polanskis Werk, speziell, was das Drehbuch angeht.
Es kommt einem vor, als würde er den Stoff beinahe auf jeder Seite zelebrieren und es unentwegt als bestes Beispiel anfügen, welches perfekt in das klassische Paradigma eines Drehbuchs hineinpasst. Laut Field gibt es keinen zweiten Film, bei dem die Plotpoints so perfekt an den richtigen Stellen sitzen und vom Anfangsteil, über den Mittelteil zum Schlussteil führen.
Das mag ja auch sein, und vielleicht gewinnt der Film unter anderem dadurch an Qualität, weil er dem eine vollkommen ausgeglichene Erzählweise zu verdanken hat. Doch dieses (amerikanische) Muster kann niemals zu einer Einheitsregel ernannt werden, denn wo bliebe dann das europäische Kino, welches sich nur schwer in ein vorgegebenes Erzähl-Schema hineinzwängen lässt?
Aber zum Film selbst: Glücklicherweise ist viel Zeit vergangen, Syd Field vergammelt irgendwo aufm Bücherregal; dafür wurde Polanskis Film von der Staubschicht befreit und er glänz mehr denn je.
Der junge Nicholson als Schnüffler, der ironischerweise seine neugierige Nase von Polanski selbst in seinem kurzen Cameo-Auftritt aufgeschlitzt bekommt, ist ja schon Grund genug, um diesen Film zu lieben. Das weibliche Pendant bildet Faye Dunaway als undurchsichtige Femme Fatale mit dunklen Geheimnissen und noch dunkleren Augen, in denen sich Nicholson irgendwann schließlich verliert. Ähnlich kühl, attraktiv und stilvoll wie schon zuvor als Bonnie Parker.
Recht verworren ist das Ganze ja immer noch, aber das war der Film Noir als Genre ja schon immer, vor dem sich der Regisseur hier ganz tief verbeugt. Großes Kino. Und das weiß man auch ohne Syd Field.

10. Januar 2012

Pierre Étaix - Wenn Clowns Filme machen

Man nehme die Filme der französischen Nouvelle Vague und kreuze sie mit Jacques Tati und einem Clown. Heraus kommt Pierre Étaix. Nicht anders lässt sich das filmische Schaffen dieses rätselhaften Künstlers in Worte fassen.
Dass Étaix eigentlich Clown war und später aktiv an den Filmen von Tati mitwirkte, ist nicht zu übersehen. Der Humor beider ist von einer enormen Beobachtungsgabe und Situationskomik gezeichnet, bloß gab Tati mit seinem nackten und naiven „Ursprungshumor“ lediglich den Anstoß; Piere Étaix übernahm den Ball, ließ ihn springen, tanzen und in ungewohnte Ecken fliegen.
Étaixs Filme hecheln von einem Gag zum anderen. Wenn man in einer Szene kurz wegschaut, entgehen einem tausend kostbare Geschichten und Slapstickmomente. Und doch sind Étaixs Filme selten witzig. Aber das sind ja Clown auch nicht unbedingt. Sie sind vor allem von diesem nostalgischen Charme umhüllt.
Arte zeigte kürzlich einige, restaurierte Filme von Pierre Étaix. Alles kleine Meisterwerke; kindlich und verspielt, als würde man in einem alten Kinderbuch herumblättern.

9. Januar 2012

MUTTER JOHANNA VON DEN ENGELN

Jerzy Kawalerowicz ( Polen, 1961)
Wenn jemand im 16. Jahrhundert (oder auch früher) nur halbwegs so „überzeugend“ unter Identitätsspaltung litt, wie es Mutter Johanna in Kawalerowiczs Film tut, dann ist es nicht verwunderlich, dass die Leute von Angst überwältigt so etwas wie Hexenverbrennung und Teufelsaustreibung eingeführt haben.
Lucyna Winnicka in der Rolle der besessenen Ordensschwester ist jedenfalls das gespenstischste was mir in der letzten Zeit über den (Film)Weg gelaufen ist. Ein unglaublich wandlungsfähiger Filmcharakter, dessen verschiedene Gesichter stets zu überraschen und zu gruseln wissen. Da ist alles dabei, von Unschuldsengel bis zum tierähnlichen Dämon; als Zuschauer ist man restlos bedient und wunschlos glücklich.
Irgendwann hilft nichts mehr und der junge Pater Suryn (Mieczyslaw Voit), der eigentlich das Böse austreiben wollte, wird schließlich zum Mörder, damit der Teufel von ihm Besitz ergreift und somit Mutter Johanna erlöst werden kann. Diese gesteht jedoch zuvor ein, lieber verdammt, böse und verrucht zu sein, als eine heilige Nonne zu spielen, zu der sie sich gar nicht berufen fühlt.
Kawalerowicz nutzt den historischen Hexenprozess in der französischen Kleinstadt Loudon, um mit seinem Film kräftig an der Kirche zu rütteln, die in ihrer Stränge jedes Freiheitsgefühl eindämmt und ihre irdischen Diener zu Sklaven macht. In Schwarzweiß und ohne Schnörkel. Phantastisch.

5. Januar 2012

JANE EYRE

Cary Fukunaga (Großbritannien, USA, 2011)
Sieht man das Plakat oder den Trailer zu diesem Film, könnte man eine völlig verwässerte Adaption des Brontë-Romans erwarten, der vordergründig auf eine seichte Liebesgeschichte hinauszielt. An der Oberfläche ist er das ja auch, denn selbst Frau Brontë wollte damals sicherlich nicht nur Angst und Schrecken verbreiten, sondern auch mit einer halbwegs gesüßten Romanze unterhalten.
Demzufolge ist Cary Fukunagas Film wirklich gut geworden, zumindest der Vorlage gerecht, weil er Schauermärchen und Liebesstory gut zu ausbalancieren weiß. Der Film kratzt nicht bloß an der Oberfläche, sondern dringt auch zu der finsteren Seele dieses dunklen Romans hervor. Kostümfilm-Anhänger, die eine kokett-gemütliche Liebesgeschichte erwarten, werden sich hier nicht besonders wohl fühlen, denn Charlotte Brontë stand schon immer lieber auf der Schattenseite des Lebens als in einem sanftmütigen Licht.
Jane Eyeres Lebens- und Leidensgeschichte ist ohnehin ein qualvolles Martyrium. Die kühlen, nicht besonders vertrauenswürdigen Figuren bleiben meist in völliger Dunkelheit verborgen, knapp durch Kerzenschein beleuchtet, genau wie die liebevoll ausgestatteten Wohnräume. Wunderbare Bilder, sind das... realistisch und düster, meistens fern von Postkartenidyllen.
Mia Wasikowska in der Titelrolle: kennt man bereits aus Tim Burtons "Alice". Sie ist ein scheuer Hund, doch genügend abgehärtet, um den unnahbaren Mr. Rochester (Michael Fassbender) aufzutauen. Als einzige Frau knackt sie ihn wie eine Nuss und entlockt aus seinem Inneren all die dunklen Geheimnisse, die in den Gemäuern von Thornfield herumspuken. Und ja: Judy Dench ist natürlich auch dabei; die alte, englische Lady bekommt nur ihr Namensschild ausgetauscht und schon ist sie die Haushälterin von Mr. Rochester.
Was ärgert ist die Erzählchronologie: Der Drehbuchautor lässt Jane Eyre nicht linear heranwachsen (wie im Buch), sondern versucht das Drama und das Heranreifen der Figur mit zeitlichen Sprüngen greifbarer zu gestalten, verharmlost und enträtselt aber die Gesamtform durch die in Rückblenden erzählten Lebensabschnitte seiner Heldin. Der stets wechselnde Kontrast zwischen Unruhe und Geborgenheit, der den Roman zusammenhält, geht im Film dabei verloren.
Es ist dennoch ein reifer Film eines jungen Regisseurs, der sich gleich an ein großes Werk herangetraut hat. Bei Jane Austen-Filmen schnuppert man immer eine himmlisch-wohltuende Luft, dabei ist es doch viel interessanter mit Charlotte Brontë in der Hölle zu schmoren. (oder wenigstens zu brutzeln)

3. Januar 2012

Werner Herzog - Frühe Jahre

Schön, was da in der hässlichen Schachtel drinsteckt. Da Herzog kürzlich mit seinem Höhlen-Film um viel Aufsehen als Dokumentarfilmer sorgte, sind es vor allem die den Hauptfilmen angehängten Dokumentarfilme, die neugierig machen. Schnell merkte ich jedoch, dass mir bis auf "Stroszek" und "Kaspar Hauser" auch seine restlichen Hauptfilme der so genannten frühen Jahre unbekannt waren. Zu großem Bedauern denn allein "Auch Zwerge haben klein angefangen" ist ein Wahnsinnsfilm und ein provokantes Tänzchen mit verschiedenen Tabubrüchen, originell erzählt und wunderbar fotografiert.
"Fata Morgana" wirkt hingegen wie ein pseudo-ambitioniertes Etwas, lässt aber zusammen mit dem Zwergenfilm aber auch dem gelungenen Erstlingswerk "Lebenszeichen" zumindest Herzogs Leidenschaft (oder Einfluss) italienischer Filme erahnen. Da schnuppert man auf einmal die gleiche Luft, die auch in Pasolinis Filmen weht: diese reportagenartig inszenierten Geschichten in kargen Wüstenland-Locations angesiedelt. Herzog packt noch im Zwergenfilm afrikanische Gesänge drauf (ähnlich wie in Pasolinis Matthäus-Film) und die Illusion wird perfekt. Seinen "Kaspar Hauser" gleich auch noch aufgefrischt. Schönes Pendant zu Truffauts "Wolfsjunge", weil Herzog den pädagogischen Wert über die charikaturhafte Art seiner Hauptfigur noch in andere symbolische Sphären treibt. Schade nur, wie sehr diese Figur durch den gleichen Darsteller dem späteren Stroszek ähnelt. 
Die angefügten dokumentarischen Kurzfilme und Herzog-Portraits runden dieses Œuvre dann endgültig ab. Egal welches Thema er anfasst, ob die ärztliche Versorgung Afrikas, den Skispringer Walter Steiner, einen Kauderwelsch-Labernden Mario Adorf in „Maßnahmen gegen Fanatiker“: Die Filme gewinnen zusätzlich an Reiz durch Herzogs überzogene und damit unfreiwillig-komische Art zu kommentieren, als würde es bei jedem Thema um Leben und Tod gehen. So bunt die Themenvielfalt auch sein mag: ergänz durch die Aufnahmen von diversen Drehsets, das ewige Duell mit der Kinski-Bestie und sonstige Verrücktheiten, bleibt es am Ende immer Werner Herzog selbst, der in dieser Box portraitiert wird. Denn was er selbst ist, sind seine Filme, wie er ja eh selbst behauptet. Wunderbar.