25. Juli 2002

INTERVISTA

Federico Fellini (Italien, 1987)
Kann es etwas schöneres geben als die Erinnerung an „La Dolce Vita“ auferleben zu lassen, dazu Anita Ekberg einen Besuch abzustatten, die inzwischen die Ausstrahlung einer in die Jahre gekommenen Atombombe hat? „Sie sieht umwerfend aus, wie ein Gladiator.“ Wie Mastroianni selbst bemerkt. Dann die durch einen Zauber geschaffene Leinwand aus einem Lacken und die darauf projizierten, klassischen Dolce Vita-Szenen; unter diesen Verhältnissen noch effektiver als das Original.  
Das ist aber nur ein kleiner Teil von Fellinis „Intervista“, seiner Liebeserklärung an seinen Weg zum Film, sein eigenes filmisches Schaffen, den Chaos und den Traum. Abgesehen davon viele Gesichter... Gesichter und noch mal Gesichter; das Individuum im Gewirr der Masse. Ein Portrait über das Entstehen eines Films; ein brüllender ewig unzufriedener Regisseur, falsche Bombendrohungen, Telefonfurze, der fehlende Faschist, ein mumienartiges Etwas auf dem Fahrrad und nicht zu vergessen am Ende der Angriff der Indianer mitten im regnerischen Cinecitta auf das Filmteam. Ein Film, im Film, im Film; laut und wild, aber dennoch nicht überladen. Und Mastroiannis Statement zur Selbstbefriedigung: „Eine Übung, die nicht nur die Konzentration steigert und die Vorstellungskraft anregt, sondern meiner Meinung nach auch einer eventuellen schriftstellerischen Begabung förderlich ist... ich zum Beispiel brachte es zu regelrechten Fortsetzungsromanen.“

21. Juli 2002

STARDUST MEMORIES

Woody Allen (USA, 1980) 
Stark anlehnend an Fellinis Kino (besonders an dessen „8 ½“) spielt Woody einen Regisseur (warum auch nicht), der vom Publikum und seinen Mitmenschen sein eigenes filmisches Werk aufgezwungen bekommt, und zwar in so fern, als dass ausschließlich die Erwartungen der Fans befriedigt werden sollen, er selbst jedoch das Ziel hatte, keine komischen Filme mehr zu machen.  Jedes mal bekommt er den gleichen Satz zu hören: „Wir lieben deine Filme, besonders die alten; die lustigen.“ Es besteht für ihn nicht die Möglichkeit, seine Wandlungsfähigkeit als Regisseur dem Publikum vorzuführen; nicht mal die Außerirdischen unterstützen ihn in seinem Vorhaben. In seiner traumhaften Begegnung mit jenen Wesen wird er erneut mit der gleichen Vorliebe, was seine Filme angeht, konfrontiert. Sogar die Außerirdischen sind der gleichen Meinung: „Wir lieben deine Filme, besonders die alten; die lustigen.“ heißt es wieder. Eine amüsante Szene. 
Woody verarbeitet hier sogar auf humorvolle Weise seine Einstellung zum Oscar. Als er gegen Ende der Geschichte kaltblütig erschossen wird, (von jemandem, dem wahrscheinlich seine Arbeit nicht sonderlich gefallen hat), hört man ihn irgendwann bei einer Preisverleihung sagen: „Ich tausche den Oscar gegen eine Sekunde meines Lebens.“  
Und überhaupt wird die innere Handlung durch eine fabelhafte Inszenierung ergänzt. Gerade am Beispiel von „Stardust Memories“ kann man wirklich von einem Schwarzweiß-Film sprechen; die starken Helldunkelkontraste sind oftmals so messerscharf, die Grenzen von Hell und Dunkel enden so abrupt, dass sie alle Grautonwerte verdrängen, ihre Entstehung nicht mal zulassen. Unheimlich und endlos wirkt dadurch das weiße Rauminnere von Woodys fiktiver Wohnung mit seinen übergroßen fotografischen Motiven an den Wänden, die uns als erstes ins Auge stechen. Sehr interessant sind die vielen strengen, horizontalen Linien, die den Film prägen; schwarze Streifen, die bis zu einer bestimmten Höhe in den Bildhintergrund hineinwachsen und einen Kontrast zur vertikalen Person im Vordergrund bilden. Ähnlich wie auch die kurze Aufnahme vom Meer, vom Horizont und dem Elefanten in der Ferne. 
Besonders auffallend ist wieder mal die herausragende Wahl der Darsteller; nicht nur was die Protagonisten angeht, sondern auch die unzähligen Gesichter im Hintergrund; meistens Menschen, die zu den oft auftauchenden Mengen während der Partys, Filmverleihungen uns sonstigen Veranstaltungen zählen. Hierbei erinnere ich mich erneut an „Fellinis Faces“: Eine große Anhäufung von Gesichtern, die trotz ihrer Masse individuell bleiben; nicht nur was Gesichtszüge angeht, sondern auch in dem, wie man selbst sein Äußeres beeinflussen kann. Und wenn ich schon bei Gesichtern bin: Kann man sich überhaupt für die weiblichen Charaktere etwas vollkommeneres vorstellen als Charlotte Rampling, Jessica Harper oder Marie-Christine Barrault, die darüber hinaus überirdisch schauspielern? (Ich erinnere mich an die lange Einstellung, wie Charlotte die Illustrierte durchblättert und ab und zu in die Kamera lächelt.) Wohl nicht.

21. April 2002

CINEMA PARADISO

Giuseppe Tornatore (Italien, 1988)
Tornatore möchte jedes Mal ein Fellini sein, weiß aber anscheinend nicht, dass es ein Ding der Unmöglichkeit ist. Träumen kann er weiterhin davon, denn gerade diese Wunschvorstellung, das Fellineske zu erstreben, zeichnet seinen Film aus.  
Das Kino, der Zufluchtsort, der Filter für alle äußerlichen Ängste und das Herz des Filmes, ist somit der Träger für die ganze Geschichte; ein schön ausgewählter Mittelpunkt, ein Film im Film, eine Hommage an das Kino und gleichzeitig eine Erzählung über das Leben an sich. Das Kino als Ort der Zusammenkunft; Menschen, die lachen, weinen, verzaubert werden, schlafen, Kinder gebären, masturbieren, oder Anschlagopfer werden. Und natürlich die Zeit, die alles Vergehen lässt und die Menschen samt Kinosaal zerstört.Trotzdem hat man den Anschein, Tornatore konzentriere sich mehr darauf, in einer Retrospektive seine Lieblingsfilme über die Leinwand laufen zu lassen, anstatt wirklich die Aufmerksamkeit auf das Geschehen im Kinosaal zu richten. So werden uns die kleinen Anekdoten zwar bewusst, aber bleiben eben schleierhaft mit der Ausdruckskraft einer zweiten Ebene. Gerade bei jenen Kinogeschehnissen sehnt man sich nach Fellinis Handschrift.  
Wenn man jedoch Ennio Morricone als Hauskomponisten hat, glänzen die Bilder aufeinmal wie Diamanten und der narrative Karren wird aus dem Dreck gezogen. Aus Scheiße wird Gold, ohne Kritik an die Bilder dieses Filmes üben zu wollen.  
Und natürlich das Ende, als der inzwischen erwachsene Protagonist die Filmcollage aus den Kussszenen bekommt, die früher auf Grund der Zensur der Schere zum Opfer fielen. Übrigens eine zu dick aufgetragene, fast pathetische Szene; eher zum Schmunzeln als zum Mitweinen. Aber es hat immerhin erneut diesen sentimentalen Tornatore -Charakter; viel Zeit und vor allem viele Filme galoppieren einem durch den Schädel, und von nichts anderem erzählt „Cinema Paradiso“ als von der Leidenschaft zu bewegten Bildern; vom Kino, dem Zufluchtsort als scheinbar zweckmäßig konstruiertes Paradies, und von diesem unaufhaltsamen Zeitvergehen.  
Das ist alles schön und nett, aber eben nicht mehr. Und Tornatore der ewige Fellini für die ganze Familie.

25. März 2002

THE WAR ZONE

Tim Roth (Großbritannien, 1999)
Eine Kriegszone nennt Tim Roth seinen Film; das ist eine Untertreibung, denn hier werden die ganz harten Geschütze ausgefahren. Kindermisshandlung, Vergewaltigung, Schmerz, Leiden und Selbstverstümmelung und alles so authentisch, dass mir schlecht wurde. Der alte Kriegsbunker, in dem sich die bestialischen Dinge abspielen und in dem sich unsere Protagonisten am Ende von der restlichen Welt abschirmen, umschließt in Wirklichkeit den gesamten Film. Es ist lediglich ein Bunker im Bunker, denn draußen ist es nicht viel angenehmer; angefangen bei dem Wetter, das mit seinem ewigen Wind die musikalische Untermalung minimalisiert. Zu Recht, denn das Pfeifen hat mehr Tiefe als jedes so mühevoll eingesetztes musikalisches Thema; auch wenn das dezente Klaviergeklimper einen zusätzlichen Beitrag zum seelisch-geistigen Tief eines jeden Zuschauers hat. Und sonst? Eine Vergewaltigung wie ich sie noch nie im Film gesehen habe, der Mord am Vater als Racheakt, dessen Messerstoß ich in meinem eigenen Bauch fühlte und überhaupt so widerlich kranke und perverse Charaktere. Aber sehr malerische Landschaftsaufnahmen; eine gespenstige Farbigkeit der tristen britischen Insel in wunderschönen Motiven eingefangen, vordergründig durch die einzelnen Bäume mit ihren dynamischen Neigungen, in dieser so leeren Gegend.