28. Februar 2012

CASINO ROYALE

John Huston, Val Guest, Ken Hughes, Joseph McGrath, Robert Parrish (USA, 1967)
Zu viele ausgefallene Zutaten verderben oftmals die Suppe, wenn sie in einen gemeinsamen Topf landen. Genau so ergeht es "Casino Royale", wo es von berühmten Namen nur so wimmelt. Und nicht nur etwa auf dem Regiestuhl, wo gleich mehrere Regisseure aufeinander hocken, sondern auf der Darstellerliste selbst, die aus allen Nähten platzt: David Niven, Peter Sellers, Ursula Andress, Orson Welles, Woody Allen, Deborah Kerr, John Huston, Jean-Paul Belmondo, William Holden, Jacqueline Bisset... nur um die erste Ligar zu nennen.
Schon ist der Zuschauer angelockt und hat hohe Erwartungen an dieser 007-Persiflage, die zur Blütezeit der James Bond-Filme entstanden ist. Vor etlichen Jahren schien in dem Film bloß leere Luft drin zu sein und auch beim Wiedersehen macht er den Eindruck eines dick aufgeblasenen Starkinos, das an der Überfülle seiner Einfälle erstickt.
Der Film lahmt und stolpert über paar flache Gags und absurde Ansätze, die es beispielsweise niemals mit dem Pink Panther-Humor aufnehmen könnten und durch ihre altmodische Art von Monty Python kurz danach überrollt werden mussten. Die Bond-Parodie bleibt auf der Strecke; "Casino Royale hätte selbst eine Parodie nötig.
Sogar der junge Woody Allen, der zwei Jahre zuvor in "What's New Pussycat?" wirklich gute Momente hatte, kann in seiner slapstick'haften Tollpatschigkeit nur mäßig überzeugen. Zumindest bereitet er hier schon seine Rolle eines neurotischen Giftzwergs mit Minderwertigkeitskomplexen vor, was ja später seinen Stil prägen sollte, wenn auch niemals so schablonenhaft wie hier als Jimmy Bond und Dr Noah, der sich an der gesamten Menschheit rächen will.
Wenn man (zu) viele Farben miteinander mischt, ergibt das ein eintöniges Grau, oder einen Möchtegern-Blake Edwards im Swingin'Sixtees-Gewand.

20. Februar 2012

THX-1138

George Lucas (USA, 1971)
Große Überraschung für mich, diesen Filme erst jetzt zu entdecken und festzustellen, dass Lucas ein solch reifes und aufwändiges Erstlingswerk auf die Beine stellen durfte, noch bevor er mit Luke Skywalker und Darth Vader seine eigentlichen Brötchen verdienen konnte.
Das Sci-Fi-Genre war für Lucas scheinbar schon von Anfang ein vorbestimmter Weg; hier skizziert er mit großem Aufwand eine technisch-gesteuerte und vollkommen kontrollierte Zukunftsgesellschaft. Die Bewohner sind alles beinahe identische, kahlgeschorene Arbeiter, die all ihre Lebensenergie der tadellos verrichtete Arbeit widmen sollen. Motiviert werden sie durch leere Phrasen eines automatisierten "Gottes" (eine Fläche mit einem Dürer-Selbstportrait-ähnlichem Motiv), die das höchste Glück eines jeden in der permanenten Produktionssteigerung sieht.
Mitten drin Robert Duvall, der sich nicht nur die Frage nach seiner Identität stellt, sondern schließlich aus diesem technisierten und emotionslosen System auszubrechen versucht. Huxley, Lang und Orwell, und wie sie alle heißen, lassen grüßen.
Mit der Zeit entwickelt der Film eine eigene Poetik und erreicht in seiner auf weißen Hintergrund reduzierten Location die totale Abstraktion; einen theater-ähnlicher Handlungsort. Das ist dann die visuelle Verschnaufpause von dem labyrinthisch-maschinellen Look, der den Zuschauer ansonsten frösteln lässt.
"THX 1138" wirkt zunächst, als würde man 90min lang den Kopf in ein Computergehäuse stecken, um dort doch noch etwas menschliches zu entdecken. Durch diese technisch geprägte Optik entwickelt er deswegen eine schwerfällige Melancholie; er wirkt selbst kühl, distanziert und ungemütlich, und erlöst und bloß in einer vollkommenen Sterilität von weißem Nichts. Das erhoffte Licht am Ende des Tunnels ist eine bedrohlich nahe, glühend-rote Sonne, an der dennoch einige Vögel vorbeifliegen.
Ein guter Film jedoch mit einem seltsamen Nachgeschmack, wenn man bedenkt, dass Lucas damit den zerstörerischen Zwischenschritt von New Hollywood zum amerikanischen Blogbuster wagte.

GULLIVERS REISEN

Dave Fleischer (USA, 1939)
Wenn doch Jonathan Swift all die Umsetzungen seiner Geschichte erleben könnte. Ob er sie jedoch "überleben" würde, ist eine andere Frage.
Als in Europa bereits der 2. Weltkrieg tobte, vergnügte man sich in Amerika lieber am Zeichentisch und schuf unter der Regie von Dave Fleischer eine Zeichentrickfilm-Adaption der Gulliver'schen Abenteuer, die es animationstechnisch problemlos mit Disney aufnehmen kann. Die Fleischer Studios waren ohnehin mit Produktionen wie "Betty Boop" oder "Popeye" ein starker Konkurrent für Mickey und Donald.
Die Geschichte ist jedem bekannt: Gulliver strandet bei den finger-großen Liliputanern, mitten in den kriegerischen Intrigen von König Liliput und König Bombo, deren Sohn und Tochter auch noch ineinander verliebt sind; eine Liebe, die von beiden Vätern missbilligt wird. Der riesenhafte Gulliver übernimmt die Rolle des Friedensstifter; er ist Respektperson und Bedrohung zugleich.
Der Charme der Swift-Vorlage wird hier vor allem in der berühmten und präzise ausgearbeiteten Szene deutlich, wie Gulliver am Strand entdeckt, gefesselt und in die Stadt abtransportiert wird.
Trotz toller Animationsarbeit, kollidiert der Klassiker mit viel zu vielen dick aufgetragenem Herzschmerz-Kitsch und nervtötenden Gesangseinlagen, was den Zuschauer vor Pein schaudern lässt. Das sind dann solche Momente, wo man den Disney-Langfilmen erstaunlicherweise mehr Coolness zusprechen kann.

6. Februar 2012

THE ARTIST

Michel Hazanavicius (Frankreich, 2011)
Ein Film wie „The Artist“ hat das unvermeidliche Privileg des unantastbaren Kunstwerks, dem alle Türen offen stehen, um seine Mitstreiter hinter sich zu lassen und sich hochnäsig aufs höchste Podest zu stellen. Seine Andersartigkeit ist beinahe etwas unverschämt, weil er sich mit vollem Gewicht auf die Aura der Nostalgie stützt und mit diesem Stil zu einem unverwundbaren Monster wird. Ein Film, der sich zielstrebig und mit erhobenem Kopf dem Gegenwartskino quer stellt. Er wählt den schonungslosen Weg der Wiederbelebung und der Hommage und tut dies mit Würde und Eleganz.
Seine Geschichte ist auch schnell erzählt, denn er erinnert an eine Tragödie vergangener Filmtage: die Vergänglichkeit der glanzvollen Stummfilm-Ära und wie sie für den Tonfilm Platz schaffen musste. Diese Revolutionierung des Unterhaltungsmediums, an dem viele zweifelten (etwa Chaplin in seinem langen Essay) und an dem noch mehr scheiterten. Man holte neue Gesichter mit Stimmen und ließ die alten stummen Helden selbst entscheiden (wie George Valentin in diesem Film), ob sie sich dieser Erneuerung beugen wollen/können. Wenn nicht, dann ließ man sie fallen, die großen Stars vergangener Tage und sie verkamen langsam aber sicher, abgeschieden in ihren archaischen Luxusvillen, wie schon früher Norma Desmond in Wilders „Sunset Boulevard“.
Der sture George Valentin erleidet das gleiche Schicksal und wird zu alldem von seiner Herzensfrau und Konkurrentin, Peppy Miller überholt, die dem Tonfilm ihren wahren Durchbruch und Ruhm zu verdanken hat.
Michel Hazanavicius soll über 150 Stummfilme konsumiert haben, bevor er an die Arbeit an seinen Film ging; das sieht man natürlich in jeder Sekunde Spielzeit: Der Regisseur weiß diese filmische Periode bis ins kleinste Detail zu kopieren.
Und wenn man „The Artist“ wegen Überstilisierung, fehlendem Eigenleben und der akribischen Wiederholung bloßstellen will, wird er vielleicht trotzdem so manch einem die (Film)Augen öffnen, der bis dahin den echten Stummfilm ignoriert hat. Der größte Wert besteht vielleicht auch darin, bewiesen zu haben, dass der Film als solcher heutzutage immer noch ungewöhnliche Wege einschlagen kann.

5. Februar 2012

DIE PUPPE

Ernst Lubitsch (Deutschland, 1919)
Der Film soll demnächst auch im Wiesbadener Programmkino gezeigt werden. Dank arte kann ich mir diese Vorführung sparen, auch wenn es sicherlich interessant gewesen wäre, ihn mit Livemusik-Begleitung zu sehen.
Erzählt wird die Geschichte des Lancelot, Neffe des Baron de Chanterelle, der gegen seinen Willen zur Heirat gezwungen wird und daraufhin in einem Mönchskloster Unterschlupf findet, nach dem ihm die Flucht vor 40 Jungfrauen gelungen ist. Der Baron lockt seinen Neffen mit 300.000 Francs wenn dieser sich doch zur Heirat überreden ließe. Die gierig-faulen und verfressenen Mönche wittern selbst das Geld und schlagen dem gebeutelten Lancelot vor, sich mit einer Puppe zu vermählen und ihnen die Mitgift zu überlassen.
Lancelot willigt ein, macht sich auf den Weg zum Puppenbauer und entscheidet sich für eine Puppe, die nach dem Ebenbild der Puppenbauer-Tochter erschaffen wurde. Das führt natürlich zu einer haarsträubenden Verwechslungskomödie, heiter und jungfräulich in ihrer Art und doch mit einem modernen Charme erzählt. Gleichzeitig ist der Film eine wilder Rauferei mit der Kirche (die katholische Kritik tobt bis heute) und Lubitsch kratzt vor allem an der Rolle der Frau in einer männer- dominierenden Gesellschaft.
Wie so oft zu dieser Zeit, ist der Film viragiert, um durch unterschiedliche Farbgebung die jeweiligen Handlungsorte zu betonen und wird noch zusätzlich durch eine liebevolle Pappkulisse unterstützt, wie man sie sonst aus dem Theater oder dem damaligen expressionistischen Kino kennt.
Einen Lubitsch sehen zu dürfen, ist immer eine kleine filmische Feierlichkeit. Da erinnert man sich gerne an Billy Wilders Anekdote, wie er bei Lubitschs Beerdigung traurig feststellen musste, dass es nun keinen Ernst Lubitsch mehr gibt, aber was noch schlimmer ist: es gibt keine weiteren Lubitsch-Filme mehr.

2. Februar 2012

J. EDGAR

Clint Eastwood (USA, GB, 2011)
Alle Jahre wieder kriecht der alte Dinosaurier Clint Eastwood aus seiner Höhle heraus und präsentiert uns, was er ausgeknobelt hat, um sein Vaterland mal wieder kritisch zu beäugen. Eastwoods Kino ist in der Regel konventionell und klassisch in seiner Form, aber alte Dinos müssen das Rad ja auch nicht neu erfinden, Hauptsache sie schnitzen ein paar Einkerbungen hinein, damit der Wagen auch mal gerüttelt wird.
Und das gelingt in "J. Edgar" immerhin. Eastwood beleuchtet zwar Hoover als öffentliche Figur, richtet aber seinen Blick bewusst auf den FBI-Chef/Gründer als Privatperson. Dabei ist nichts anderes herausgekommen als das Portrait eines egozentrischen Popstars, der Hoover nun mal war, mit all seinen menschlichen Eigenarten, auf die sich jeder seiner Mitmenschen einlassen musste, wenn er mit ihm auf längere Sicht privat oder beruflich auskommen wollte/musste.
Dass der Film sein Augenmerk auf Hoovers mögliche homosexuelle Neigung richtet (und das manchmal wirklich etwas zu aufdringlich), sorgt angeblich schon für Schlagzeilen und selbst Hoovers Verdienste im modernisierten Kampf gegen das Verbrechen werden von Clyde Tolson (der Associate Director der FBI und eine angebliche Affäre von Hoover) als halb-wahre Phantastereien und Prahlereien enthüllt, die Hoover lediglich zu seiner Popularität verhelfen sollten.
Je länger der Film geht, desto mehr wird J. Edgar demaskiert, bis er schließlich wirklich vollkommen nackt (und tot!) neben seinem Bett aufgefunden wird.
Der Weg des engagierten Kinos ist bei Eastwood schon längst festgefahren und das Ergebnis ist immer solide, vom guten Handwerk und anregenden Storytelling beherrscht. Von Meisterwerken ist er irgendwie immer noch weit entfernt; er bleibt der gute Handwerker.