29. November 2011

Eine gewisse Tendenz im polnischen Film

Kürzlich war ein Tauchgang in einen Bottich mit polnischen Filmen angesagt. Es ist immer erfreulich, mal wieder etwas aus Osteuropa zu erwischen.
Doch wie schnell die Laune wieder umschlägt, so bald man die ganzen Filme dann tatsächlich sichtet. Der gegenwärtige polnische Film ist ein stets delikates Thema: er ist zwar frei von allen Zwängen und politischer Kontrolle, nutzt das aber dermaßen aufdringlich aus, dass am Ende darin oft nur routinierte Stereotypen abgearbeitet werden. Der polnische Film weint und lamentiert, beschwert sich über das eigene Land und noch viel mehr über seine Vergangenheit und seine bedauernswerten, gebeutelten Bewohner. Dem gegenwärtigen, polnischen Film fehlt die alte Poesie, weil er die Poesie nicht mehr nötig hat. Er braucht keine Symbole, Metaphern und Genre- Fassaden wie früher, und kann deshalb nur noch seinen nackten Zorn auftischen. Was bleibt sind Geschichten, die bis auf die Knochen abgenagt sind. Gangster, Schnapsnasen, eine korrupte Gesellschaft, kriminelle Jugend, der graue Himmel überm Plattenbau und das permanente Gejammer. Polen bleibt der ewige, perspektivlose Ostblock, voller pessimistischer Exotik; ein Winkel dieser Erde, den man meiden möchte. Wie traurig ist das durch diese weitgehende Einseitigkeit und wie langweilig für die Filmgeschichte.
Das ist natürlich nicht immer so. Aber diese Tendenz dominiert dennoch die gegenwärtige polnische Filmlandschaft, vor allem wenn ich Filme wie Smarzowskis "Wesele" oder Borcuchs "Wszystko co kocham" sehe.
Bei Machulskis "Kingsajz" steckt natürlich erheblich mehr dahinter, vielleicht weil der Film 1987 in der Übergangsphase entstand. Er muss sich also noch hinter dem Deckmantel eines kindlichen Zwergen-Klamauk verstecken.
Barejas "Małżeństwo z rozsądku" ist dann wiederum ein alter Hut; strahlt noch einen sentimentalen Charme aus.
Hinzu kommt noch der kürzlich beim exground-Festival gesehene "Father, Son and the Holy Cow" von Radoslaw Wegrzyn; immerhin eine nette Komödie, die sich wenigstens mit ihrer ländlichen Poesie nach dem traditionellen, polnischen Kino zu sehnen scheint.
Am interessantesten bleibt die Dokumentation "Beats of Freedom" über die polnische Musikgeschichte, die es versteht, die vielen Musikphänomene mit dem damaligen politisch-gesellschaftlichen Geschehen zu einem filmischen Dokument zusammenzufügen, das mit seiner tragisch-komischen Authentizität fesselt. Vor allem ist das ein überzeugenderes Portrait Polens als die meisten Spielfilme des Landes, die in den letzten Jahren entstanden sind.
Es wäre natürlich viel zu einfach, diesen routinierten Pessimismus als rein polnisches Problem abzuwerten. Der italienische oder auch der deutsche Film wurden praktisch aus den Trümmern des 2. Weltkrieges neugeboren, ließen zunächst den Neorealismus und unzählige Trümmerfilme auf uns los, schafften es aber später, sich auch ganz anderen Themen zu widmen. In den USA erlebte das Kino gerade im Zeitalter des New Hollywood, wo am meisten an den Wunden des eigenen Landes gekratzt wurde, vielleicht ihre filmisch vielseitigste und kreativste Phase.
Grund zum heulen gibt es also überall. Aber kaum ein Land kann das scheinbar so konzentriert und konsequent wie Polen. Vor allem sind es Tränen, die sich vordergründig an das eigene Volk richten; Polen dreht Filme über Polen für Polen. Ein nationales Kino, das wo anders kaum verstanden werden kann.
Vielleicht erwische ich aber wirklich zu oft die falschen Filme und löffle eher mit einer Schöpfkelle in diesem polnischen Filmbottich, als dass ich wirklich darin tauche. Deswegen heißt es: unbedingt weiterschauen und hoffen, dass man neue Schätze doch noch findet. Viel zu aufregend waren Filme des jungen Wajda, Leszczynski oder Piwowski, um ein ganzes Filmland plötzlich aufzugeben.

Keine Kommentare: