29. Dezember 2011

STOLZ UND VORURTEIL

Joe Wright (Großbritannien, Frankreich, 2005)
Jane Austen... praktisch seit Jahrhunderten unentschlossen im Regal mit ernsthafter Weltliteratur, aber auch romantisch-luftiger Unterhaltung; Werke die leider mittlerweile auch zu Hausfrauen-Schmökern verdammt wurden, die man säckeweise am Bahnhof und schlecht sortierten Weltbild-Buchhandlungen ergattern kann.
Seichtes Frauenzeugs denkt man. Aber den guten, alten Kostümfilm sollte man sowieso etwas anders anpacken, so sensibel und zerbrechlich ist er. Denn der Kostümfilm ist in gewisser Weise eine Sondergattung des Films. Ein wohltuendes Augenpulver, ein visuelles Fest, wenn er gut inszeniert ist, oder ein Riesenreinfall, wenn Kulisse und Kostüme doch nicht zu überzeugen wissen. Die visuelle Seite dieses "Genres" ist so allgegenwärtig und für die Beurteilung so prägend, dass die Geschichte beinahe ins Nebensächliche abrutscht.
Auch in diesem Film können sich Production- und Kostüm-Designer so richtig austoben, was sie auch tun, wenn man erstmal den Riesenaufwand der Inszenierung und Dreharbeiten bei den angefügten Specials sieht.
Helena Bonham-Carters Zeiten als britisches Kostüm-Sensibelchen sind längst vorbei. In jüngster Zeit nimmt Keira Knigthley ihren Platz ein. Joe Wright auf dem Regiestuhl übernimmt dann den Job, den sich früher Merchant&Ivory teilen mussten.
Und was kommt letztendlich heraus? Ja, der gute, alte Kostümfilm eben. In seiner vollen Pracht und idyllischer Gemütlichkeit. Nicht weniger, nicht mehr, aber grade genug.

28. Dezember 2011

DIE KREUZRITTER

Aleksander Ford (Polen, 1960)
Die Schlacht bei Tannenberg war wegen der Niederlage der deutschen Kreuzritter gegen Polen, nie so präsent in Deutschland wie in den osteuropäischen Ländern, wo sie bereits die Kindheit prägen konnte (wie z.B. meine) und in zahlreichen Zeichnungen, selbst erdachten Hörspielen und Comics thematisiert wurde.
Vermutlich wächst man im Osten viel eher mit der ideologisch-heldenhaften Darstellung dieser mittelalterlichen Begebenheit auf, zuerst durch Henryk Sienkiewiczs literarischer Vorlage und seit den frühen 60er Jahren schließlich und endgültig durch Alexander Fords epischer Verfilmung des dicken Schmökers.
Denn was aus dem historischen Kontext blieb, ist ein strickte Schwarzweiß-Malerei von geknechteten und schließlich heldenhaften Polen und auf der anderen Seite den grausamen Deutschen als blutrüstige Kreuzritter. Die Begegnung von beiden Seiten ist stets spannungsgeladen, endet in diversen persönlichen und auch zwischenmenschlichen Auseinandersetzungen und gipfelt schließlich am Ende in der berühmten Schlacht von Tannenberg, zwischen dem Deutschen Orden und Polen, an deren Seite Litauen, Weißrussland und die Tataren in den Kampf ziehen.
Trotz dieses einseitigen Cowboy-Indianer-Prinzips weiß der Film selbst nach so langer Zeit wunderbar zu unterhalten und das hat er vordergründig seiner dicken Staubschicht zu verdanken, die ihn von Jahr zu Jahr immer dicker einhüllt. Gerade einem finsteren, mittelalterlichen Thema kommt es zu Gute, wenn die Kopie des Films selbst schon dank ihrer ausgewaschenen Farben und des schlechten Sounds wie aus König Jagiełłos Zeit zu stammen scheint. So archaisch der Film also von seiner technischen Seite auch sein mag und so fragwürdig in seiner Ideologie; man kann trotzdem nur hoffen, dass der Stoff niemals neu verfilmt wird, sonst sind der Zauber und die Authentizität, die er seiner Machart zu verdanken hat, endgültig weg.

22. Dezember 2011

DER GOTT DES GEMETZELS

Roman Polanski (Frankreich, Deutschland, Polen, 2011)
Polanskis Filme hängen alle stark durchgespannt an einer massiven Kette, denn wenn auch die Geschichten, Schauplätze und Figuren variieren, neigt Polanskis bereits seit den frühen 60ern ein bestimmtes Element zu wiederholen. Gemeint ist damit seine Vorliebe, heimischen Orte, vordergründig Mietwohnungen, als körperliche aber vor allem seelische Gefängnisse für seine Figuren auszuwählen und dafür zu sorgen, dass sie aus ihrem Käfig nicht mehr so schnell herauskommen.
Ob "Ekel", "Wenn Katelbach kommt", Rosemarys Baby", "Der Mieter", "Der Tod und das Mädchen", selbst "Der Pianist"; es ist ein ständiger Kampf mit den unmittelbaren Mitmenschen, die Verteidigung des eigenen Territoriums, oder die Überwindung der Einsamkeit und Abschottung. Die Probleme (bzw. die Handlung), deren Lösungen unerreichbar erscheinen, wachsen aus den Figuren heraus und brauchen oft keine zusätzlichen Schauplätze, bzw. sehr wenig an physischem Raum um sich völlig zu entfalten.
Nun serviert uns der gebürtige Pole seine filmische Umsetzung des Theaterstücks von Yasmina Reza, um diese Thematik kammerspielartigen Beisammenseins oder des miteinander Auskommens restlos auszuschöpfen.
Bis auf den kurzen Prolog und Epilog, die der Handlung in ihrer Distanziertheit den Anstoß geben und sie zum Schluss auflösen, bleiben wir durchgehend mit den vier Figuren in der Wohnung. Wie es Polanski dabei schafft, seine Darsteller so an die einseitige Location zu nageln, dass auch der Zuschauer durchgehend gefesselt bleibt, gehört wohl zum lang erprobten und stets verlässlichen Polanski-Mysterium. Wie oft stehen die beiden Besucher wieder an der Türschwelle und somit auch an der Schwelle zum erzählerischen Umschwung und einem visuellen Bruch, doch die Geschichte wirft ständig ein Lasso nach ihnen und zieht sie wieder in die Wohnung. Das Problem (der Streit der Kinder beider Parteien, bei dem der Sohn des Gastgeber-Paares verletzt wurde), muss in den vier Wänden gelöst werden; das Wohnzimmer ist der Kampfring; ein einziges Wortgefecht ergänzt durch Kate Winslets spektakulären Kotzanfall. Die Erwachsenen sind die wahren Kinder, die sich blind im Kreise drehen.
Nach diesem Film kann man jedenfalls wieder zugeben, Polanski-Fan zu sein; Sünden wie "Oliver Twist" oder "Neun Pforten" werden hiermit (fast) wieder vergeben.

21. Dezember 2011

WHALE RIDER

Niki Caro (Neuseeland, Deutschland, 2002)
Frischer Wind aus Neuseeland. Endlich nachgeholt, eins der bekanntesten cineastischen Exportartikel der Insel.
Die kleine Paikea durchbricht bereits bei ihrer Geburt eine lange Kette der Māori-Tradition, die normalerweise von männlichen Nachkommen der Familie weitergeführt wird. Somit gilt es den konservativen und streng der Tradition verbundenen Großvater zu überzeugen, dass auch ein Mädchen/Frau diesen Weg aufrechterhalten kann. Hier kollidiert eine alte Volkssaga (die alte Generation) mit Ansichten der jungen Menschen des gegenwärtigen Neuseeland.
Der Film nähert sich in großen Schritten der neuseeländischen Māori-Traditionen, bis diese Schritte zu aufdringlichen Fußtritten werden: Der Film webt seine Form und Inhalt vollkommen um diese folkloristischen Aspekte, was schließlich schnell am sentimentalen Ethno-Kitsch angrenzt.
Gestrandete Wale etwa sind zwar ein schönes, märchenhaftes Bildmotiv, aber wie so viele Einfälle in diesem Film, entwickeln auch sie eine weinerliche Poesie nahe am Pathos. Dennoch kann sich ein solcher Film getrost zurücklehnen, denn dank seines filmisch wenig vertrauten Territoriums, bleibt es wenigstens ein ungewöhnliches Generations- und Sittendrama.

19. Dezember 2011

ICH, TOM HORN

William Wiard (USA, 1980)
Man könnte behaupten, dass die Figur des legendären Tom Horn die gesamte Coolness von McQueen zusammenfasst. Er ist der alternde Held und zunächst der geheimnisvolle Fremde, der Frauenherzen höher schlagen lässt und natürlich alle Probleme auf seine Art beseitigt. Er wird als Kopfgeldjäger von Farmern in Wyoming angeheuert, um den dortigen Viehdieben Beine zu machen, wird schließlich im perfide eingefädelten Plan des Mordes an einem Jungen beschuldigt und zum Tode verurteilt.
William Wiards (wer ist das überhaupt?) Spätwestern-Klassiker ist die letzte Verbeugung vor Steve McQueen und gleichzeitig ein dramatischer Filmabgang für den Schauspieler, wenn man sich am Ende mit der detailverliebten Hinrichtungsszene herumplagen muss, in der der Titelheld am Strick einen hundselenden Tod stirbt.
Noch im gleichen Jahr starb der Schauspieler an Krebs und war bereits während der Dreharbeiten von der Krankheit gezeichnet. Und hier als Tom Horn stirbt McQueen für uns den großen (und sinnlosen) Märtyrertod und geht für immer.
Prädikat: ein besonderer Film mit Nachgeschmack. Aber dafür kann er ja nichts.

18. Dezember 2011

A CONSTANT FORGE - Life and Art of John Cassavetes

Charles Kiselyak ( USA, 2000)Viel zu behutsam schnuppert man sich zunächst an diese 200min lange Dokumentation über einen der sperrigsten Filmemacher Amerikas heran; so ein Mammutwerk ist nicht für jeden Anlass geeignet, denkt man. Danach ärgert man sich aber, diesen Film nicht schon viel früher gesehen zu haben, der schließlich einer der größten Menschenkenner bzw. Schauspieler-Regisseure unter den amerikanischen Filmemachern porträtiert und der wieder daran zurückerinnert, wie groß und wie anders dieses Kino ist.  
Cassavetes erzählt viel selbst aus dem Off, ergänzt wird das durch Freunde, Gefährten und Kollegen, wie etwa die wunderbare Gena Rowlands, Peter Falk, Ben Gazzara, aber auch Sean Penn. Dazwischen viele Bilder von Dreharbeiten, endlose Filmzitate und geplünderte Familienfotoalben. 
Wir erfahren nichts radikal neues, aber wir bekommen es wieder bestätigt: Cassavetes war ein exzentrischer Sonderling, der den Menschen liebte und ihn auf die linke Seite stülpte, der das Planen hasste und daher stets den Weg der kontrollierten Improvisation einschlug. 
Aber was Kiselyaks Portrait vor allem hinterlässt, ist das Verlangen, Filme wie "Eine Frau unter Einfluss" oder "Opening Night" bald wieder aus der Versenkung herauszuholen. Alleine schon, um Gena Rowlands wiederzusehen, und sie erneut dafür verantwortlich zu machen, den Großteil ihrer Schauspieler-Kolleginnen völlig überrumpelt zu haben, um ganz neue Maßstäbe zu setzen. Kein 200min-Kampf, sondern eine ereignisreiche Schlacht um das Überleben eines stets gegen den Strom schwimmenden Künstlers.