11. Februar 2013

LITTLE CHILDREN

Todd Field (USA, 2006)
Todd Field begegnet man eher vor der Kamera, als dahinter; bei "Little Children" wagt er sich auf den Regiestuhl, wo er seinen Job auch weitgehend gut macht, und er tastet sich gleich an ein paar heikle Themen heran, die gar nicht mal so oft, oder zumindest nicht auf diese Art im Kino veranschaulicht werden. Der Film beleuchtet den gesellschaftlichen Umgang mit Exhibitionismus  am Beispiel von Ronnie (Jackie Earle Haley), der nach einer Haftstrafe wieder in die Vorstadt East Wyndam zurückkehrt und bereits mit seiner bloßen Anwesenheit für Angst und Schrecken unter den Bewohnern sorgt. Bei seinem Eintauchen ins Schwimmbecken des Freibads, wird dieses sofort von allen Badegästen fluchtartig verlassen. Gleichzeitig wird er für sein (längst abgebüßtes) Verbrechen übelst schikaniert, was dramatische Folgen hat.
Tood Field erzählt aber noch viel mehr, nämlich von der Literaturwissenschaftlerin Sarah (Kate Winslet), die mit ihrer Ehe unzufrieden ist, genauso wenig wie Brad (Patrick Wilson) mit seiner Frau (Jennifer Connely) eine erfüllte Ehe führt, so dass Sarah und Brad sich öfters auf dem Spielplatz und im Schwimmbad treffen, wo beide mit ihren Kindern regelmäßig hingehen. Wohin das führt, braucht man kaum zu erwähnen, doch die Affäre gestaltet sich schwieriger als gedacht und erreicht am Ende einen merkwürdigen Ausklang, den man hier aber unerwähnt lassen sollte, der aber beide Figuren in fragwürdige (emotionale) Neusituationen verfrachtet. Der Off-Sprecher wiederholt und verwässert auch zu Vieles, das eh schon mit Bildern erzählt wird, aber letztendlich bleibt Jackie Earle Haley als verklemmtes Riesenbaby und bedingungsloses Mamakind mit potenziellem Gefahrfaktor, der aufregendste Charakter dieser Geschichte. Schade nur, dass sich die Wege von den beiden Mann/Frau-Protagonisten viel zu selten mit dieser hochdramatischen Figur kreuzen.

BERÜCHTIGT

Alfred Hitchcock (USA, 1946)

Berüchtigt ist hier nicht nur der Filmtitel, sondern der Film selbst für allerlei Anekdoten, die sich um ihn scharen. Vor allem wenn man liest, das FBI hätte angeblich während der Dreharbeiten ein Auge auf Hitchcock geworfen, weil er hier so leichtsinnig verfährt und seinen Bösewichten Uran in die Hände legt, welches als grundlegendes Bestandteil zum erfolgreichen Bombenbasteln dient. Zur damaligen Zeit mag so etwas nicht besonders amüsant gewesen sein, wo doch während der Entstehungszeit des Filmes die Hiroshima-Bombe abgeworfen wurde.
Mut zur Aktualität zeigt Hitchcock hier außerdem noch in seiner Grundthematik: Es dreht sich alles um ehemalige Nazi-Schurken, die sich auf leisen Sohlen in Brasilien abgesetzt haben und wie Ingrid Bergman vom US-Geheimdienst in diese verbrecherische Bande hineingeschleust werden soll, um herauszufinden, welche Pläne geschmiedet werden. Cary Grant ist auch noch dabei, als Geheimagent, der natürlich zwischen Verpflichtung und Zuneigung zu Frau Bergman hin- un hergerissen wird. Es kommt jedoch ganz anders, als der Ober-Miesmacher der Ex-Nazis sich in Frau Bergman verliebt und mit ihr vermählt, später aber merkt, dass er damit in Wirklichkeit eine amerikanische Spionin geheiratet hat und schließlich versucht, sie in Etappen zu vergiften. Cary Grant muss natürlich zu Rettung herbeieilen.
Hitchock deutet zumindest unmittelbar auf die Thematik der davongelaufenen Kriegsverbrecher hin, die sich in fernen Ländern neu zu orientieren versuchten; schade bloß, dass sie im Film kaum bedrohlich erscheinen, bzw. deren "Bedrohung" vordergründig während der ersten Konfrontation mit Ingrid Bergman wage spürbar wird, wenn sie ihr die Hand schütteln und sich mit deutschem Namen vorstellen. Danach werden sie zu gewöhnlichen Gangstern.
Schlesinger hat später in "Der Mararthon Mann" wahrscheinlich das Privileg der zeitlichen Distanz nutzen können, um ähnliche Inhalte tiefgründiger zu beleuchten, weil sich die alten Nazis zu der Zeit schon in ihrer neuen Heimat festgesessen haben, wo sie 1946 (zur Zeit von "Berüchtigt") erst in den Anfängen verweilten.

LIFE OF PI: SCHIFFBRUCH MIT TIGER

Ang Lee (USA, 2012)
Dieses dick aufgeblasene Mensch/Tier-2D/3D-Märchen hat sich ja auch schon vor längerem auch noch dazwischengedrängt; sogar in einem Londoner Kino, ein zusätzliches neues Erlebnis, die Leinwände scheinen dort noch größer zu sein, demzufolge auch die Bilder, was sie nicht zwangsläufig besser macht, auch nicht durch eine stylische 3D-Brille auf der Nase, aber Ang Lees Verfilmung von Yann Martels Roman ist trotz seines stilistischen Größenwahnsinns und symbolisch/religiösem Überschwang tatsächlich wirklich unterhaltsam geraten.
Es ist zunächst die Geschichte IN einer Geschichte, denn die Rahmenhandlung bringt ein Buchautor (Rafe Spall) ins Rollen, der in Kanada den aus Indien stammenden Pi Patel aufsucht, um sich dessen unglaubliche Geschichte anzuhören, die er selbst anschließend in Buchform verarbeiten will.
Der alte Inder erzählt also, zunächst in farbenprächtigen Bilder von seiner malerischen Kindheit als Sohn eines Zoodirektors, und bevor der Bollywood'sche Kitsch Überhand nimmt, beginnt glücklicherweise der eigentliche Plot, nämlich der Umzug des Zoos mit sämtlichen Tieren auf dem Seeweg nach Kanada, wo die Familie ein neues Leben anfangen soll. Während der Überfahrt kommt jedoch ein monströser Sturm aufm der Frachter sinkt und unser junger Held rettet sich als einziger Überlebender in einem Rettungsboot. Seine Begleiter: ein verletztes Zebra, ein Orang-Utan und eine nervige Hyäne, von denen jedoch nicht all zu viel übrig bleibt, weil ein Tiger auch noch mit im Boot sitzt. Was folgt ist die Geschichte einer ganz außergewöhnlichen Freundschaft/Beziehung/Feindschaft, immer hin und her pendelnd zwischen Annäherungsversuchen und Distanzbewahrung, immer zwischen Hollywooddrama, Disney-Märchen und einer optischen Sterilität, auf die man sich aber getrost einlassen kann. Tricktechnisch setzt der Film sicherlich neue Maßstäbe, kann aber gleichzeitig als Vorbild dienen, um in kommender Zeit übertrumpft zu werden.
Ein Interessanter Fakt: Bei Recherche zum Film stoßt man sogar auf den guten alten Edgar Allan Poe, dessen "Der Bericht des Arthur Gordon Pym" großen Einfluss auf die Geschichte haben musste: Im Zentrum steht auch hier ein Schiffbruch, der Held nennt seinen Hund "Tiger" und einer der Überlebenden heißt Richard Parker, wie der Tiger in Ang Lees Film.
Und wenn ich mich als Zuschauer entscheiden soll (wie der junge Autor am Ende), welche Variante der Geschichte mir besser gefallen hat (die mit dem Tiger oder die mit der menschlichen Besatzung auf dem Rettungsboot), dann entscheide ich mich für die mit Edgar Allan Poe.