27. September 2012

THE GREAT ST. LOUIS BANK ROBBERY

Charles Guggenheim, John Stix (USA, 1959)
Dieser Film brauchte anscheinend gleich zwei Regisseure, auch wenn da nicht wirklich viel dahintersteckt, vielleicht kamen sie sich aber auch öfters in die Quere, weswegen der Film so durchwachsen ist.
Ein sehr junger Steve McQueen lockt hier vor allem an den Bildschirm, hier der Milchbub in Collegejacke, der an einem Überfall auf die Bank von St. Louis als Fahrer mitmachen soll. Die restliche Gang besteht aus fiesen Gangstervisagen, alles natürlich erfahrene, vom Leben gezeichnete Schurken, trauen dem Jungen nicht, der sich von seinem Anteil die Rückkehr ans College sichern will. Seine Ex-Freundin kommt dann ins Spiel, auch wenn wir aus den harten Gangstersprüchen immer wieder beigebracht bekommen, dass man nichts mit Weibern anfangen sollte, weil sie ablenken und zu viel quatschen. McQueen wird natürlich auch weich und verplappert sich, dann kommt die beste Szene, als seine Freundin von Gewissensbissen geplagt, doch noch die Polizei auf den bevorstehenden Raubüberfall aufmerksam macht, in dem sie mit ihrem Lippenstift einen Hinweis auf die Fensterscheibe der Bank kritzelt. Der ganze Überfall, so präzise er auch geplant wird, verläuft am Ende natürlich alles andere als erfolgreich, sonst wär's kein Film mit Blut und Drama. Einige gute Szenen und Bilder findet man hier genauso wie unbeholfen inszenierte Momente und die katastrophale, deutsche Neu-Synchro gib diesem späten Film-Noir den endgültigen Stoß in die Grube mit den vergessenen Filmen.

ZEIT ZU LEBEN UND ZEIT ZU STERBEN

Douglas Sirk (USA, 1958)  
Vielleicht doch Sirks bester Film? Sein sonst so großes Talent, kleine, menschliche Tragödien zu meterhohen Dramen aufzublasen, übersteigt er einerseits in diesem Film, weil der zweite Weltkrieg als Kulisse alle menschlichen Schicksale zusammenbündelt, aber eben doch als geschichtliches Phänomen die Einzelhandlungen überschattet und in einen Sog aus Ungewissheit, Schutt und Asche mit sich reißt.
Der deutsche Soldat Gräber (John Gavin) erhält nach seinem Rückzug aus Russland endlich den verdienten Heimaturlaub, muss jedoch feststellen, dass von seiner Heimatstadt nicht mehr viel stehen geblieben ist. Verzweifelt sucht er nach seinem Elternhaus, irrt zwischen beeindruckenden Großstadtruinen und lernt Elisabeth (Liselotte Pulver) kennen, die Tochter des damaligen Familien-Arztes, der mittlerweile ins KZ deportiert wurde.
Eine andere Figur ist Gräbers alter Schulfreund Binding (Thayer David), ein Kreisleiter mit protziger Villa, der große Nazi mit Beziehungen, der im materiellen Überschuss beinahe untergeht, Gräber aber mit offenen Armen empfängt und ihm seine Hilfe anbietet.
Gräber und Elisabeth gelingt es schließlich in den Wirren der Kriegszeit zu heiraten, doch die Urlaubszeit verrinnt, weder kann er seine Angehörigen ausfindig machen, noch Binding dazu veranlassen, Elisabeths Vater aus dem KZ zu holen. Die Ehe der beiden ist letztendlich durch den bevorstehenden Front-Einsatz Gräbers gefährdet.
Ein sehr junger Klaus Kinski ist sogar auch dabei, schon hier in einer weniger sympathischen Rolle, jenes aggressiven Untersturmführers, der Gräber die Asche von Elisabeths Vater in einer Zigarrenkiste überreicht.
In seiner Opulenz klingt das alles mehr nach David Lean, als nach Douglas Sirk, das macht den Film schon anders, noch ungewöhnlicher wird er durch den Verzicht auf ein Happy End, man muss es leider erwähnen, weil hier die Stärke des Filmes liegt: es gibt keine glückliche Wiedervereinigung mit der Ehefrau, nachdem sie ihrem Mann an der Front per Brief mitteilt, sie sei schwanger. Sirk lässt seinen Helden sterben, erschossen von einem Zivilisten, den er kurz davor guten Herzens befreit hat.
Ähnlich wie Renoir in seiner "großen Illusion" lässt uns Sirk auch desillusioniert in die Zukunft schauen und hinterfragt mit dem sterbenden Helden den Sinn und Unsinn dieser tragischen Zeit.

WINTER PASSING

Adam Rapp (USA, 2006)
Dass dieser Film bloß ein Winzling ist, merkt man daran, dass er kaum nachhallt und bereits nach einer Woche großteils aus dem Gedächtnis verschwindet. Aber vielleicht braucht man sie auch, die Eintagsfliegen unter den Filmen, die für einen netten Filmabend sorgen, die man auch gerne mögen kann, die aber wie eine leichte Brise davonschweifen.
"Winter Passing" ist so ein Kandidat, eine nett ausschauende, aber risikofreie Zooey Deschanel spielt hier die junge Theaterschauspielerin Reese, die in einer Bar arbeitet, deren Mutter verstorben ist, die mit der Männerwelt kein wirkliches Glück hat, also Grund genug, um mit Drogen zu experimentieren, ein Leben, das aus den Fugen zu geraten droht, ganz klar, der totale Absturz wird aber aufgehalten, weil Reese 150 Briefe geerbt hat; ein Briefwechsel zwischen ihren Eltern in jungen Jahren; die Mutter war Künstlerin, der Vater ist Schriftsteller, lebt immer noch irgendwo in Michigan, hat hohen Bekanntheitsgrad, so dass eine Verlegerin an Reeses Tür klopft, die großes Interesse an der Korrespondenz zeigt.
Dann folgt der typische hollywood'sche Trick: Reese will zuerst natürlich nichts davon wissen, ist aber von dem vielen Geld doch noch angelockt und macht sich auf den Weg zu ihrem alten Herrn, der mittlerweile in einer Garage haust (von einem kauzigen Ed Harris gespielt), überall häufen sich Bücher an; im Haus lebt auch seine ehemalige Studentin Shelley (Amelia Warner) und Corbit, ein freakiger, etwas zurückgebliebener Will Ferrell, der sich die Augen schminkt, sich mit Reeses Vater zum Golfen im Zimmer einschließt, wenn er nicht gerade E-Gitarre spielt.
Der Weg für eine ungewöhnliche und skurrile Familiengeschichte ist also geebnet, schade nur dass sich die meisten Figuren dermaßen ausgeglichen und ohne deutliche Macken und Kanten durch das Geschehen mogeln. Adam Rapp lässt außerdem so manches wieder fallen, was er somit nur als Auslöser für die Handlung nutzte. Die Verlegerin als antreibende Figur bleibt irgendwo auf der Strecke und Reeses Drogenproblem ist dann auch nur Schnee von gestern. Oder ich hab was verschlafen. Oder der Film ist doch nur guter Mittelmaß.

NÄCHTLICHE DIAMANTEN

Jan Němec (Tschechoslowakei, 1964)
Früher konnte man solche Dachbodenfunde wie "Nächtliche Diamanten" wenigstens noch auf TVP Kultura erwischen, der Sender verschwand jedoch spurlos, nun muss man bei osteuropäischen Leckerbissen auf die britische "Second Run DVD"-Reihe zurückgreifen, was durch den Raritätsfaktor das Sehvergnügen um so mehr steigert.
Jan Němec verfilmt hier die Vorlage von Arnost Lustig, bei dem es jedoch alles andere als "lustig" zugeht. Der Schriftsteller beschreibt darin seine eigenen Erfahrungen, als er aus einem Güterzug flüchten konnte, der ihn 1945 ins Konzentrationslager Dachau bringen sollte.
Im Film fliehen zwei Jungs aus einem Zug, der den gleichen, todbringenden Zielbahnhof ansteuert. Kaum serviert uns der Film seine ersten Bilder, schon sind wir mitten im Geschehen, die beiden rennen um ihr Leben und bald sind sie von der schwarzweißen Düsternis der Wälder umschlungen, wo sie alleine auf sich gestellt sind, immer weiter rennend, die Kamera klebt an ihren Fersen, fängt sie stets aus unmittelbarer Nähe ein, so dass der Zuschauer genauso wenig abschätzen kann, wie weit und ob überhaupt Verfolger hinterhereilen.
Die jungen Männer sind allen Wetterverhältnissen ausgesetzt, durchqueren, Wälder, Wiesen und felsigen Boden, aber auch die eigene Vergangenheit, die sich bruchstückhaft in Rückblenden immer wieder einschleicht. Die Füße schmerzen, die Ameisen krabbeln im Gesicht, der Hunger wächst, Brot und Milch werden von Bauern ergattert, bis die beiden schließlich einem deutschen Jagdverein in die Hände fallen. Die Lage spitzt sich zu, für die Jäger ist es eine Art Spiel, sie haben jetzt zwei Gefangene, die ihnen vollkommen ausgeliefert sind.
Aber man möchte ja nichts verraten. Jan Němec inszeniert vollkommen schnörkellos, verzichtet weitgehend auf Musik und und Dialoge; es ist eher der Blick des unsichtbaren Voyeurs, der niemals von der Seite seiner Opfer weicht. Mehr Nähe zum Geschehen geht kaum noch.

26. September 2012

DER ZAUBERER VON OZ

Victor Fleming (USA, 1939)
Die Story kennt jeder, was soll man da noch erzählen, außer dass Fleming eine klare Grenze zwischen Schein und Sein zieht und sich bewusst dafür entscheidet, Dorothys Reise als Traum darzustellen, zuerst ist also alles monochrom im sandigen Sepia-Ton getunkt, bevor das Zauberland dann in voller Farbpracht erwacht. Die Besetzung der Hauptrolle soll ein harter Kampf gewesen sein, bevor man sich entschied, Judy Garland in Kleinmädchen-Klamotten zu stecken und mit dem Hund Toto und ihren Kumpanen (Vogelscheuche, Zinnmann und Löwe) Richtung Schloss des großen Oz-Zauberers ziehen zu lassen. Aber es ist nun mal ein Musical-Film und Garland kann singen und tut es auch; "Somewhere.." ist bis heute ein Gossenhauer und erobert jüngst in Ukulele-Variante die Herzen seiner Radiozuhörer. Und wie merkwürdig erscheint dieses kindliche Spektakel, all die Plastik-Vegetation, aufgemalten Landschaften und umher springenden Bewohner, die fröhlich ihre Lieder trällern, wenn man sich dann wieder vergegenwärtigt, dass der gleiche Mann im gleichen Jahr "Vom Winde verweht" auf die Beine stellte und damit zwei der Non-Plus-Ultra-Klassiker erschuf. Das muss man ihm erst mal nachmachen, unabhängig davon, wie man die beiden Filme findet.
"Der Zauberer von Oz" verzaubert ja immer noch auf seine moderige Art, lässt einen weiterhin schmunzeln, weil z.B. der Zinnmann (wie er in der deutschen Synchro genannt wird), sowieso niemals rosten könnte, wäre er wirklich aus Zinn. Und als Dorothy nach all den Strapazen kurz vor der Heimfahrt gerade der Vogelscheuche mitteilt, dass sie ihn wohl am meisten vermissen wird, während Löwe und Zinnmann nur dämlich danebenstehen... da geht die kumpelhafte Gleichberechtigung natürlich flöten. Die Moral von der Geschicht bleibt "Home Sweet Home", vielleicht um Amerika vor dem Einmarsch in Europa bzw. Nazideutschland zu bewahren; das fremde Zauberland ist ja auch trotz seiner bunten Farben ein (Aus)Land voller mysteriöser Gefahren.

23. September 2012

HOLY MOTORS

Leos Carax (Frankreich, 2012)
Georges Franjus "Augen ohne Gesicht" scheint für verschiedene Filmemacher eine wahre Inspirationsquelle zu sein. Tornatores "Die Unbekannte" hatte Bezüge zu dem alten Schauermärchen, Almodovars "Die Haut, in der ich wohne" ist auch nicht weit entfernt und Leos Carax baut in seinem neuen Film schließlich das endgültige Zitat ein, weil er die Chauffeurin des Protagonisten mit Édith Scob besetzt, die schon in Franjus Film die Titelrolle spiele, in "Holy Motors" darf sie die Maske erneut aufsetzen.
Aber das ist eigentlich fast nur eine Nebensache im neuen Carax-Film, der schon mit "Liebenden von Pont-Neuf" seinen Hauptdarsteller Denis Lavant auf die linke Seite stülpte, hier aber alle Grenzen und Regeln des Kinos mit Leichtigkeit durchbricht.
Lavant, der Mensch aus Gummi, ist deutlich gealtert seit der letzten Zusammenarbeit mit Carax, aber genau so brauchen wir ihn auch, den vom Leben Gezeichneten und Gereiften, der nach einem merkwürdigen Traum morgens aufsteht, die Familie verabschiedet und mit Aktenkoffer seinem Job nachgeht. Lavant bzw. Oscar wird von Céline (Édith Scob) in einer Limousine abgeholt, der Irrsinn des Films beginnt, Oscar holt ständig Akten heraus, auf denen ihm seine Aufträge mitgeteilt werden, das riesige Auto wird zu einer Art Kostümverleih, er muss von einem Pariser Ort zum nächsten hetzen, stets im Zeitplan bleiben, sich von Job zu Job umziehen, verkleiden, schminken, eine neue Identität annehmen. Jedes Mal verlässt er als neue Figur das "Taxi", ob als alte Bettlerin, als Performer in einen Motion-Capture-Anzug, oder rennt mit roter Mähne durch den Pariser Friedhof, frisst Blumen von den Gräbern, beißt anderen die Finger ab, entführt ein Model (Eva Mendez), ist Auftragskiller, Vater einer Tochter in Teenager-Jahren, ein alter Mann kurz vor seinem Tod und überhaupt in ausweglosen Umständen ein mehrfacher Sterbender. 
Ein menschliches Chamäleon, das sich zwar stets verändert, sich aber nicht zwangsläufig dem gegebenen Umfeld anpasst, sondern als asozialer Störfaktor im Rampenlicht steht. Der Mensch legt eben viele Gesichter an den Alltag, möchte sich fügen, sich anpassen, wie Moravias Konformist, doch am schwersten fällt es ihm, er selbst zu bleiben und daran scheitert er schließlich, bei Carax noch im übertriebenen Sinne.
Es heißt, der Regisseur hätte in all den Jahren Ruhepause Ideen zu mehreren Filmen angehäuft, sie nun aber alle in "Holy Motors" vereint, was man dem Film auch ansieht, der mit der permanenten Verwandlung seiner Hauptfigur gleichzeitig mehrere Anekdoten und Genres mixt. Es reicht von der Groteske, über Sci-Fi, bis hin zum Melodrama und Musical, ist aber vor allem ein durchgehendes Spiel mit Identitäten.
Der Film rennt dabei ständig gegen die Wand, durchbricht sie auch, lässt sich nicht bändigen oder gefangen halten. Leos Carax jongliert einbeinig an einer sehr steilen Klippe, extremer in der Narration geht es im Kino kaum noch, bloß die Grenze zum überambitionierten Kunstfilm, dem man alles verzeihen muss, ist hauchdünn. Doch noch ist alles gut.

SO LANGE ES MENSCHEN GIBT

Douglas Sirk (USA, 1959)
Und weiter geht's mit Douglas Sirk. "So lange es Menschen gibt" war sein letzter Film, vielleicht auch gut so, weil er sich trotz seiner erzählerischen Qualität zum Ende hin in ein sentimentales Dauerleiden der ersten Klasse hineingaloppiert. Rassismus ist hier großgeschrieben, der Stoff wurde schon in den 30er Jahren verfilmt, wo die Zuschauer eigentlich noch viel eher von ihren Sitzen aufspringen mussten.
Die verwitwete Schauspielerin Lora (Lana Turner) hat eine afroamerikanische Haushälterin bzw. Kindermädchen bei sich zu Hause aufgenommen, deren Tochter Sarah Jane (Susan Kohner... hat bisschen was von Natalie Wood) kaum etwas von der dunklen Hautfarbe ihrer Mutter geerbt hat.
Sirk verfolgt damit zwei Handlungsstränge, die sich aber ständig überkreuzen und voneinander abhängig sind: das ist zum einen Loras Traum vom großen Schauspiel-Erfolg, für den sie ihre Mitmenschen oft vernachlässigt und zum anderen die Mutter/Tochter-Bezeihung zwischen der schwarzen Annie und ihrer weißen Tochter, die sich für ihre Mutter schämt und ihre familiären Wurzeln von Kindesbeinen an versucht zu verheimlichen, um von der Gesellschaft nicht ausgestoßen zu werden. Das Drama spitzt sich zu, als die junge Sarah Jane schließlich das Haus verlässt, um ein neues Leben anzufangen, bei dem ihr ihre Mutter nicht ständig in die Quere kommen soll, die sich daraufhin in Kummer und Verzweiflung stürzt und schließlich am gebrochenen Herzen stirbt.Douglas Sirk muss ein wahrer Meister gewesen sein, dass er eine solche prätentiöse Grundthematik dennoch gekonnt meistert, man fühlt sich fast wie in einem Kazan-Film, die Vorzeige-50er werden demaskiert, die Figuren zerren aneinander, Tränen fließen, Sarah Jane wird sogar in einer schäbigen Seitenstraße von ihrem Freund zusammengeschlagen, als er erfährt, sie hätte eine schwarze Mutter.
Alles schön und gut, bloß wieso um Himmels Willen muss der Film mit einer pompösen Beerdigung der afroamerikanischen Haushälterin abgeschlossen werden, deren Leichnam im großen Stil von einer Kutsche durch überfüllte Hauptstraßen gezogen wird? Es soll ihr eigener Wunsch zu Lebzeiten gewesen sein, wirkt aber eher wie auf Bestellung von Douglas Sirk konstruiert. Der Rassismus hat wieder mal ein Opfer gefordert, die undankbare Tochter kommt dann plötzlich tränenüberströmt aus einer Bildecke und stürzt sich in dramatischer Pose auf den davonfahrenden Sarg. Mehr Melodrama geht kaum noch. Douglas Sirk, King of Pathos. Damit schloss er den Kreis seines Gesamtwerks, in dem er uns mit triefenden Taschentüchern dastehen lässt; aber so etwas muss man auch erst mal hinbekommen.

19. September 2012

WENN DER WIND WEHT

Jimmy T. Murakami (Großbritannien, 1986
Der alte Klassiker, auch wieder so ein Wühltisch-Film und es ist auch kein Wunder, wenn man die DVD einlegt und mit einer elend schlechter deutschen Tonspur konfrontiert wird; unglaublich wie so was überhaupt auf den Markt gebracht werden kann.
England liegt zwischen den Fronten des kalten Krieges, die Rentner Hilda und Jim führen in ihrem idyllischen Häuschen ein ruhiges Leben, sie kümmert sich um den Haushalt, er beobachtet die politische Lage der Welt, beide reden darüber, beide spekulieren auf senil-naive Weise über einen möglichen Einsatz einer Atombombe, Jim analysiert immer mehr die Protect & Survive-Broschüren, baut schließlich an die Wand des Wohnzimmers einen irrsinnigen Schutzraum aus alten Blech-Teilen. Die Bombe geht natürlich auch hoch, doch Hilda denkt weniger an die tödliche Gefahr, als an die Unordnung, die in der Wohnung veranstaltet wird, an schmutzige Gardinen und an die Wäsche, die draußen zum Trocknen hängt.
Murakami legt hier so etwas wie einen Lehrfilm hin, stopft die Geschichte mit Atombomben-Klischees aus, versammelt alles auf einem Haufen, bis ein engagiertes Werk herauskommt. Ein ernstes Thema kollidiert mit einem dafür ungewöhnlichen Genre, der Film mischt aber Gezeichnetes mit Real-Film-Hintergründen und Realfilm-Sequenzen, das passt alles nicht immer zusammen, durchbricht eher den schönen Zeichenstil, aber vielleicht soll es das auch, vielleicht dringt nur so die Realität zu den beiden vor (und zu uns!), denn es soll nichts verniedlicht werden. Und Jim verwechselt auch gerne öfters die Ruskis mit den alten Nazis, für ihn bleibt Gefahr eben Gefahr, der Film spekuliert aber auf einen 3. Weltkrieg hin, man darf nichts unterschätzen, es kann noch ganz schlimm kommen und das tut es auch. Das pessimistische Szenario bietet leider keinen Ausweg, was aber auch etwas enttäuschend ist, weil die Sackgasse am Ende zu keinem überraschenden Höhepunkt hinführt. David Bowies Titelsong wirkt auch etwas deplatziert und doch ist es insgesamt ein wirklich sehenswerter, gut animierter bzw. gut beobachteter Film mit zwei "Hauptdarstellern" von seltener Anmut und Harmonie.

18. September 2012

DIE GROßE ILLUSION

Jean Renoir (Frankreich, 1937)
All die Truffaut'schen Lobeshymnen auf Jean Renoir, vor dem er sein Leben lang auf die Knie fiel.. da muss ja was dahinterstecken, aber selbst wenn man einen Kopfstand macht, ändert das nichts an der Tatsache, dass "Die große Illusion" alt geworden ist. Am beeindruckendsten ist sicherlich der Fakt, in welcher brenzligen Zeit der Film entstanden ist. Der 1. Weltkrieg wird noch thematisiert, während die Nazis schon längst ihre Fahnen schwingen und der nächste Krieg an die Tür klopft. Jean Gabin als französischer Flieger, Pierre Fresnay als Offizier und Marcel Dalio mit jüdischer Herkunft kommt auch noch hinzu, alle stecken sie im Kriegsgefangenenlager, graben einen Tunnel, werden aber ins nächste Lager verlegt, bevor sie nur einen Fuß in den unterirdischen Gang setzen können und landen schließlich in einer mittelalterlichen, deutschen Festung, wo der Kommandant von Rauffenstein (Erich von Stroheim) das Sagen hat.
Gabin und Dalio können aber doch noch aus dem einschüchternden Massivbau entwischen, weil Fresnay mit einer Flöte auf den Zinnen hüpfend die Deutschen ablenken kann. Er bezahlt mit seinem Tod, aber verhilft seinen Kumpanen zur Flucht.
An dieser Stelle schafft es der Film mit den beiden Entflohenen endlich auch dem Militärdrill zu entfliehen, der den Großteil des Filmes überschattet und ihn so kühl und gefühlsarm erscheinen lässt. Die zwei Franzosen finden schließlich Unterschlupf bei einer deutschen Bäuerin (Dita Parlo), deren Ehemann im Krieg gefallen ist. Eine gemütliche Geborgenheit empfängt sie, gibt ihnen zu Essen und drückt ihnen ein Glas Milch in die Hand.Der politisch-militärische Kuddelmuddel muss nun Platz schaffen für echte Gefühle eines auftauenden Jean Gabins, der selbstverständlich ein Auge auf die Witwe geworfen hat. Das deutsch-französische Verhältnis wird von der menschlichen Seite angefasst (bzw. durchgeschüttelt). Die beiden Männer kümmern sich auch um die kleine Tochter der Frau und helfen artig beim Haushalt mit. Gabin, mit hochgekrempelten Ärmeln, macht sich einen Spaß daraus, dass er im Stall eine deutsche Kuh versorgen darf.
Diese krasse Zweiteilung lässt ein bisschen Sonnenlicht in den Film herein scheinen, aber der Bogen bleibt in beide Richtungen überspannt: Zuerst der kühle Drill, die blitzblanken Uniformen und die steifen Posen, dann die warme Stube vor Postkartenlandschaft, die einzige und natürlich hübsche Frau und der (für bäuerliche Verhältnisse) reich gedeckte Essenstisch. Hier prallen nicht nur zwei Welten, sondern auch zwei Filme aufeinander.
Immerhin hatte Renoir seherische Fähigkeit  bei der Wahl des Filmtitels bewiesen; denn wenn die zwei Männer im Schlussbild in die weite Landschaft hinauslaufen, bleibt der Begriff Freiheit doch nur eine Illusion. Jeder weiß, was danach kommen sollte.

360

Fernando Meirelles (Großbritannien, Brasilien, Frankreich, 2012)
Keine Ahnung, weshalb dieser doch so gelungene Film in einer kürzlich gelesenen Kritik dermaßen schlecht wegkam, zwar hat er seine Höhen und Tiefen, und braucht auch etwas Anlauf, doch ist es insgesamt doch ein solider Ensemble-Film, wie ihn vielleicht der alte Robert Altman und Paul Thomas Anderson gemeinsam aus dem Ärmel geschüttet hätten. (würde der eine von ihnen noch am Leben sein).
Liest man was über "360", stoßt man meistens auf Berichte über einen verquirlten Liebesfilm, dessen Beziehungen auf verschiedene Großstädte und Länder verteilt sind, um dann doch noch auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen. Der Regisseur lenkt auch ein wenig in diese Richtung, weil Rachel Weisz und Jude Law hübsch anzusehen sind, doch menschliche Annäherungen müssen schnell für Grundlegendes Platz schaffen; Meirelles blickt schließlich nicht nur auf die geleckte Geschäftswelt, mit ihrem lüstern-dekadenten Drang nach einem verlockenden Seitensprung, sondern zeigt auch eine slowakische Prostituierte, die international ums Überleben jobben muss und einen kürzlich entlassenen Sexualstraftäter, der durch eine Zufallsbekanntschaft am Flughafen (eine Brasilianerin, die wiederum ihre eigene kaputte Beziehung zu bewältigen versucht) direkt auf Probe gestellt wird, ob er die Finger von ihr lassen kann, wo sie sich sogar freiwillig anbietet. Die Figuren stehen also auch in er einer existenziellen und psychologischen Abhängigkeit zueinander und hängen letztendlich an einer langen Kette, wie das eben im Episodenfilm oft so üblich ist, der keine strickte Grenzen zwischen seinen Geschichten zieht. Sogar der alte Anthony Hopkins baumelt am gleichen Strang, als Fluggast auf der Suche nach seiner vermissten Tochter.
Je deutlicher sich die Puzzlestücke zusammenfügen, um so unausgewogener stehen jedoch die einzelnen Sequenzen zueinander: Weisz & Law vergisst man zB irgendwann fast schon, weil die Flughafenepisode so präsent das Gesamtgeschehen zu bestimmen scheint. Zu viel Konstruktion könnte man dem Film vorwerfen, aber man kommt ja auch nicht um hin, in festgelegten Mustern zu denken,wenn man so vieles erzählen möchte und die Spielzeit einem wie Sand durch die Finger rinnt. Am Ende muss dann der hilflose Regisseur selbst versuchen, den Kreis zu schließen, selbst zu deuten, selbst zu vergleichen; er nutzt das Splitscreen-Verfahren und lässt noch mal alle Figuren ihren eigenen Weg laufen.
Fernando Meirelles bleibt jedenfalls nach "Der ewige Gärtner", "City of God" und "Stadt der Blinden" weiterhin ein Filmemacher, der sein eigenes Meisterwerk noch vor sich liegen hat, der aber mit seinen bisherigen Filmen schon mal über die nötige Bausubstanz verfügt, auf der er so etwas aufbauen könnte.

16. September 2012

SILKWOOD

Mike Nichols (USA, 1983)
Mike Nichols ist so etwas wie der typische Schauspieler-Regisseur; die Geschichten umkreisen bloß die Figuren. Ähnlich ist es hier, dazu noch auf wahrer Begebenheit basierend, Meryl Streep als Karen Silkwood, die Chemie-Technikerin, die in den 70er-Jahren einen Skandal in dem Unternehmen Kerr-McGee aus dem Keller ans Licht bringen wollte.
In der Fabrik häufen sich Unfälle an, die radioaktiven Brennelemente sind weitaus gefährlicher als es den Mitarbeitern vorgegaukelt wird. In der Herstellung wird gepfuscht, Sicherheitsdokumente und Röntgenaufnahmen werden gefälscht. Silkwood wühlt in den Akten und in den Labors, will mit der Geschichte an die New York Times, wird aber selbst radioaktiv kontaminiert, bis der Wahnsinn symbolisch-surreale Form annimmt, als schließlich ihr gesamtes Haus von Behörden auf Strahlung untersucht und bis auf abgekratzte Tapeten ausgeräumt wird. Das ist vielleicht etwas übertrieben, aber dramaturgisch natürlich ein feiner Eingriff, um noch mal zu betonen, wie man Frau Silkwoods Existenz vollkommen auslöschen will, auch wenn das Unternehmen nach ihrem mysteriösen Tod doch noch bluten musste und 1975 komplett geschlossen wurde.
Der Film unterhält nach Jahren immer noch, wenn er auch mit der Darstellung dieser lebensgefährlichen Tätigkeit etwas leichtsinnig und albern umgeht. Man fühlt sich oftmals eher wie in einer Großküche mit lauter Köchen, als an einen Ort, an dem mit radioaktivem Material hantiert wird. Ist aber in erster Linie ein Charakter-Film und Streep ist ja auch unglaublich gut, Kurt Russel als problemfreier Boyfriend ein bisschen farblos und Cher kann man sich hier noch vor den ganzen Schönheitsoperationen angucken und manchmal zweimal hinschauen, um sie wiederzuerkennen. Paar Jahre später als Hexe von Eastwick sah sie irgendwie schon anders aus. Aber das ist eine andere Geschichte.

12. September 2012

BILANZ EINES LEBENS

Akira Kurosawa (Japan, 1955)
Es ist immer eine große Rarität, einen alten Kurosawa sehen zu dürfen, der kein historischer Film ist, sondern der seinen Blick auf das "gegenwärtige" Japan wirft.
„Gegenwärtig“ bezieht sich natürlich auf die Entstehungszeit dieses Filmes, in dem Fall das Nachkriegsjapan, das sich einerseits von der Atombombe in Hiroshima und Nagasaki zu erholen versucht, gleichzeitig aber von einer neuen Angst vor dem möglichen Atomkrieg zwischen USA und Russland gezeichnet ist.
Kiichi (Toshiro Mifune) ist der Besitzer einer Gießerei, der panische Angst vor der Atombombe hat, bei jedem Unwetter und Donner zusammenzuckt, weil er glaubt, die Bombe würde ihm gleich um die Ohren fliegen. Ein Mann, der nur noch in Furcht lebt und den festen Plan hat, seinen Krempel zu packen und mit der gesamten Familie nach Brasilien auszuwandern, wo er wieder eine neue Fabrik hinstellen will. Doch keiner will mit, keiner teilt diese panische Furcht des alten Familienoberhaupts, jeder ist viel zu fest mit seiner Heimat verwurzelt, jeder lebt sein Leben mit dem Gewissen, dass man im schlimmsten Fall sowieso machtlos ist.
Damit der alte Herr mit seinem Vermögen nichts unüberlegtes anstellt, wird er schließlich auf Veranlassung seiner Familie entmündigt. Im Höhepunkt des Filmes brennt schließlich der alte Kiichi seine eigene Fabrik ab, damit sie keinem in die Hände fällt und damit die endgültige Umsiedlung nach Brasilien abzusichern, was ihm jedoch lediglich den Weg ins Gefängnis ebnet.
Sicherlich wieder ein aktuelles Thema für die Japaner und den Rest der Welt, bloß schade, dass diese übertriebene Phobie des Protagonisten so selten zum Vorschein kommt. Es blitzt zwar einige Male draußen und Mifune springt jedes Mal auf, wenn ein Donner den Himmel erhellt, doch das reicht nicht  für diesen subjektiven Gefahrenblick und seine Pläne lassen sich nur erahnen aber kaum am eigenen Leibe spüren. Irgendwie scheint der Film Kurosawa aus den Händen zu gleiten; er spricht die familiär-existenziellen Probleme an, doch vernachlässigt eine ausgiebige Studie seiner Hauptfigur, die ja schließlich die eigentliche Kritik an Nuklearwaffen in sich trägt. Es hätte so viel mehr sein können; mehr von der großen Posen, wie sie schon im dramaturgisch-theatralischen Höhepunkt der niedergebrannten Fabrik angedeutet werden.

WE NEED TO TALK ABOUT KEVIN

Lynne Ramsay (Großbritannien, 2011) 
Von Frau Ramsay davor schon "Ratcatcher" gesehen und genossen, jedoch erst nach der Sichtung ihres neuen Filmes erfahren, dass die gleiche Frau dahintersteckt, bzw. wer überhaupt dahintersteckt und dass man sich den Namen unbedingt merken muss.
"We need to talk about Kevin" völlig ohne Erwartungen angepackt, lediglich das Thema grob im Internet überflogen, schon saß man im knapp bemannten Kinosaal. Dabei ist der Film etwas sehr Großes, etwas Besonderes und Wichtiges, eine ganz dunkle Lehrstunde über die Quelle des personifizierten Bösen, ganz nahe am wahren Leben, oder besser: mitten drin, er packt das Thema des schulischen Amoklaufs direkt an der Wurzel, giert nicht nach Sensation, sondern schwenkt die Kamera zu einer gebeutelten Frau (eine großartige, mehrgesichtige Tilda Swinton), die Mutter des Übeltäter und Massenmörders, die mit dem Verstoß aus der Gesellschaft umgehen muss, die mit einer tonnenschweren Last durch den Alltag wandert, alle Schläge und Beschimpfungen auf sich nimmt und beinahe mit widerspruchsloser Akzeptanz für die Gräueltat ihres Sohnes büßt.
Doch der Film behandelt mehr als nur das Martyrium einer Frau, denn er porträtiert gleichzeitig die gegenwärtige Beziehung zwischen Mutter & Sohn (während ihrer Gefängnisbesuche) und zerstückelt die Handlung mit Rückblenden, die vor der Tat angesiedelt sind, bis schließlich die Entwicklung des Sohnes von Geburt bis zum Jugendlichen (und bis zur Tat) ganz im Vordergrund steht.
Der Film bietet also eine umfassende Studie, die den Zuschauer herausfordert, ohne ihn inhaltlich zu malträtieren, weil das erzählerische Gleichgewicht stimmig bleibt. Der Film stellt Fragen über die Erziehungsmethoden, die Beziehung der Eltern zueinander und je tiefer er sich hineingräbt, desto brüchiger wird die Kommunikation zwischen den Figuren, die von Anfang an schon kaum existent war. Der Sohn entwickelt sich vom Omen-haften Teufelskind immer deutlicher zum unantastbaren, sich stets widersetzenden Dämon, der von Kindesbeinen an, mit Pfeil und Bogen bewaffnet ist und vermutlich seit je her ein festes Ziel anpeilt.
Ein in Rot getunkter Albtraum, ob in der surrealen Anfangssequenz, über die mit roter Farbe beschmierte Hausfassade, bis hin zum blutigen Kunststück des jungen Schützen. Nicht nur ein guter, sondern auch ein wichtiger Film; angelegt wie ein guter Horror, aber viel verstörender weil näher am wahren Leben.

8. September 2012

FAHRENHEIT 451

François Truffaut (Großbritannien, 1966)
Ein Wiedersehen mit Truffauts ironisch-B-Movie-artigen Bradbury-Utopie; die zukünftige Gesellschaft, die ohne Bücher auskommen muss, eine verbotene Schandtat, die den Menschen negativ beeinflusst, ihn zum unnötigen Denken anregt und letztendlich unglücklich macht, worunter der gesichtslose und selbstsüchtige Staat am meisten zu leiden hätte.
Freitag (Oskar Werner) gehört der modernen Feuerwehr von morgen an, bei der alle Regeln auf den Kopf gestellt sind, sie löschen kein Feuer, sondern ziehen mit diszipliniertem Gehorsam in den Kampf gegen die Weltliteratur. Sie stöbern sie dann auf, die von den aus der Reihe tanzenden Bürgern sorgfältig versteckten Bücher, stapeln sie zu Hügeln und übergeben sie dem lodernden Flammentod.
Doch Freitag tanzt aus der Reihe, denn er schleicht selbst nachts auf Zehenspitzen zu seiner privaten, gut versteckten Büchersammlung, und sein wahres, sensibles Ich kann sich dann endlich aus dem Käfig befreien, so bald er die Lehrerin Clarisse (Julie Christie) kennenlernt, die ihren Beruf nicht mehr ausüben darf, da sie selbst auch gern zum Buch greift und dieses Leben hinterfragt.
Man würde also meinen, hier steckt so viel Symbolisches dahinter, dass bereits Bradbury in seiner wunderbaren Buch-Vorlage vor einem totalitärem System warnt, welches menschliche Bedürfnisse und selbstständiges Denken im Keim ersticken soll. Ob man ihm jedoch glauben soll, dass seine Absichten lediglich darauf hinzielten, vor dem Aussterben des Buches zu warnen, welches durch das neue Massenmedium des Fernsehens ersetzt werden sollte... darüber kann man sich Gedanken machen. Aber wenn Truffaut, die alte Leseratte einen solchen Roman verfilmt, dann hat er vielleicht auch vordergründig dieses Ziel vor Augen, wenn er Dostojewski, Nabokov, Flaubert u.a. den Flammen überlässt.

DIE WUNDERBARE MACHT

Douglas Sirk (USA, 1954)
Douglas Sirk darf grade kräftig in seinem Grab rotieren, denn seine Filme werden momentan buchstäblich verscherbelt, keine Ahnung was dahintersteckt, aber man muss es eigennützig sehen und einfach zugreifen, wenn mal wieder was von ihm für knapp 3 Euro in der Buchhandlung herumliegt.
Sirk, der Melodrama-König und Tränenquetscher, die dick aufgetragenen Gefühle, die man schon an seinen Filmtiteln meilenweit riechen kann. Bei Hitchcock hießen die Filme zur gleichen Zeit "Psycho", "Die Vögel", "Vertigo", bei Sirk ist es immer prätentiös-monumental, wie etwa "So lange es Menschen gibt", "In den Wind geschrieben", "Was der Himmel erlaubt" etc. Man fühlt sich klein und ist gezwungen nach oben zu schauen.
"Die wunderbare Macht" reiht sich konsequent ein, Rock Hudson ist auch wieder dabei, dieses Mal als selbstsüchtiger Millionär Bob Merrick, der mit einem Schnellboot einen schweren Unfall hat, jedoch mit einem Wiederbelebungsapparat gerettet werden kann, wohingegen Dr. Phillips stirbt, der zur gleichen Zeit am anderen Ort den Apparat nötig hätte. 
Der von der Gesellschaft unbeliebte Merrick hat aber doch noch so etwas wie Schuldgefühle und versucht sich an Hellen, die Witwe des verstorbenen Arztes (Jane Wyman) zu nähern, die ihn jedoch abweist und in einer brenzligen Situation unter die Räder eines Autos kommt und dabei erblindet.
Das Sirk'sche Melodrama steigt ins Unermessliche, also muss Merrick aus der Patsche helfen, er sieht ein, dass er in seinem Leben nicht weiterkommt, wenn er jedes Problem mit einem ausgeschriebenen Scheck beseitigen will, er näherst sich wieder Hellen, um sie nicht zu verschrecken gibt er sich jedoch als jemand anderes aus. Da sie blind ist, kann er sich eine solche List erlauben. Die Liebe erblüht, Merrick meint es wirklich ehrlich und sie durchschaut bzw. erkennt ihn auch, doch trennt sich irgendwann wieder von ihm, weil sie ihm nicht zur Last fallen will. Die Zeit vergeht, sie erleidet einer Gehirnhautentzündung, kann aber gerettet werden, weil Merrick inzwischen sein Medizin-Studium wieder aufgenommen hat und zum Gehirnspezialisten wurde.
Der Film ist eine Riesenkonstruktion an unfassbarer Gefühlsduselei, man merkt es schon daran, wieviel man nacherzählen muss, damit das ganze Bauwerk nicht wieder in sich zusammenstürzt. Das gute an Sirk ist aber: so naiv die Geschichten auch sein mögen, mit wieviel Pathos sie auch erzählt werden und mit ihrer Moral jedes Mal im großen Stil durch die Tür fallen, so sind sie handwerklich doch noch so gekonnt gemacht, dass sie von vorne bis hinten unterhalten können. Jedes Genre braucht seinen Vater, damit die Söhne zu dessen Meister werden können.

5. September 2012

EINE SCHWEDISCHE LIEBESGESCHICHTE

Roy Andersson (Schweden, 1969)
Wirft man einen Blick auf Anderssons bisherige Filmographie, könnte man meinen, er wäre so etwas wie der schwedische Terrence Malick, weil er mit ähnlicher Häufigkeit (oder fauler Bequemlichkeit) produziert; ein paar wenige Filme auf mehrere Jahrzehnte verteilt, da macht er es sich selbst schwer, wenn man ihn überhaupt als Regisseur wahrnehmen soll.
Aber vielleicht hat das auch einen gewissen Vorteil, wenn man nicht wie Woody Allen im Akkord Filme heraushaut, sondern sich alle Zeit der Welt lässt. Anderssons neuere Produktionen verfügen schon so etwas wie eine eigene Handschrift, in seiner ungewöhnlichen Art, die aus mehreren Sequenzen/Anekdoten zusammengesetzten Geschichten in perfekt durchkomponierten Bildern vorwärts zu treiben.
"Eine schwedische Liebesgeschichte" von 1969 ist da noch ganz anders und hier fehlt auch der lakonische Humor des Schwedens. Der Film hat es jedoch gar nicht nötig, sich in das Gesamtwerk einzureihen, es ist ein völlig eigenständiges Erstlingswerk und dazu ein unglaublich reifes. Andersson erzählt hier eine der schönsten Liebesgeschichten des Kinos, über die frische Liebe der 14-jährigen Annika und des 15-jährigen Pär, und dennoch ist das kein wirklicher Jugendfilm, weil er viel zu sehr an den Fassaden der bürgerlichen Erwachsenenwelt rüttelt und sie in der Schlussszene sogar ins vollkommen Lächerliche zieht.
Kein Schnickschnack, kein Kitsch, kein pubertäres Genörgel, große Bilder und wenige Worte, vielleicht paar Jugendklischees, aber voll allem ein eindringliches Portrait zweier jungen Leute, mit poetischer Eleganz erzählt. Roy Andersson beweist bereits in diesem Film sein großes Talent.

4. September 2012

DAS PARADIES DER DAMEN

Julien Duvivier (Frankreich, 1930)
Ein wirklich hübscher Guten-Morgen-Film war letztens dieser uralte Duvivier-Film, eine Émile Zola-Verfilmung, über die junge Denise, die nach Paris geht, zuerst bei ihrem Onkel, einem Einzelhändler für Stoffe, Unterschlumpf findet, schnell aber merkt, dass dieser von der vernichtenden Konkurrenz des gegenüberliegenden, riesigen Kaufhauses in den Boden gestampft wird. Blitzartig entscheidet sich das junge Mädchen, selbst in diesem neuen Massenkonsum-Imperium, das auf den Namen "Das Paradies der Damen" hört, Fuß zu fassen und sie wird auch sogleich als Mannequin eingestellt. Eine Liebesgeschichte darf auch nicht fehlen, so entflammt eine Liebe zwischen Denise und dem Kaufhausinhaber Octave Mouret, was aber dramaturgisch vordergründig dazu dient, den Schrecken des Kapitalismus mit dem wirtschaftlichen und schließlich menschlichen Elend von Einzelschicksalen zusammenzubringen, um bewusst auf die Opfer der Spät-Industrailisierung hinzudeuten.
Denn Denises Onkel ist nicht nur bankrott, sondern hat zu all dem auch noch eine kranke Tochter im Haus, die schließlich von ihrem Ehemann verlassen wird, der all dieses Elend nicht länger ertragen kann und selbst nach dem Glanz des neues Kaufhauses hinüber schielt.
Heraus kommt dabei ein vielschichtiger Film, der einerseits seinen Blick auf die Coolness der damaligen Mode/Lifestyle-Welt lenkt und das in wunderbar komponierten Bildern und innovativen Kamerafahrten einfängt, und auf der anderen Seite demonstriert er eben die Schattenseite von dem Drang nach wirtschaftlichem Erfolg, der unmenschliche Folgen hat. Hierfür nutzt der Regisseur eine andere Bildsprache, lässt in raschen Bildschnitten Gebäude einreißen, zeigt die Wucht der Bauarbeiten, den unaufhörlichen Rhythmus einer maschinellen Welt, die ständig dröhnt und jede Menge Staub aufwirbelt. Das ist beängstigend und man fühlt sich plötzlich wie bei Eisenstein und seinen symbolischen Bilderwelten.
Ein guter Film, würde er nur nicht in seiner Notlage doch noch so etwas wie ein Happy End erzwingen, das das junge Paar mit glänzenden Augen in diese moderne Zukunft blicken lässt, wo doch der Kaufhausbesitzer kompromisslos über Leichen ging, um seine Ziele zu erreichen. Denn die todkranke Tochter des Einzelhändlers stirbt trotzdem am Ende, der Fortschritt überrollt einfach alles, weil die riesigen Leuchtreklamen blinken müssen.

TO ROME WITH LOVE

Woody Allen (USA, 2012)
Gestern am Bahnhof eine Filmzeitschrift aufgeschlagen. Jemand vergleicht Woody Allen mit einem Wein, der mit dem Alter immer besser wird und provoziert mit diesem Statement jeden halbwegs vernünftigen Woody Allen-Fan.
Denn Woody tischt hier die seichteste Suppe auf, die er jemals serviert hat und verwandelt damit den Kinobesuch in den unbefriedigendsten seit Jahren.
Der Manhattan-Mann greift während seiner derzeitigen Europa-Spritztour dieses Mal nach dem Reiseführer von Rom, ist aber offensichtlich vollkommen überfordert von der ewigen Stadt, die seine Alters-Kreativität gänzlich einzudämmen scheint. Die Figuren plätschern in diesem Ensemble-Film von einer Belanglosigkeit in die nächste; Alec Baldwin hat die Rolle eines unsichtbaren Wächters, wie es ihn schon in "Mach's noch einmal, Sam" gab, (nur besser und sinnvoller), Woody Allen in der Rolle des neurotischen Opernregisseurs, zappelt in gewohnter Routine herum, obwohl man gerade den Meister selbst nach längerer Leinwand-Abstinenz wieder in Bestform erwartet hätte. Und dann noch Benigni, wenn er nicht gerade in seinen mittelmäßigen Filmen selbst Regie führt, dann ist er als Darsteller eigentlich meistens schön anzusehen (siehe Jarmusch, Fellini). Der italienische Vollzeit-Optimist und Möchtegern-Clown kann in seiner absurden Figur den großen Mediensatire-Aufkleber auf den Film anbringen, aber zieht das etwa den Karren aus dem Dreck? Eine Fellini-Verbeugung soll es auch geben, in gewissen Bezügen zu "Der weiße Scheich", wo auch eine Frau nach Rom kommt, sich verläuft und einem großen Filmstar begegnet, den sie vergöttert. Aber wozu so was? Dann schon lieber beim Trevi-Brunnen an Frau Ekberg denken, wenn überhaupt.
Die Jungspunde Jesse Eisenberg, Ellen Page, etc. verpassen dem schablonenhaft-romantischen Wohlfühl-Flair Roms die endgültige Blässe und Penelope Cruz wird auf die Sexbombe reduziert, damit der alte Woody auch noch was zum Gucken hat.
Der einzige Lichtblick ist hier die Figur des Leichenbestatters, der unter der Dusche ein großes Gesangstalent beweist,  weswegen dieser platte Gag sich immerhin weiterentwickeln darf, als er schließlich zum Opernstar gemacht wird, der auf der Bühne unter der Dusche steht und singt.
Sonst nichts. Rom hätte vor allem als Location so viel Potential, ist aber hier vollkommen austauschbar. Dass sich diese museale Stadt von einem Amerikaner nicht bändigen lässt, kann so auch nicht hingestellt werden; schließlich ist es William Wyler gelungen.
"To Rome with Love" beweist vor allem die Komödie als das vermutlich schwierigste Genre, weil sogar jemand wie Woody Allen irgendwann doch daran scheitern kann. Und noch trauriger: auf seinen nächsten Film freut man sich gar nicht mehr. Es ist außerdem kein Wunder, dass Woody nach dem Abliefern solcher Filme mit seinem ewigen künstlerischen Komplex zu kämpfen hat und sich in Gegenwart von europäischen Filmgrößen klein und unbedeutend fühlt.
Woodys Europa-Urlaub muss endlich enden; die Arbeit zu Hause wartet und Rom gehört Fellini!

3. September 2012

SUGARLAND EXPRESS

Steven Spielberg (USA, 1974)
Spielbergs erste Kinoarbeit. Schon hier inszeniert er mit spielerischer Leichtigkeit, für die man ihn in den 70er Jahren noch wirklich schätzen konnte. Eine Leichtigkeit, die er mit den Jahren zunehmend verlor, als seine Produktionen deutlich wuchsen, proportional zu den Popcorn-Tüten im Kino.
Die Geschichte beruht auf einer wahren Begebenheit, den Rest schmückt der Regisseur aus und erzählt immerhin auf fesselnde Weise über das Ehepaar Poplin, die aus einem menschlichen Grundbedürfnis zu Gesetzlosen wurden. Sie (Goldie Hawn) verhilft ihrem Ehemann (William Atherton) kurze Zeit vor seiner Freilassung aus dem Gefängnis auszubrechen, um gemeinsam ihr eigenes Kind von Goldies Mutter zu entführen, die inzwischen für das Kind sorgt. Mit einem Polizisten als Geisel geht die Flucht kreuz und quer durch Texas, auch wenn von Flucht nicht wirklich die Rede sein kann. Die jungen Eltern flüchten viel weniger, als dass sie eine konkrete Mission zu erfüllen haben. Die gesamte Polizei von Texas klebt ihnen an den Fersen, bewahrt jedoch aus Angst um das Wohlbefinden der Geisel stets die nötige Distanz. Dieses Prinzip führt schließlich zu einem völlig absurden Verhältnis, die Polizei ist eine machtlose, hirnrissige Institution, die mit hunderten von Wagen hinterher torkelt, es aber mit zwei einzelnen Leuten nicht aufnehmen kann. Die beiden "Gangster" werden schließlich in jedem Ort von einer riesigen Fangemeinde begeistert empfangen und mit Lebensmitteln und Geschenken für den weggenommenen Sohn versorgt.
Und je länger der Film läuft, desto mehr bestimmt er seine beiden Figuren als absolute Sympathieträger, denn selbst Goldies Vater, der am Polizeifunk das Wort an seine Tochter richtet, möchte sie nicht mehr als Familienmitglied wahrhaben, sondern sie am liebsten höchstpersönlich wie einen Hund abknallen.
Das ist ein Kino der moralischen Unruhe, über ein waffengeiles Amerika, der kaltblütige Vergeltungsgedanke auf der einen Seite und das Star- und Vorbild-Phänomen auf der anderen. Das Paar wird dabei zunehmend von der Außenwelt abgekapselt, denn mit jeder weiteren Drehung der Autoräder wird ihr Verhältnis zur wirklichen Welt abstrakter; sie werden in die Enge getrieben, bis sich der Sack zuschnürt.
Ein gelungener Start für den jungen Spielberg; schade dass er später so größenwahnsinnig wurde.