20. Januar 2010

ROCCO UND SEINE BRÜDER

Luchino Visconti (Italien, 1960)
Die vier Brüder Parondi kommen zusammen mit ihrer Mutter aus der italienischen Provinz ins pulsierende Mailand, um ihren Bruder Vincenzo zu besuchen, bzw. ein neues Leben zu beginnen, in dem sie sich erstmal an ihn klammern und um seine Unterstützung betteln.Doch mit Jobs sieht es erstmal düster aus. Die erste Beschäftigung bleibt trotzdem die malerischste: die Mutter (der zentrale Punkt der Familie, die alle zusammenhält) weckt früh morgens ihre Söhne auf, denn es schneit draußen vor dem Fenster. Schneeschaufeln ist angesagt. Die Jungs stehen auf, bekommen von Mama das Frühstück serviert, freuen sich über das Wetter und die Möglichkeit etwas zu verdienen. Das hat etwas sehr gemütliches, wenn sie in der engen Untergeschoss-Wohnung sitzen und der Schnee an den kleinen Fenstern vorbeifliegt.  
Im Verlauf der Geschichte versuchen sie sich am Boxkampf und an Frauen; bei beidem feiern sie Erfolge oder scheitern elend, jeder auf seine Art. Aufstieg und Fall, Faustschläge zwischen Brüdern, Mord aus Eifersucht.
Und Visconti rüttelt auch an der Kirche: zeigt eine Prostituierte, die beim Spaziergang auf einem Kirchengebäude über Selbstmord redet und sich am liebsten hinunterstützen würde. Großes Sozialdrama des späten Neorealismus. Pessimistisch und unverfälscht zeigt es die Schicksale eines Neuanfangs, wie eine Familie als starke Einheit zerbröckeln kann.

15. Januar 2010

JE T’AIME

Serge Gainsbourg (Frankreich 1974)
Irgendwie schön. Wenn auch etwas planlos inszeniert. Zuerst dachte ich an Antonionis Filme, denn hier wird auch nicht so viel gesprochen; die Charaktere haben erstmal mit ihrer Umgebung zu kämpfen, dann miteinander und schließlich mit sich selbst.
Die Locations drängen sich immer auf: Schrottplätze, Autoraststätte, enge Zimmer, Villen, Natur.  
Die Geschichte ist simple: zwei homosexuelle Müllwagenfahrer und auf einmal eine Frau (Jane Birkin) dazwischen. Sie fühlt sich zu einem der beiden hingezogen, es kommt zur Eifersucht und führt zum Mordversuch.
Witzig: Manchmal taucht auch noch der junge (auch homosexuelle) Depardieu auf und reitet auf einem Schimmel durch die Gegend. Einem der zwei Jungs läuft das Wasser im Mund zusammen.
Birkin diesmal ganz burschikos; auf eine andere Weise interessant als damals in „Blow Up“. Eigentlich ist es auch eine Art Musen-Film vom alten Gainsbourg; die Kamera (und somit unser Auge) immer an seiner Hauptdarstellerin klebend. Und scheinbar war er einer von den Künstlern, die gerne ihre eigene Frau anderen Partnern „ausleihen“ und dabei passioniert zuschauen. Was (und an welchen ungewöhnlichen Orten) dabei rauskommt, sehen wir hier.Sieben Jahre vor dem Film haben Gainsbourg & Birkin mit ihrem Song "Je t'aime moi non plus" einen Skandal provoziert. Vielleicht ist das hier dann in gewisser Weise der Film zu Song. Zumindest ein weiterer Skandal. Die Presse schrie auf, Truffaut und andere verteidigten den Film. Und jetzt haben wir diesen kleinen Kultfilm.

14. Januar 2010

ENGEL DER VERLORENEN

Akira Kurosawa (Japan, 1948)
Und schon wieder was gutes von Akira. Und außerdem die erste Zusammenarbeit vom Meister und seinem treusten Diener Toshiro Mifune, der hier noch seine Samurai-Rüstung zu Hause gelassen hatte, die er aber später fast nie mehr ablegte. Ich erkannte ihn nicht auf Anhieb. Gerade deswegen. Und weil er noch jung, frisch und munter aussieht.
Es geht um einen Arzt im Nachkriegsjapan, der in einer lumpigen Großstadtgegend praktiziert, und der selbst mit einem Alkoholproblem zu kämpfen hat. So versucht er den todkranken Gangster (gespielt von Mifune... vielleicht hat paar Jahre später James Dean diesen Film öfters geschaut) wieder auf die Beine zu stellen. Doch Mifune ist ein stolzer Pfau; er gibt nicht zu, dass es ihm schlecht geht.
Und vor dem Haus dieser ewig blubbernde, dreckige Stadtsumpf, der ständig in Nahaufnahmen zwischen den Sequenzen gezeigt wird. Er fault vor sich hin und stinkt, wie die Bewohner dieser trostlosen Gegend.
Es geht ums nackte Überleben. Wie immer mit viel Theater und großen Gesten. Ein schönes Frühwerk.

8. Januar 2010

DIE SCHWARZE NARZISSE

M. Powell, E. Pressburger (Großbritannien, 1947)
Relativ erwartungslos ging ich an die Sache heran und staunte schließlich mit riesengroßen Augen über die visuelle Wucht dieses Filmes. Kein verstaubter Stinkstiefel der 40er, oder ein simpler Nonnenfilm, denn hier überrumpeln einen lawinenartig die großen Bilder.
Das Kino besteht aus Bildern. Sollte es zumindest. Doch warum tut es das so selten? Diese Frage stellt man sich automatisch, wenn man Powells und Pressburgers Werk sieht. Keine Ahnung, wo die Kamera da überall stand, um diese Berglandschaften mit ihren rätselhaften Perspektiven und teuflischen Schluchten festzuhalten. Gott selbst muss das von oben gefilmt haben; lässt sich nicht anders erklären, weshalb dieser alte Film so überirdisch fotografiert ist.
Und auf die Knie falle ich noch vor Kathleen Byron als die neurotische Schwester Ruth. Einen Filmcharakter, der dermaßen dämonisch wirkt, habe ich selten gesehen. Nicht bloß dieses hypnotisierende Gesicht, das sich mit seinem Blick in den Zuschauer hineinbohrt, sondern auch später ihre raubtierhaften Bewegungen während der Verfolgung ihres Opfers (der Ordensschwester); nur eine geisterhafte Silhouette für den Bruchteil einer Sekunde, wie sie eine Treppe hinaufläuft.
Das sind ganz große Momente des Kinos; Andeutungen, Reduktion und Verzicht, gepaart mit dem Vorwissen des Zuschauers und meisterhafter Fotografie.
Ein kleiner Film von großer Optik. Ein Kameramann zum Verlieben.