20. April 2011

WER HAT ANGST VOR VIRGINIA WOOLF?

Mike Nichols (USA, 1966)
Nichols' Leinwandadaption von Edward Albees Bühnenstück. Vier Charaktere und ein Dialoggefecht, zum Großteil auf einen Ort konzentriert.
Ein klassischer Boxkampf; im Ring Burton vs. Taylor. Man könnte meinen, der Kampfplatz wäre extra für sie errichtet worden. Burton ist der zynische Historiker. Taylor, seine Ehefrau, die mit dem Altern nicht zurechtkommt.
Dann kommt Besuch, ein jungs Pärchen. Burton/Taylor streiten, spotten, zerren gegenseitig an ihren ausgeleiherten Seelen. Und ziehen die Jungen Leute in ihre zerstörte Welt mit hinein, wie in einen tiefen, finsteren Schlund.
Sehr intensiv, entblößend analytisch (wie wohl bei der echten Frau Woolf), aber vor allem auch sehr komisch durch Burtons Zynismus und Taylors präzise Gegenschläge.
Eine Screwball-Tragödie über Liebe und Leben, und wie man als Zuschauer darüber schmunzeln kann, weil der Film sicherlich so manch einem von uns einen Spiegel entgegenhält.

13. April 2011

goEast 2011

06.04.11 - 12.04.11, Wiesbaden

Und schon wieder 1 Jahr um; fast beängstigend ist das, aber egal: denn schon wieder heißt es: Filme, Filme, noch mehr Filme. Große Leinwand, große Auswahl, große Verunsicherung, was man überhaupt sehen sollte. Schwerpunkt lag dieses Jahr auf dem tschechischen Animations- und Experimentalfilmer Jan Švankmajer.

Es ging los am Mittwoch Abend mit dem Eröffnungsfilm "Essential Killing" von Andrzej Zulawski. Der Pole setzt dort Vincent Gallo als afghanischen Flüchtling im sibirischen Wald aus und schaut zu was passiert, wenn Mensch zum Tier wird. Zwar kein filmisches Weltwunder aber fesselnd, stimmungsvoll und gekonnt umgesetzt. Guter Start für das Festival.

Mit der Wahl des zweiten Films sah es da nicht mehr so rosig aus. Der Titel "Der Heizer" (von Alexey Balabanov), sowie der kurze Einleitungstext im Programmheft machten neugierig, doch was anschließend zu sehen war, hatte nichts von der erhofften Groteske und dunklen Poesie, sondern mehr von einem ordinären, russischen Gangsterfilm, mit überstrapazierten Szenen und einem nervenaufreibenden Soundtrack.

Sonntag-Abend dann schließlich "Kopf - Hände - Herz" von dem Tschechen David Jařab, der sogar höchstpersönlich im Wiesbadener Caligari-Kino anwesend war, und vor der Vorführung noch paar Worte zu seinem Film und dem Vergleich zu Švankmajer sagen durfte. Sein düster geratener Film über okkulte Mächte in der Tschechoslowakei um 1914 ist schön, originell erzählt und bis ins kleinste Detail liebevoll ausgestattet. Visuell ein morbid-surrealer Rummelplatz.

Montag Abend dann ein Doublefeature mit Švankmajers "Alice" und Machulskis "Wiegenlied". Der erste war eine Švankmajer-typische Interpretation von Lewis Carrolls Klassiker; im Kern nahe an der Vorlage, jedoch losgelöst in vielen eigenen Einfällen. Hätte vielleicht auch etwas kompakter erzählt werden können, aber dennoch beeindruckend.

Direkt danach Juliusz Machulskis "Wiegenlied", sein neustes Werk. Schon vor einem Jahr kam sein Klassiker "Sexmission" auf dem goEast-Festival ziemlich gut an, doch bei dieser Vampirgeschichte merkt man, dass der Regisseur allmählich alt und kindisch zugleich wird. Es geht um eine Vampirfamilie, die sich in den polnischen Masuren niederlässt und die ahnungslosen Dorfbewohner auf die Speisekarte setzt. Einige nette Ideen retten den Film, wie die Figur des Vampir-Großvaters, der an Altersschwäche leidet, seine Beißzähne verliert und per Schlauch mit Blut versorgt werden muss. Insgesamt ist der Humor aber völlig durchsichtig und der Film letztendlich unnötig.

Der 6. und letzte Film beim diesjährigen Festival war für mich Švankmajers "Little Otik", eine vollkommen irre Geschichte, um ein kinderloses Ehepaar, das eine Baumwurzel als ihr eigenes Kind aufzieht. Das abstoßende Stück Holz entwickelt ein Eigenleben und muss permanent gefüttert werden; es ernährt sich jedoch auch von Haustieren und Menschenfleisch. Wie immer ein Mix aus Realfilm und Stop-Motion und wie immer bei Švankmajer etwas zu lang geraten, aber dennoch ein guter Festivalausklang und sowieso der Höhepunkt dieses Jahres.

8. April 2011

MAD MEN

(USA, seit 2007)
Der Filmkonsum musste in den letzten Wochen Platz schaffen für ein größeres Projekt: die ersten beiden Staffeln der amerikanischen Serie "Mad Men".
Ein großes Werk über die egozentrische, selbstsüchtige Seite dieser Welt, am Beispiel der New Yorker Werbeagentur „Sterling Cooper“ vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Verhältnisse der USA Anfang der 60er.
Männer, die sich hinter aufgesetzten Fassaden vor ihren Mitmenschen und sogar sich selbst verstecken, sich vor ihren persönlichen Problemen mit Hilfe von Affären und Seitensprüngen verkriechen, Leute die aus Statusgründen und Erfolgsdrang ihre eigene Vergangenheit vertuschen. Eine Welt voller Lügen und Intrigen, die den Mensch in seelische Sackgassen führt. Die Werbebranche ist dafür das perfekte Schutzschild; hier werden Träume und Bedürfnisse erschaffen, die das Volk zum bedienungslosen Konsum zwingen sollen. Die Welt der Werbung; ein überzeichneter, übergroßer Spiegel auf den amerikanischen Traum. Eine beschönigte Kulisse voller Erfolgsmenschen mit ihren perfekten Vorzeigefamilien; ein falsches Lächeln für ein besseres Amerika.
Die erste Staffel ließ mich an einer steilen Klippe stehen; um mich lauter verschlossene Türen. Derzeitig geht es weiter und es wird immer besser und besser. Tiefe, seelische Wunden quellen auf und die Charaktere werden beinahe auf die linke Seite gestülpt. Ich kann mir selten für Serien begeistern. Hier hat’s mich erwischt; ich liege getroffen am Boden und komme nicht mehr weg.Und ja es stimmt: Michael Gladis als Paul Kinsey ähnelt wirklich dem jungen Orson Welles. Das dachte ich mir bereits während der ersten Folgen, bis der Vergleich selbst schließlich von dem jungen Copywriter während eines Gesprächs mit der reizenden Joan Harris in den Mund genommen wird.

Orson Welles:

Michael Gladis (als Paul Kinsey):

5. April 2011

ICH UND DU UND ALLE, DIE WIR KENNEN

Miranda July (USA, 2006)
Die amerikanische Allround-Künstlerin Miranda July ist scheinbar einer jener kreativen Leute, die stets mit Notizblock durch das Leben wandern, die originellen Momentaufnahmen aufschnappen und Gesehenes zu eigenen Ideen verarbeiten. Einfälle auf die man sonst beim Grübeln am Schreibtisch niemals kommen würde.
Der größte Verdienst dabei ist, dass es dennoch ein in sich stimmender Film ist und keine Anhäufung von filmisch umgesetzten Notizblock-Einfällen.
Der Film ist vor allem eine sanfte Annährung an (zwischen)menschliche Probleme, an Kommunikationshürden, an ein künstlerisches Unverständnis und den verträumten Ausbruchsversuch aus den Alltagsmühlen. Man übergieße seine eigene Hand mit Benzin und zünde sie an, wie der resignierte Schuhverkäufer, vor dem Zimmerfenster seiner zweier Söhne. Damit ist das Signal gesetzt, doch was bleibt ist eine tiefe Wunde, die man mit sich trägt. Die eigentlichen Probleme müssen anderweitig gelöst werden.
Es ist langsam an der Zeit, Ensemble-Filme wie Short Cuts und Magnolia sowie Amelies verspielte Detailverliebtheit in die Schublade zu packen, denn die Zeit wird reif für neue Filme dieser Gattung. Die Parallelerzählung nimmt in Miranda Julys Erstlinkswerk neue Masse an; sie explodiert nicht nach außen in einem kathartisches Finale wie in den genannten Filmen, sondern implodiert in sich selbst; bleibt leise und ausgewogen, aber dennoch ideenreich und aufrüttelnd.

4. April 2011

DIE EINSAMKEIT DES LANGSTRECKENLÄUFERS

 Tony Richardson (Großbritannien, 1962)
Der 17jährige Collin kommt in eine Besserungsanstalt in Essex, wo sein Talent als Langstreckenläufer entdeckt und vom Anstaltsdirektor unterstützt wird. Die Gründe für Collins Verhaftung werden in Rückblenden näher gebracht, wodurch die Geschichte durchgehend von Gegendwart zur Vergangenheit hin- und herspringt. Der junge Engländer wächst gemeinsam mit seinen jüngeren Geschwistern im Arbeitermilieu von Nottingham auf. Sein Vater, der sich fast wortwörtlich zu Tode geschuftet hat, liegt todkrank im Bett, seine Mutter ist sichtlich von der familiären und finanziellen Situation überfordert.
Somit ist die Saat gesät für einen typisch-britischen "angry young man", der selbst nicht viel vom Arbeiten hält, eines Tages bei einem Einbruch Geld erbeutet, jedoch gefasst wird und sich somit der Erzählkreis schließt.
Richardsons Umsetzung von Alan Sillitoes Erzählung ist wieder mal ein schöner Beitrag zur britischen New Wave Bewegung. Ganz nahe an der Realität, an den Menschen und ihren Schicksalen; unbeschönigt und gespickt mit dem englischen Humor, der keinen Respekt zollt und mit einem fiesen Lächeln die harte Welt der englischen Arbeiter-Backsteinviertel beäugt.