31. Juli 2012

ADAPTION

Spike Jonze (USA, 2002)
Charlie Kaufman ist der mysteriöse Mann Hollywoods, der am liebsten im Schatten verborgen bleibt; Drehbuchautor eben, aber immerhin einer, der stets gerne bei der Geburt seines "Kindes" dabei ist.
Spike Jonze stellt ihn hier dann doch ins Licht, Kaufman war ja bereits für den surrealen Unsinn von "Being John Malkovich" verantwortlich, "Adaption" blickt hinter die Kulissen, aber entfernt sich vor allem von diesem Werk und thematisiert Kaufman selbst, als neurotischen Kauz.
Und weil auch dieses Drehbuch von Kaufman stammt und er diesmal selbst im Rampenlicht steht, muss er es sogar übertreiben und kreiert noch seinen zusätzlichen Zwillingsbruder. Das bedeutet zweimal Nicolas Cage mit dünnem Haar, violett-grünem Teint und schwitzendem Gesicht. Aber das macht nichts, weil Cage dieses Mal ziemlich gut ist und bestens in diese Doppelrolle hineinpasst.
Charlie soll ein Buch von Susan Orlean (Meryl Streep) über den Orchideen-Experten John Laroche (Chris Cooper) zum Drehbuch adaptieren, merkt aber bald wie handlungsarm der Stoff für eine filmische Umsetzung ist und versucht daraufhin eben diese kreativen Strapazen in der Geschichte zu verarbeiten. Sein Bruder Donald stoßt hingegen mit seiner eigenen Drehbuchfassung auf große Begeisterung beim Agenten, so dass sich schließlich beide Brüder zusammentun.
Der jungfräuliche Schein der Orchideen-Thematik trügt jedoch, weil die Brüder einem Geheimnis auf die Schliche kommen und plötzlich schwenkt der Film zu einem wüsten Action-Thriller in sumpfigen Gebieten, mit zuschnappenden Krokodilen, aber nicht ohne seinen Sarkasmus zu vernachlässigen.
Spike Jonze setzt seine Geschichte mosaikartig zusammen, als Fugen nutzt er Aufnahmen aus dem Mikrokosmos, zeigt in Zeitraffer wie sich ein Fuchs zersetzt und von Würmern zerfressen wird, lässt Vulkane ausbrechen und Erdkrusten erbeben, das ist vielleicht alles auch ein bisschen zu viel des Guten, denn man wird dazu gedrängt, alles als unheimlich bedeutungsschwanger hinzunehmen und sich plötzlich viel zu viele Gedanken über die Symbolik von Orchideen zu machen.
Charlie Kaufman überspannt also auch mit diesem Film den Bogen, aber er schreitet wenigstens auf wirklich einsamen Pfaden, wo er in Ruhe gelassen wird und wo alles erlaubt ist.

30. Juli 2012

MEIN LINKER FUß

Jim Sheridan (Irland, Großbritannien, 1989)
Jim Sheridan legt uns einen Biopic der etwas anderes Art vor, weil er sich mit Christy Brown eine Figur sichern konnte, die durch ihre Andersartigkeit immer im Gedächtnis bleibt. Christy ist der Sohn einer irischen Familie, der unter einer körperlichen Lähmung leidet, auf Grund der er sich kaum artikulieren kann und von dem strengen Familienvater als minderwertiges Familienmitglied angesehen wird. Erst als ihm gelingt, mit seinem linken Fuß ein Stück Kreide aufzuheben und damit das Wort "Mutter" auf dem Boden zu kritzeln, gewinnt er das Ansehen des Hausherrn.
Christy wird älter, kann mit Hilfe diverser Therapien Fortschritte erzielen und entwickelt zunehmend sein künstlerisches Talent, mit dem Fuß Bilder malen zu können. Schließlich überredet er seinen Bruder, für ihn seine Lebensgeschichte niederzuschreiben, die die Grundlage für diesen Film bildet.
Daniel Day-Lewis schlüpft mit Vorliebe in die wirklich schwierigen Charaktere; hier gipfelt das beinahe an einem akrobatischen Kunststück, ohne albern zu wirken, aber dennoch den Charakter mit dem entsprechenden Humor ausgestattet zu haben und ihm den nötigen Respekt zu erweisen.
Etwas komisch wirkt stellenweise das restliche Casting, weil Christys Brüder wegen dem Beibehalten eines logischen Alters-Verhältnisses schon viel zu erwachsen wirken, wenn sie mit Daniel Day-Lewis auf dem Hinterhof Fußball spielen, oder ihren ersten Datings nachlaufen.
Gelungen ist der Film dennoch, wenn man ihn als ein kleines Werk betrachtet, das sich respektvoll verneigt, ohne aber beharrlich auf die Knie zu fallen, um mitleiderregend oder sensationsdürstend zu erscheinen.

29. Juli 2012

BEIM STERBEN IST JEDER DER ERSTE

John Boorman (USA, 1972)
New Hollywood im vollen Glanz. Und dazu von einem Briten. John Boorman zeigt sich hier von seiner besten Seite; kaum zu glauben, dass sein Œuvre von "Point Black", über "Excalibur" bis hin zu Sci-Fi-Trash-Kino wie "Zardoz" reicht. Hier darf Jon Voight nochmal richtig aufleuchten, bevor er in den kommenden Jahrzehnten fast endgültig erlosch.
Vier Großstädter auf Kanu-Tour in den entlegenen Winkeln (bzw. Strömen) von Georgia. Ein Damm soll gebaut werden, die umliegende Gegend wird entweder evakuiert oder den Wassermassen überlassen, die demnächst alles mit sich reißen werden.
Als die vier Männer in der Gegend ankommen stoßen sie bei den Einheimischen auf distanzierte Ablehnung, Ronny Cox kann sich nur mit einem behinderten Jungen im Gitarren/Banjo-Duett per Musik verständigen; großartige Szene. Dann schließlich die Kanu-Fahrt, die Wildnis ruft, die Erlösung vom großstädtischen Chaos ist zum Greifen nahe, doch der Regisseur lässt den Traum von der Naturverbundenheit rasch wie eine Seifenblase zerplatzen: Zwei der Männer setzen irgendwann ihren Fuß wieder auf den Erdboden, werden von zwei Hinterwäldlern überwältigt, bis schließlich einer von ihnen vergewaltigt wird. Die Rettung kommt noch rechtzeitig: Burt Reynolds darf mit Pfeil und Bogen aushelfen.
In John Boormans Film hat die Natur nichts befreiendes, sie bietet keinen Halt, sondern rächt sich viel mehr an ihren Sündern und fordert harten Körpereinsatz. Die Wogen des Flusses tun ihr übriges, da sich die Rückkehr ebenso gefährlich gestaltet wie die Begegnung mit den zwei Verbrechnern.
Guter Auftakt, um wieder mehr Filme aus dieser spannenden Film-Periode herauszukramen.

19. Juli 2012

CRUISING

William Friedkin (USA, 1980)
Die Homosexuellen-Szene von New York, mitten drin Al Pacino als Undercover-Cop, der mit Schirmmütze und Lederjacke einen Serienmörder aufspüren soll, welcher in der nächtlichen Lederszene homosexuelle Männer brutal ermordet.
"Cruising" ist so ein widersprüchliches Ding, einerseits fesselnd, anderseits so schablonenhaft und einseitig in seiner durch und durch düsteren Darstellung dieser Szene.
Pacinos Figur ist vor allem weitgehend ohne deutliche Eigenschaften ausgestattet; der gesichtslose Mörder stiehlt jedem die Show und bleibt unantastbar; die Polizei samt Pacino ist ratlos und dreht sich im Kreis. Und da Pacino bei den Ermittlungen kaum Fortschritte macht und lediglich im Dunkeln dümpelt und von einer Lederparty zur nächsten rennt, ist es auch kaum verwunderlich, dass es schwer fällt, ihn als Sympathieträger zu akzeptieren. Man kann behaupten, dass gerade hier das Augenmerk von Friedkin liegt, nämlich bei der totalen Verschleierung des Täters als unnahbares, nicht personifiziertes Monstrum, das man nicht nach klassischer Kreuzworträtsel-Methode fassen kann. Doch warum die Welt, in der diese Geschichte angesiedelt ist, dermaßen konsequent dämonisiert wird, bleibt noch schleierhafter als die Morde selbst.
Friedkin ist vielleicht aber einfach nur ein gerissener Hund und beutet das Genre und seine Klischees restlos aus, um seine Zuschauer am Bildschirm zu behalten. Was ihm auch gelingt.

DIE BRAUT TRUG SCHWARZ

François Truffaut (Frankreich, 1969)

Jeanne Moreau als Killermaschine auf einem blutigen Rachefeldzug. Das Motiv serviert uns Truffaut in einer Rückblende: Als sie frisch vermählt mit ihrem Ehemann aus der Kirche tritt, wird dieser versehentlich erschossen. Ein paar Kerle spielten im Haus gegenüber Karten, einer von ihnen fuchtelte mit einem Gewehr herum, bis der tödliche Schuss kam, sein unbedachtes Ziel traf und die Handlung auslöste. Die 5 Männer fliehen in alle Himmelsrichtungen, doch rechnen nicht mit Jeanne Moreau, die es sich vorgenommen hat, jeden von ihnen aufzuspüren und auf eine abwechslungsreiche Weise bluten zu lassen.
Die Witwe Julie Kohler ist hier der schwarze Rächer in Frauengestalt, der die Männerwelt erzittern lässt. Der ganze Film erlaubt auch keinen anderen Handlungsstrang, konzentriert sich bis zur allerletzten Minute auf das Aufstöbern und Liquidieren der 5 Täter. Das ist auch etwas ungewöhnlich für Truffaut, denn es bleibt kaum Platz für Zwischenmenschliches, für Kompromisse, für Gespräche, oder andere Lösungsansätze zwischen den Geschlechtern. Moreau tötet ohne mit der Wimper zu zucken, ihre Opfer können bloß noch um Gnade flehen, falls ihnen überhaupt so viel Zeit übrig bleibt.
Da hat Truffaut die emanzipierte Frau aus dem Ärmel geschüttet, mit einer erzählerischen Leichtigkeit, die er mal wieder dem alten Hitchcock zu verdanken hat.


18. Juli 2012

DIE DRITTE DIMENSION

Anatole Litvak (Frankreich, Italien, 1962)
Der letzte Wühltisch-Film, wie schlimm ihn so zu bezeichnen, aber man möchte nochmals hervorheben, was man doch für kleine Leckerbissen aufstöbern kann, wenn man an diesen lieblos zusammengeschmissenen DVD-Bergen doch länger stehen bleibt.
Litvaks hinterlistiges Schauspiel bereits vor Jahren gesehen, nun mit neuen Augen genossen, Anthony Perkins, der ewige Norman Bates und ein furchtbar cooler Typ, hegt hier einen Teufelsplan aus, weil er beim Flugzeugabsturz überlebt und fortan in der Wohnung seiner Ehefrau (Sophia Loren) den toten Mann spielt, damit sie als Witwe die Lebensversicherung für ihren verstorbenen Gatten abkassieren kann. Zwischen Loren und Perkins bröckelt es schon seit Längerem, er gibt vor, nur noch an dem Geld interessiert zu sein, doch als die lästige Bürokratie bewältigt wird und das Geld in der Tasche landet, kann sich Perkins dennoch nicht von seiner Frau fernhalten, was sie schließlich zwingt, nach anderen Mitteln zu greifen, um den Ehemann endgültig loszuwerden.
Polanski hätte vielleicht auch Freude an so einem Thema, weil er seine Hauptfigur wieder mal in einer Mietwohnung einsperren könnte, besser denn je sogar, weil Perkins durchgehend unentdeckt bleiben will und von einer Zimmerecke zur anderen hinüberschleicht, um ja nicht am Fenster von schnüffelnden Nachbarn gesehen zu werden. 
Es bleibt spannend, wenn auch völlig phantastisch in seinem Hauptplot, weil man sich unentwegt fragt, wie jemand überhaupt ein Flugzeugunglück überleben konnte. Aber da bleibt Perkins einfach cool, erzählt irgendwas vom Schleudersitz und erscheint mit leichten Schrammen im Gesicht bei seiner völlig schockierten Frau. Ist auch völlig egal, für ein schaurig-schönes Seherlebnis sorgt Anatole Litvak ohnehin.

17. Juli 2012

MEIN FREUND HARVEY

Henry Koster (USA, 1950)
Wenn man das Plakat/DVD-Hülle des Filmes betrachtet und James Steward neben dem Schatten des großen Hasens sitzen sieht, erhofft man sich irgendwie, dieses eingebildete Wesen doch noch im Film optisch angedeutet zu bekommen. Während des Filmes fühlt man sich dann ein bisschen wie die jungen Zuschauer in dem "Harvey"-Theaterstück, die plötzlich aufschreien: "Und wo ist nun Harvey?" Doch Harvey bleibt durchgehend ein unsichtbarer Gefährte an der Seite von Jimmy Steward, der hier den etwas kindlichen, immer-freundlichen Elwood P. Dowd verkörpert, dessen Namen man auch niemals vergessen kann, weil er bei jeder ersten Begegnung seinem Gegenüber eine Visitenkarte aufzwängt. Elwood ist eine jener Figuren, die wie ein Domino-Stein alles mit sich reißt und die ganzen Verwicklungen zwischen den Charakteren, also letztendlich die gesamte Handlung, ins Rollen bringt. Elwood ist der liebenswürdige Träumer, der keinem was Böses will und der große, weiße Hase ist der imaginäre Freund, den wir uns vielleicht schon alle in manchen Momenten eingebildet haben.
Das ist von Henry Koster nett gemeint, aber mittlerweile mit einer dicken Staubschicht überzogen; es bleibt leider nicht jede dialoglastige Komödie so wortgewandt und aktuell wie etwa Billy Wilders Filme. Viel mehr kann man "Harvey" zu den liebenswürdig-gemütlichen Märchenstunden wie etwa Frank Capras "Ist das Leben nicht schön?" einreihen.

DER RITUS

Ingmar Bergman (Schweden, 1969)
Mal wieder was aus dem kühlen Norden, direkt vom großen Schweden, unantastbar bleibt sein Werk, er dringt in ganz andere Sphären ein als andere Filmemacher. Mit "Ritus" legte er damals seine erste Fernseharbeit hin.
Eine Künstlergruppe bestehend aus Hans Winkelmann (Gunnar Björnstrand), Sebastian Fisher (Anders Ek) und Thea von Ritt (Ingrid Thulin) werden angeklagt, ein Sittlichkeitsvergehen mit ihrem Bühnenstück "Der Ritus" begangen zu haben und müssen somit einem Untersuchungsrichter (Erik Hell) vorgeführt werden; zuerst in der Gruppe und anschließend in Einzelgesprächen. Bei jedem der drei stößt der Richter auf einen völlig unterschiedlichen Gesprächspartner: Sebastian entblößt seinen Befrager durch seine aggressive Art, Hans wirkt wie der Anführer der Truppe, der Mann, der zu Anfang den kühlen Kopf bewahrt und Thea ist ein Fall für sich; es wird davor gewarnt, dass sie im Einzelgespräch Anfälle haben könnte, öfters ins Stottern kommt, psychisch nicht labil sei. Der Richter meißelt sich mühevoll durch drei dicke Panzer zu den unterschiedlichen Charakteren hindurch, befindet sich aber immer deutlicher selbst im Mittelpunkt; die Analyse nimmt eine Kehrtwende.
Schließlich stehen die drei Darsteller kostümiert in seinem Büro und führen jenes Stück auf, das den Grund ihrer Verhaftung herbeiführte. Das ganze wirkt dämonisch, dem kleinen Bürokrat völlig überlegen, wie aus einer längst vergessenen Zeit stammend und führt lediglich vor, wie zwei völlig entgegengesetzte Welten ohne gegenseitiges Verständnis aufeinanderprallen.
Ob ein aufwändiges filmisches Projekt, oder bloß ein Kammerspiel fürs TV, Bergman bezwingt jedes Format.

16. Juli 2012

HONEYMOON KILLERS

Leonard Kastle (USA, 1970)
Leonard Kastle, vor allem Opern-Komponist, hat zur Abwechslung auch mal einen Film gemacht, und was für einen! Er verfilmte die auf wahrer Begebenheit beruhende Gangster-Ballade, (denn nichts anders ist dieser Film), von der Krankenschwester Martha und ihrem Freund & Geliebten Raymond, die gemeinsam mordend durch Amerika ziehen. Martha ist übergewichtig, leidet an Komplexen, tritt aber dem Aunt Carrie's Friendship Club bei und lernt somit Ray kennen, einen schmierigen, hinterlistigen Gigolo. Bei ihren Serienmorden haben sie es auf reiche, alleinstehende Frauen abgesehen, denen Ray seine Liebe vorschwindelt, und die im entscheidenden Moment mehr oder minder brutal aus dem Weg geschafft werden. Es wird nicht von Hammerschlägen auf dem Kopf zurückgeschreckt,man hält seinen hilflosen Opfern die Pistole an die Schläfe (und drückt auch ab!) und selbst unschuldige Kinder werden als lästige Zeugen liquidiert.
Soll angeblich Truffauts liebster amerikanischer Film gewesen sein und es fällt auch durchgehend auf, wie wenig amerikanisch Leonard Kastles Methoden sind, eine Geschichte zu erzählen und wie sehr sie an das französische Kino erinnern. Kastle versteht es vor allem in entscheidenden Momenten mit der Identifikation des Zuschauers zu spielen, denn kurz bevor der Hammer zuschlägt oder der Schuss fällt, ist man hilflos wie ein kleines Kind, leidet mit dem Opfer mit und glaubt am Ende selbst zu verbluten. Wie der Regisseur dieses Kunststück vollbringt, bleibt ein Geheimnis. Ungewöhnlicher Film; wieder was aus Teufels Küche.


12. Juli 2012

DIE SÜßE HAUT

François Truffaut (Frankreich, 1964)
"Die süße Haut" gehört vielleicht erzählerisch zu den am meisten konstruierten Filmen des französischen Meisters, wird aber dennoch zu Unrecht etwas übergangen, wenn seinem Gesamtwerk wieder mal Aufmerksamkeit gewidmet wird.
Der verheiratete Pierre (Jean Desailly) ist ein bekannter Literaturkritiker, fliegt deswegen oft zu Vorträgen in fremde Länder und lernt auf dem Weg die Stewardess Nicole (Françoise Dorléac) kennen, mit der eine Affäre startet.
Pierre hat es schwer, weil er hin- und hergerissen ist zwischen einer jungen, frischen Liebe(lei) und seiner Ehe, die er zu Anfang immer noch aufrecht zu erhalten versucht. Seine beruflichen Verpflichtungen belasten ihn zusätzlich und lassen ihn schließlich sogar seine neue Liebe vernachlässigen. Dazu kommt noch, dass die Ehefrau längst die Konkurrentin wittert. Der Sack schnürt sich schließlich zu und Pierre bekommt die Konsequenz zu spüren.
Tief tragisch ist das alles und später sogar spannend wenn die betrogene Ehefrau von Rachegefühlen gesteuert zur Waffe greift.
All das wird von den federleichten Wogen von Georges Delerues Musik getragen; schön wie eh und je. Françoise Dorléac glänzt um so mehr als verbotene Frucht, und es ist eh kaum verwunderlich, dass der Protagonist nicht die Finger von ihr lassen kann. Nur paar Jahre und paar Filme später starb schließlich Catherine Deneuves Schwester bei einem Verkehrsunfall in Nizza. Umso unvergesslicher und wertvoller dieses kleine filmische Denkmal.

...UND NICHTS ALS EIN FREMDER

Stanley Kramer (USA, 1955)
Ebenfalls zuletzt in der Ausgrabungsstätte eines riesigen Wühltisch-Berges bei Saturn gefunden. Noch nie davon gehört, aber der Name Stanley Kramer lockt das Auge, ebenso Robert Mitchum auf dem Cover, der aussieht wie ein psychopathischer Chirurg, der an seinen Patienten mehr herumschneidet als Gott lieb ist.
Mit einem schaurigen Thriller hat Kramers Erstlingswerk jedoch nichts zu tun, es ist viel mehr die Analyse eines durch und durch selbstsüchtigen Menschen, der über Leichen geht, um die Karriereleiter zu erklimmen. Mitchum und Sinatra sind hier viel zu alt wirkende Medizinstudenten, der erste mittelos, so dass er sich die Studiengebühren nicht leisten kann und schließlich eine Zweckehe mit einer  Krankenschwester (Olivia de Havilland) eingeht, die ihm finanziell zur Seite steht.
Mitchum geht später auch mit Gloria Grahame fremd; hier eine junge, gelangweilte Witwe, mit großem Haus und einer ganzen Pferdeherde im Stall. Da bietet sich auch an, mit dick aufgetragenen Symbolen zu arbeiten, wenn der breitschultrige Mitchum das Tor öffnet und den heißblütigen Gaul zur wiehernden Stute galoppieren lässt.
Kramer erzählt von einer einseitigen Liebe, von finanzieller und menschlicher Ausbeutung, klammert sich manchmal zu detailliert an das Ärzte-Milieu und bleibt auch oft zu lange mit der Kamera an den Operationstischen haften. Bleibt die Frage, ob diese Geschichte aber dennoch kompakter erzählen werden kann, ohne das Grundthema und die Vielfalt der Figuren völlig zu verwässern. Denn es ist immer noch ein wirklich beeindruckendes Startschuss von dem damals noch filmisch unerfahrenen Stanley Kramer. (Oder gar sein bester Film)?

PAULINE AM STRAND

Éric Rohmer (Frankreich, 1982)
Gehört zu Rohmers Sprichwörter-Zyklus und im gleichen Zug zu seiner bekannteren Filmen, jedoch zweifelhaft ob ebenso zu seinen besseren.
Die 14jährige Pauline verbringt mit ihrer Cousine Marion (die obligatorische Strand-Blondine mit fülliger 80er-Mähne) ihre Ferien an der Atlantik-Küste. Dabei geraten alle beteiligten Figuren in einen Wirrwarr an äußerst haarsträubenden Sommerurlaub-Affären, dass der Zuschauer nicht mehr weiß, wo ihm der Kopf steht. Bei einem detaillierten Nacherzählen würde man sich bloß in einem trivial anmutenden Dickicht aus sprunghafter Gefühlsduselei verfangen. Kreisen wir das ganze also besser ein und behaupten, dass Éric Rohmer hier über die vielen Gesichter der Liebe philosophiert, seinen Figuren Lügen und Wahrheit in den Mund legt, die Sonne auf die Häupter niederscheinen lässt und seine Figuren zu Seitensprüngen verführt, die so nicht sein dürfen. Das ist alles nett, aber so vergänglich wie ein Sommerurlaub. Glücklicherweise gibt es Rohmer-Filme, deren Ausstrahlung länger anhält.

4. Juli 2012

TAKE SHELTER

Jeff Nichols (USA, 2011)
Und wieder ein neuer Mann am Horizont: Jeff Nichols, wer ist das? Schmeißt uns einfach diesen Film vor die Füße, einen guten noch dazu. Und nicht nur einen Film, sondern den nächsten Beweis, dass Filme immer noch für die große Leinwand gemacht werden.
Hier wird der Himmel zu einem der Hauptakteure; es donnert und blitzt, es ziehen dunkle Wolken vorüber, Stürme entfachen, Vogelscharen vorführen ungewöhnliche Tänze, oder fallen wie Regen vom Himmel. Was nach Augenpulver klingt, erweist sich glücklicherweise nach dezent eingesetzten Spezialeffekten.
Der Vorarbeiter Curtis (Michael Shannon) lebt mit seiner Frau (Jessica Chastain.. kennt man aus "Tree of Life") und seiner kleinen, taubstummen Tochter am Stadtrand irgendwo in Ohio und muss sich dieses himmlische Spektakel ansehen, wird zudem von Alpträumen geplagt und weiß nicht mehr von Realität und Einbildung zu unterscheiden. Es führt dazu, dass der Tornado-Bunker auf dem Grundstück hinterm Haus von ihm geöffnet und inspiziert wird. Damit schlägt der Film ein neues Kapitel auf; Curtis widmet Zeit und Geld nur noch dem Ausbau des alten Bunkers, ganz zu Missgunsten seiner Familie, die er dann nach seiner Job-Entlassung auch nicht mehr finanziell unterstützen kann. Vor allem die medizinische Versorgung seiner Tochter leidet darunter und die Frau steht hilflos da.
Es zählt nur noch sich in diesem selbstgebuddelten Erdloch wie ein Maulwurf vor der kommenden Apokalypse zu verkriechen. Curtis will seine Familie beschützen, vor allem aber sich selbst, weil es um ihn herum unentwegt blitzt und donnert. Psychose und Vorahnung prallen hier aufeinander; Curtis sucht die Antwort bei seiner psychisch kranken Mutter und findet sich selbst schließlich mit der Familie im Bunker wieder, mit Gasmasken auf dem Kopf.
Michael Shannon spielt diesen modernen Propheten, ein Gesicht, das man sich unbedingt merken sollte; Werner Herzog soll ihn auch sehr schätzen, bleibt die Hoffnung, dass da noch mehr kommt; Gutes, gar Besseres.
Der Film erinnert auch ein wenig an Spielbergs beste Zeiten, die Hollywood'schen 70er Jahre, die Familiengeschichten von verträumten, exzentrischen Charakteren, eingebettet in übersinnliche und kosmische Themen. Wo Richard Dreyfuss als Familienvater riesige Berge knetete, da buddelt Michael Shannon Löcher im eigenen Garten. "Take Shelter" könnte ein Pendant zu dieser alten Schule des Erzählens sein.


3. Juli 2012

WAS DER HIMMEL ERLAUBT

Douglas Sirk (USA, 1955)
War einer der zuletzt ergatterten Wühltisch-Filme. Zu großer Freude, weil Douglas Sirk so oft während der Fassbinder-Retrospektive genannt wurde; da musste man einfach zuschlagen.
Sirk war der Meister der dick aufgetragenen Melodramen des alten Hollywoods, aus der Zeit der lächelnden, amerikanischen Familien im ewig grünen Vorgarten; der gepflegte amerikanische Traum.
So banal sich die Liebesgeschichte zwischen der verwitweten, wohlhabenden Cary (Jane Wyman) und ihrem Gärtner Ron (Rock Hudson) anbannt, so überraschend ist der Weg, den die Geschichte schließlich einschlägt; zum großen Glück der Zuschauer, weil Sirk doch noch die Kurve kriegt und  an der damaligen Gesellschaft rüttelt. Denn diese Liebe darf so nicht sein; es wird getrascht und geklatscht, die Kinder von Cary lehnen sich gegen ihre eigene Mutter auf und möchten mit ihr nichts mehr zu tun haben, wenn sie den aus einfachen Verhältnissen stammenden Ron heiraten würde. Was sie auch wirklich tun; um so verzweifelter ist unsere Heldin, die an ihrer eigenen Liebe zu zweifeln beginnt und sich erstmal von Posterboy Rock Hudson doch abwendet, um es ihren Kindern und ihrem Umfeld recht zu machen. Das ist um so ungewöhnlicher, weil man es sonst andersherum gewohnt ist: die Kinder sind die Träumer und die Eltern wüten wegen einer skandalösen Mesalliance. Mag das also heute in seiner Filmsprache etwas moderig erscheinen, ist es inhaltlich zeitlos und damals ohnehin neuartig.

IN EINEM JAHR MIT 13 MONDEN

Rainer Werner Fassbinder (Deutschland, 1978)
Mit diesem Werk schmeißt uns Fassbinder einen seiner härtesten Knochen zu, auch wenn er den Wurf vordergründig auf sich selbst richtet denn es ist ein ganz persönlicher Katastrophenfilm, in dem der Regisseur den Selbstmord seines Lebenspartners Armin Meier verarbeitet, der sich kurz nach der Trennung von Fassbinder das Leben nahm.
Volker Spengler ist der zwigespaltene Charakter des Transsexuellen Erwin bzw. Elvira. Seine unerfüllte Liebe hat ihn dazu gemacht was er ist. Bei seinen Mitmenschen erhofft er sich ein seelisches Auffangbecken, sein Wunsch nach Geborgenheit bleibt jedoch unerfüllt; er stoßt überall auf Ablehnung und bleibt eine tragische Figur, alle Wege führen in eine Sackgasse.
Rein erzählerisch dringt Fassbinder hier in ungewohnte Sphären; die Geschichte ist ein dramaturgisches Mosaik. Sich darauf einzulassen, bedeutet, sich dem ungewöhnlichen Erzählfluss völlig ausliefern zu lassen, die theatralischen Ansätze, die symbolischen Bilderfluten und schließlich Elviras klagenden Off-Sprecher-Monologe zu verarbeiten. Hier kollidiert so vieles zusammen: Transsexualität  mit Fassbinders Mutter in der Nonnen-Kluft, ein blutrünstiger Blick ins Schlachthaus, Mahlers 5. Sinfonie und eine springende Schallplatte mit Weihnachtsliedern. Und überall unser gebeutelter Held oder Heldin, die gerne viele Tränen vergießt.
Um das alles bis ins Detail erfassen und begreifen zu können, muss man wohl Fassbinder selbst gewesen sein. Filmische Selbsttherapie, die aber nachhallt.