30. September 2013

NUR DIE SONNE WAR ZEUGE

René Clément  (Frankreich, 1960)
Sonne, Meer, Italien, Alain Delon, Marie Laforêt. Hört sich eher nach einem erholsamen Urlaub an, als nach einer Verfilmung von Patricia Highsmiths hinterhältigem Roman, voller Blut und fieser Machenschaften. Die ganze Thematik um die Figur des Tom Ripley wurden nach Cléments Version noch einige Male durch den filmischen Fleischwolf gedreht, wobei eigentlich immer etwas Interessantes herauskam. Anthony Minghella verfilmte den Stoff unterm Originaltitel („De talentierte Mr. Ripley“), Wim Wenders näherte sich dem Fortsetzungsroman mit seinem "Der amerikanische Freund", ebenso wie Liliana Cavani mit "Ripley's Game", der jedoch eher fade als überzeugend ausfiel.
Cléments Film liegt nun einige Jahrzehnte zurück und man kann ihn getrost als das das Original bezeichnen; ein Werk, das außerdem den nicht unbedeutenden Nebeneffekt hatte, Alain Delon bekannt gemacht zu haben.
Es dreht sich alles um den verwöhnten Philippe Greenleaf (Maurice Ronet), der mit seiner Freundin Marge (Marie Laforêt) ein paradiesisches Leben in Italien führt. Der reiche Vater wünscht sich jedoch den Sohn in seiner Nähe und beauftragt Tom Ripley (Alain Delon), seinen Sprössling in die USA zurückzuholen. Nachdem Tom einige Zeit mit Philippe und seiner Freundin im sonnigen Italien verbringt, denkt er gar nicht mehr daran, den jungen Mann von der Rückkehr zu überzeugen; er wittert selbst das große Geld und heckt einen eigennützigen, perfiden Plan aus.
Es folgt die berühmt berüchtigte Bootsfahrt mit katastrophalem Ausgang, nach der Ripley schließlich Greenleafs Identität annehmen kann, um dessen luxuriösen Lebensstil selbst auszukosten. Je nachdem, mit wem er es im weiteren Verlauf der Geschichte zu tun hat, er muss ständig die Rollen wechseln, von Tom Ripley zu Philippe Greenleaf, oder andersherum. Wer sich ihm doch in den Weg stellt und seinem Doppelleben auf die Schliche kommt, der wird kaltblütig beseitigt. Ripley ist ein Meister der Verwandlung und der Imitation, ein perfekter Fälscher, Verfasser von fiktiven Nachrichten, der schließlich sogar Zugang zu großen Geldsummen bekommt, die ihm nicht gehören.
Für diese Figur, die aus jeder brenzligen Situation stets einen letzten Ausweg findet, läuft es immer wie am Schnürchen. Als Zuschauer wartet man nur noch auf den Augenblick, in dem sich Ripley  endlich im Netz verfängt, wo er für seine faulen Tricks endlich büßen muss.
Vergleiche man Cléments Film mit Minghellas Version (den Roman kenne ich leider nicht), könnte man behaupten, dass Minghella sich ausgiebiger mit den Zusammenhängen zwischen den einzelnen Figuren, mit deren Vorgeschichten, gar mit ihrem Seelenleben beschäftigt und Tom Ripley noch besser als menschliches Chamäleon dargestellt wird. Clément legt dagegen den Fokus ziemlich eindeutig auf den rastlosen Krimi- bzw. Gangster-Faktor der Thematik. Ihn interessiert eher die Verfolgung, das Katz und Maus-Spiel und der weitgehende Verzicht auf Dialoge, zugunsten einer beinahe dokumentarisch angelegten Hetzjagd vor Italiens Postkarten-Impressionen. Vielleicht haften wir deswegen hier als Zuschauer viel direkter an Ripleys Fersen.

26. September 2013

SCHIFF NACH INDIALAND

Ingmar Bergman  (Schweden, 1947)
Man staunt nicht wenig, wenn in der Anfangssequenz ein großes Schiff in einen Hafen hineinfährt (leider bloß ein Bergman-unwürdiges Spielzeug-Model) und sich der Großteil der Geschichte auch auf einem Bergungsschiff  abspielt, wo Kapitän Alexander Blom (Holger Löwenadler) mit seiner Frau und seinem Sohn Johannes (Birger Malmsten) lebt und arbeitet. Da drängelt sich beinahe schon der Existenzialismus früher italienischer Filme vor, wenn Bergman seine Figuren im Arbeiter-Milieu anlegt, auch wenn hier der Vater/Sohn-Konflikt im Vordergrund zu stehen scheint.
Der Film setzt erstmal zeitlich einige Jahre später an, als Johannes zum Marineoffizier aufgestiegen ist und beim Besuch seines Heimatortes über Sally (Gertrud Fridh) stolpert, die er früher mal kannte und die der Zuschauer auch bald kennenlernen darf. Denn schon überstürzen sich in einer ausgiebigen Rückblende die Ereignisse und vor allem die Erinnerungen an alte Zeiten: Johannes' Vater, ein Tyrann von einem Schiffskapitän, lernte damals Sally als Tänzerin bei einer Varieté-Vorstellung kennen, schleppte sie auf sein Schiff mit und musste sie natürlich zuerst seiner Ehefrau bekannt machen, die ebenfalls an Bord war. Da er in kommender Zeit zu erblinden drohte, beschloss er ein neues Leben anzufangen, das vertraute Schiff und die vertraute Familie zu verlassen, um mit Sally durchzubrennen und endlich etwas von der Welt zu sehen, bevor die Lichter für immer ausgehen würden. Sein eigener Sohn, Johannes war für ihn immer bloß ein verachtungswürdiger Schiffsmaat, schwach, buckelig und nutzlos. Dieser verguckte sich jedoch ebenso in die heißblütige Varieté-Tänzerin, die dann zum Spielball zwischen den beiden Männern wurde und den brodelnden Generationskonflikt nicht gerade milderte.
"Schiff nach Indialand" ist ein Bergman-Film, der einem zum ersten Mal das Gefühl gibt, dass sogar ein Film des großen Schweden von einer dicken Staubschicht überzogen sein kann. Ihn davon zu befreien, fällt äußerst schwer, denn wenn es auch Konflikte zwischen den Figuren zu geben scheint, nimmt der spezifische, für Bergman hier so untypische Handlungsort eine zu wichtige Rolle ein. Ein statisches Schiff, das zu sinken droht, reicht da leider kaum für eine tragende Symbolik und der Arbeiter-Realismus ist irgendwie präsent, obwohl er kaum thematisiert wird. Meinungsverschiedenheiten, die Bergman sonst mit Nahaufnahmen, Kameraumkreisungen, Dialoggefechten und tragischen Gesichtern meistert, äußern sich hier in schüchternen Ohrfeigen und angedeuteten Seemanns-Raufereien. Ein viel zu zaghafter Film, aber danach wurde ja alles (viel) besser.

24. September 2013

ANGST IN DER STADT

Jean-Pierre Mocky  (Frankreich, 1964)
So überstürzt wie die Handlung in diesem Mocky-Film eingeleitet wird, so unverhofft muss man sie auch schriftlich festhalten: Triquet (Bourvil) wird nach einer nicht geplanten aber doch gelungenen Überführung des gesuchten Geldfälschers Mickie zum Inspektor ernannt, muss jedoch dem gemeinen Verbrecher im Verlauf der Geschichte erneut hinterherjagen, weil es diesem gelingt, kurz vor seiner Hinrichtung zu flüchten. Da Triquet einen handfesten Hinweis zu haben glaubt, der ihn geradewegs zu einer kleinen Stadt hinführt, tarnt er sich als Jäger und sucht dort erst einmal als verdeckter Ermittler nach dem geflüchteten Mickie. Die merkwürdigen Bewohner des Ortes erweisen sich dabei als nicht sonderlich hilfsbereit. Sie verlassen nach Einbruch der Dunkelheit ungern ihre Häuser und schlottern ängstlich mit den Knien; aus Angst vor der lauernden Bestie, einer alten Legende, die sich angeblich wieder im Ort verirrt hat. Triquet hat also bei seiner Suche nach dem entlaufenen Übeltäter alle Hände voll zu tun, wenn er sich erst einmal mit den Eigenarten der Einheimischen herumplagen muss.
Jean-Pierre Mocky ist einer jener Filmemacher, die hin und wieder von der Nouvelle Vague-Brigade erwähnt werden, also ist es schön, endlich etwas von ihm gesehen zu haben. Ein komplett neues Territorium eröffnet sich hier, man weiß auch nicht ob "Angst in der Stadt" gerade ein typischer Mocky ist, oder ob es überhaupt so etwas wie einen typischen Mocky gibt.
Der Film ist angelegt als Persiflage an Schnüffler-Kriminal-Filme, strotzt nur so vor lauter Skurrilitäten, Übertreibungen und einer großen Portion Klamaukigkeit und mündet sogar im Gespenstisch-Morbiden. Er ist so etwas wie eine Mischung aus Jean-Pierre Melvilles Œuvre, gepaart mit dem augenzwinkernden Humor und der B-Movie-Tendenz der britischen "The Avengers"-Serie. Es ist ein netter, amüsanter, stimmungsvoller und sehr ausgefallener Film, bloß wieviel Jean-Pierre Mocky hier wirklich drinsteckt; das muss noch herausgefunden werden.

23. September 2013

DURST

Ingmar Bergman  (Schweden, 1949)
Es geht weiter mit Bergman. "Durst" stand lange auf der Liste; wieder so ein wenig geläufiger, früherer, beinahe vergessener Film des großen Meisters. Sollte nach dem Misserfolg von "Gefängnis" den Karren wieder aus dem Dreck ziehen. Keine Ahnung, wie "Durst" dann beim breiteren Publikum wirklich ankam, denn er ist sperrig und einengend. Ein beinahe ausgereifter Bergman eben und er hat sogar Bezüge zum deutschen bzw. italienischen Trümmerfilm.
Wir befinden uns nämlich im zerbombten Deutschland, kurz nach dem Zweiten Weltkrieg, jedoch völlig eingeengt in einem Hotelzimmer mit Rut (Eva Henning) und ihrem Ehemann Bertil (Birger Malmsten), die dort schlafen und wortlos herumlungern. Jeder ist erst einmal mit sich selbst beschäftigt, schläft oder wacht, erinnert sich an seine eigenen, früheren Liebesgeschichten, sehnt sich womöglich nach alten Zeiten, reflektiert das Damals und das Jetzt und überlegt ob der derzeitige Zustand der beste ist.
Irgendwann reden sie dann doch miteinander und verlassen sogar diesen dunklen Raum, um mit dem nächsten Zug Richtung Stockholm, Richtung Heimat aufzubrechen. Im Waggon wird auch der tragische Handlungsort zum ersten Mal spürbar, wenn plötzlich die bröckelnden, gespenstischen Hausruinen als nächtliche Silhouetten an den Fenstern des Zuges vorüberziehen und bettelnde Einwohner den Zugreisenden ihre leeren Hände entgegenstrecken.
Bergman entfernt sich aber schnell vom vermuteten Neorealismo und nutzt die zerbombten Überbleibsel als seelische Hintergrundkulisse, die lediglich angedeutet wird. Es sind aber nicht bloß die Kriegstrümmer, die man auf die brodelnde Unruhe der Figuren projizieren kann; der Zug selbst sorgt für reichlich stürmischen Dampf und lautes Rattern, so dass die beiden Liebenden zusätzlich innerlich und körperlich durchgeschüttelt werden.
Die Kamera bleibt ihnen stets dicht auf den Fersen, obwohl die Bilder noch nicht von Bergmans Haus-Kameramann Sven Nykvist stammen, sind aber ebenso gut und kraftvoll, wenn sich die Kamera aus unmittelbarer Nähe an den Gesichtern entlanghangelt. Das sind ganz außergewöhnliche,  innovative Blicke und Sichtweisen, wie man sie 1949 kaum zu sehen bekam und die schon damals, also fast von Anfang an Bergmans Handschrift festigten.

ARIANE - LIEBE AM NACHMITTAG

Billy Wilder  (USA, 1957)
Für Wilder war 1957 ein höchst produktives Jahr. Neben "Ariane" gab es noch "Lindbergh" und "Zeugin der Anklage", die in kurzen Abständen nacheinander gedreht wurden und seine wichtigsten Filme sollten erst noch kommen!
Seiner hohen Produktivität und Popularität hatte er auch mit Sicherheit immer dem Fakt zu verdanken, dass er die angesagtesten Darstellerinnen um sich scharen konnte und so steckt im Körper der Ariane, Tochter eines Pariser Privatdetektivs, niemand anderes als die wunderbare Audrey Hepburn. Die Kombination Wilder/Hepburn müsste also eigentlich schon ein Garant für eine amüsante und ansehnliche Unterhaltung sein. Irgendwie hat sich aber noch Gary Cooper in dieser Geschichte hineingeschlichen. Man traut seinen Augen nicht, wenn man diese beide Namen im Vorspann sieht und sich vorzustellen versucht, wie diese beiden Menschentypen jemals zueinander finden könnten.
Cooper spielt hier den reichen Amerikaner Flannagan, ein Frauensammler, der überall auf seinen Reisen für eine heiße Affäre zu haben ist. Ein gefundenes Fressen für den Privatdetektiv, dem misstrauische Ehemänner die Wohnung/Büro einrennen, sobald die eigene Frau ein solches Misstrauen erweckt. Audrey Hepburn ist die Cello-übende, liebenswerte Tochter, die gerne in Vaters geheimen Unterlagen schnüffelt und seine Fälle beinahe besser zu kennen scheint als der tüchtige Detektiv selbst. Als sie einmal hinter der Tür lauscht, wie ihr Vater gerade einen betrogenen Ehemann darüber informiert, dass seine Frau sich mit Flannagan regelmäßig im Hotel trifft und dieser aus Eifersucht beschließt, den Amerikaner zu erschießen, möchte Audrey sofort etwas unternehmen, um das bevorstehende Verbrechen zu verhindern. Ihr Gewissen führt sie geradewegs zu Flannahan bzw. Gary Cooper, und wie sich die Beiden näher kommen und wie der Funken überhaupt überspringt, dass sind alles Dinge, die uns Billy Wilder als Urvater der gemütlichen Romantik-Komödie wieder mal in einem präzise ausgetüftelten Drehbuch näherbringt.
Alleine für die süßlich-sympathische Anfangssequenz lohnt es sich hinzuschauen, in der Paris am Beispiel unterschiedlicher Einwohner und Menschentypen als Stadt der meisten Küsse porträtiert wird. Ein Charmant-altmodisches Postkarten-Kino zum Schmunzeln und Wohlfühlen.

20. September 2013

FRAUENTRÄUME

Ingmar Bergman (Schweden, 1955)
Ein Billig-DVD-Label ließ diesen Film zusammen mit Bergmans "Schiff nach Indialand" erscheinen, zwar nicht in bester Qualität und auch nicht in bester Aufmachung, aber was schert man sich um Nebensächlichkeiten, wenn man doch zwei weniger geläufige Bergmans in den Händen halten darf.
"Frauenträume" ist zuallererst in der Modewelt angesiedelt, aber es ist ein Bergman-Film, also bleibt er nicht bloß an einer überschminkten Oberfläche. Der Film fängt stark an, ganz ohne Worte, bloß Bilder, aber stets die richtigen. Das hat etwas von einer Orson Welles-Methode; wir erinnern uns ganz vorsichtig an "Citizen Kane", wo die Optik sogar den Inhalt überwuchs. Der große Schwede leitet uns also in diese Welt der Schönen und schön angezogenen Menschen ein und zeigt ein Shooting in einem Stockholmer Fotostudio, aber ganz ohne den erwarteten modischen Enthusiasmus, sondern in einer angespannten Situation, wo alle auf etwas warten, das nicht in Worten ausgesprochen wird. Stumme Gesichter, Nahaufnahmen, Hände die nervös auf dem Tisch Rhythmen trommeln.
Wir wissen, dass Bergman mit seinen Figuren diesen Raum schleunigst wieder verlassen möchte und das tut er auch: die Modefotografin Susanne (Eva Dahlbeck) und das Modell Doris (Harriet Andersson) fahren anschließend zu einem Job nach Göteborg. Das beabsichtigte Shooting fällt jedoch ins Wasser, weil Doris zu spät zum Termin kommt und lieber ihre Zeit mit dem lebenserfahrenen, wortgewandten Konsul Sönderby (Gunnar Björnstrand) verbringt, den sie gerade kennenlernen durfte. Susanne geht dafür eine alte Affäre mit dem verheirateten Henrik ein, zu dem sie erneut Kontakt aufgebaut hat.
Der Ausflug nach Göteborg erweist sich also für beide Frauen als der Versuch eines Ausbruchs aus ihrem sonstigen Trott. Es geht aber nicht nur um die Befreiung der Frau aus Gewohnheiten und beruflichen Zwängen, sondern auch um Geschlechterkonflikte und die Unterschiede gesellschaftlicher Herkunft, die für genug haarsträubende Missverständnisse sorgen.
Doris ist eben das naive, infantile Mädchen, das mit strahlenden Augen vor einer teuer Boutique steht und das Leben in vollen Zügen genießen will. Als sie dann den ins Alter gekommenen Konsul in einen Vergnügungspark hinschleppt, tankt sie neue Energie, während er förmlich hinaustorkelt und sogar erschöpft umfällt.
Währenddessen schafft es Susanne sich mit ihrer alten Flamme in einem Hotel zu treffen, doch wie diese beiden parallel angelegten Seitenpfade bewandert werden und wohin sie letztendlich führen, das muss an dieser Stelle verschwiegen werden. Eine Konsequenz können beide Frauen aus ihrer Reise gewiss ziehen, sodass sie durch eine dauerhafte Erfahrung bereichert werden und sich der erzählerische Bogen wieder schließen darf.
Bergmans Film möchte sich angeblich gerne zu seiner damaligen komödiantischen Phase dazugesellen. Durch den Kontrast von Doris und dem Konsul gelingt ihm das auch, aber der dramatische Grundton ist nicht wegzubekommen. Den verstärkt er sogar noch zusätzlich, weil Göteborg nicht als ein Ort dargestellt wird, der einen mit offenen Armen empfängt. Die Stadt erscheint hier trist, nüchtern und menschenleer, damit sich die Handlung um so mehr an dem Innenleben der Protagonisten festkrallen kann.

16. September 2013

LASS MICH KÜSSEN DEINEN SCHMETTERLING

Hy Averback (USA, 1968)
Hübsch aber etwas belanglos ist dieser alte Averback-Film, ein Filmemacher den (hoffentlich) keiner kennt und der Ende der 60er diesen Peter Sellers-Film auf die Beine gestellt hat. Gegen die damaligen Blake Edwards-Produktionen kann so ein kleines Filmchen sowieso nichts ausrichten, aber jeder Sellers-Fan kann hiermit zumindest seine Sellers-To-do-Liste vervollständigen.
Sellers spielt einen konservativen, jüdischen Rechtsanwalt, hölzern, bürgerlich und steif von Kopf bis Fuß und umgekehrt und der immer im Anzug steckt, was damals noch nicht wirklich cool war. Seine Figur macht jedoch eine vollkommene, geistige und äußerliche Wandlung durch, als er von seiner eigenen Spießigkeit wachgerüttelt wird und zuerst von der eigenen Hochzeit wegläuft, um anschließend durch seinen Hippie-Bruder die attraktive Nancy (Leigh Taylor-Young) kennenzulernen, ebenfalls ein Freigeist und Blumenkind, auf deren zwanglose Lebensart sich der Anwalt erst einmal einlassen muss.
Oder um nicht um den heißen Brei zu reden und das Ganze kurz zusammenzufassen: Spießiger Anwalt lernt Hippie-Mädchen kennen und wird selbst zum Hippie. (Wobei wir Peter Sellers mit komischen, langen Haaren eh schon ein paar Jahre früher als Dr. Fritz Fassbender in „Was gibt’s Neues, Pussy?“ gesehen haben).
Ein solcher Zusammenprall gegensätzlicher Welten fordert ein langsames Herantasten an eine völlig neue Lebenseinstellung und Lebenslage, es werden also alle gängigen Hippie-Klischees ausgepackt, von bunt bemalten Autos, esoterisch angehauchten Gesprächen, überfüllten Wohnungen und den obligatorischen Haschplätzchen, die von falschen Leuten gegessen werden. Glücklicherweise stürzt sich der Film auf all diese Dinge tatsächlich zur Blütezeit der Flower Power-Bewegung. Er hat also das Privileg, wirklich damals entstand und von Authentizität umhüllt zu sein und ist dadurch kein abgewetztes Hippie-Revival der heutigen Zeit. Peter Sellers wird es irgendwann eh wieder zu viel in dieser quietschbunten, chaotisch Welt und er bleibt der ewig Suchende, der am Ende bloß aus gesellschaftlichen Zwängen ausbrechen möchte.

12. September 2013

DER SMARAGDWALD

John Boorman (Großbritannien, 1985)
Wir erinnern uns an alte Zeiten: John Boorman hat während der New Hollywood-Phase den sehr guten "Beim sterben ist jeder der erste" gedreht und bewies dort ein Händchen für die Thematisierung des Menschen, der sich in der Natur behaupten muss. Es kann also nicht all zu viel schief laufen, wenn er sich Jahre später mit einer anderen Geschichte in den südamerikanischen Urwald begibt. Denkt man zumindest.
Der große Bauunternehmer Bill Markham (Powers Boothe) geht mit seiner Frau und seinem Sohn Tommy nach Brasilien zur Baustelle eines gigantischen Staudamms, dessen Errichtung von ihm geleitet wird. Nachdem der kleine Tommy einen Fuß in den Busch setzt, wird er von Indianern entführt, dem sagenumwobenen "unsichtbaren Volk", das komplett abgeschottet im Urwald lebt. Jahre vergehen, vom Sohn fehlt immer noch jede Spur, der Staudamm ist längst fertig und der Vater begibt sich erneut auf die Suche nach Tommy, der inzwischen selbst "Indianer" wurde, (bzw. ein indianisch angehauchter Weißer) und von nun an auf den Namen Tommé hört. Der junge Mann ist mit dem Dschungel und dem Volk der Unsichtbaren fest zusammengewachsen und denkt gar nicht daran, seinem Vater in die zivilisierte Welt zu folgen. In seinen Träumen taucht sein leiblicher Vater jedoch seit seiner Kindheit auf.
Der Film weist also auf die Existenzberechtigung einer aussterbenden Kultur und klammert sich an unseren Erdball, der mit jedem abgeholzten Baum der Regenwälder ökologisch ausgeschlachtet wird. Engagierte Thematik also, aber warum durstet die Handlung bloß nach so viel Abenteuerdrang und schwächelt so ungemein in der Inszenierung und im Drehbuch?
John Boorman wirft durch diverse, filmische Missgeschicke leider viele unnötige Fragen auf, dabei erwartet man von einem ernstzunehmenden Thema auch einen gewissen Anteil an filmischer Logik: Denn warum wird der Sohn nicht entführt, als er dem unsichtbaren Volk schon zum ersten Mal begegnet, sondern erst nachdem er zum zweiten Mal mit seinem Vater ins Dickicht hineinläuft und dieser gerade dabei ist, wieder zurückzulaufen? Warum wird bei der Entführung ein warnender Pfeil abgeschossen, der im Baum stecken bleibt und dem Vater Angst einjagen soll, aber gleichzeitig ein Beweisstück für die Existenz eines Volk ist, das im Verborgenen bleiben will? Warum müssen ganze 10 Jahre vergehen, bevor sich der Vater wirklich aktiv auf die Suche nach seinem Sohn begibt? (Ausreden mit zu-viel-zu-tun-gehabt gelten nicht!) Warum wird der verlorene Sohn dermaßen spannungslos eingeführt, in dem wir ihn viel eher in seiner neuen Gestalt zu Gesicht bekommen, als sein eigener Vater? Warum bleibt Tommé, nach einem festgefahrenen Hollywood-Muster, im gesamten Verlauf der Geschichte ein unzerstörbarer Superheld, der niemals von gegnerischen Pfeilen und Gewehrsalven getroffen wird? Und auch wenn der Film auf Tatsachen beruht, könnte man dennoch die Frage stellen: Warum wird er überhaupt entführt, am Leben gelassen und von Menschen großgezogen, die allem was fremd ist, vorsichtig gar feindlich gegenüber stehen? Das könnte man noch so weiterführen. John Boorman halst uns viel zu viele, unnötige Fragen auf, die in einem halbwegs vernünftigen Film nichts zu suchen haben.

9. September 2013

BILLY ELLIOT

Stephen Daldry  (Großbritannien, 2000)
Da haben wir den schmissigen Kinohit, der bis heute mit gigantischen Leuchtreklamen auch die Londoner Musical-Spielstätte schmückt. Man möchte natürlich endlich wissen, was dahinter steckt; komisch eigentlich, ihn erst jetzt gesehen zu haben.
Der Film umhüllt sein Grundthema erstmal mit der Hintergrundkulisse des Bergarbeiterstreiks von Nordengland, wo die Mienen schließen sollen, und von diesem existenziellen Problem auch die Arbeiterfamilie Elliot betroffen ist. Der Vater und der ältere Sohn Tony leiden stark darunter und schließen sich diversen Streiks an, bei denen sie kreuz und quer von Polizei mit Knüppel gejagt werden.
Als Gegenpol gibt es dazu den jüngeren Sohn Billy (Jamie Bell), der ein Faible für Ballett und Tanz entwickelt. Für eine solche Leidenschaft, die dazu auch noch die unmännlichste von allen ist, gibt es natürlich kein Platz in dieser tristen, von Existenzängsten geplagten Zeit. Billy braucht lange, um die Engstirnigkeit und die Intoleranz des Vaters und des Bruders zu schmälern und die Beiden von seinem Talent zu überzeugen, in dem er ihnen zunehmend häufiger vor der Nase herumhopst, um sein Können zu beweisen. 

Der Film lässt all den Ballast der gesellschaftlichen Hintergründe irgendwann hinter sich und wandelt überraschenderweise sogar Vater und den älteren Sohn zu friedvollen, mitfühlenden Familienmenschen, die plötzlich brav den Abwasch machen und voller Hoffnung auf Billy starren, der zwischenzeitig in der Londoner Royal Ballet School ein Vortanzen hatte.
Fassen wir es kurz zusammen: wir haben hier also einen brodelnden, gesellschaftskritischen Hintergrund und einen außergewöhnlichen, sensiblen Jungen, der sich von dieser Realität abschirmen will, zuerst seine Boxhandschuhe an den Nagel hängt, um anschließend seine Frust nur noch im Tanzen herauszulassen. Die reduzierte Holzknüppel-Moral macht es uns noch deutlicher: Man soll seinen Traum leben und dafür kämpfen, so hart die Lebensumstände auch sein mögen. Billy bleibt also stets am Ball, mal genervt mal etwas zickig, aber er hat ja auch einen harten Kampf auszutragen, wenn er sich zu T.Rex-Songs tanzend erstmal in seiner Andersartigkeit behaupten muss. Stephen Daldry nutzt, nebenbei erwähnt, die ganzen Pop-Gossenhauer auf eine recht aufdringliche Weise, weil sie nicht bloß Billys Seelenleben widerspiegeln, sondern einfach weiterlaufen, auch wenn die Szenen längst schon in das beklemmenden Interieur der Arbeiterklasse wechseln.
Netter, gar zu netter Film, irgendwo zwischen Jugendfilm, Milieu-Drama und Casting-Show, der es aber letztendlich geschafft hat, viel (zu viel) Wirbel um sich zu machen.

5. September 2013

UNTER DEM SAND

François Ozon (Frankreich, 2000)
Bevor Ozon die wunderbare Charlotte Rampling in "Swimmingpool" in ihre schriftstellerische Abgeschiedenheit verbannte, quälte er sie erstmal als Marie in " Unter dem Sand". Sie macht gemeinsam mit ihrem Ehemann Jean (Bruno Crémer) den alljährlichen Urlaub am Strand, wo Jean plötzlich spurlos verschwindet, nachdem er von seiner Stranddecke aufsteht, um im Meer zu baden. Marie kann ihn selbst mit herbeigeholter Hilfe nirgends finden und der Film beendet dieses tragische Ereignis mit einem harten Schnitt, in dem er ein wenig Zeit vergehen lässt und sich auf Maries Alltag in Paris stürzt.
Der Plot ist damit schnell erzählt, weil François Ozon seine Geschichten gerne klar, schlicht und logisch aufbaut, ganz geradlinig, ohne in unnötige Ausschmückungen abzuschweifen. Der Zuschauer ist dennoch verunsichert und streckt die Hände nach einer greifbaren Erklärung, weil Marie sich vollkommen anders bzw. den Umständen entsprechend unnatürlich verhält, als man es sonst von jemandem erwartet hätte, der auf so eine rätselhafte Weise einen geliebten Menschen verliert.
Marie kapselt sich ab und umgibt sich von einer eigenen Scheinwelt, in den immer noch alles beim Alten und in bester Ordnung ist. Für sie ist Jean niemals verschwunden, sondern lebt mit ihr nach wie vor in ihrer gemeinsamen Wohnung; er ist immer noch der Mann, der auf sie wartet, wenn sie von der Arbeit nach Hause kommt, der abends neben ihr einschläft und morgens bei ihr am Frühstückstisch sitzt. Maries Mitmenschen nehmen natürlich ihr seltsames Verhalten wahr; zwar besorgt, doch eher stumm, um ihre Illusion nicht zu zerstören. Gefährdet bleibt diese Scheinwelt ohnehin, weil äußere Einflüsse sie schnell wieder wie eine Seifenblase zerplatzen lassen können. Etwa wenn ihr die Polizei eine Nachricht bezüglich des vermissten Ehemanns auf dem Anrufbeantworter hinterlässt, sie aber sofort die Löschtaste betätigt.
François Ozon faulenzt hier ganz eindeutig im Schatten seiner selbsterschaffenen Ausgewogenheit, aber fesselt sowieso, weil Charlotte Rampling sich in ihrer hypnotischen Art dem konventionellen Verlauf der Geschichte widersetzt. Und wir sitzen da und warten auf eine Explosion, die nicht kommt, die auch nicht zu kommen braucht, oder die längst schon dagewesen ist, uns aber verwehrt wurde. Der Film ist ohnehin lieber auf leisen Schleichwegen unterwegs; umso verstörender ist seine Einsamkeit-verheißende, ewige Stille.

SOPHIE SCHOLL

Marc Rothemund  (Deutschland, 2005)
Wenn man schon letztens "Napola" gesehen hat und auch wieder einen Blick in Hitlers Bunker werfen durfte ("Der Untergang"), muss (bzw. kann) man sich auch mal wieder mit "Sophie Scholl" befassen. Marc Rothemund erzählt uns nichts Neues, aber immerhin erzählt er etwas, oder aber man kann es zumindest interessant finden, auch mal dieses Kapitel des Nationalsozialismus filmisch aufzuschlagen.
Sofort geht es los, Schlag auf Schlag, ohne Erbarmen: Im Untergrund tobt die Maschinerie, bzw. die Druckpresse, die Geschwister Scholl samt Komparsen, drucken ihre Flugblätter und verteilen dann zu zweit (Sophie & Hans) den ganzen Ballast, der sich gegen das nationalsozialistische Regime richtet. Sie sind sichtlich angespannt, weil der Koffer voll mit den bedruckten Blättern ist, um so leerer die endlosen Korridore der Münchener Universität, vor deren geschlossene Türen sie die Zettel verteilen. Den letzten dicken Stapel schiebt dann Sophie vom Geländer herunter. Ein hübscher filmischer Moment, wie die einzelnen Blätter da so in der Luft hin- un herschweben, bis sie unten in der Halle ankommen.
Sophie und Hans versuchen sich dann im plötzlich aufkommenden Gedränge diskret zurückzuziehen, während die erstaunten Studenten die Flugblätter aufheben. Doch die beiden Geschwister werden zum großen Bedauern gefasst; ausgerechnet von dem tölpelhaften Hausmeister, ein Aggressor und offensichtlicher Unterwürfiger des Regimes. Da wird einem Angst und Bange, wenn man bedenkt, dass dank solch fanatischer Knechte der ganze Nationalsozialismus prachtvoll gedeihen durfte.
Das weitere Schicksal der Geschwister kennt man. Marc Rothemund lässt anschließend Hans Scholl in einem uns verwehrten Verhörzimmer zurück und konzentriert sich lieber auf Sophie, wie sie bei Gestapo Ermittler, Robert Mohr psychologisch ausgesaugt wird, wie sie ihn zuerst bestens an der Nase herumführen kann, bis sie geradewegs in eine Sackgasse geführt wird und im weiteren Kammerspiel kleingeprügelt wird. Julia Jensch macht ihre Sache dabei ganz ordentlich.
Interessant ist anschließend der völlig absurde Schauprozess, bei dem die Scholls und Christoph Probst längst menschlich entwürdigt, auf wackeligen Beinen ihren letzten Stolz aufrecht zu erhalten versuchen, während der herrische Nazi-Richter tobt und kocht und mit seiner aggressiven, offensiven Art jeden Zwischen- und Gegenruf zu einem kläglichen Mäusepiepen schrumpfen lässt.
Rothemund gestaltet seinen Film klaustrophobisch, wo die Figuren von den kleinen, in dunklen Farben gehaltenen Räumen beinahe erdrückt werden. Nur der Gerichtssaal kurz vor Schluss erscheint wieder ein bisschen größer, fast befreiender, nur um die drei Angeklagten anschließend wieder in den labyrinthischen Gängen geradewegs in die Todeskammer zu führen, wo schon die Henker im schicken Frack und Zylinder warten.
"Da wo wir heute stehen, werdet ihr bald stehen!" bleibt einer der Sätze, die nachhallen, weil es Hans Scholl damit gelingt, den ganzen Nazi-Schergen wenigstens für kurzen Augenblick die Augen zu öffnen. Zumindest hofft man, dass es irgendwo in den vermoosten Gehirnen ankommt.
Ein schön gewordener, kompakt erzählter Film, bloß wird der Gestapo-Mohr als ein recht merkwürdiger Kerl dargestellt. Denn ein Versucht, ihm Menschlichkeit einzuhauchen, gar menschliche Schwäche anzudeuten und ihn mit Sophie ein Gespräch über die Existenz Gottes beginnen zu lassen, ihn also ansatzweise angreifbar zu machen... damit wird er zwar als Marionette bloßgelegt, aber das ist dann doch zu nahe an den schwülstigen Hollywood-Methoden.

3. September 2013

THE WICKER MAN

Robin Hardy (Großbritannien, 1973)
An dieses filmische Mysterium von Robin Hardy muss man sich nach langer Zeit auch mal wieder herantasten und man kann das kaum bewerkstelligen, ohne überall von einer Heerschar an fanatischen Anhängern umzingelt zu sein, die diesen Film in den Himmel loben. Man möchte das Geheimnis dieses zurechtgesponnenen Kults endlich auflösen, was beinahe schon spannender erscheint, als diesem altbewährten Plot zu folgen.
Man erinnert sich an den Inhalt: Sergeant Neil Howie (Edward Woodward) ist der strenggläubige Vorzeige-Polizist vom englischen Festland, der auf der schottischen Insel Summerisle landet, um das Verschwinden der jungen Rowan Morrison aufzuklären. Sein Auftrag gestaltet sich schwierig, da sich die Insel-Bewohner nicht gerade als sehr kooperativ herausstellen; sie leugnen sogar in ihrer abweisenden Art die Existent des Mädchens. So stoßt Howie lediglich auf Rowans leeren Sitzplatz in der Schulklasse und auf lückenhafte Infos im Einwohneramt, bis er schließlich in der Ungemütlichkeit des überwucherten Friedhofs weiterschnüffeln darf. Dabei dreht er sich zunehmend im Kreis, als dass er einer plausiblen Lösung näherkommen würde. Ob das Mädchen irgendwo noch auf der Insel umherschleicht, oder vielleicht längst schon unter den Toten verweilt; das sind Fragen, die den Neuankömmling kreuz und quer durch die Ortschaft schlendern lassen und sein Misstrauen gegenüber den Menschen und den Vorfällen wachsen lassen.
Howie stoßt hier auf eine rätselhafte Gemeinde, die sich am heidnischen Naturkult, frei ausgelebter Sexualität und mysteriösen Fruchtbarkeitsritualen ergötzt. Eine Gemeinde, die scheinbar von dem geheimnisvollen Lord Summerisle (Christopher Lee mit atemberaubender Frisur!) angeführt wird. Dieser erweist sich für Howie als einzige wirkliche Ansprechperson, wenn er auch dem Polizisten in der Geborgenheit seines eigenen Reiches völlig überlegen zu sein scheint.
Die große Weidenfigur bzw. der Wickerman taucht dann natürlich auch noch auf, aber man verrät ja wiedermal viel zu viel, wenn man auf dieses spektakuläre Finale eingeht, bei dem die bisherigen Verhältnisse in einer tödlichen Verschwörung vollständig auf den Kopf gestellt werden. Der Jäger wird zum Gejagten.
Robin Hardy schmeißt hier Verschiedenes zusammen, was nicht zusammengehört, um sich vom klassischen Genre-Muster abzuwenden, koste es was es wolle. Der erwähnte heidnische Naturkult überschlägt sich mit einer klassischen Kriminalgeschichte und der Regisseur scheut nicht mal davor, Musical-Akzente zu setzen.
In dieser Genre-Irreführung oder stilistischer Unentschlossenheit liegt aber auch der Hund begraben: "The Wicker Man" ist auf Widersprüchen aufgebaut, durch die er zu ersticken droht. Die oftmals kontrapunktierende Musik erinnert beinahe an die radikalen Methoden der Giallo-Regisseure und die surrealen Orgien-Szenen, sowie die starr dastehenden, mit Tiermasken verkleideten Bewohner, hemmen die greifbare Glaubwürdigkeit. Sie rauben den nötigen Funken Realismus, der als Bindeglied zwischen kriminalistischen Tatsachen, Zuschauer-Identifikation und der Erfüllung der Ängste, also dem Horror, stehen müsste. Es ist ein künstlicher, distanzierter, selbstironischer, gar charikaturhafter Film.
Aber vielleicht soll uns „The Wicker Man“ auch gar nicht das Gruseln lehren. Er schafft es dennoch, ohne das fiktive Monster auszukommen und sich damit von dem Gothic-Horror der englischen Hammer-Studios abzuheben. Er bleibt ein provokantes Schauermärchen, oder ein vom keltischen Nebel eingehüllter Realismus, der in einem tranceähnlichen Zustand durch die Filmgeschichte hoppelt.

1. September 2013

JACK IN LOVE

Philip Seymour Hoffman  (USA, 2010)
Die Besonderheit an diesem Film: Philip Seymour Hoffman stellt sich in dieser Verfilmung von Robert Glaudinis Bühnenstück  nicht nur vor die Kamera, sondern zum ersten Mal auch dahinter.
Als Regisseur blickt er hier auf sich selbst als Jack, den Typen, der keine Frau abbekommt, sich aber natürlich nach dem anderen Geschlecht sehnt und der mit Hilfe seiner einzigen Freunde Clyde und Lucy deren Arbeitskollegin Connie (Amy Ryan) kennenlernt. Die eigentliche Geschichte zögert auch nicht lange herum, sondern eröffnet mit der Charakterisierung der Hauptfigur automatisch das Thema und das Drama, oder wie man es auch sonst nennen will. Jack ist der Prototyp eines spätreifen, kauzigen Antihelden; sperrig im Umgang und ein dickbäuchiger Möchtegern-Rasta-Typ obendrauf. Der geborene Loser, dessen Wandlung oder dessen erhoffter Erfolg von uns sehnsüchtig erwartet wird. Man glaubt nicht wirklich an ihn, aber hofft für ihn das alles Beste.
Von Frauen hat er also wenig Ahnung und muss sich demzufolge erstmal auch noch in anderen Lebensbereichen behaupten, die er bisher nicht angerührt hat. Für das erste Date mit Connie wird eine Bootsfahrt im kommenden Sommer geplant und Jack will dafür schwimmen lernen, weil ein Boot auch gerne umkippt. Da er seine Herzensdame gern bekochen möchte und auch davon nichts versteht, sind zudem Kochkurstermine angesagt.
So liebenswürdig romantisch und harmlos jugendlich wie sich hier alles anbahnt, gipfelt die Geschichte dann doch in einer zwischenmenschlichen Eruption, als sich schließlich beide Paare zum gemeinsamen Dinner in der Wohnung zusammentreffen. Während sich Jack und Connie in diesem Gefühls-Showdown sachte aneinander nähern, entfacht zwischen Clyde und Lucy ein Beziehungskampf mit bösen Folgen.
Philip Seymour Hoffman ist ein großes Talent und bleibt gleichzeitig ein ewiger Lichtblick, weil er sich irgendwie doch recht selten ganz entfalten darf. Er läuft zu oft bucklig und geduckt auf der Schattenseite, anstatt sich wie ein Gockel aufzuplustern, was ihn wiederum durch seine Bescheidenheit sympathischer macht. Er ist der ewige Geheimtipp, über dessen Präsenz man sich erfreuen darf, ob in einer führenden Hauptrolle, oder wenn er auch bloß kurz im Hintergrund verweilt.
"Jack in Love" muss man wieder mal zu den sogenannten "kleinen" Filmen dazustellen, dabei bleibt er nicht unaufregend und erzählt die Geschichte zweier Menschen so sanft und diskret wie es ihm nur möglich ist. Der Film ist kein vulgärer Blick durchs Schlüsselloch, sondern ein zartes Ohr-Geflüster.