30. November 2013

KAP DER ANGST

Martin Scorsese  (USA, 1991)
Trivia zuerst: Ein Wiedersehen mit Scorseses größtem Blockbuster vergegenwärtigt einem, dass De Niro bereits in den 90ern zu seinem heutigen, opa-haften, schiefen Gesichtsausdruck tendierte. Das ist fast erschreckender als die Figur des Max Cady selbst. Körperlich zwar fit, doch der Weg zu alten Mann war bereits geebnet.
Nun zum Film: Max Cady wird nach 14jähriger Gefängnisstrafe entlassen und lässt sich im gleichen Städtchen nieder, in dem sein damaliger Pflichtverteidiger (Nick Nolte) mit seiner Frau (Jessica Lange) und Tochter (Juliette Lewis; die unvergessliche Verführungsszenen mit De Niro im Theater) lebt. Cady will sich an dem Mann rächen, der ihn damals  ins Zuchthaus gebracht hat, statt für seine Verteidigung zu sorgen. Doch Cadys Terror schleicht sich zuerst leise, in wohl überlegten Schritten heran; er hat im Knast das Lesen gelernt, sich mit einem Haufen juristischer Bücher befasst und weiß genau, wie er den Anwalt und seine Familie so malträtieren kann, dass ihm das Gesetz nichts anhaben wird. Er ist ein beunruhigend talentierter Autodidakt, der die Bibel studierte, gerne auch rezitiert und seinen Körper mit Auszügen schmücken ließ. Er ist ein unzerstörbares, gottähnliches Wesen mit überhöhter Vorstellung seiner Unantastbarkeit, was ihn zu einem gefährlichen Monster macht.
An J. Lee Thompsons Version aus den 60er reicht die Erinnerung nicht mehr heran, muss aber auch bald aufgefrischt werden. Ist mit Sicherheit auch nicht so reißerisch und blutdurchtränkt und auf ein bombastisches Showdown hinzielend wie bei Marty, der immerhin Robert Mitchum und Gregory Peck wiederbelebte (beide spielen die Hauptfiguren in der alten Fassung) und mit kleinen Gastauftritten besetzte.
Marty & Bob legten in den 90ern mit der Neuverfilmung von "Kap der Angst" ihren kommerziell erfolgreichsten Film hin; ein Erfolg, dem Scorsese bis heute nicht mehr erreichen konnte. Ist ja auch eine fesselnde Geschichte, mit beängstigender Zuschauernähe, denn Mist hat jeder Mal verbrochen und die Angst vor Rache flackert ebenso in jedem und wenn sie sich dann in einem ganzen Rachefeldzug äußert, wie bei Max Cady, der nach und nach eine komplette Familie zerstören will, dann sorgt so was für eine schweißtreibende Unruhe. Der amerikanische Traum vom Familienglück und gepflegten Vorgarten gerät ins Wanken. Der Mensch muss sich bewaffnen, sein Territorium verteidigen, bzw. schützende Barrikaden um sich aufbauen und ein Dasein in Angst und Schrecken fristen; scheu und voller Furcht durchs Leben schleichen.
Dick aufgetragene Film Noir-Verbeugung, die aber immer noch nachhallt, weil De Niro hier vermutlich zum letzten Mal dermaßen physisch präsent war, bevor ihn die Opa-Filme-Phase endgültig eingeholt hatte.

28. November 2013

VENUS IM PELZ

Roman Polanski  (Frankreich, 2013)
Man muss es einfach erwähnen, was die Boulevardblätter heutzutage immer wieder predigen: Polanski lebt tatsächlich immer noch und sieht gut aus für ein Alter, wo andere schon mit krummen Buckel durch die Welt schlendern, aber dass er dann doch altert merkt man leider gerade an dem was er am besten kann, bzw. konnte, denn "Venus im Pelz" ist immer noch vom gleichen Regisseur wie "Chinatown" , "Rosemary's Baby" oder "Das Messer im Wasser", um so erschreckender das jüngste Ergebnis, dessen Fragwürdigkeit sich bereits in den Trailern angekündigt hatte. Aber man schaut ja Filme wegen dem Filmemacher und nicht wegen dem Thema; zumindest versucht man diesem Prinzip treu zu bleiben; eine Treue, die einen vorerst immer wieder völlig geblendet auf den Kinositz verfrachtet.
Der neue Film ist zum Scheitern verurteilt. Das prophezeien bereits die leeren Kinositze; man bekommt das Gefühl, als wäre der Kinosaal eine Verlängerung von dem auf der Leinwand gezeigten Theaterraum, wo auch niemand sitzt, bloß zwei Leute auf der Bühne mit sich selbst beschäftigt sind; völlig ausgeschlossen von der restlichen Welt.
Theaterregisseur Thomas (Mathieu Amalric) will „Venus im Pelz“ von Leopold von Sacher-Masoch wiederbeleben und auf die Bretter dieser Welt stellen, kann aber keine passende Darstellerin finden, bis plötzlich eine sehr verspätete, sehr aufgedrehte und sehr vulgäre Emmanuelle Seigner in dem leeren Theater aufkreuzt, die zufälligerweise auch Vanda heißt, wie die Hauptfigur im Stück. Thomas würde sie am liebsten gleich wieder nach Hause schicken, die Frau drängt sich aber dermaßen auf, dass sie plötzlich kostümiert auf der Bühne steht und eine Vanda zum Besten gibt, die ihm die Sprache verschlägt. Schnell wendet sich das Blatt, die dominante Vanda-Domina übernimmt zunehmend das Ruder, während Thomas verängstigt in den Part der männlichen Figur hineinschlüpft und in seiner Unterwürfigkeit in alle Einzelbestandteile zu zerfallen droht. Später, wenn beide ihre Rollen tauschen und der Film damit endlich eine interessante Wende nimmt, erinnert der geschminkte Mathieu Amalric plötzlich sogar an Polanski selbst, als er vor Jahrzehnten in Frauenfummel in "Der Mieter" den Trelkovsky zum besten gab.
Mag man alles drehen wie man will und von allen Seiten betrachten: Es ist ein trauriger Film eines alten Mannes; ein Mikrokosmos aus persönlichen, feuchten Träumen. Man bemüht sich die ganze Zeit, Emmanuelle Seigner toll zu finden, wie schon damals in „Bitter Moon“ und „Frantic“, obwohl das vermutlich mittlerweile nur noch ihrem Regisseur und Ehemann gelingt, der seiner Frau endlich das versprochene Musen-Denkmal in den Stein hauen kann. Wir dagegen sind eher peinlich berührt, als schlüpfrig erhitzt, von all den bemühten Obszönitäten und Möchtegern-Vulgaritäten. Am Ende gewinnt die Frau und der Mann ist auf der Bühne an eine Kaktus-Attrappe gebunden; der stachelige Phallus als Marterpfahl, die nackte Venus mit Pelz bekleidet, um ihn tänzelnd. Und auf so was warten wir 90 Minuten lang; mühen uns ab und werden Zeuge dessen, wie Polanski das altbewährte, reduzierte Kammerspiel nicht mehr zu bändigen weiß wie einst so meisterhaft.

25. November 2013

exground Filmfest 26

15.11.13 – 24.11.13, Wiesbaden
Zum diesjährigen Wiesbadener Filmfest kann ich mich leider nur kurz und bündig äußern. So gut wie nichts gesehen, bzw. sehen können, weil mal wieder die spannendsten Sachen zu den unmenschlichsten Uhrzeiten liefen. Der technische Ärger bei der Vorführung von "Morning Star", der zu einer nervenaufreibenden Verzögerung und schließlich zum frühzeitigen Verlassen des Kinos führte, beeinflusste dermaßen alle weitere Festival-Entscheidungen, dass man leider dazu gezwungen wurde, alles andere, das man sich vorgenommen hatte, in diesem Jahr komplett zu streichen.
Dieses Mal gab es deswegen nur drei Filme, davon aber zwei, die sich auf jeden Fall sehen lassen können.
"Morning Star" (von Sophie Blondy) vergessen wir lieber gleich wieder, da wie erwähnt, nicht mal zur Hälfte konsumiert, was eigentlich auch kein großer cineastischer Verlust ist, da der Film selbst bis dahin ziemlich fragwürdig bis ungenießbar ausfiel.

Widmen wir uns lieber gleich den guten Filmen: Zum einen "Workers" von José Luis Valle, der in zwei Parallelhandlungen die Geschichte zweier Arbeiter erzählt. Da ist Rafael, angestellt als Putzkraft in einer Glühbirnenfabrik, der direkt vor seinem Renteneintritt steht, wegen bürokratischem Wirrwarr jedoch nicht in Rente gehen darf und als Racheakt auf unterschiedlichen Wegen die Arbeit sabotiert.
Und dann gibt es Lidia, Haushälterin bei einer knorrigen, an den Rollstuhl gefesselten Grand Dame mit viel Kohle in der Tasche und einem verwöhnten Köter, dem sie nach ihrem Tod ihr gesamtes Vermögen vermacht. Der Hund muss also von den hinterbliebenen Hausangestellten unbemerkt aus dem Weg geräumt werden; nur so kommen sie an das Erbe heran.
Einer von den Filmen, die sich die erzählerische Langsamkeit zu Nutze macht, gepaart mit einem lakonischen Humor
à la Andersson oder Kaurismäki. Böse, nahe am Leben und trocken wie altes Brot. Guter Film.

Danach kann man schon direkt zu meinem persönlichen Festivalabschluss übergehen, nämlich "Shirley - Visions of Reality" von Gustav Deutsch, der auf den Gemälden von Edward Hopper basiert. Deutsch nutzt die Bilder nicht nur als Hintergrundkulisse, sondern stellt sie in einen narrativen und gesellschaftlichen Kontext. Er erschafft eigene Geschichten, leitet sie mit historischen Radiodurchsagen ein und interpretiert und erweitert Hoppers Gemälde auf eigene Weise, um eine Geschichte zu erzählen.
Ein beinahe, rein visueller Film, denn stärker lassen sich Bilder (sowohl die filmischen als auch die gemalten) kaum in den Vordergrund stellen. Ähnliche Versuche gab es ja schon, etwa bei Kurosawa und seiner VanGogh-Episode aus "Kurosawas Träume", aber nicht so technisch raffiniert umgesetzt und so nahe am Gemalten wie bei Gustav Deutsch.
Ein unbedingt sehenswertes Zusammenspiel aus Licht und Schatten, Farben und Formen und sparsamen Bewegungen. Man könnte ihm lediglich eine schleppende, inhaltliche Entwicklung vorwerfen, bzw. einen Plot, der sich zu sehr um sich selbst dreht.

21. November 2013

DAS 1. EVANGELIUM - MATTHÄUS

Pier Paolo Pasolini  (Italien, 1964)
Pasolini hat mit seinen bis dahin produzierten Filmen genügend Angst und Schrecken in seiner Heimat verbreitet; da mussten der italienischen Bevölkerung und der Kirche obendrauf die Knie geschlottert haben, als er die Umsetzung der Passions-Geschichte in Angriff nahm. Doch wie groß muss die Verblüffung gewesen sein, dass er sich erzählerisch doch brav an das Matthäus-Evangelium anlehnte, ohne Seitenpfade zu betreten und im großen Stil zu schockieren. Von einem homosexuellen Atheisten und einem dermaßen kontroversen Regisseur hätte man eher erwartet, dass er gerade bei dieser Thematik alles in Schutt und Asche legt.
Stattdessen erzählt er uns schnörkellos die Lebens- und Leidensgeschichte des Messias und äußert sich in seiner Kompromisslosigkeit immerhin dadurch, dass er nahezu ausschließlich Laien-Darsteller anheuert und auf unnötigen Glanz, prätentiösen Pathos und vor allem auf eine überhöhte Darstellung der Jesus-Figur, zugunsten einer menschlicheren Ausführung, verzichtet. Somit bleibt es womöglich immer noch die bodenständigste und ungeschmückteste Variante, weil Pasolini letztens Endes der Mann mit dem ungeschönten, realitätsnahen Blick war, bei dem sogar die Szenen der Kindermorde von Herodes wie festgehaltene, dokumentarische Aufnahmen wirken. Filmisch betrachtet, ist man dieser Zeit kaum jemals so beängstigend nahe gewesen. Und man vergesse nicht den ungewöhnlichen Soundtrack, bei dem vielleicht der größte Anteil an Originalität liegt: Mozarts Themen paaren sich mir russischen Volksliedern, Odettas vom Blues durchtränkten Spirituals treffen auf afrikanische Kongo-Rhythmen.

20. November 2013

SCHANDE

Anna Maria Monticelli  (Australien, Südafrika, 2008)
Coetzee-Verfilmung mit John Malkovich in der Hauptrolle; so etwas muss nicht unbedingt schlecht sein. Malkovich schlüpft hier in die Figur des Professors Lurie an der Universität in Kapstadt, der eines Tages seine Studentin verführt. Die Sache gelangt an die Öffentlichkeit, Lurie verliert seinen Job, lässt sich bisheriges Leben hinter sich und reist zu seiner Tochter (Jessica Haines), die abgeschiedenen auf einer Art Farm lebt und eine Hundepension betreibt. Der erhoffte Neuanfang wird für Lurie jedoch schnell zunichte gemacht, als er mit seiner Tochter von drei Jungen Männern überfallen wird. Sie wird vergewaltigt, während er niedergeschlagen, weggesperrt, mit Brennspiritus übergossen und in Brand gesetzt wird und den Rest des Filmes die Spuren der Misshandlung mit sich tragen darf.
Malkovich ist von nun an ein zerlumptes Wrack mit Verband am Kopf und zerfetztem Gesicht. Der alte Stolz des Professors ist verschwunden und mit großer Mühe versucht er seine Tochter davon abzuhalten, auf die Farm zurückzukehren und das gleiche Leben weiterzuführen, also wäre nie etwas geschehen. Damit sich der erzählerische Kreis schließt, kommt in ihm der Gedanke einer Versöhnung mit der Familie der von ihm verführten Studentin, worauf er zu ihnen reist, um sich für seine Tat zu entschuldigen.
Kein schlechter Film, diese J.M. Coetzee-Verfilmung, sogar ein ziemlich guter, weil er sich mit leisen Landschaftsaufnahmen heranschleicht und mit noch leiserem Erzählstil brilliert. So haben die Gewaltszenen genug Freiraum, um durch kleine, verstörende Akzente im Gedächtnis zu bleiben. Denn die Kunst bleibt hier, den subjektiven Blick zu bewahren, mehr anzudeuten und ungezeigt zu lassen, um als Zuschauer stets an Malkovichs Seite zu verharren. Wenn er eingesperrt in der Toilette hockt und man bloß hört, aber nicht sieht, wie die Bande draußen die Hunde seiner Tochter erschießt, dann ergänzt man die entsprechenden Bilder bloß hilflos im Kopf. Und so ein Zuschauer-bezogener, narrativer Freiraum ist ein filmischer Segen.

19. November 2013

DER NACHTPORTIER

Liliana Cavani  (Italien, 1974)
Charlotte Rampling oben ohne und doch halb in Nazi-Uniform gekleidet, Marlene Dietrich-Lieder trällernd und dabei ein skurriles Cabaret abgebend. Das sind jene Bilder, die unsere Vorstellungen von Cavanis Film seit je her prägen und wenn man den Film dann irgendwann doch noch zum ersten Mal zu sehen bekommt, wundert man sich fast schon wieder, wie wenig das alles mit dem erwarteten Naziploitation-Genre zu tun hat, bloß weil der Film immerzu dermaßen plakativ reduziert wird. Das geht so weit, dass man sogar von ihm enttäuscht sein könnte, weil er in seinem Ganzen doch etwas anderes ist, oder einfach nur mehr zu bieten hat. Er kämpft nämlich nicht nur mit dem KZ-Trauma, sondern ist so unverschämt, gleichzeitig eine Liebesgeschichte zu erzählen. Oder die Geschichte einer Beziehung; das trifft es wohl eher. Die absonderliche, gar krankhafte Abhängigkeit zweier Menschen, als beispielhafte Opfer einer Zeit, die bei beiden unauslöschliche und somit prägende Spuren hinterlassen hat.
Er (Dirk Bogarde), ehemaliger SS-Offizier im Konzentrationslager und mittlerweile Nachtportier eines Wiener Hotels, sie (Charlotte Rampling) ehemaliger Häftling des selben KZs, die lange nach dem Krieg zufällig in dem Wiener Hotel anreist. Beide erkennen einander sofort: Alte Narben reißen wieder auf, Schreckensbilder von damals gelangen ins Bewusstsein, weisen aber auf die damalige, gegenseitige Abhängigkeit hin, die sich in sadomasochistischer Tendenz äußerte. Ein krankhaftes Verhältnis von KZ-Wächter zur Inhaftierten, und selbst jetzt verfallen die beiden wieder einander, müssen sich jedoch abschotten, um keinen Ex-Nazis in die Hände zu fallen.
Und plötzlich wirkt der Film wie eine Mann/Frau-Geschichte, ein Drama zweier Darsteller. Es nützt jedoch nichts, sich darüber aufzuregen, dass die Hintergrundkulisse (die NS bzw. KZ-Thematik) so provokativ gewählt wurde, denn so einfach ist das alles nicht, weil die Vergangenheit alles überrollt und selbst wenn sich die Zustände von damals längst geändert haben, hinterlässt diese wahnsinnige Zeit ihre drastischen Spuren. Der Mensch, für alle Zeiten gezeichnet, erholt sich nie von zugefügten Wunden, kann sich der neuen Welt bzw. den neuen Umständen nicht anpassen; eher verreckt er.
Nachdem die Kriegstrümmer beiseite gekehrt wurden, herrschte auch im italienischen Film Aufbruchstimmung. Deswegen fügt sich Cavanis Film in die darauffolgende Tradition ein, nicht mehr in zerbombten Städten herumzuhausen, sondern sich auf eine drastische Weise mit dem Faschismus bzw. Nationalsozialismus auseinanderzusetzen. Mit Visconti, Bertolucci oder Pasolini war Liliana Cavani damals in keiner schlechten Gesellschaft.

15. November 2013

WENN DIE GONDELN TRAUER TRAGEN

Nicolas Roeg  (Italien, Großbritannien, 1973)
Roeg scheint ein vielseitiger Regisseur zu sein, wenn man sieht, dass dieser schaurige Klassiker sich in der filmischen Chronologie zwischen seinem Australien-Outback-Film "Walkabout" und dem Sci-Fi-Urgestein "Der Mann, der vom Himmel fiel" drängt. Und Daphne Du Maurier scheint eine ebenso vielseitige Lieferantin für fesselnde Buchadaptionen gewesen zu sein. Wir kennen sie spätestens seit Hitchcocks "Rebecca" und "Die Vögel", und in den 70ern war sie eben dafür verantwortlich, dass man seit diesem Roeg-Film ungern einen Fuß in Venedig aufsetzte, und wenn doch, dann mit einem gewissen Unbehagen und ohne jemals die ausgetretenen Touristen-Pfade zu verlassen.
Bevor wir uns aber in den verwinkelten Ecken Venedigs restlos verirren dürfen, sorgt Roegs Film zunächst für Aufsehen durch seine endlos wirkende Liebesszene zwischen dem Protagonisten-Pärchen; Donald Sutherland (als Kirchen-Restaurator, John Baxter) und seiner Ehefrau, gespielt von Julie Christie; beide mit ähnlichen Frisuren auf dem Kopf, nebenbei bemerkt. Ein weiteres Motiv, das filmische Spuren hinterlassen hat (vor allem wer sich für Farbsymbolik interessiert), ist die kleine Tochter im roten Mantel, die beim Spielen in einem Teich ertrinkt.
Der harte Schnitt nach diesem dramatischen Zwischenfall schwenkt die Handlung direkt nach Venedig, wo Baxter eine alte Kirche restaurieren soll, während seine Frau den Tod ihrer Tochter zu überwinden versucht. Schon bald lernt sie dort zwei ältere, schottische Damen kennen; eine von ihnen blind und dennoch mit seherischen Fähigkeiten ausgestattet, so dass sie in der Lage ist, mit der verstorbenen Tochter in Kontakt zu treten. Baxter will von diesem parapsychologischen Unfug nichts wissen, hängt lieber auf den hohen Gerüsten und passt Mosaiksteinchen in die beschädigten Heiligenbilder, während sich seine Frau immer tiefer in den labyrinthischen Gassen Venedigs verliert und sich in nächtlichen Sitzungen mit den gespenstischen Damen ihrer toten Tochter zu nähern versucht.
Abermals wird Venedig in einen rätselhaften, morbiden Ort verwandelt, der noch mysteriöser und verschleierter erscheint als bei Thomas Mann bzw. Luchino Visconti und wenn die Kamera die Tauben aufscheucht und blitzartig ihren Flug mitverfolgt, wird es für einen Augenblick doch noch schön. Schauderhaft-kühl und ungemütlich beklemmend bleibt es hier dennoch; schließlich handelt der Film von entlarvenden, durchdringenden Blicken, die sich nicht von pittoresken Kulissen beirren lassen.

13. November 2013

BLUE JASMINE

Woody Allen  (USA, 2013)
Woody zögert bei seinem letzten Film nicht lange herum, schmeißt uns direkt in die Handlung hinein, nutzt dabei die Methode der ständigen Rückblenden und beleuchtet auf diese Weise die Entwicklung seiner Hauptfigur. Jasmine lernen wir in der Vergangenheit als verwöhnte, Manhattan'sche Upper-Class Lady kennen, die bloß ihrem Ehemann (Alec Baldwin) hinterherhechelt und alles blind unterschreibt, was er ihr vor die Nase hält. Parallel dazu gibt es die Szenen der Gegenwart: Eine gefallene und geschlagene Jasmine, die mittlerweile ihr gesamtes Vermögen verloren hat, als ihr Mann wegen Betrugs hinter Gittern landete.
Die mittellose Jasmine reist (immer noch First Class!) nach San Francisco, um bei ihrer Schwester Ginger (ebenso ganz großartig: Sally Hawkins) unterzukommen. Das Tennessee Williams-Motiv aus "Endstation Sehnsucht" wird aufgegriffen: Die ehemalig gut-positionierte Heldin findet bei ihrer in einfachen Verhältnissen lebenden Schwester ein Dach über dem Kopf. Damit prallt sie gegen eine Parallelwelt, versucht aber dennoch, den früheren Status nach außen hin zu wahren. Kapitalismus und Klassenunterschiede werden hier ganz groß geschrieben. Aus der Luxusvilla wird eine einfache Mietwohnung, statt Sekt-schlürfender Vorzeigefreunden, umgibt sie sich mit einer dusseligen Schwester, die als Kassiererin arbeitet. Bloß gibt es hier keinen Marlon Brando, sondern die Figur des grobgehobelten Chili, der an Gingers Rockzipfel hängt; ein völlig inakzeptabler Mitmensch für unsere Heldin.
Das wahre Leben greift nach Jasmine; Frisco als neuer Ort und der ruppige Bekanntenkreis ihrer Schwester entblößen sie bis auf Haut und Knochen. Sie erkennt sich selbst als naiven, völlig unerfahrenen Menschen, der plötzlich selbst einen völlig neuen Lebensplan aufstellen muss, um für seine Brötchen aufzukommen. Auf einmal findet sie sich zwischen Job und Studium wieder, wird aber gleichzeitig von Gingers Mitmenschen eingekreist, denen sie lediglich einen abwertenden Blick zuwerfen kann.
Woody entwirft eine Fallstudie, wo sich der Sack immer fester zuschnürt und sich seine gebeutelte Heldin langsam aber sicher dem Abgrund nähert. So sehr aber auch diese Frau gefühlsmäßig ausgewrungen wird, bis von ihr bloß noch ein vor sich hin murmelndes Häufchen Elend übrig bleibt; gelacht darf trotzdem werden bei diesem Film, sogar mehr als bei Woodys beabsichtigten Vollzeit-Komödien, weil der Humor hier keinem die Tür einrennt.
Wie bedauerlich, dass der nächste Woody Allen-Film wieder nur akzeptabel bis hundsmiserabel ausfallen wird. Die die Tendenz stimmt wirklich, wenn man sich seine Filmographie vergegenwärtigt, wo in den letzten Jahren ein ständiger Wechsel von gut-schlecht-gut-schlecht aufzufinden ist. Und gerade jetzt kollidieren mit "To Rome with Love" und "Blue Jasmine" zwei qualitativ dermaßen gegensätzliche Filme, dass einem Angst und Bange wird, wie unberechenbar und undurchschaubar das Woody-Gesamtwerk ist.
"Blue Jasmine" ist nicht nur ein guter Film; er lässt einen vor allem ernsthaft darüber grübeln, wann es bei Woody letzten Mal eine dermaßen facettenreiche Figur gab, wie die der Jasmine und wie oft oder wann überhaupt bei diesem Regisseur eine Schauspielerin so herausgefordert wurde wie Cate Blanchett, die sogar Langzeit-Musen wie Diane Keaton und Mia Farrow in Frage stellen lässt.
Momentan ist alles gut.

10. November 2013

PASOLINIS TOLLDREISTE GESCHICHTEN

Pier Paolo Pasolini  (Italien, 1972)
Pasolinis "Trilogie des Lebens", zu der auch dieser Film dazugehört, ist in seiner Gesamtheit vielleicht das prägendste oder gar das charakteristischste was den italienischen Provokateur je hervorgebracht hat. Wenn auch nicht unbedingt das Beste. Denkt man an Pasolini, erscheinen an erster Stelle blitzartig Bilder aus dieser Vielzahl an unterschiedlichen Episoden, etwa seine Vorliebe für afrikanische Wüsten-Schauplätze, die sich tummelnden Menschenmassen, die historischen, theaterhaften Kostüme und nicht zuletzt die märchenhaften, spitzbübischen Geschichten mit moralischem Ausklang. Die "tolldreisten Geschichten" als Adaption der "Canterbury Tales" von Geoffrey Chaucer versacken da jedoch ein wenig in einem Gewühl an wenig ausgereiften Stories und versumpfen in einem höchst unruhigen Erzählfluss.
Was den Film rettet sind die für Pasolini untypischen Schauplätze Südenglands. Er spielt selbst den Chauser, der mit anderen Reisenden nach Canterbury zieht. Während der Reise werden alte Geschichten ausgepackt, voller wollüstiger Verzierungen und fieser Intrigen. Was hängen bleibt ist etwa die amüsante Episode um die zwei jungen Burschen, die von einem Müller  angeheuert werden und des Nachts heimlich über seine Tochter herfallen und sich ebenso mit seiner Gemahlin im Bett vergnügen, um sich am Ende in völliger Dunkelheit auch unter des Müllers Bettdecke zu verirren, was einen allgemeinen Tummelt und Aufschrei verursacht.
Gegen Ende des Filmes gibt es dann auch noch den Riesenteufel, der aus seinem Hinterteil kleine Mönche scheißt und damit verfrachtet Pasolini sein filmisches Produkt endgültig in vulgär-alberne Sphären.

7. November 2013

MAMMA ROMA

Pier Paolo Pasolini  (Italien, 1962)
Nach Pasolinis delikatem Erstlingswerk "Accattone" war es für Italien alles andere als einfach, sich beim nächsten seiner Filme, ganz mühelos den Angstschweiß von der Stirn zu wischen. Seitens Regisseur gab es auch gar keine Absichten für Versöhnungen oder zugefügte Wunden heilen zu wollen. Das entfachte Skandalpotential sollte am Leben erhalten werden und Pasolini weiterhin als das Schreckensgespenst unter den Filmemachern in Erinnerung bleiben.
Das Prostituierten-Milieu wird auch hier erneut betreten, dieses Mal wird jedoch Franco Citti in den Hintergrund gestellt, um für Anna Magnani als allseits bekannte Prostituierte, Mamma Roma Platz zu machen. Sie möchte sich von ihrer schäbigen Vergangenheit befreien und von ihrem Gesparten ein neues, sauberes Leben in Rom in Angriff nehmen. Sie schleppt ihren 16-jährigen Sohn Ettore (Ettore Garafolo) mit; schmiedet schon selbst Pläne für seine Zukunft und überwacht ihn mit strengem Auge, um ihn von dem Gesindel auf den Straßen fernzuhalten.
Doch einmal Prostituierte heißt für immer Prostituierte: Der Zuhälter Carmine (Franco Citti) klopft eines Tages wieder an die Tür, denn alte Rechnungen stehen noch offen; Mamma Roma landet vorübergehend wieder auf dem Strich. Währenddessen streicht ihr Sohn mit neugewonnen Freunden durch die Vorstädte Roms herum; ein Bande aus üblen Halunken und Müßiggängern. Er lernt dann ein Mädchen kennen, die sich ebenfalls in der Gegend herumtreibt, doch bevor etwas ernsthaftes zwischen den beiden entflammen kann, stellt sich schon Mamma Roma zwischen die beiden Liebenden, weil sie als Mutter natürlich am besten weiß, wer für ihren Sohn die richtige Frau ist. Um ihn auf andere Gedanken zu bringen schickt sie ihn sogar zu einer befreundeten Hure.
Der Mutter/Sohn-Konflikt gerät aus den Fugen; die Mutter kann ihre Vergangenheit nicht bewältigen und der Versuch, ihren Sohn vom Übel dieser Welt fernzuhalten, bringt ihn geradewegs ins Verderben und endet mit einer Katastrophe. Der junge Ettore leidet unter dem im vorbestimmten und von ihm selbst ungewollten Lebensweg, dem erzwungenen Verzicht auf die Frau, die er wollte und unter der Herrschaft seiner Mutter und deren fragwürdigen Vergangenheit, so dass er geradewegs auf einen tiefen Abgrund zuläuft. Pasolini lässt seinen jungen Helden ziellos zwischen den tristen Plattenbauten herumtorkeln und schließlich sogar in gekreuzigter Pose einsam verrecken.
Mag sein, dass Pasolini erst später seine eigene und noch viel krassere Handschrift gefunden hat und sich bei seinen allerersten Filmen noch sehr an die Bildsprache des Neorealimso dranhängt, wenn etwa Ettore in den gedehnten Szenen wortlos zwischen dem Beton der modernen Mietwohnungen und den ewigen Steinruinen Roms umherirrt. Rein erzählerisch gesellt sich "Mamma Roma" sicherlich zu seinen besten Filmen.