12. Oktober 2013

THE TREE

Julie Bertuccelli  (Australien, Frankreich, Italien, Deutschland, 2010)
Filme aus Down Under, die ebendort angesiedelt sind, bekommt man eh schon verhältnismäßig selten zu sehen und dann ist es noch einer, der sich heimlich und behutsam von den Leinwänden davongeschlichen hat und mittlerweile auf DVD-Wühltischen im Sonderangebot zu finden ist. Zu Unrecht, wohl bemerkt, weil er ein wirklich schöner Film ist, von dem man nicht viel erwartet hätte, ihm aber dennoch Qualitäten zusprechen muss.
Das australische Outback ist hier Heim und Heimat von Familie O'Neil, einem glücklichen Ehepaar samt vier Kindern. Doch das Familienglück währt nicht lange, weil der Vater am Herzinfarkt stirbt und das Familiendrama somit eröffnet ist.
Seine Frau Dawn (die immer herrlich wehleidige Charlotte Gainsbourg) trauert in unterschiedlichen Phasen, irgendwo zwischen aussichtsloser Verzweiflung und einer quälenden Depression, die sie ihre eigenen Kinder vernachlässigen lässt. Ihre kleine Tochter Simone ist zudem in einem bockigen Alter und will den Tod ihres Vaters und ein weiteres Leben ohne ihn nicht akzeptieren. Dass ihre Mutter zu all dem den hilfsbereiten George (Marton Csokas) als Vaters Platzeinnehmer an sich heranlässt, ist für die starrköpfige Tochter völlig inakzeptabel.
Über all dem ragt der gigantische Baum wie eine Krake, die mit ihrem widerspenstigem Wurzelwerk die Fangarme ausbreitet, um die Kanalisation und die Fundamente zu beschädigen und die Gartenzäune der Nachbarn zu zerstören. Je näher sich Dawn und George kommen, desto spürbarer scheint sich der Baum zu rächen, in dem er zunehmend mit der Wucht seiner abgebrochen Ästen ins Innere des Hauses eindringt, als würde er auf vergangene Momente hindeuten, die zu verblasen drohen.
Es mag vielleicht etwas banal erscheinen, die Natur als Symbol für ein verstorbenes Familienmitglied zu verwenden, aber schön ist es dennoch anzusehen, wenn Simone den Baum wie einst ihren Vater fest umklammert und mit ihm redet, während sie in seinem Geäst sitzt. Und weil der Baum schließlich kurz davor steht, gefällt zu werden, damit er nicht noch mehr Schaden anrichtet, veranlasst ihn das, sich an seinen Schändern zu rächen. Er wird zum eigenständigen, lebenden Charakter, der seinen Zorn walten lässt, der Widerstand leistet, der urteilt und bestraft.
Es ist eine traurige Fabel, die sich dank ihrer visueller Konsequenz und der naturbezogenen Symbolik auch im Medium des Animationsfilms gut machen würde. Julie Bertuccelli erzählt mit einer märchenhaften Leichtigkeit und entdeckt die narrative Ruhe für diese äußerst klar und logisch aufgebaute Geschichte. Es gelingt ihr sogar weitgehend, die schwülstig-weinerlichen Klavier/Cello-Untermalungen einzugrenzen, wie sie sich bei Filmen dieser Art gerne einschleichen.
Bertuccelli steht noch in den Anfängen; es kann also noch viel Besseres kommen, aber für ihre bereits vorhandene Reife war die Zusammenarbeit mit Otar Iosseliani, Krystof Kieslowski und Bertrand Tavernier als Regie-Assistentin, sicherlich nicht ganz unbedeutend.

Keine Kommentare: