16. Oktober 2013

DER EISKALTE ENGEL

Jean-Pierre Melville  (Frankreich, 1967)
Melvilles Film heißt im Original "Le Samouraï", das passt zu Alain Delons Figur vielleicht auch etwas besser, man denkt dabei aber auch eher an das Kino des fernen Ostens, beim „eiskalten Engel“ hingegen mittlerweile leider an eine verblödete HighSchool- Schmarotte. Filmtitel hin oder her, jedenfalls haben wir dem großen Melville zu verdanken, Delon in einer seiner markantesten Rollen sehen zu dürfen, nämlich als keinen geringeren als den Auftragskiller, Jef Costello. Ohne Schirm, ohne Charme und ohne Melone, dafür mit Waffe, stark unterkühlter Erscheinung, Trenchcoat und Hut. Er ist ein einsamer, wortkarger Wolf mit versiffter Mietwohnung und einem Vogel im Käfig als einzigen Freund und Bedrohungs-Barometer. Costello ist der Typ, der die Drecksarbeit für andere ausführt, sich bei Bekannten Alibis verschafft, Autos knackt und schließlich für einen brenzligen Auftrag einen Nachtclub-Besitzer erschießt. Zusammen mit mehreren anderen Verdächtigten landet er auf der Polizeiwache und Melville zeigt uns hier in detailbesessener Manie eine typische Gegenüberstellung von Zeugen, die sich einbilden ein Gesicht wiederzuerkennen und mehrerer, beinahe identisch angezogener, grimmig dreinschauender, potenzieller Täter. Lauter Hüte und Trenchcoats, die öfters ausgetauscht werden; Melville inszeniert das Spektakel wie eine Film-Noir-Modenschau.
Anstatt, dass sich der Nebel endlich mal lichtet, wird es für Delon immer undurchsichtiger, weil er plötzlich zwischen zwei Fronten gerät. Wegen seinem Polizeiverhör bekommen seine Auftraggeber kalte Füße und versuchen ihn zu beseitigen, gleichzeitig wird jede seiner Bewegungen von der Polizei überwacht. Delon ist auf der Flucht durch ein finsteres, ungemütliches Paris, ohne Vertrauenspersonen, ganz alleine, überall lauert etwas oder jemand; schnell und clever muss er handeln, wenn er nicht erwischt werden will.
Die französische Hauptstadt wird zu einem Irrgarten aus finsteren Sackgassen, die U-Bahn als Beförderungsmittel und die verwinkelten U-Bahn-Unterführungen gleichen einem verworrenen Spinnennetz. Man möchte mit Delon um keinen Preis tauschen, ihm lieber bei der Flucht zuschauen und zu Hause warmen Tee trinken. Aufwärmen muss man sich ohnehin, weil Melville hier einen stimmigen Film abgeliefert hat, der deutlich unter dem Gefrierpunkt liegt.

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