20. Oktober 2013

TEOREMA – GEOMETRIE DER LIEBE

Pier Paolo Pasolini  (Italien, 1968)
Terence Stamp, der in einem Liegestuhl sitzt, der Rimbaud-Gedichte liest, der verhältnismäßig wenig tut, sondern mit bloßer Anwesenheit diese eh schon außergewöhnlichen Bilder verziert; passiv, ruhend und zurückhaltend. Hinter ihm die Luxusvilla einer großbürgerlichen, italienischen Familie, die er besucht. Keiner weiß wieso er überhaupt hier ist, er kam aus dem Nichts, war plötzlich da. Nur ein Telegramm kündigte seine Ankunft an. Der Familienvater, ein Industrieller, liest diese Nachricht, während seine Familie bei gemeinsamer Mahlzeit um ihn versammelt ist.
Stamps Figur ist ein einziges Mysterium, das für Unruhe sorgt, eine Bedrohung für die geordneten Verhältnisse, weil plötzlich alle Familienmitglieder samt der Haushälterin vollkommen in seinem Bann stehen. Eine teuflische Verführung, an der jeder zerbricht, durch die jeder eine persönliche Wandlung durchmacht. Nach der Abreise des rätselhaften Gastes offenbart sich eine schmerzende Leere. Der Unbekannte hinterlässt Chaos, Einsamkeit, Sehnsüchte, Leiden und seelische Qualen. Jede Figur kämpft ihren eigenen, persönlichen Kampf, hinterfragt plötzlich die ihr bisher zugeteilte Rolle in den gesellschaftlichen Zwängen. Statt eine reinwaschende Befreiung anzusteuern, führt die Selbstreflektion zum Wahnsinn und Hurerei (Silvana Mangano ganz großartig!), zur Flucht in eine künstlerische Selbsttherapie, zur religiös-meditativer Enthaltsamkeit und zur Distanzierung vom jeglichem Besitztum bis zur vollkommener Nacktheit.
Morricone und Mozart begleiten diese unheilanrichtenden Bilder, kontrapunktieren die Handlung oder betonen den dramaturgischen Rhythmus und heben den visuellen Erzählfluss in völlig entlegene Spähren.
Der interessanteste, ungewöhnlichste und vielleicht schönste Film der letzten Zeit, denn Pasolini erzählt wie kein anderer, in einer schwindelerregenden Filmsprache, als würde er in die Lüfte steigen, um an der Himmelspforte anzuklopfen und gleichzeitig einem die Hand auf die Schulter legen und damit eine beängstigende, unmittelbare Nähe erschaffen.

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