3. Oktober 2013

RYANS TOCHTER

David Lean  (Großbritannien, 1970)
David Lean war ein visueller Ästhet und Verfechter der narrativen Langsamkeit wie kaum sonst jemand, weil er fast jedes Mal für seine opulente Bildsprache enorm viel Spielzeit zur Verfügung hatte, so dass er jede banale Geschichte zu einem gigantischen Epos aufblasen konnte.
Auch in „Ryans Tochter“ hält er sich eisern an das altbewährte Schema, doch dieses Mal legt er sich selbst eine Schlinge um den Hals, weil das Bauwerk auf wackeligen Säulen getragen wird. Denn was hier episch wirkt, ist im Grunde nur eine kleine Geschichte, über Rosy (Sarah Miles), die Tochter eines Wirts in einem irischen Küstendorf, die sich in ihren ehemaligen Lehrer Charles (Robert Mitchum) verliebt, so dass beide heiraten, sie aber schnell unglücklich wird, weil es ihrer Meinung nach nicht alles sein kann, was man vom Leben erwarten kann. Der Alltagstrott schwindet jedoch bei Ankunft des Major Doryan (Christopher Jones), eines vom Kriegstrauma gebeutelten und körperlich geschwächten Frontveteranen, in dem Rosy sofort eine Abwechslung von ihrem unerfülltem Eheleben erkennt.
David Lean zeigt sich von da an, von einer ungemein sensiblen Seite, weil er die beiden, heimlichen Liebenden von der Wucht der unberührten Natur Irlands umschließt. Die ohnehin schon beeindruckenden Bilder treibt er mit seinen Naturmetaphern vollkommen auf die Spitze. Visuelle Poesie und Schönheit überlagern sich nur noch, erreichen die Schwelle zum Kitsch und es fallen wenige Worte, bloß Bilder und noch mehr Bilder. Diese Liebe, die so nicht sein darf bringt natürlich katastrophale Konsequenzen mit sich, weil die Dörfler so etwas nicht dulden, und im letzten Drittel legt der Regisseur den Schwerpunkt auf brechend volle Massenszenen. In der Inszenierung hat das schon etwas Musical-artiges, wenn das gesamte Dorf gemeinsam voranschreitet, bloß wird nicht gesungen; für die Musik ist sowieso schon Maurice Jarre zuständig, was dem Film ungemein schadet. Jarre übergießt diese perfekte Optik mit einer musikalischen Brühe aus altmodischer Heiterkeit und militärischem Drill. Bilder, die so stark sind, verlieren an Wirkung und Kraft. Warum ein David Lean so etwas Grausames duldet und die Zerstörung seines eigenes Werkes fördert, bleibt völlig schleierhaft.
Was für ein Mensch mag wohl David Lean gewesen sein, dieser hochsensible und talentierte Maler wuchtigen Filmbilder? Er drehte nicht sehr viele Filme, aber hinterließ viele und vor allem sehr tiefe Spuren. Man mag im erzählerischen Überschwang, Pathos und Kitsch vorwerfen und wahrscheinlich sind seine drei großen, filmischen Monumente (die Kwai-Brücke, Lawrence und Schiwago), wenn man sie zusammenbündelt, inhaltlich bei Weitem besser und weniger trivial als dieser Irland-Film, der tatsächlich Ähnlichkeiten zur Flauberts Bovary-Thematik aufweist.
Aber auch wenn dieser Film an den Kinokassen floppte und Lean lange danach keinen Film mehr drehte, ist Eines sicher wie das Amen in der Kirche: „Ryans Tochter“ ist ein ebenso großes Erzählkino, das sich mit seiner perfekten Bildsprache, in der damals innovativen New Hollywood-Konkurrenz vor Nichts verstecken muss und sogar seine anderen, berühmteren Filme überragt.

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