22. Oktober 2013

DECAMERON

Pier Paolo Pasolini  (Italien, 1970)
Boccaccio und Pasolini waren beide Provokateure ihrer Zeit, deswegen sind diese mittelalterlichen Hirngespinste wie gemacht für den italienischen Regisseur. Da man eine solche Fülle an verschiedenen, kurzen Anekdoten nur in angedeuteten Episoden bewältigen kann, ist Pasolini auch hierfür der richtige Mann, weil er die Episoden-Form ebenso meisterhaft beherrschte wie die ausgedehnte Spielfilmlänge.
Er presst hier diese schlüpfrig-skandalösen Geschichten in ein narratives Muster, welches die klaren Grenzen der Episoden sogar verwischen lässt, weil alles ineinander zu greifen scheint; es ist ein Geflecht aus längeren und kürzeren Handlungssträngen. Mal tragisch, mal komisch, mal skurril und voller Doppelbödigkeiten, Schweinekram und märchenhafter Moral. Manches endet abrupt, um doch wieder aufgegriffen zu werden, wie etwa die immer wieder fortgesetzte Geschichte über den Fresken-Maler und Giotto-Schüler (Pasolini in Person!), der so vertieft in seine Arbeit ist, dass er sogar seine gemeinsame Mahlzeit mit den Gehilfen und den Auftraggebern in voller Hast mit schnellen Happen hinunterwürgt, um sich so gleich wieder der Arbeit hinzugeben.
Man muss jetzt auch nicht auf alles im Einzelnen eingehen; man könne erwähnen, dass Pasolinis Muse Franco Citti wieder dabei ist und ebenso die wunderbare Silvana Mangano in einer kurzen Traumsequenz als heilige Madonna.
Der Film protzt vor Schwung und Inbrunst, ist voller komödiantischer Zeitraffer-Aufnahmen, zitternder Handkameras, Zitate aus der bildenden Kunst und gleicht in seiner Verspieltheit einem erzählerischen Dickicht. Er versammelt die merkwürdigsten Menschentypen, Narren und Heilige, Bettler und Könige, alle von Italiens malerischen Landschaften eingehüllt, wo das ewige Zikaden-Zirpen, die brennende Sonne des Südens untermalt, wo in uralten, abgelegenen Klostern Unmoralisches geschieht, nur um doch noch den Bogen zu den kargen Wüstenlandschaften und den für Pasolini typischen, rustikalen Städten aus Sand und Stein zu spannen.
Es ist ein kleinteiliges Mosaik und doch ein einheitlicher Film, der nicht nur bloß von längst vergangenen Tagen zu erzählt scheint, sondern in seinen unpolierten Bildern den Anschein erweckt, tatsächlich in dieser alten Zeit gedreht worden zu sein.

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