18. September 2012

DIE GROßE ILLUSION

Jean Renoir (Frankreich, 1937)
All die Truffaut'schen Lobeshymnen auf Jean Renoir, vor dem er sein Leben lang auf die Knie fiel.. da muss ja was dahinterstecken, aber selbst wenn man einen Kopfstand macht, ändert das nichts an der Tatsache, dass "Die große Illusion" alt geworden ist. Am beeindruckendsten ist sicherlich der Fakt, in welcher brenzligen Zeit der Film entstanden ist. Der 1. Weltkrieg wird noch thematisiert, während die Nazis schon längst ihre Fahnen schwingen und der nächste Krieg an die Tür klopft. Jean Gabin als französischer Flieger, Pierre Fresnay als Offizier und Marcel Dalio mit jüdischer Herkunft kommt auch noch hinzu, alle stecken sie im Kriegsgefangenenlager, graben einen Tunnel, werden aber ins nächste Lager verlegt, bevor sie nur einen Fuß in den unterirdischen Gang setzen können und landen schließlich in einer mittelalterlichen, deutschen Festung, wo der Kommandant von Rauffenstein (Erich von Stroheim) das Sagen hat.
Gabin und Dalio können aber doch noch aus dem einschüchternden Massivbau entwischen, weil Fresnay mit einer Flöte auf den Zinnen hüpfend die Deutschen ablenken kann. Er bezahlt mit seinem Tod, aber verhilft seinen Kumpanen zur Flucht.
An dieser Stelle schafft es der Film mit den beiden Entflohenen endlich auch dem Militärdrill zu entfliehen, der den Großteil des Filmes überschattet und ihn so kühl und gefühlsarm erscheinen lässt. Die zwei Franzosen finden schließlich Unterschlupf bei einer deutschen Bäuerin (Dita Parlo), deren Ehemann im Krieg gefallen ist. Eine gemütliche Geborgenheit empfängt sie, gibt ihnen zu Essen und drückt ihnen ein Glas Milch in die Hand.Der politisch-militärische Kuddelmuddel muss nun Platz schaffen für echte Gefühle eines auftauenden Jean Gabins, der selbstverständlich ein Auge auf die Witwe geworfen hat. Das deutsch-französische Verhältnis wird von der menschlichen Seite angefasst (bzw. durchgeschüttelt). Die beiden Männer kümmern sich auch um die kleine Tochter der Frau und helfen artig beim Haushalt mit. Gabin, mit hochgekrempelten Ärmeln, macht sich einen Spaß daraus, dass er im Stall eine deutsche Kuh versorgen darf.
Diese krasse Zweiteilung lässt ein bisschen Sonnenlicht in den Film herein scheinen, aber der Bogen bleibt in beide Richtungen überspannt: Zuerst der kühle Drill, die blitzblanken Uniformen und die steifen Posen, dann die warme Stube vor Postkartenlandschaft, die einzige und natürlich hübsche Frau und der (für bäuerliche Verhältnisse) reich gedeckte Essenstisch. Hier prallen nicht nur zwei Welten, sondern auch zwei Filme aufeinander.
Immerhin hatte Renoir seherische Fähigkeit  bei der Wahl des Filmtitels bewiesen; denn wenn die zwei Männer im Schlussbild in die weite Landschaft hinauslaufen, bleibt der Begriff Freiheit doch nur eine Illusion. Jeder weiß, was danach kommen sollte.

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