27. Januar 2014

ONLY LOVERS LEFT ALIVE

Jim Jarmusch  (USA, 2013)
Jim Jarmusch und Vampire. Eine gewagte Genre-Erweiterung, potenzieller Reinfall, künstlerische Gratwanderung, ein Jonglieren am Abgrund, oder wie man auch sonst diese Skepsis bezeichnen mag. Es gibt so viele Namen für jene filmische Angst, die an bestimmte Erwartungen, bzw. an die Treue gegenüber einem Regisseur geknüpft ist. Man fürchtet sich so sehr von diesem Experiment, ohne überhaupt wahrzunehmen, dass man längst entspannt im Kino sitzt und sich nicht vor lauter Scham am Sitz festzukrallen braucht. Denn im Grunde ist alles ok.
Einer der beiden Hauptvampire ist hier Adam (Tom Hiddleston), der in einem Industrie-Viertel von Detroit lebt, das Haus nur nachts verlassen kann und deswegen in der gegenwärtigen Lebensphase zum Rock-Musiker wurde. Der comichafte Rocker-Vampir mit Vorbildcharakter für mürrische Indie-Kids, bleibt uns aber zum Glück verwehrt. Seine Villa ist eine Sammelstätte für jede Menge Instrumente, Schallplatten und angehäuftes Equipment. Jarmusch muss wohl selbst bei der Einrichtung aktiv mitgeholfen haben, schmückte gleich eine ganze Wand mit eigenen musikalischen und literarischen Vorbilder-Portraits. Das ist zwar schön anzusehen, aber auch ein bisschen zu viel von gut gemeinter Referenz aus persönlichen Akzenten.
Sehr weit weg von diesem Ort, im marokkanischen Tanger lebt Eve (Tilda Swinton), Adams große Liebe. Beide führen zu dem Zeitpunkt eine Fernbeziehung. Doch Vampire sind auch nicht gerne einsam, deswegen währt dieser Zustand nicht all zu lange. Sie treffen sich in Detroit wieder und Jarmusch erzählt plötzlich eine hübsche Liebesgeschichte über ein Außenseiter-Paar, das die Menschheit scheuen muss.
Bevor sich aus der erneuten Annäherung etwas wirklich Harmonisches entwickeln kann, klopft jedoch Eves Schwester Ava (Mia Wasikowska) an die Tür. Eine echte Nervensäge, die als aufgeschlossener Lolita-Vampir, trotzdem zu den Blutsaugern der alten Schule dazugehört, die sich lieber auf traditionellem Wege Nahrung beschaffen. Und so was führt natürlich zu Problemen.
Der gute, alte Vampir-Film ist ein sich aufdrängendes Genre-Kino, doch wenigstens müssen sich Jarmuschs Figuren nicht im klassischen Sinn durch die Handlung durchbeißen; dafür verweilen sie schon viel zu lange auf diesem Planeten. Sie sind längst ausgelaugt, vom jahrhundertlangen Existieren gezeichnet und haben gelernt, sich an die Umstände der verschiedenen Epochen halbwegs anzupassen, auch wenn ihnen die Einsamkeit ständig zusetzt. Jarmuschs beide Haupt-Vampire verfangen sich eben nicht mehr all zu gern mit den Zähnen in ihren Opfern. Hier wird auf das Morden, bzw. auf das Hineinbeißen in schmackhafte Kehlen, weitgehend verzichtet. Sie saugen lieber das Leben selbst aus, um das allernötigste daraus für sich selbst herausfiltern. Keiner macht sich unnötig die Hände bzw. die Zähne schmutzig; das Blut besorgt man sich lieber aus Reserven eines Krankenhauses oder lutscht an einem gefrorenen Blut-Klumpen am Stiel; das ist viel bequemer, stilvoller und für uns Zuschauer ungewöhnlicher, gar amüsanter. Was nach Stil und guten Manieren aussieht (z.B. das Schlürfen des Blutes aus edlen Weingläsern) ist aber auch Bequemlichkeit, die zur Lässigkeit dieser Figuren führt.
Jarmusch weiß, was er tut. Er verbeugt sich vor einem Genre, das schwer zu bändigen ist und kann darüber selbst auf seine lakonische Art schmunzeln, ohne die gängigen Klischees durch alberne Tricks zu belächeln. Er zeigt moderne Vampire mit iPhones, die online chatten müssen. Damit befreit er das Genre schon mal von seinem ewigen, sentimentalen Blick auf einen viktorianischen Blutsauger, der vor jeder Art von stilbrüchiger Aktualität bewahrt werden muss.
Und weil er ein geübter Filmemacher ist, legt er sich selbst Hürden, die er dann auch von eigener Hand wieder wegschafft: Die speziell angefertigte Pistolenkugel als Selbstmord-Werkzeug, mit der er zunächst seiner Handlungsarmut entgegenwirkt, verliert im Verlauf der Geschichte an Bedeutung und deutet lediglich auf den anfänglichen Gemütszustand von Adam. Jarmusch ist immer noch in der Lage, uns an der Nase herumzuführen.

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