25. Januar 2014

DAS IRRLICHT

Louis Malle  (Frankreich, 1963)
Louis Malle eröffnet seinen Film mit einer großartig fotografierten Szene zwischen Maurice Ronet und Léna Skerla, die gemeinsam im Bett liegen. Es sind die Augenblicke nach dem Liebesakt, wenn sich das Paar in all der schwarzweißen Herrlichkeit aus wissbegierigen Nahaufnahmen und ungewöhnlichen Anschnitten aneinanderschmiegt. Der Film verzichtet auch später niemals auf die Kraft seiner Bildsprache. Es geht auf gleiche, elegante Weise weiter, wenn der Ex-Alkoholiker, Alain Leroy (Maurice Ronet) im Sanatorium eine Entziehungskur macht und die Kamera jedes angehäufte Detail in seinem Zimmer sorgfältig mustert. Mitten drin, zwischen all den Fotos und sonstigem Krimskrams hängt der große Spiegel, dessen glatte Oberfläche zum allgegenwärtigen Kalender wird, auf den Alain den 23. Juli als geplanten Selbstmord-Tag draufgekritzelt hat. Der Spiegel spiegelt nicht bloß den Protagonisten wieder, dessen Gesicht von jenem Datum verziert wird, sondern wird zur Zielscheibe und zentralem Blickfang des Filmes. Gemeinsam mit dem Helden steuern wir auf den Tag Null zu. "Morgen bringe ich mich um" sagt er irgendwann zu sich selbst; und wir können nichts tun, als seine feste Absicht in aller ihrer Konsequenz zu akzeptieren.
Alain trinkt zu Anfang zwar nicht mehr, doch kämpft mit Depressionen, denn das Leben hat für ihn gewiss nichts schönes, wie es ihm sein Arzt beibringen will. Für ihn ist es eine pessimistische Welt und ein leeres Leben ohne Ziel. Alain bleibt trotz seiner festen Absicht, seinem Leben ein Ende zu setzen, ein ewig Suchender, der schließlich nach Paris fährt, um alte Bekannte, Freunde und verpuffte Liebschaften zu treffen. Das sind alles keine Suchenden mehr, denn sie sind längst "angekommen", oft in einem geregelten, bürgerlichen Leben, was für Alain unverständlich und verlogen erscheint. Sich einer Gesellschaft unterzuordnen ist für ihn keine Option mehr, die einzige Lösung ist, seinen eigenen Weg bzw. seine eigene Suche zu verkürzen und mit dem Suizid all dem ein Ende zu setzen.
Selten war Paris so schön und gleichzeitig so düster, unnahbar, gar stumm. Selbst in einem überfüllten Café, wo Alain bloß den Beobachter spielt. Die vielen Menschen, die um ihn herumsitzen oder an ihm vorbeilaufen, während Louis Malle die Kamera neugierig mitziehen lässt. Eine Frau, die mehrmals mit Alain Blickkontakt aufnimmt, den er nicht erwidert, weil er in seinem finsteren Gemüt längst weit weit weg ist und der ihn umgebenden Gesellschaft (selbst seinen Bekannten) bloß mit Gleichgültigkeit gegenübertreten kann. Das Wiedersehen mit alten Weggefährten bestärkt ihn bloß in seiner Absicht. „Ich töte mich, weil ihr mich nicht geliebt habt“. Und die Bilder bekommen noch mehr Tiefe, weil kein anderer als Erik Satie diese post-existenzialistisches Melodrama musikalisch untermalt.

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