9. Juli 2013

FAHRRADDIEBE

Vittorio de Sica  (Italien, 1948)
Herrlich, mal wieder so etwas zu sehen. Bringt einen direkt auf die Idee, die ganzen Neorealismo-Klassiker wieder auszupacken. Kaum ein Film eignet sich für die Eröffnung einer solchen filmischen Phase, wie de Sicas „Fahrraddiebe“.
Holen wir erstmal die Geschichte wieder ins Bewusstsein: Antonio lebt mit seiner Familie in Rom und bekommt nach längerer Zeit endlich wieder Arbeit als Plakatkleber. Ein Beruf, der jedoch den Besitz und Einsatz eines Fahrrads voraussetzt. Antonio musste sein altes Gefährt verpfänden und weil er auf keinen Fall auf das Jobangebot verzichten möchte, begibt er sich mit seiner Frau erneut zum Pfandleiher, wo sie mit ihrer einzigen Bettwäsche Abschied nehmen, um im Gegenzug das Geld für ein Fahrrad zu investieren.
Und an dieser Stelle beginnt der eigentliche Film. Das schwarzweiße Rom der Nachkriegszeit, begleitet von Alessandro Cicogninis melodramatischer Musik. Wir sehen Antonio, wie er sein Fahrrad gegen eine Wand lehnt, zum Pinsel greift und das Rita Hayworth-Plakat an die Mauer pinselt. Die Diebe und Kleinkriminellen lauern schon und einer von ihnen entwendet schließlich das angelehnte Fahrrad, fährt schnell davon und Antonio kann ihm bloß für kurze Zeit hinterherlaufen, bis der Dieb in dem Gedränge und den vielen Straßen Roms verschwindet.
So schnell gibt der Familienvater jedoch nicht auf, der Job ist schließlich überlebenswichtig, wenn die Familie nicht verhungern soll. Den Rest des Filmes durchstreift er mit seinem kleinen Sohn Bruno das endlose Rom. Jedes Fahrrad und jeder Fahrradfahrer wird dabei genausten inspiziert, doch Italiens Ewige Stadt nimmt kein Ende und die Suche nach dem richtigen Rad wird zu einer hoffnungslosen, völlig absurden Odyssee und der entwendete Drahtesel zur berühmten Nadel im Heuhaufen. Es kommt schließlich wie es kommen soll, wenn es in einer großen Stadt von Fahrrädern nur so wimmelt: Antonio wird in all seiner Verzweiflung selbst zum Dieb.
De Sica erzählt hier von seiner Heimat kurz nach dem zweiten Weltkrieg, als die Arbeitslosigkeit überall grassierte und der Mensch jede geldbringende Tätigkeit annahm, um seine Familie ernähren zu können. Doch kühl und schonungslos ist sein Film bei Weitem nicht; der harte Existentialismus wird zu einem Märchen voller Wärme. Dafür sorgen die beiden Hauptfiguren, die sich immer zu ergänzen wissen. Wenn der Vater resigniert, mit gesenktem Haupt umherirrt, flitzt sein Sohn energisch zwischen den Säulenhallen und beschatteten Kanalpassagen. Damit wird er zur Symbolfigur seiner eigenen jungen Generation, die sich nach einer sicheren Zukunft sehnt, so dass ein neuer Lebenswille die beiden Suchenden immer weiter zu ihrem unsicheren Ziel vorantreibt.
Rom bleibt hier ein labyrinthisches Hindernis voller unbekannter Seitengassen, weil de Sica seine Kamera bewusst von allen Touristen-Klischees weghält.
Ein großer Film. Und das wird er auch immer bleiben.

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