29. Juli 2013

DER SCHREI

Michelangelo Antonioni  (Italien, 1957)
Antonioni ist der Mann für karge Industrielandschaften, die oft als strenge Fabrikkonturen aus der italienischen Po-Ebene in die Höhe ragen. Er ist außerdem der Mann, der gerne die Zeit dehnt; er begleitet seine Figuren gerne während der gesamten Strecke, wenn sie von A nach B laufen sollen. Diese gedehnten "Spaziergänge" zur Selbstreflexion, gelingen ihm vielleicht nirgendwo so gut wie in "Der Schrei".
Hier wandern wir mit der tragischen Figur des Aldo (Steve Cochran) durch jene Gegend Italiens, die bis zum Horizont hin vollkommen flach bleibt und keinerlei Überraschungen oder Wendungen bereithält, die sich etwa hinter einem Berg oder Waldstück verstecken könnten. Der Handlungsort sagt dann auch schon alles über das Schicksal der Hauptfigur aus: so weit man blickt, gibt es keine Anzeichen auf eine Änderung oder einen Ausweg aus dieser endlosen Eintönigkeit.
Aldo verlässt zuallererst Irma (Alida Valli), mit der er eine Beziehung führte, bis sie eines Tages von dem Tod ihres Ehemannes erfährt und beschließt, auch mit Aldo Schluss zu machen. Aldo hat mit ihr eine gemeinsame Tochter Rosina, mit der er von nun an durch die Landschaft irrt. Beide landen bei seiner ehemaligen Liebe Elvia, die jedoch schnell wittert, dass Aldo sich bloß an ihrer Schulter ausheulen möchte. Vater und Tochter müssen auch diesen Ort hinter sich lassen und begegnet schließlich Virginia (Dorian Gray), die in dieser trostlosen Gegend eine Tankstelle betreibt. Als sich die beiden näher kommen, kann seine Tochter die neue Frau in den Armen ihres Vaters nicht akzeptieren. Aldo schickt daraufhin die kleine Rosina mit dem nächsten Bus zurück zu ihrer Mutter. An dieser Stelle haben wir auch eine der dramatischsten Szenen, wie der Vater dem davonfahrenden Bus hinterherläuft und seiner Tochter bessere, gemeinsame Zeiten verspricht. Mit Virginia sieht er jedoch auch keine Zukunft und verlässt sie kurzerhand, um anschließend bei der Prostituierten Andreina (Lynn Shaw) anzuklopfen, die er ebenso schnell wieder alleine zurücklässt. Aldo irrt dann nur noch weiter, bis er sogar an Orten aus seiner Vergangenheit wieder angelangt, wo Geborgenheit und Liebe ebenso wenig vorzufinden sind.
Dieses großartige Frühwerk von Antonioni ist eine Art Spätzünder des italienischen Neorealismo; er stürzt sich zwar auch auf die Problematik eines ziellos umherstreuendes Individuums, doch die Gründe sind nicht mehr offensichtlich den Folgen der harten Kriegszeit zuzuschreiben und der Regisseur geht auch weit über den simplen Existenzialismus hinaus, weil er das Portrait eines Mannes zeichnet, der in seinen zwischenmenschlichen Beziehungen versagt, als er bei dem Versuch, bei einer Frau den erhofften Halt zu finden, lediglich in die Einsamkeit getrieben wird.

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