16. Juni 2013

MUTTER KÜSTERS FAHRT ZUM HIMMEL

Rainer Werner Fassbinder  (Deutschland, 1975)
Den allmählichen wirtschaftlichen Aufstieg des Nachkriegsdeutschlands thematisierte Fassbinder in seinem Maria Braun-Film. Was danach aus Deutschland wurde, zu welchen komplexen Verzweigungen, menschlichen Schicksalen und persönlichen Tragödien es hinführte und mit welchen (politischen) Mitteln versucht wurde, diesen Problemen entgegenzutreten, das erzählt uns die Geschichte der Mutter Küsters vielleicht am besten.
Brigitte Mira darf hier Mutter Küsters spielen, denn wer sonst eignet sich so gut aus Fassbinders Ensemble für die Rolle einer älteren Frau aus einfachen Verhältnissen, die nur in Ruhe gelassen werden will und ihr eigenes, kleines, friedliches Leben leben möchte.
Sie sitzt zu Haue am Küchentisch, schraubt Steckdosen zusammen - ein Job, bei dem auch öfters ihr erwachsener Sohn (Armin Meier) mithilft -, als sie eines Abends erfährt, dass ihr Mann seinen Vorgesetzten und schließlich sich selbst umgebracht hat, weil mit Massenentlassungen in der Firma gedroht wurde.
Fassbinder zögert nicht lange herum und versetzt uns damit sofort den ersten Schlag und wir können nur noch zusehen, wie die gebrochene Mutter Küsters, immer deutlicher in die Öffentlichkeit tritt, zuerst gegen ihren Willen, als ihr die Presse die Wohnung einrennt, und schließlich mit Vorsatz, als sie merkt, wie ihr ein Reporter (Gottfried John) anfangs sein Vertrauen vorschwindelt, nur um einen verleumderischen Artikel über ihrem Ehemann zu verfassen.
Hilflos und einsam wie sie ist, wendet sie sich an das Kommunisten-Pärchen Karl (Karlheinz Böhm) und Marianne (Margit Carstensen), die die alte Frau mit offenen Armen empfangen, weil ihr verstorbenen Ehemann schließlich ein vorbildliches Zeichen für die Arbeiterbewegung gesetzt hat, auch wenn seine Mittel drastischer Art waren.
Die naive Mutter Küsters tritt sogar der kommunistischen Partei bei und rechnet damit, ihren Mann endlich von den publizierten Lügengeschichten reinwaschen zu können. Als sie die eigennützigen Interessen der Partei erkennt, wendet sie sich schließlich, völlig ahnungslos was sie da erwartet, an einen Anarchisten, der einen viel radikaleren Lösungsweg geht, als es ihr lieb ist.
Den endgültigen, katastrophalen Ausklang erzählt Fassbinder in eingeblendeten Zwischentiteln und stellt die selbstsüchtige Zuwendung der Partei und die anarchistische, blutfordernde Methode an den Pranger.
Letztendlich animiert er uns dazu, einen anderen Weg einzuschlagen, um einen persönlichen Frieden zu schließen und bietet uns sogar ein alternatives Ende (für die US-Version vorgesehen), bei dessen optimistischer Anmutung Mutter Küsters Bemühungen zwar ein völlig anderes, aber doch ein zufriedenstellendes Ziel erreicht haben.
Und Brigitte Mira... wie immer ganz groß. Eine Identifikationsfigur mit Küchenschürze, die aus allen restlichen, prominent besetzten Nebencharakteren deutlich heraussticht. Vielleicht ist das auch eher „ihr“ Film als „Angst essen Seele auf“.

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