17. Juni 2013

INFAM

William Wyler (USA, 1961)
William Wylers altes Lehrstück über den selbstsüchtigen Menschen, der zum eigenen Vorteil lügt, um sich selbst reinzuwaschen, völlig unbekümmert, wenn andere plötzlich darunter leiden müssen und eine erfundene Geschichte wie ein Lauffeuer in alle Richtungen sprießt, Verwirrung stiftet und große Opfer fordert.
Da es sich bei der Schuldigen um ein kleines Mädchen handelt, denkt man an diesen Film auch gerne zurück, wenn man in jüngster Zeit Vinterbergs „Die Jagd“ sehen durfte, der gewisse Parallelen zu Wylers Klassiker aufweist.
Wyler war eh ein großer Erzähler, dessen Filme den eigenen Schöpfer haushoch überragten; ein Regisseur der seltsamerweise immer im Schatten seiner eigenen Arbeit stand und dabei so viele unterschiedliche Klassiker schuf.
In „Infam“ geht es um eine Privatschule im konservativen Neuengland, die von Audrey Hepburn und Shirley MacLaine geleitet wird, wo erstmal alles rosig und harmonisch anfängt, so dass man sich fragt, was da außer einer sommerlichen Liebelei oder ein paar Gören, die ihre Hausaufgaben nicht machen wollen, überhaupt dieses friedsame Gleichgewicht stören könnte. Aber wie immer bei einem Wyler-Film, lohnt es sich abzuwarten und auch wenn man ihn schon zum siebten oder achten Mal sieht, kommt schließlich irgendwann die Figur der kleinen Mary (Karen Balkin) zum Einsatz, die zum Selbstschutz eine perfide Lüge erfindet, die beiden Lehrerinnen hätten zusammen ein Verhältnis.
Der Film ist von 1961 und kann nur andeuten, schweift aber deswegen auch in keine unnötigen, vulgären Nischen ab, sondern geht mit allem sehr subtil um. Tränen fließen bei den zwei Jungen Frauen dennoch mehr als genug, weil die kleine Mary standhaft bei ihrer Version bleibt und alle Erwachsenen an der Nase herumführen kann. Wenn man ihr Gesicht so aus der Nähe betrachtet, bekommt man selbst genügend Angst und glaubt, sie hätte den Teufel mit Haut und Haaren verschlungen, so gemeingefährlich wie sie einen mit ihrem Blick durchbohrt.
Der Skandal im Ort nimmt seinen Lauf, Hepburn und MacLaine sitzen schließlich einsam, verlassen und resigniert in ihrem Haus und der Zuschauer entwickelt tatsächlich so etwas wie eine grollende Abscheu gegenüber einem kleinen Kind. Das bringt uns geradewegs zu einem ganz anderen Genre, in dem Kinder dämonisiert wurden: Damien oder Regan hier zu nennen, bedeutet, sich ganz weit aus dem Fenster zu lehnen. Man hat sie trotzdem kurzzeitig vor Augen, auch wenn Mary aus „Infam“ zweifellos Konflikte von zwischenmenschlicher und gesellschaftlicher Größe auslöst und uns keinen Spuk verabreichen möchte.
Die Schlussszene darf man kaum ausplaudern, es sei aber gesagt, dass Audrey Hepburn hier in den letzten Minuten vielleicht ihre einprägsamste Leistung bringt, die beim mehrfachen Wiedersehen nichts an Wirkung einbüßt.

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