19. Juni 2013

DER MANN, DER ZUVIEL WUSSTE

Alfred Hitchcock  (USA, 1956)
Passiert nicht so oft, dass ein Regisseur seinen eigenen Film gleich zweimal dreht; die erste Version dieser halsbrecherischen Kidnapping-Geschichte drehte Hitchcock schon in den 30er-Jahren, ließ damals den kleinen Bengel aber in St. Moritz verschwinden und nicht im staubtrockenen Marokko, wie in dieser neueren Fassung.
Den Inhalt in allen Einzelheiten wieder aufzurollen macht nur wenig Sinn, kennt ja eh fast jeder und genauso weiß auch jeder, wie uns Hitchcock hier wieder mal vorzüglich durch ganze Kontinente, Länder und andere Orte peitscht.
James Stewart und Doris Day spielen hier das verzweifelte Ehepaar auf der Suche nach ihrem entführten Sohn. Schlagfertig und besserwisserisch wie wir den kleinen Sohnemann kennenlernen durften, braucht man sich eh nicht all zu viele Sorgen um ihn zu machen; da tun einem die Entführer beinahe schon mehr leid.
Stewart erfährt jedenfalls, dass ein wichtiger Staatsmann in London ermordet werden soll, weil ihm ein französischer Geheimagent diese Information kurz vor seinem Tod zuflüsterte, doch dem fürsorglichen Vater sind die Hände gebunden und er darf nichts ausplaudern, wenn er seinen Sohn lebend wiederbekommen möchte.
Das ist wieder mal eine jener Situationen, in denen einem die Polizei kaum noch weiterhelfen kann und wo man versuchen muss, auf eigene Faust zu handeln. Mama und Papa werden zu Superhelden, wobei Mama natürlich subtiler und durchdachter vorgeht, während sich Stewart durch seine überstürzte Art öfters Mal eine Beule holt. Aber über seine Figur darf man natürlich kaum spotten, sondern vor Ehrfurcht erzittern. Schließlich ist er der Mann, der  nicht nur zu viel weiß, sondern auch noch ohne große Mühen nach einem Knockout in der langgesuchten Abrose Chapel, mit Hilfe des Glockenseils bis zum Kirchturm hochklettern kann.
Im ganzen Film wimmelt es wieder mal vor übertriebenen Rückprojektionen und Klamauk-Sequenzen, wo sich Stewart mehrmals mit den Auslands-Bräuchen vertraut machen muss. Aber das dient ja alles dem Ausgeliefertsein in der Fremde, damit es das Ehepaar als Ausländer zusätzlich schwer hat.
Zeit genug bleibt jedenfalls immer noch, um Doris Day „Que Sera, Sera“ singen zu lassen und den durch diesen Film bekannt gewordenen Gassenhauer auch noch am Ende zu einem entscheidenden dramaturgischen Höhepunkt hochzuhieven.
Davor gibt es aber natürlich noch die Klassiker-Szene in höchster Vollendung: Der Pistolenschuss beim Konzert in der Royal Albert Hall während des Beckenschlags. Eine Szene, die Hitchcock dermaßen dehnt, dass man an Stelle von Doris Day fast schon lieber selbst losschreien möchte, damit das Drama endlich zu Ende geht, ob der Staatsmann dabei nun draufgeht oder nicht.
Ein Hitchcock, bei dem man sich jedes Mal wieder über so viele Sachen ärgern kann und sich dennoch freut, wenn man ihn nach seinen Macken und Kanten absuchen darf, wenn er sich mal wieder ins Fernsehprogramm verirrt hat.

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