4. Juni 2013

DIE JAGD

Thomas Vinterberg  (Dänemark, 2012)
Bevor die Erinnerungen verblassen, (auch wenn das im Falle dieses Filmes nur sehr schwer fällt), sollte man auch dieses Werk unbedingt schriftlich verewigen, weil es zu den besten Kinogängen der letzten Monate dazugehört. Um so erfreulicher war es, sich so kurzfristig für einen Kinobesuch entschieden zu haben, um nach diesem fulminanten Erlebnis gleich festzustellen, dass dieser Film die Kinosäle langsam aber sicher wieder verlässt.
Thomas Vinterberg ist vor allem für "Das Fest" bekannt, seinen Beitrag zur dänischen Dogma-Bewegung. Das ist alles aber schon ein paar Jährchen her und Dogma als Konzept mittlerweile ein alter Schuh. Lars von Trier ist ja auch längst gereift und man lässt dann gerne solche studentischen Experimente hinter sich, auch wenn die Bewegung natürlich gute Sachen hervorgebracht hat. Vinterberg ist nicht Lars von Trier, wozu auch, packt andere Themen an und verpackt sie auch anders.
In "Die Jagd" geht es um den Kindergärtner Lucas (Mads Mikkelsen) der mittlerweile alleinstehend in einer Kleinstadt lebt und sich mit seiner Ex-Frau nur noch am Telefon darüber streitet, wer wann den Sohn haben soll. Lucas ist außerdem Mitglied in einem Jagdverein; eine Art soziales Auffangbecken für potentiell gelangweilte, männliche Einwohner, wo seit Generationen ein brüderlicher Zusammenhalt gewährleistet ist.
Im Kindergarten, in dem Lucas arbeitet, ist unter anderem die kleine Klara, Tochter von Lucas' bestem Freundes Theo, die in ihren Kindergärtner ein bisschen verliebt ist. Da sie mit seiner Zurückweisung nicht umgehen kann, erfindet sie kurzerhand eine Geschichte, die darauf hinausläuft, er hätte sie sexuell belästigt. Diese Lüge gelangt zuallererst in das Ohr der Kindergartenleiterin und schlängelt sich durch den ganzen Ort, bis schließlich jeder, (vom Metzger nebenan bis hin zu zu Lucas' besten Freunden), davon überzeugt ist, er hätte tatsächlich der kleinen Klara etwas angetan.
Das führt geradewegs zur kompletten Isolation des beschuldigten Kindergärtners, der seinen Job verliert und von dem sich beinahe alle seine Nächsten abwenden. Der einzige Lichtblick ist Lucas' Sohn Marcus, der gegen den Willen seiner Mutter den verzweifelten Vater besucht und sich sofort auf seine Seite stellt.
Lucas' Lage verschlimmert sich jedoch zunehmend, als der tonnenschwere psychischen Druck, der auf seinen Schulter lastet, ihn schließlich durch körperliche Angriffe in die Knie zwingt. Plötzlich werden große Steine durchs Fenster in sein Haus geschmissen, er bekommt bei Freunden und Einkaufsläden Hausverbot und wird überall mit brutaler Gewalt rausgeschmissen, bis er irgendwann nur noch blutend und einem Obdachlosen gleich, durch die Gegend irrt.
Womit uns Vinterbergs Film am meisten provoziert und ärgert: das kleine Mädchen hat längst alles ihren Mitmenschen gebeichtet, denn ihre kindliche Unreife hält sie nicht davon ab, einzusehen was sie angerichtet hat. Dies führt zur eigentlichen Problematik dieses Filmes, nämlich dem Blickpunkt, dass jeder hört, was er hören will und die Einwohner dem Kind nur die anfängliche Lüge als Wahrheit abkaufen und vor jeglichen Entschuldigung lieber die Scheuklappen aufsetzen, weil eine festgefahrene Eigeninterpretation, die man nicht hinterfragen will, am bequemsten ist.
Vinterberg porträtiert hier den Gruppenwahn einer von Angst gezeichneten Gesellschaft, die sich im Kollektiv auf ein einziges, schwächeres Opfer stürzt, es ausgliedern möchte, bzw. am liebsten vollständig beseitige will. Die "Jagd" geht selbst nach einer scheinbaren, positiven Kehrtwende weiter und reicht über die Filmlänge hinaus, was durch die exzellente Schlussszene nochmal abgerundet wird.
Und man kann den Film wieder zu Tode interpretieren, die Menschheitsgeschichte im weiteren Sinne nach unzähligen Sündenböcken absuchen, oder sich an Einzelschicksalen festkrallen und dem Film auf dieser Ebene Zeitlosigkeit zuschreiben, was er formal und vor allem inhaltlich durchaus verdient hat.

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