2. Januar 2013

PINA

Wim Wenders (Deutschland, Frankreich, Großbritannien, 2011) 
Um mal zu vergleichen: Werner Herzogs bisheriges dokumentarisches Schaffen mag sicherlich umfangreicher und thematisch vielseitiger sein, als das von seinem Kollegen Wim Wenders, der auch weniger waghalsig vorgeht und sich eher darauf spezialisiert hat, andere Künstler filmisch ins Rampenlicht zu rücken, anstatt exzentrische Randfiguren und Problemthemen aus dem wahren Leben zu porträtieren. Doch trotz seiner Gemütlichkeit ist Wenders vor allem der Mann, dem es gelingt, auch ein paar ungewohnte Türen zu öffnen um dem klassischen Film- oder Wendersfan einen Blick auf andere Künstler und sogar Kunstformen zu ermöglichen.
Sein Film über die Choreographin und Tänzerin Pina Bausch durfte sich kürzlich dazugesellen. Eine völlig neue Welt eröffnet sich hier jedem Tanztheater-Banausen (also mir!), wenn man ansonsten einen großen Bogen um diese Kunstform gemacht hat. Pina starb leider 2009 und erlebte nicht mehr die Fertigstellung des Filmes; das fertige Werk ist natürlich ihr gewidmet und muss bis auf einige wenige Archiveinblendungen ohne sie auskommen. Die Meisterin schwebt aber wie ein wachender Geist über allen Darbietungen des Wuppertaler Tanztheaters.
Die vielen Darsteller lernen wir entweder in den unterschiedlichen, wundervoll inszenierten Stücken kennen, sowie durch die Vielzahl an eingeblendeten Gesichtern, die aus dem Off zu uns sprechen und ihre Lehrerin stets aufs höchste Podest zu stellen.
Pinas Kunst eignet sich natürlich vortrefflich für Wenders' Experiment, da der Einsatz von ungewöhnlichen Orten die Tänzer durchgehend aufs Neue herausfordert. Ob auf nassem Torf, draußen auf dem Wuppertaler Asphalt oder auf einer überschwemmten Bühne; jede Location wird mit Leichtigkeit überwunden und integriert sich von Anfang bis Ende in das jeweilige Stück.
Und so weit ist das alles auch gar nicht vom Filmmedium entfernt, schon gar nicht, wenn Wenders sich direkt ins Geschehen einmischt; nicht nur aus Entfernung mit dem passiven Blick eines Theaterbesuchers, sondern sich mit Kamera zwischen den Darstellern hindurchschlängelt. Aus dieser Nähe zum Geschehen werden aus einem ganzen Tanz-Ensemble einzelne Darsteller, Gesichter, Schauspieler, Individuen, Menschen.
Das charakteristische Stück „Café Müller“ hat ja sogar Pedro Almodóvar am Anfang seines „Sprich mit ihr“ eingebaut; da sieht man auch, wie gut sich Film und Tanz ergänzen können, wenn man beides gekonnt verbindet.
Eigentlich sollte man auch „Pina“ unbedingt mit dem Audiokommentar von Wenders schauen (muss noch unbedingt nachgeholt werden!), um noch mehr übers Pinas Arbeitsweise zu erfahren und wie sich der alte Düsseldorfer-Wim in dieser Welt zurechtfinden musste. Es soll ja alles andere als einfach für ihn gewesen sein, weil er lange nicht wusste wie man ein Tanztheater überhaupt filmen sollte. Seine Bedenken und Zweifel hatte er Pina Bausch gebeichtet, als das Projekt noch ganz am Anfang stand. Gelungen ist es ihm aber dennoch; vielleicht hat er das Pina zu verdanken, die ihre künstlerischen Mitarbeiter immer mit wenigen aber den richtigen Worten zu animieren wusste. 
Ein guter Film also, und trotz aller Ernsthaftigkeit gibt es sogar etwas zum Schmunzeln, wenn man bei der Suche nach Standfotos auf das Filmpremieren-Bild stößt, auf dem Wenders und Angela Merkel mit 3D-Brillen nebeneinander im Kino sitzen.

Keine Kommentare: