19. November 2013

DER NACHTPORTIER

Liliana Cavani  (Italien, 1974)
Charlotte Rampling oben ohne und doch halb in Nazi-Uniform gekleidet, Marlene Dietrich-Lieder trällernd und dabei ein skurriles Cabaret abgebend. Das sind jene Bilder, die unsere Vorstellungen von Cavanis Film seit je her prägen und wenn man den Film dann irgendwann doch noch zum ersten Mal zu sehen bekommt, wundert man sich fast schon wieder, wie wenig das alles mit dem erwarteten Naziploitation-Genre zu tun hat, bloß weil der Film immerzu dermaßen plakativ reduziert wird. Das geht so weit, dass man sogar von ihm enttäuscht sein könnte, weil er in seinem Ganzen doch etwas anderes ist, oder einfach nur mehr zu bieten hat. Er kämpft nämlich nicht nur mit dem KZ-Trauma, sondern ist so unverschämt, gleichzeitig eine Liebesgeschichte zu erzählen. Oder die Geschichte einer Beziehung; das trifft es wohl eher. Die absonderliche, gar krankhafte Abhängigkeit zweier Menschen, als beispielhafte Opfer einer Zeit, die bei beiden unauslöschliche und somit prägende Spuren hinterlassen hat.
Er (Dirk Bogarde), ehemaliger SS-Offizier im Konzentrationslager und mittlerweile Nachtportier eines Wiener Hotels, sie (Charlotte Rampling) ehemaliger Häftling des selben KZs, die lange nach dem Krieg zufällig in dem Wiener Hotel anreist. Beide erkennen einander sofort: Alte Narben reißen wieder auf, Schreckensbilder von damals gelangen ins Bewusstsein, weisen aber auf die damalige, gegenseitige Abhängigkeit hin, die sich in sadomasochistischer Tendenz äußerte. Ein krankhaftes Verhältnis von KZ-Wächter zur Inhaftierten, und selbst jetzt verfallen die beiden wieder einander, müssen sich jedoch abschotten, um keinen Ex-Nazis in die Hände zu fallen.
Und plötzlich wirkt der Film wie eine Mann/Frau-Geschichte, ein Drama zweier Darsteller. Es nützt jedoch nichts, sich darüber aufzuregen, dass die Hintergrundkulisse (die NS bzw. KZ-Thematik) so provokativ gewählt wurde, denn so einfach ist das alles nicht, weil die Vergangenheit alles überrollt und selbst wenn sich die Zustände von damals längst geändert haben, hinterlässt diese wahnsinnige Zeit ihre drastischen Spuren. Der Mensch, für alle Zeiten gezeichnet, erholt sich nie von zugefügten Wunden, kann sich der neuen Welt bzw. den neuen Umständen nicht anpassen; eher verreckt er.
Nachdem die Kriegstrümmer beiseite gekehrt wurden, herrschte auch im italienischen Film Aufbruchstimmung. Deswegen fügt sich Cavanis Film in die darauffolgende Tradition ein, nicht mehr in zerbombten Städten herumzuhausen, sondern sich auf eine drastische Weise mit dem Faschismus bzw. Nationalsozialismus auseinanderzusetzen. Mit Visconti, Bertolucci oder Pasolini war Liliana Cavani damals in keiner schlechten Gesellschaft.

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