13. November 2013

BLUE JASMINE

Woody Allen  (USA, 2013)
Woody zögert bei seinem letzten Film nicht lange herum, schmeißt uns direkt in die Handlung hinein, nutzt dabei die Methode der ständigen Rückblenden und beleuchtet auf diese Weise die Entwicklung seiner Hauptfigur. Jasmine lernen wir in der Vergangenheit als verwöhnte, Manhattan'sche Upper-Class Lady kennen, die bloß ihrem Ehemann (Alec Baldwin) hinterherhechelt und alles blind unterschreibt, was er ihr vor die Nase hält. Parallel dazu gibt es die Szenen der Gegenwart: Eine gefallene und geschlagene Jasmine, die mittlerweile ihr gesamtes Vermögen verloren hat, als ihr Mann wegen Betrugs hinter Gittern landete.
Die mittellose Jasmine reist (immer noch First Class!) nach San Francisco, um bei ihrer Schwester Ginger (ebenso ganz großartig: Sally Hawkins) unterzukommen. Das Tennessee Williams-Motiv aus "Endstation Sehnsucht" wird aufgegriffen: Die ehemalig gut-positionierte Heldin findet bei ihrer in einfachen Verhältnissen lebenden Schwester ein Dach über dem Kopf. Damit prallt sie gegen eine Parallelwelt, versucht aber dennoch, den früheren Status nach außen hin zu wahren. Kapitalismus und Klassenunterschiede werden hier ganz groß geschrieben. Aus der Luxusvilla wird eine einfache Mietwohnung, statt Sekt-schlürfender Vorzeigefreunden, umgibt sie sich mit einer dusseligen Schwester, die als Kassiererin arbeitet. Bloß gibt es hier keinen Marlon Brando, sondern die Figur des grobgehobelten Chili, der an Gingers Rockzipfel hängt; ein völlig inakzeptabler Mitmensch für unsere Heldin.
Das wahre Leben greift nach Jasmine; Frisco als neuer Ort und der ruppige Bekanntenkreis ihrer Schwester entblößen sie bis auf Haut und Knochen. Sie erkennt sich selbst als naiven, völlig unerfahrenen Menschen, der plötzlich selbst einen völlig neuen Lebensplan aufstellen muss, um für seine Brötchen aufzukommen. Auf einmal findet sie sich zwischen Job und Studium wieder, wird aber gleichzeitig von Gingers Mitmenschen eingekreist, denen sie lediglich einen abwertenden Blick zuwerfen kann.
Woody entwirft eine Fallstudie, wo sich der Sack immer fester zuschnürt und sich seine gebeutelte Heldin langsam aber sicher dem Abgrund nähert. So sehr aber auch diese Frau gefühlsmäßig ausgewrungen wird, bis von ihr bloß noch ein vor sich hin murmelndes Häufchen Elend übrig bleibt; gelacht darf trotzdem werden bei diesem Film, sogar mehr als bei Woodys beabsichtigten Vollzeit-Komödien, weil der Humor hier keinem die Tür einrennt.
Wie bedauerlich, dass der nächste Woody Allen-Film wieder nur akzeptabel bis hundsmiserabel ausfallen wird. Die die Tendenz stimmt wirklich, wenn man sich seine Filmographie vergegenwärtigt, wo in den letzten Jahren ein ständiger Wechsel von gut-schlecht-gut-schlecht aufzufinden ist. Und gerade jetzt kollidieren mit "To Rome with Love" und "Blue Jasmine" zwei qualitativ dermaßen gegensätzliche Filme, dass einem Angst und Bange wird, wie unberechenbar und undurchschaubar das Woody-Gesamtwerk ist.
"Blue Jasmine" ist nicht nur ein guter Film; er lässt einen vor allem ernsthaft darüber grübeln, wann es bei Woody letzten Mal eine dermaßen facettenreiche Figur gab, wie die der Jasmine und wie oft oder wann überhaupt bei diesem Regisseur eine Schauspielerin so herausgefordert wurde wie Cate Blanchett, die sogar Langzeit-Musen wie Diane Keaton und Mia Farrow in Frage stellen lässt.
Momentan ist alles gut.

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