16. März 2012

DAS TURINER PFERD

Béla Tarr (Ungarn, 2011)
Béla Tarr beweist mal wieder mit seinem jüngsten (und angeblich letztem!) Werk seine schonungslose Unverschämtheit, die Zuschauer mit einem eigenwilligen Erzähltempo auf die Folter zu spannen. Er beginnt mit einem Prolog, in dem es um einen Kutscher, sein Pferd und Friedrich Nietzsche geht und wie kurze Zeit danach bei dem berühmten Philosophen eine psychische Erkrankung diagnostiziert wurde, die ihn ans Bett fesselte.
Doch Béla Tarr ärgert uns schon zu Beginn, denn er verwehrt uns schon diese action-reiche Szene mit VIP-Potenzial und lenkt das Geschehen lieber auf das Schicksal des Pferdes und seines Herren.
Direkt danach kommt eine der visuell schönsten und ungewöhnlichsten Szenen der letzten Dekaden, wenn Tarrs Kamera die Kutsche auf der Heimfahrt begleitet, sich Pferd und Fahrzeug mal nähert, mal aus Distanz einfängt oder den Blickwinkel ändert, ganz ohne Schnitt, das Tier mehr tot als lebendig, sein Fell vollkommen durchgescheuert, ein zu bemitleidender Gaul auf Heimfahrt, der mürrische Kutscher auf dem Bock, alles in Schwarzweiß, noch viel qualvoller weil sich das tiefe Cello so süßlich ins Ohr hinein bohrt.
Wenn man dann noch in einem Zug den Einfluss von Tarkowski nennt, ist das Bild des ausgelutschten Kunstfilms geradezu perfekt abgerundet; vielleicht ist er das auch, aber wen kümmert 's.
Und wenn man denkt, dass der Anfang schon der eigentliche Todesstoß für den Zuschauer ist, irrt man ganz gewaltig, denn was folgt ist ein knochenharter, schweißtreibender Existenzialismus von feinster Art. Jetzt geht es nur noch um das Pferd, den Bauern und seine Tochter im abgelegenen Haus, der Wind peitscht einem um die Ohren, der Brunnen vertrocknet, das Pferd möchte nicht mehr den Stall verlassen und ewig nur Kartoffeln auf dem Esstisch. Der ausweglose Kreis des harten (Bauern-)Alltags, dessen Monotonie selbst durch kurze Besuche kaum gestört werden kann, wird niemals durchbrochen.
Béla Tarr hat Langsamkeit und Pessimismus nicht erfunden, aber welcher Regisseur tut das heutzutage mit solcher notorischen Konsequenz eines hartnäckigen Einsiedlers.

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