6. Februar 2014

EIN KIND WARTET

John Cassavetes  (USA, 1963)
Verblüffend ist das ja schon: Stanley Kramer wird als Produzent in einem John Cassavetes-Film aufgelistet. Die große Gena Rowlands ist auch dabei. Es kann also nichts mehr schief gehen. Dabei ist "Ein Kind wartet" bloß eine kleine Fingerübung für den talentierten John Cassavetes, der später mit gigantischen Filmen wie "Eine Frau unter Einfluss" ganze menschliche Seelen nach außen stülpte.
Hier begibt er sich mit seiner Geschichte sogar auf einen bis dahin filmisch relativ unbenutzten Seitenpfad und siedelt das Geschehen in einer psychiatrischen Kinderklinik an. Judy Garland tritt auf, als junge Lehrerin, die ihrem Leben einen neuen Sinn geben will und sich um psychisch kranke Kinder kümmern möchte. Burt Lancaster ist der ehrfürchtige Psychologe, der alles und jeden überschattet und der Garlands mangelnden Fachkenntnissen erstmal skeptisch entgegentritt. Eine dominante Figur, die Garlands grünschnabelig-sensiblen Art zuerst wenig Platz zum Entfalten übrig lässt.
Charakter-Regisseur, Cassavetes belässt es natürlich nicht bei einer gesichtslosen Masse an Kindern, sondern fokussiert gleich den zwölfjährigen Reuben. Sieht man Bruce Ritchey in dieser bemerkenswerten Rolle, glaubt man, sein Gesicht aus tausend Filmen zu kennen. „Ein Kind wartet“ gehört aber zu den zwei einzigen Filmen, in denen er jemals mitgespielt hat, was scheinbar ausreichte, um als Darsteller eine deutliche Spur zu hinterlassen. Er ist hier ein introvertierter Junge, der sich gegen jede autoritäre Aufforderung gegenstämmt und jeden Menschen mit einem Blick aus scheuem Misstrauen mustert. Er verweigert die Mitarbeit, wenn die Kinder in der Werkstatt etwas bauen sollen; lieber stößt er aus Bauklötzen errichtete Bauwerke wieder um. Destruktion und Ablehnung statt Mitarbeit und Fügsamkeit. Die anderen Kinder werden zunehmend zur Kulisse für Reubens komplexem Charakter und Judy Garland gewinnt zwar sein Zutrauen, hat aber mit dem verschlossenen Jungen alle Hände voll zu tun, genauso wie der bestimmende Lancaster.
Reuben ist eben das verzweifelte Kind, das wartet... auf seine Eltern, die ihn einst aufgegeben haben und niemals in der Klinik besuchen. In Rückblenden lernen wir die beiden kennen, Gena Rowlands spielt seine überforderte Mutter und sie muss bereits in diesem Film nicht all zu viel tun, um alle zu überragen.
Ein sehr guter Problemfilm, über eine Thematik, vor der man damals gern die Augen abgewendet hat, aber trotzdem weit weniger dokumentarisch als sein Ruf. Dafür ist er noch zu sehr auf melodramatische Weise in seiner Hollywood-Konstruktion gefangen und deswegen weniger schonungslos und radikal als Cassavetes' späteren Filme.

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