20. November 2012

LA LUNA

Bernardo Bertolucci (Italien, 1979)
Der Vergleich mag kläglich sein, aber wozu immer unberührtes Frischfleisch anpacken, wenn man aus der Tiefkühltruhe auch mal nach einem gut konservierten Leckerbissen greifen kann, der nach dem Auftauen an Intensität nichts verliert. "La Luna" war letztens so ein Film, eine erneute Sichtung war schon länger hinfällig, man hat bloß immer Angst, dass sich ein Film irgendwann abnutzt. Es ist das Problem der verloren gegangenen Magie, die einfach im Nichts verpulvert. Es soll ja schließlich weiterhin ein Film bleiben, der einem viel bedeutet, von dem man mit Vorsicht sogar behaupten kann, man würde ihn lieben. Der richtige Zeitpunkt war nun da, und es ist immer noch alles in bester Ordnung.
Bertolucci hat davor seinen Opus magnum "1900" abgedreht; alles was als nächstes käme, würde bloß in dessen Schatten stehen, vielleicht nicht mal das, sondern auf wackeligen Beinen in der Ecke schwanken.
Doch "La Luna" ist so viel anders, dass man ihn gar nicht zu vergleichen braucht. Zuallererst steht man aber wieder von der gewaltigen Aufgabe, den Inhalt zusammenfassen zu müssen, damit der Leser nicht ziellos herumirrt.Caterina (Jill Clayburgh) ist eine berühmte Opernsängerin aus New York, die nach dem Tod ihres Mannes mit ihrem 15-jährigen Sohn Joe (Matthew Barry) ein neues Leben in Rom beginnt. Der Konflikt schleicht sich rasch heran, denn Caterina blickt stets ihrem Erfolg entgegen, hat nur die Opernbühnen dieser Welt vor Augen und weniger ihren Sohn, der sich einsam fühlt und großteils alleine die Ewige Stadt erkundet. Er rutsch in einen verderblichen Rauschgiftkonsum ab, sein bester Freund ist gleichzeitig sein Drogenhändler und die Mutter merkt plötzlich, dass ihr Sohn ein Unbekannter für sie ist. Sie hört auf zu singen, möchte es auch nie mehr tun und lässt sich lieber auf ihren Sohn ein, doch leider auf falschem Wege, denn was sich anbahnt ist eine inzestuöse Mutter-Sohn-Beziehung. In dem Augenblick, als sie merkt, ihrem Sohn aus der Drogensucht helfen zu müssen, übersättigt sie ihn mit ihrer Zuneigung, wie es bereits in den allerersten Filmminuten angedeutet wird, wo Joe als Baby mit Honig überfüttert wird und sich schließlich an der süßlich triefenden Masse verschluckt. Ergänzt wird das durch die Szene mit dem Wollknäulen, in das sich der kleine Bub verfängt und es wie eine Nabelschnur von seiner Mutter wegzieht während er weinend zu seiner Großmutter läuft. Symbole über Symbole.
Bertolucci sorgte damals mit der Inzest-Thematik für einen Skandal, bewies aber erneut, dass er eine Geschichte auch ohne faschistisch-politische Themen erzählen kann und das sogar mit wenigen Worten, weil auf die Bilder immer Verlass ist, die von subtil bis gigantisch alles abdecken.
Vielleicht folgt er hier sogar noch viel deutlicher seinem Herzen, und es ist ja kaum noch der Film eines Regisseurs, sondern wirklich der eines Künstlers. Was den Film zu einem solchen macht, ist nicht bloß die Künstlerwelt, in der die Geschichte angesiedelt ist, sondern die plastisch ausgearbeitete Eigenart der Figuren. Ob Operndiva oder Kneipenbesitzer, bei Bertolucci ist jeder ein Kreativer oder ein Verrückter und benimmt sich oft entgegengesetzt der Handlung bzw. der jeweiligen Situation und provoziert damit sein Umfeld aber vor allem seinen Zuschauer. Bei der Beerdigung seines Stiefvaters tritt Joe einer trauernden Frau auf den Fuß, damit sie nicht mehr weint. Und in Joe brodelt selbst das Schöpferische und Kreative, wenn er sich etwa an das Klavier setzt oder später das Schlagzeugsolo auf dem Essensbesteck hinlegt, um die Aufmerksamkeit seiner Mutter zu erlangen. Man wundert und fragt sich, warum er überhaupt so viel Ungewöhnliches tut, aber er ist ja auch ein gelangweilter Abkömmling einer Mutter, die sich mit Leib und Seele dem Kreativen verschrieben hat, der sich dennoch querstellt, um beachtet zu werden, denn er ist zudem ein amerikanischer Teenager, der plötzlich in Italien aufwächst.
Trotz seines melancholisches Grundtons, hat der Film aber dennoch heitere Akzente. Ein junger Roberto Benigni sorgt dafür als clownhafter Handwerker, der in einem unpassenden Augenblick eine Gardine anbringen will, während Mutter und Sohn ein ernstes Gespräch führen wollen.
Der Film schwappt irgendwann zu einem Art Road-Movie über, weil die Mutter in ihrem übertriebenen Eifer dem Sohn die Orte ihrer Jugend zeigen will. Joes leiblicher Vater ist Italiener, wir Zuschauer erahnen das seit Anbeginn dieser Geschichte, doch für Joe ist es ein Schock, der die Liebe/Hass-Beziehung zwischen Mutter und Sohn in neue Bahnen lenkt.
Bertolucci, Morricone, Verdi, Italien... der Film ist selbst eine Oper, denn er lehnt sich schließlich auch an Verdis Werk. Und der ewige Mond hängt draußen, oben in der Ferne, immer wieder zeigt er uns das eine Gesicht und verbirgt sein anderes Antlitz auf der für uns nicht sichtbaren Seite.

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