François Truffaut (Frankreich, 1970)

Die Neusichtung von Truffauts Verfilmung des Falls Victor von Aveyron, erwies sich als ein ziemlicher Glückfall, denn der Film weiß viel besser zu gefallen, wenn man von vorn herein auf den dokumentarischen Stil eingestellt ist. Außerdem sind die Bilder so großartig durchkomponiert und die Locations so liebevoll-zeitgemäß inszeniert, dass "Der Wolfsjunge" mit Sicherheit zu Truffauts visuell schönsten Filmen gehört.
Speziell die Anlehnung an die Fotografie französischer Vorgänger, wie etwa Robert Bresson, katapultiert den Zuschauer direkt ins 18. Jahrhundert; die Bilder bekommen diesen eigenwilligen altmodischen Ansatz.
Sonst heißt es nur noch zurücklehnen und beobachten wie Dr. Jean Itard (Truffaut in eigener Person!) sein Dschungelkind aufrecht auf die Beine stellt, ihn rasiert, anzieht, und mit einem erhobenen, pädagogischen Finger einen Menschen aus ihm macht. bzw. es versucht.
Allein durch den weitgehenden Verzicht auf ausgeprägte Frauenfiguren, und dem Fehlen des altbewährten Mann/Frau-Thema, ist es immerhin ein Truffaut-Film von hoher Risikobereitschaft, weil er einen radikalen Genrewechsel nicht scheut. Kein großer Truffaut-Film aber ein abwechslungsreicher Seitenweg.




Zu großer Verwunderung muss ich feststellen, dass dieser Film meine erste Begegnung mit Frau Vardas Kino ist. Was man so liest, liegen anscheinend die ganz großen Sachen schon etwas zurück, gar zur Zeit der Nouvelle Vague-Bewegung. Umso positiver fällt dann diese 80er Produktion auf und umso neugieriger macht sie mich auf weitere ihrer Filme.