14. März 2013

THE MASTER

Paul Thomas Anderson (USA, 2012)

Seit Jahren wünschte man sich kaum etwas sehnlicher herbei, als den neuen Paul Thomas Anderson-Film, weil er bereits mit "There Will be Blood" ein gefährliches Monster von der Kette löste und man sich immer noch daran erinnert, wie Daniel Day Lewis als Öl-suchender Daniel Plainview den Zuschauer zunächst tief in den Kinositz hineinbohrte und nach Verlassen des Saals einem ein schwebend leichtes Gefühl auf den Weg gab; man war einfach glücklich und zufrieden, einen wirklich guten Film gesehen zu haben.
Dieser Film bleibt auch die ewige Anderson'sche Messlatte, deswegen ist "The Master" in gewisser Weise unerfüllt geraten, weil er niemals daran heranreicht, aber muss er auch nicht zwangsläufig und gut bleibt er dennoch.
Navy-Veteran, Freddie (Joaquin Phoenix) treibt sich hier herum; von Job zu Job, von Ort zu Ort, versucht sein Kriegs-Trauma zu überwinden, oder zumindest in Zaum zu halten, doch er ist eine tickende Zeitbombe, nähert sich seinen Mitmenschen mit Misstrauen und reagiert öfters mit Gewaltausbrüchen (genial inszenierte Szene, wie er als angestellter Fotograf einen Gewaltkonflikt mit seinem Kunden provoziert).
Was er seiner Dienstzeit im Krieg zu verdanken hat, ist vor allem das mangelnde Gefühl von jeglicher Zugehörigkeit; es zieht ihn immer wieder ans Meer bzw. aufs Schiff, wo er schließlich als blinder Passagier seinem filmischen Pendant begegnet: Philip Seymour Hoffman spielt Lancaster Dodd, der an den Scientology-Gründe L. Ron Hubbard angelehnt ist. Ein Intellektueller mit der Ausstrahlung und Wucht eines späten Orson Welles, der dank seiner charismatischen Aura eine Vielzahl an Leuten um sich schart, wie eine große Familie, die sich dem neuartigen Glaubenssystem ihres Meisters und Mentors anschließen will.
All das scheint aber schnell in den Hintergrund zu geraten, weil Phoenix und Hoffman dermaßen präsent sind und jeden Eindruck von greifbarer Handlung in den Schatten stellen; zwei Darsteller, die sich selbst genügen, die sich stets in die Quere kommen und doch eine unzertrennliche Einheit bilden, weil der Meister eben auch einen Schläger braucht, um seinen Gegnern und Zweiflern Angst einzujagen. Die zahlreichen Zwiegespräche und psychologischen Raufereien nehmen dann beinahe Bergman'sche Ausmaße an (vielleicht im Ansatz an die Interview-Erzählmethode in "Der Ritus" erinnernd), sind für den Meister aber in erster Linie ein spielerisches Experiment und weniger ein ehrliches Angebot, dem gebeutelten Freddie wirklich helfen zu wollen. Die Versuche der Reinwaschung einer Figur, um sie wieder auf den rechten Weg zu bringen, haben hier auch etwas von dem Martyrium, das Alex in "Clockwork Orange" durchmachen muss.
"The Master" ist vor allem ein Prozess aus aneinandergereihten Lehrversuchen, die das Innere nach außen herauszukitzeln sollen und den Zuschauer durch hinterhältige Wiederholungen provozieren und immer wieder herausfordern. Einen Befreiungsversuch bzw. eine befreiende Grenzüberschreitung gibt es dann in Form der uneingeschränkt schnellen Motorradfahrten in der Wüste, als einzigen Ort, wo einem Nichts im Wege steht.
Und je weiter Anderson seine Geschichte vorantreibt, desto dichter wird der erzählerische Urwald und um so abrupter und dramaturgisch unerfüllter das Finale, weil man nach dem Totschlag mit dem Bowling-Kegel aus "There Will be Blood" erneut einen solch dominanten Farbklecks im Drehbuch erwartet hätte. Oder aber Andersons Herangehensweise ist eine andere, weil er seine Höhepunkte nach keinem klassischen Muster platziert. Lieber sollte man auf die kleinen Mienen treten, die im Verlauf der Geschichte ohnehin zahlreich verteilt sind.
Mag man sich also über einen mühevollen Erzählfluss ärgern, über mehr Rätsel als deren Lösungen;... was bleibt zeugt dennoch von großer Erzählkunst, dem Talent, in großen Bildern und originellen Einfällen erzählen zu können und mit großer Präzision den ungewöhnlichen Soundtrack von Jonny Greenwood (mittlerweile Andersons Hauskomponist!) an den richtigen Stellen unterzubringen, so dass die Musik nicht bloß visuelle Löcher stopft, sondern eine ebenbürtige Stellung einnimmt.
Andersons Kino wird immer undurchdringlicher und mysteriöser; man muss einfach weiterhin dranbleiben.

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