5. Dezember 2012

AUGEN OHNE GESICHT

Georges Franju (Frankreich, Italien, 1960)
Zeit für ein klassisches Schauermärchen mit Mary Shelley-Tendenz, gepaart mit Stilsicherheit und französischer Coolness; da ist man bei Georges Franju am besten aufgehoben. "Augen ohne Gesicht" nennt sich sein vielleicht bekanntestes Werk, das damals für reichlich Ekel und Panik unter den Zuschauern sorgte und das, obwohl er zuvor der Schere zum Opfer gefallen ist. Diese Schandtat der Zensur ist lange her und wir dürfen den Film inzwischen wieder in (fast) voller Länge genießen, zumindest die langwierige Operations-Szene in all ihrer B-Movie-Aufdringlichkeit über uns ergehen lassen.
Aber alles nacheinander. Zuerst muss man sich mit der Eigenwilligkeit des Chirurgen Dr. Génessier (Pierre Brasseur) vertraut machen, der in einer abgelegenen Villa seine nach einem Autounfall entstellte Tochter Christine (Edith Scob) von der Außenwelt versteckt, deren malträtiertes Gesicht (das wir als Zuschauer nie zu sehen bekommen) er mit Hauttransplantationen retten möchte. Da der Eingriff jedoch öfters misslingt (das verpflanzte Gewebe wird nach gewisser Zeit wieder abgestoßen), werden immer wieder junge Studentinnen von seiner Assistentin (Alida Vali) ins Haus gelockt, um als Hautspender auf dem Labortisch zu landen. Christine muss also viel über sich ergehen lassen. Sie lebt völlig isoliert hinter einer Maske, in einem Haus mit abgehängten Spiegeln, um von ihrem tragischen Aussehen verschont zu bleiben, oder zumindest halbwegs von dem schweren Schicksal abgelenkt zu werden.
Georges Franju kennt man einerseits als Regisseur von diesem Grusel-Hirngespinst, aber vor allem auch als Mitbegründer der französischen Cinémathèque. Man würde denken, dass auf diese Weise zwei vollkommen gegensätzliche Welten aufeinanderprallen, doch trotz der morbiden Grundthematik legt der Regisseur viel Wert auf eine filigran-verspielte Optik und stilvolle Charaktere. Natürlich im Mittelpunkt die markante Hauptfigur, die in ihrem detailverliebten, Geheimzimmer ihr Unglück permanent am Kissen ausweint.
In diesem Film kollidiert also vieles zusammen, was auf den ersten Blick kaum verwandt zu sein scheint: Das coole 60er-Jahre Godard-Paris auf Folterkammer-Ästhetik und viktorianische Villa, Kriminalgeschichte auf Old-School-Body-Horror.
Und dass der Film bis heute Spuren hinterlässt, merkt man spätestens, wenn man Leos Carax' "Holy Motors" sieht, in dem Edith Scob erneut mit einer Maske ihr Gesicht verdecken darf. Almodovar war ja mit "Die Haut, in der ich wohne" auch nicht weit entfernt; der Einfluss von Georges Franju reicht also bis in die heutige Zeit und das muss schon etwas heißen.

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